- einen Gesetzentwurf der Linken - danke für die Berichtigung -, dass Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt, eigenständig und ohne Inanspruchnahme einer Hilfsperson immer und überall in den Wahllokalen Thüringens ihre Stimme abgeben sollen. Genau darüber diskutieren wir im Moment. Es gab damals, als wir diesen Gesetzentwurf vor der Bundestagswahl hier im Landtag eingebracht bzw. behandelt hatten - nein, damals war es noch ein
Antrag. Damals gab es einen Bericht des Innenministers, der hier einige Dinge dargelegt hat und uns damals auch - Herr Gumprecht hat eben schon darauf abgestellt - informiert hat, dass der Landeswahlleiter vor dieser Bundestagswahl die Gemeinden in Thüringen abgefragt hat, wie es um die Barrierefreiheit in den Wahllokalen steht. Es gab, Herr Kollege Nothnagel, Sie wissen es, eine Kleine Anfrage von Ihnen, die - soweit ich weiß - im Juli 2013 beantwortet wurde. Ich habe sie mir heute Morgen kurz noch einmal angesehen. Diese Kleine Anfrage zeigt, dass sich die Situation um die barrierefreien Wahllokale zwar verbessert hat, damals zum Zeitpunkt der Beantwortung, im Juli, als die Landtagsverwaltung Ihnen diese Antwort hat zukommen lassen, waren es schon 277 Wahllokale mehr als 2009, als - das war dieser Vergleichszeitraum man damals so eine Erhebung gemacht hat. Wir liegen - zum damaligen Zeitpunkt, Juli, das kann heute besser sein, ich gehe einmal davon aus - bei etwa etwas mehr als der Hälfte der Wahllokale in Thüringen, die barrierefrei zugänglich sind. Da gebe ich Ihnen natürlich recht und das ist, wie mein Vorredner Herr Bergner auch gesagt hat, nach wie vor ein wichtiges Thema, es gibt da noch Nachholbedarf, unbestritten.
Was mir am Gesetzentwurf nicht so sehr gefällt auch meine Vorredner haben das hier bereits geschildert -, ist diese Formulierung, die Gemeinden müssen jetzt Barrierefreiheit schaffen - ich sage es mal salopp, ich will jetzt den Gesetzentwurf nicht in Gänze zitieren - und finanzieren müssen sie das auch selbst. Auch das ist hier schon angesprochen worden. Ich sage das noch einmal ganz deutlich, weil das auch sehr wichtig bei der Diskussion ist, ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, Herr Nothnagel und liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion DIE LINKE, dass es eine Vielzahl von Menschen mit körperlichem und geistigem Handicap gibt, die nicht in der Lage waren, ihre Stimme abzugeben bei der Bundestagswahl oder auch bei einer Wahl zuvor, Kommunal- oder Landtagswahl, weil diese Wahllokale nicht barrierefrei waren. Ich kenne da zumindest keine statistischen Erhebungen, Sie vielleicht auch nicht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Liste derer, die vor einem Wahllokal standen und gerne in die Wahlkabine gegangen wären, endlos oder ziemlich lang oder, sagen wir einmal, von einer gewissen Vielzahl ist, die uns beunruhigen müsste. Ich kenne diese Zahlen nicht und ich glaube, wenn es solche Fälle vermehrt gegeben hätte, hätten wir da auch über Medienberichte davon erfahren. Es gibt Hilfspersonen, es gibt Wahlschablonen, auch das ist schon gesagt worden. Es gibt die Möglichkeit der Briefwahl, die im Übrigen immer beliebter wird, das sind nicht nur Leute, die ein körperliches Handicap haben, also früher war das mal so eine Ausweichvariante, Briefwahl macht der, der an dem Tag vielleicht gerade im Urlaub ist.
