Protocol of the Session on February 26, 2010

Es ist ein Flüchtlinge diskriminierendes Gesetz und es verunmöglicht, dass Menschen in Würde leben, die Verfolgung und Not ausgesetzt waren. Dieses Gesetz gehört abgeschafft.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man unseren Antrag genau liest, dann bedeutet er faktisch genau die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Seit Jahren, im Grunde schon seit es beschlossen wurde, fordern Menschenrechtsorganisationen, Flüchtlingsorganisationen, DIE LINKE und mit einer zeitlichen Unterbrechung von Regierungsbeteiligung auf Bundesebene auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die ersatzlose Abschaffung dieses diskriminierenden Gesetzes. Nach meiner Auffassung, meine Damen und Herren, stehen wir kurz davor, mit unserer Forderung Erfolg zu haben. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu den Hartz-IV-Regelsätzen bedeutet nämlich aus meiner Sicht endlich das Aus für das Asylbewerberleistungsgesetz.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Bundesverwaltungsgericht hatte zunächst 1999 eine Entscheidung des OVG Niedersachsen bestätigt, wonach das Asylbewerberleistungsgesetz tatsächlich nicht gegen das Grundgesetz verstoße. Die damalige Begründung der Richter war, dass der Regelsatz des damals noch geltenden BSHG nicht gleichzusetzen sei mit dem Existenzminimum. Aber bereits damals verwies das Bundesverwaltungsgericht auf das Bundesverfassungsgericht, ein Existenzminimum sei verfassungsrechtlich dergestalt garantiert, dass es Aufgabe des Staates sei, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu schaffen. Die Höhe des Existenzminimums hänge von den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen ab. Aufgabe des Gesetzgebers sei es, den notwendigen Mindestbedarf einzuschätzen.

Nunmehr hat das Bundesverfassungsgericht am 9. Februar über genau dieses Verfahren hinsichtlich der Regelsätze im SGB II geurteilt und festgestellt, dass die Hartz-IV-Regelsätze dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht genügen und daher verfassungswidrig sind. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums - wir haben es heute schon mehrfach gehört - ergibt sich aus der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes. Das Existenzminimum umfasst sowohl die Sicherung der physischen Existenz als auch ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben, so hat auch Präsident Prof. Dr. Papier

in seiner Einführung zur Urteilsverkündung am 9. Februar ausgeführt.

Die Menschenwürde, ich glaube, Frau Rothe-Beinlich hat das gesagt, ist unteilbar, sie ist unbeschränkbar und für jeden Menschen im gleichen Maße geltend, und sie verpflichtet jede staatliche Gewalt, sie sowohl zu achten als auch zu schützen. Gemessen an den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts ist es offensichtlich ein noch sehr viel schwerwiegenderer Verstoß gegen die Menschenwürde, Menschen mit einem noch einmal bis zu 50 Prozent unterhalb des als menschenunwürdig eingestuften Existenzminimums des Hartz IV Regelsatzes abzuspeisen. Erst recht, wenn die Festsetzung dieser Leistungshöhe auf keinerlei begründbarer Berechnung beruht. In der Begründung des Gesetzes 1993 gab es nicht mal ansatzweise den Versuch einer Erklärung. Das Bundesverfassungsgericht hat am 9. Februar bei dem Bezug auf den kinderspezifischen Bedarf von einem völligen Ermittlungsausfall gesprochen. Unwürdig ist es in diesem Zusammenhang dann erst recht, von Leistungsmissbrauch zu sprechen, wie es sich einige Damen und Herren konservativer Parteien bisweilen nicht verkneifen können. Ein solcher Einwand diskreditiert sich

(Beifall DIE LINKE)

angesichts der Art der Leistungsgewährung und der Leistungshöhe ganz von selbst. Dass das Asylbewerberleistungsgesetz bei der Höhe der Leistungsgewährung gegen die Menschenwürde verstößt, ist also nun verfassungsgerichtlich bestätigt. Ich möchte Ihnen aber, auch wenn ich mich wiederhole, noch weitere im Asylbewerberleistungsgesetz festgeschriebene Verstöße gegen die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes nennen:

die Gewährung der Leistung in Form von Wertgutscheinen oder Kundenkontenblättern, die damit verbundene Diskriminierung in der Kaufhalle, wenn ich als Flüchtling einen Stau an der Kasse verursache, weil die Kassiererin erst einmal prüfen muss, ob noch ein genügend großer Betrag auf meinem Kundenkontenblatt zur Verfügung steht; die Tatsache, dass Flüchtlinge mit Wertgutscheinen in der Kaufhalle keine Kindersöckchen oder Schreibgeräte kaufen dürfen; der Umstand, dass Flüchtlinge gezwungen sind, Fahrtkosten aufzubringen, weil die Kaufhalle, die die Wertgutscheine akzeptiert, 11 Kilometer entfernt liegt, wie das zum Beispiel bei Globus hier in Erfurt der Fall ist; und nicht zuletzt die fehlende Möglichkeit eines preisbewussten Einkaufs, weil eben nur REWE oder tegut ihre Gutscheine akzeptieren, nicht aber Lidl oder Aldi oder der Gemüsehändler auf dem Markt. Das aus der Menschenwürde abgeleitete Existenzminimum, auch das wurde schon mehrfach heute gesagt, schließt ausdrücklich die soziale, kul

turelle und politische Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ein. Nur, meine Damen und Herren, eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist mit den Leistungssätzen des Asylbewerberleistungsgesetzes und auch mit der Leistungsgewährung in Form von Wertgutscheinen schlichtweg nicht möglich.

(Beifall DIE LINKE)

Allein die Kosten für den ÖPNV, die im Hartz IV Regelsatz mit 17 € ungefähr zu Buche schlagen, die müssen nämlich Flüchtlinge aus dem monatlichen Barbetrag von ca. 40 € für Erwachsene, bei Kindern sind es circa 20 €, finanzieren. Dazu noch der Kinobesuch, der Theaterbesuch, das Buch, die CD, die Zeitung. Und dass aus dem Barbetrag von 40 €, beispielsweise Rechtsanwaltskosten, Verwaltungsgebühren und andere Kosten im Asylverfahren finanziert werden müssen, sollte jedem deutlich machen, dass eine Existenzsicherung, gemessen an den qualitativen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts, damit schlichtweg ausgeschlossen ist.

Seit 17 Jahren, auch das wurde schon gesagt, ist die Höhe der Sätze im Asylbewerberleistungsgesetz unverändert. Die Schlechterstellung, die 1993 durch die Einführung des Gesetzes vorgenommen wurde, wurde seitdem durch den fehlenden Ausgleich der Teuerungsrate weiter dramatisch verschärft. Nicht einmal unter Rot-Grün wurden Anpassungen vorgenommen. Für die Abgeordnetenentschädigung im Thüringer Landtag bedeutete die Entwicklung beispielsweise - ich glaube Frau Renner hatte darauf hingewiesen - der Inflationsrate und Teuerungsrate in diesen 17 Jahren ein Ansteigen von ursprünglich 2.450 € auf 4.600 € in 17 Jahren. Für Flüchtlinge ist der Betrag nicht angestiegen. Dabei ist nicht die Höhe das Entscheidende, sondern dass es eine Entwicklung gegeben hat, meine Damen und Herren. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur über Quantität und Qualität der Regelsätze zur Sicherung des Existenzminimums geurteilt, es hat auch Vorgaben zur Ermittlung des Existenzminimums gemacht. So bedarf die Ermittlung einer stetigen Aktualisierung. Die zu erbringenden Leistungen sind am jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und an den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten. Zur Ermittlung des Anspruchsumfangs sind alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht und nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen. Allein die willkürliche Festlegung im Jahr 1993 und die Tatsache der langjährigen Unveränderbarkeit der Leistungshöhen dokumentieren in aller Eindeutigkeit die Verfassungswidrigkeit des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Auch die Festschreibung des Bundesverfassungsgerichts, dass über einen monatlichen Festbetrag hinausgehende, unabweisbare, laufende, nicht nur einmalige besondere Bedarfe zu einem zusätzlichen Leistungsanspruch führen, muss Umsetzung für alle Menschen, nicht nur für deutsche Menschen in diesem Land gleichermaßen finden.

(Beifall DIE LINKE)

Ich möchte am Ende der Vollständigkeit halber erwähnen, dass die diskriminierenden Bedingungen für Flüchtlinge nicht nur im Asylbewerberleistungsgesetz ihre Grundlage finden. Auch die Art der Unterbringung, die Residenzpflicht, die schon angesprochen wurde, die Einschränkung der Zugangsmöglichkeiten zum Arbeitsmarkt, die eingeschränkte medizinische Versorgung, die Frau Rothe-Beinlich angesprochen hat, macht Flüchtlinge in der Bundesrepublik ganz bewusst zu Menschen 3. Klasse. Und das Gefühl, dass hier Menschen 3. Klasse konstruiert werden, hatte ich auch bei der Einlassung der Abgeordneten Kanis.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Diskriminierung muss und wird nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aber nun ein Ende haben. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht anders interpretierbar als so, dass das Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft werden muss.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie etwas anderes sagen, meine Damen und Herren, dann dokumentieren Sie damit, dass Sie das Bundesverfassungsgericht nicht ernst nehmen oder dass Sie die in Artikel 1 Grundgesetz verankerte Menschenwürde für antastbar halten und daraus eine Deutschenwürde machen wollen, meine Damen und Herren.

Zum Schluss vielleicht noch eins: Ich erwarte von mindestens einem der Mitglieder der Landesregierung die Zustimmung zu unserem Antrag, einfach aus Erfahrung. Ich habe mir mal die Mühe gemacht und habe mir die Plenardebatte, also das Protokoll der Plenardebatte und das Abstimmungsergebnis vom Mai 1993 angesehen. Bei den dort gehaltenen Reden hatte ich teilweise eine wirklich schlimme Gänsehaut. Aber positiv überrascht war ich vom Ergebnis der namentlichen Abstimmung. Es haben zwar leider von der SPD-Fraktion nur 74 Abgeordnete dem Gesetz ihre Zustimmung verweigert. Einer davon war aber unser heutiger Kultusminister Christoph Matschie. Und deswegen erwarte ich, dass er unserem Antrag

heute zustimmt.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch bei einem entsprechenden Antrag meiner Fraktion in der letzten Legislatur lehnte die SPD die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes ab. Frau Abgeordnete Pelke hatte die Ablehnung damals nicht inhaltlich, sondern lediglich damit begründet, dass ein solcher Vorstoß im Bundesrat keine Aussicht auf Erfolg habe. Aber, Frau Pelke, da gab es ja auch noch nicht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dies begründet jetzt die Aussicht auf Erfolg, und deswegen können Sie unbesorgt zustimmen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Frau Abgeordnete Berninger. Es hat jetzt das Wort die Frau Abgeordnete Holbe von der CDUFraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Kolleginnen und Kollegen, Soziale Grundsicherung für Empfänger von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - Antrag der LINKEN: Die Fraktion DIE LINKE fordert eine Bundesratsinitiative, Sie haben das hier noch mal ausgeführt, auf der Grundlage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02. dieses Jahres.

Obwohl Sie, meine Damen und Herren von den LINKEN, es eigentlich besser wissen müssten, Sie haben ja in den letzten Legislaturperioden zahlreiche Anträge, Anfragen gestellt zu der Situation der Asylbewerber in unserem Land, muss ich sagen, Sie vergleichen immer noch Äpfel mit Birnen.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Nein, wir vergleichen Menschen mit Menschen.)

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Doch.)

Ich sage, Sie haben hier zwei Tatbestände, die unterschiedlich bewertet sind, die eine unterschiedliche Rechtsgrundlage haben, die Sie hier zusammenbringen. Und ich muss sagen, es gab Antworten der Landesregierung, die Sie negieren. Ich denke, der Antrag dient gut der Klientelpflege Ihrer eigenen An

hängerschaft.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Das ist empörend.)

(Unruhe DIE LINKE)

Bereits in den vergangenen zwei Jahren wurde hier eine Große Anfrage gestellt, die im Gleichstellungsausschuss behandelt wurde zur Situation der Migrantinnen und Migranten, zur Integrationspolitik in Thüringen. Ich muss sagen, der Ausschuss hat sich in sehr vielen Sitzungen sehr intensiv mit einer großen Anhörung, mit Besuchen vor Ort in den Asylbewerberheimen befasst und entsprechende Antworten und Problemstellungen auch aufgezeigt.

Frau Kanis hat ganz aktuell noch einmal den Werdegang eines Verfahrens vorgetragen. Ich denke, das kann ich mir hier ersparen. Ich will noch mal sagen, es macht vielleicht doch Sinn, Asylbewerber und Leistungsempfänger nach dem SGB-XII- und SGB-IIGesetzbuch hier zu unterscheiden. Die Asylbewerber in Deutschland haben kein verfestigtes Aufenthaltsrecht. Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz besteht - wie Sie richtig gesagt haben, Frau Berninger - jetzt neu für 48 Monate bzw. für die Dauer des Asylverfahrens. Man muss sagen, dass die Asylanten

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: He, he, he - das ist empörend!)

(Unruhe DIE LINKE)

Entschuldigung -, die Asylbewerber, dass die Asylbewerber hier für diese Zeit, bis ihr Verfahren durchlaufen ist, entsprechende soziale Absicherung bekommen

Sehr geehrte Damen und Herren, ich bitte Sie um ein kleines bisschen Mäßigung.

und damit auch die Sicherstellung ihres menschenwürdigen Existenzminimums. Ich denke, das ist gegeben. Das zeigt auch, dass die Existenzsicherung nicht auf Dauer angelegt ist. Wenn Sie sagen, das Asylbewerberleistungsgesetz soll abgeschafft werden, dann hätten wir ja theoretisch überhaupt keine Grundlage für jedwede Zahlung. Ich weiß, Sie stellen ab, dass man dann ähnlich den Leistungsempfängern, Anspruchnehmern aus dem SGB XII bzw. II Regelungen schafft. Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde 1993 auf den Weg gebracht, insbesondere um den Flüchtlingsstrom aus dem dama

ligen Jugoslawien einzugrenzen. Das ist hier gesagt worden. Wir erinnern uns an den Bürgerkrieg und wir erinnern uns, dass auch der Asylmissbrauch in diesen Jahren angestiegen ist und man hier nach Lösungen gesucht hat und entsprechend dieses Gesetz eingeführt hat, um zum einen die Dauer des Aufenthalts abzusichern und zum anderen auch die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland zu reduzieren. Da haben wir unterschiedliche Auffassungen. Ein wichtiger Punkt in dieser Debatte ist auch nicht zu vergessen, dass wir auf einen Ausgleich zwischen Leistungsnehmern und Steuerzahlern auch hinweisen müssen -

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Westerwelle lässt grüßen.)

ich weiß, das ist ein Tabuthema, aber ich möchte es trotzdem einmal ansprechen -, das heißt einen Ausgleich zwischen Asyl suchenden Menschen, die sich in Notsituationen befinden und aus ihren Ländern flüchten müssen,

Frau Abgeordnete Holbe, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

- am Ende bitte - und auf der anderen Seite der Steuern zahlende Leistungsträger unserer Gesellschaft, dessen Schmerzgrenze immer stärker belastet wird. Wir strapazieren schon jetzt unsere sozialen Sicherungssysteme. Damit erzähle ich Ihnen auch nichts Neues. Oft kommen Menschen zu uns, die in ihren Ländern nicht weiter leben können, verfolgt werden, die für sich und ihre Familien Verbesserungen erreichen möchten und Schutz suchen. Aber vergessen wir doch bitte nicht die Millionen Menschen, die vor Ort zurückbleiben und weiterhin Not leiden.