Fliegende Wahlurnen gab es auch. Ganz früher wurde in einem anderen System kurz vor 18.00 Uhr noch geklingelt bei Leuten, die ihre Stimme noch nicht abgegeben hatten für die Kandidaten der Nationalen Front, wir haben hier alles schon erlebt. Aber die Briefwahl, um darauf zurückzukommen, wird immer beliebter und das ist auch deswegen so, weil viele Leute sagen, ich will an diesem Sonntag gar nicht in dieses Wahllokal, ich will nicht mit meinem Ausweis vorstellig werden oder mit dieser Wahlbescheinigung und möchte mich da eintragen und warten, denn an dem Tag spielt mein Lieblingsfußballverein oder ich mache einen Ausflug mit der Familie. Genau deswegen wird diese Briefwahl in den letzten Jahren von immer mehr Menschen in Anspruch genommen. Das finde ich auch gar nicht schlimm. Ich glaube, dass viele Leute, die ein körperliches oder ein geistiges Handicap haben, ebenso wie diese Menschen auf diese Briefwahl zurückgreifen können. Ich weiß, Sie stellen darauf ab, dass die Menschen mit Behinderung allein und ohne Hilfsperson in diese Lokale gehen. Ich verstehe bloß diese Formulierung nicht, Frau Präsidentin, mit Verlaub, ich möchte einmal - es ist ja egal, aus welchen Teilen des Gesetzentwurfs, Sie haben es in mehrere Blöcke aufgeteilt, da steht immer: „Menschen mit Behinderungen haben das Recht, selbstbestimmt und eigenständig und ohne Inanspruchnahme einer Hilfsperson ihre Stimme abzugeben.“ Das steht da immer so drin. Jetzt frage ich einfach mal: Ein Mensch, der pragmatisch ist, wenn ein sehbehinderter Mensch zum Beispiel eine solche Hilfsschablone in Anspruch nimmt, die in diesen Wahlkabinen ausliegt, dann wird er doch unter Umständen, Herr Nothnagel, auch jemanden brauchen, der beispielsweise zu ihm geht, ihm diese Wahlschablone in die Hand gibt oder der sie ihm vielleicht auch erklärt, weil er sich zu Hause damit noch nicht so vertraut gemacht hat. Auch wenn ich weiß, dass die Blinden- und Sehbehindertenverbände gerade vor Wahlen immer umfangreiche Aktionen veranstalten - aber auch das kann sein: Da kommt ein Mensch mit einer Sehbehinderung und der hat dann eine Hilfsperson an der Seite, die ihm diese Wahlschablone gibt, und ich würde nie auf die Idee kommen, wenn das in diesen Wahlkabinen so ist, dass der nicht - wenn ich hier einmal zitiere „selbstbestimmt und eigenständig“ seine Stimme abgegeben hätte. Was impliziert eigentlich immer dieser Satz? Es ist doch vollkommen normal, dass das - aus meiner Sicht - immer sehr umsichtige Personal in diesen Wahllokalen selbstverständlich die Hilfe anbietet. Das ist doch auch überhaupt nicht schlimm. Dass das nicht selbstbestimmt sein soll, dass das ein anderer Akt sein soll, wenn jemand kommt und ihm hilft, das kann ich nicht begreifen, das tut mir leid. Vielleicht können wir das in
Ich frage Sie einmal: Wenn man wie in Ihrem Gesetzentwurf - mit Verlaub, ich zitiere noch einmal schreibt: „Die Gemeinde bestimmt für jeden Wahlbezirk einen Wahlraum. Soweit möglich, stellen die Gemeinden Wahlräume in Gemeindegebäuden zur Verfügung. Die Wahlräume müssen barrierefrei zugänglich sein. Ist dies nach dem herkömmlichen baulichen Zustand nicht der Fall, so ist mit provisorischen Rampen, Heranziehung von Assistenzpersonal oder auf andere Weise die ungehinderte und barrierefreie Zugänglichkeit für alle Besucher des Wahllokals am Wahltag sicherzustellen.“ Aha! Sie führen aber mit diesem Passus, Herr Nothnagel und liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, eigentlich diesen Anspruch, den ich eben formuliert habe, ad absurdum. Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Gebäude, wo es denkmaltechnisch - wie beispielsweise mein Vorredner von der FDP auch schon gesagt hat - gar nicht möglich ist, einen Fahrstuhl oder Aufzug einzubauen, und Sie stellen so eine Rampe an, an eine Treppe, weil der gehbehinderte oder stehbehinderte Mensch oder der Mensch im Rollstuhl ansonsten da nicht hochkäme. Diese Rampe ist natürlich relativ steil, weil man die Treppe in irgendeiner Form überbrücken muss. Dann schreiben Sie, dann soll aber durch Heranziehung von Assistenzpersonal die Möglichkeit gegeben sein, ihn barrierefrei hineinzubringen. Das ist doch genau das, was ich sage, das ist doch auch eine Hilfsperson.
Ich war selbst, als ich noch Dezernent war - es gibt bei uns in Gotha eine Schule, sehr liebevoll saniert, aber ohne Aufzug -, damals in diesem Wahllokal auch als Wahlhelfer mit angestellt. Da gab es auch Menschen, die kamen dann beispielsweise mit Rollstühlen, und wir hatten so eine Rampe. Dann haben wir Ihnen, weil sie es selbst nicht konnten, geholfen. Wir haben Ihnen geholfen, dass sie über diese Rampe hochkamen und zur Wahlurne und in die Wahlkabine gehen konnten. Es wäre dann aus Ihrer Sicht heraus, wenn ich diesen einen Satz sehe, nicht eigenständig und nicht selbstbestimmt. Ich kann das nicht begreifen.
Ich glaube, dass solche Hilfsmittel, wenn Sie schon „Heranziehung von Assistenzpersonal“ mit hineinschreiben, in keinster Weise die Art, wie man diesen Wahlakt vollzieht, den Sie vorhin angesprochen haben - es ist selbstverständlich ein Unterschied, ob ich zu Hause Briefwahl mache oder ob ich selbst in das Wahllokal gehen kann -, das beeinflusst aus meiner Sicht weder das Stimmverhalten noch die durchaus erfreuliche Situation der Menschen in diesem Land, egal ob sie körperlich gehandicapt sind oder nicht, ihre Stimme frei bei diesen freien Wahlen mit abgeben zu können.
Im Übrigen - auch das ist nicht von der Hand zu weisen, weil Sie eben gesagt haben, wiegen Sie doch bitte nicht finanzielle Gründe gegen Gründe der UN-Menschenrechtscharta auf, es ist nicht von der Hand zu weisen, wenn dieses Gesetz in Kraft treten würde, dass es durchaus Kommunen gibt, die sagen: Ich kann das nicht leisten, ich kann nicht in jedwedem Fall gewährleisten, dass die Barrierefreiheit in der Form, wie Sie sie hier fordern, auch wirklich vorhanden ist.
Dann wäre es so - das hat meine Kollege Bergner schon angesprochen -, dann würden sich die Kommunen überlegen, ob sie nur noch barrierefreie Wahllokale zur Verfügung stellen. Der Umkehrschluss ist, es würden weniger Wahllokale zur Verfügung stehen. Das kann doch bei einer Diskussion, bei der wir alle immer sagen, möglichst viele Leute sollen zur Wahl gehen, nicht ernsthaft unser Ansinnen sein.
Denn die überlegen sich dann schon, ob Sie vielleicht zwei Kilometer zurücklegen müssen oder nur 300 Meter. Aus diesem Grund bin ich auch nicht dafür, diesen Antrag noch einmal im Ausschuss zu diskutieren, weil ich gar nicht weiß, was es für neue Aspekte geben sollte,
die sich seit der letzten Bundestagswahl, als wir bereits im Vorfeld dieser Wahl diese Rechtslage hier diskutiert haben, ergeben hätten. Bis heute hat sich aus meiner Sicht nichts geändert. Deswegen werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen. Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, werte Kollegen Vorredner, sicher hätten wir die Protokolle aus der Sitzung vom Juli nehmen und genau die Argumente noch einmal abwägen können.
Denn, was Sie gesagt haben, Herr Gumprecht, was Sie gesagt haben, Herr Hey, das haben Sie im Prinzip im Juli hier schon erörtert.
Aber an der Stelle sage ich jetzt auch noch mal ganz deutlich: Wir werden diese Anträge immer und immer wieder bringen.
Denn so lange darüber diskutiert wird, ob Barrierefreiheit etwa eine Last oder zu teuer ist, so lange müssen wir also das Thema „Barrierefrei“ diskutieren,
bis es zur „Lust“ wird und zu einer „Herausforderung“ für die Gesellschaft, wirklich Barrierefreiheit zu gestalten. Das ist unser Anspruch.
Werte Kolleginnen und Kollegen, es tut mir herzlichst leid, dass Barrierefreiheit und die UN-Behindertenrechtskonvention Geld kosten. Das haben wir als Fraktion DIE LINKE
(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Haben Sie schon mal was von technischen Punkten ge- hört? Wissen Sie, wovon Sie reden?)
hier seit viereinhalb Jahren immer und immer wieder diskutiert und argumentiert. Wir haben es auch nie abgestritten.
über den Thüringer Maßnahmeplan einfach mal in den Ausschüssen reden wollten. Die Kolleginnen und Kollegen der Koalition haben es nicht einmal zugelassen, dass dieser Maßnahmeplan, in dem auch Maßnahmen zur Barrierefreiheit formuliert worden sind, in die Ausschüsse geht, damit man dort noch einmal Argumente austauscht, das Für und Wider beredet. Das habt ihr einfach ignoriert.
Darum werden wir solche Anträge, die Bürgerrechte, Menschenrechte beinhalten, auch wieder in den Landtag einbringen. Das ist unser Recht. Menschen, die behindert sind - und da ist es egal, welche Behinderung sie haben -, oder ältere Bürger mit Gebrechen haben das Recht, ein barrierefreies Wahllokal aufzufinden, wo sie ihr demokratisches Recht zur Wahl umsetzen können.
Ich finde es schon sehr anmaßend, Kollege Bergner, wenn Sie davon gesprochen haben, dass wir den Menschen etwas vorgaukeln, dass wir die „Bedürftigkeit“ ausnutzen.
Damit implizieren Sie doch, dass ein Mensch mit Behinderung automatisch bedürftig ist. Das finde ich doch die Höhe, werte Kolleginnen und Kollegen.
Menschen mit Behinderung dürfen nicht einfach als bedürftig in Ihrem Sinne abgestempelt werden. Dagegen verwahre ich mich hier ausdrücklich.
Ja, wir hätten die Argumente austauschen können. Der Unterschied zwischen dem Antrag vom Juli und unserem Gesetzentwurf heute ist: