Protocol of the Session on July 10, 2013

(Beifall SPD)

Es ist richtig, viele waren am Anfang auch im Beirat der Meinung, wer weiß, ob das in einer so kurzen Zeit überhaupt gelingen kann. Es ist gelungen. Der Plan liegt heute vor und externe Experten sagen uns, es gibt bisher nichts Vergleichbares in der Bundesrepublik, was die Konkretheit und Detailliertheit an Entwicklungsplänen angeht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, hier wird es natürlich darauf ankommen zu fragen, wie sieht die konkrete Umsetzung aus. Deshalb ist der Ansatz des Entwicklungsplans wichtig. Der Entwicklungsplan ist im Kern ein regionaler Entwicklungsplan. Das ist das Kernstück. Warum ist das so? Weil wir hier in Thüringen eine sehr ungleiche Ausgangslage bei der Inklusion haben. Lassen Sie mich vielleicht zunächst noch einmal sagen, wo Thüringen insgesamt im Bundesvergleich steht. Wir haben eine Quote an Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf inzwischen von etwa 7,2 Prozent. Damit liegen wir immer noch ein Stück über dem Bundesdurchschnitt, der bei etwas über 6 Prozent liegt. Aber wir haben inzwischen realistischere Zahlen bekommen, was uns zeigt, die Begutach

tung ist qualitativ besser geworden, sie ist realistischer geworden. Wir haben eine Inklusionsquote insgesamt in Thüringen, die bewegt sich bei 28 Prozent. Das entspricht in etwa dem, was im Bundesdurchschnitt passiert. Es gibt Länder, die sind deutlich schlechter, es gibt auch Länder, die sind deutlich besser. Auch innerhalb der Bundesrepublik gibt es hier ein großes Gefälle.

Lassen Sie mich noch einen Satz zu den Unterschieden innerhalb von Thüringen sagen. Das sind Unterschiede, die trotz gleicher gesetzlicher Grundlage, trotz gleicher personeller Voraussetzungen vom Land, trotz gleicher Politik, die die Schulämter vorgegeben bekommen, entstanden sind. Hier haben wir am Ende der Skala zum Beispiel die Stadt Suhl mit einer Inklusionsquote von 8 Prozent oder den Landkreis Schmalkalden-Meiningen mit einer Inklusionsquote von 10 Prozent. Auf der anderen Seite haben wir Landkreise wie den Landkreis Sömmerda mit einer Inklusionsquote von 65 Prozent oder den Ilm-Kreis mit einer Inklusionsquote von 57 Prozent oder den Landkreis Eichsfeld mit einer Inklusionsquote von auch über 50 Prozent und an der Spitze die Stadt Jena mit einer Inklusionsquote von 68 Prozent. Das heißt, die Spanne in Thüringen bewegt sich zwischen 8 und 68 Prozent. Allein diese Zahlen müssten Ihnen doch Beleg dafür sein, dass niemand von Erfurt aus mit der Brechstange versucht, diese Entwicklung voranzutreiben. Dann müssten wir doch ganz andere Zahlen in Thüringen haben. Diese Zahlen zeigen eines, es kommt vor allem auf die Verantwortlichen vor Ort an, ob Inklusion gelingt oder ob sie nicht gelingt.

(Beifall SPD)

Deshalb setzen wir auch auf diese Verantwortlichkeit vor Ort. Ich will aber vorher noch einmal etwas zu den grundsätzlichen Ausrichtungen in unserem Entwicklungsplan sagen. Als Allererstes möchte ich sagen, die Förderzentren sind und bleiben wesentlicher Bestandteil unseres Förder- und Schulsystems, daran wird auch in Zukunft nicht gerüttelt.

(Beifall SPD)

Ich bitte alle, die das bis heute immer wieder in Zweifel gezogen haben, bitte lesen Sie den Entwicklungsplan, dort steht genau das drin. Die Förderzentren werden auch eine wichtige Funktion haben für die Weiterentwicklung des Gemeinsamen Unterrichts. Sie steuern nämlich die Personalressourcen, sie beraten die Schulen im Gemeinsamen Unterricht, sie sorgen für eine hohe Qualität der Förderung, die Schülerinnen und Schüler brauchen, und sie bilden deshalb einen wichtigen Systembestandteil im Netzwerk auch der inklusiven Beschulung des Gemeinsamen Unterrichts.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, das Zweite, was unser Förderkonzept grundsätzlich vor

(Minister Matschie)

sieht, ist die Verbesserung der personellen und räumlichen Voraussetzungen. Natürlich können wir darüber diskutieren, ob die Nachrüstung von Schulen, um sie barrierefrei zu machen, mit 150.000 € ausreichend angesetzt ist. Das sind die Zahlen, die uns die Fachleute geliefert haben nach den Diskussionen, die wir auch mit den kommunalen Vertretern hatten. Mein Vorschlag ist, dass wir versuchen, bis zum Jahr 2018 100 weitere Schulen barrierefrei zu machen. Etwa 10 Prozent der Schulen in Thüringen sind barrierefrei. 100 weitere Schulen müssen bis 2018 drin sein. Wir haben auch gesagt, wir werden weitere personelle Ressourcen brauchen. Im ersten Schritt geht es natürlich darum, auch Förderschullehrer, die wir schon im System haben, für den Gemeinsamen Unterricht verfügbar zu machen. Aber in einem weiteren Schritt wird es auch darum gehen, insgesamt mehr Personalressourcen für die Förderung zur Verfügung zu stellen, damit ein inklusives Bildungssystem gelingen kann. Dazu werden die Personalkosten nach unserer Berechnung bis 2021/2022, bis zu diesem Schuljahr, dann um etwa 11 Mio. € ansteigen. Angesichts eines Personalbudgets unserer Schulen von 1,3 Mrd. € ist das keine übermäßig große Summe, die wir brauchen, um hier eine vernünftige Förderung sicherzustellen. Ich darf an dieser Stelle auch sagen, dass wir vorhaben, ab dem Haushaltsjahr 2014 einen weiteren Schritt zu machen, was die Personalbereitstellung für den Gemeinsamen Unterricht angeht, und uns damit auf den Weg zu begeben, Schulen so auszustatten, damit die Entwicklung vorangehen kann. Jetzt darf ich vielleicht noch einmal etwas sagen zu der Debatte. Hier wird etwas auf Teufel komm raus vorangetrieben, eine Debatte, die ja insbesondere von CDU und FDP geführt wird. Ich darf Ihnen noch einmal kurz die Zahlen zeigen, wie sich der Aufwuchs im Gemeinsamen Unterricht entwickelt hat.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das kann ich von hier nicht lesen.)

Hören Sie einfach mal zu, Herr Mohring, da können Sie etwas lernen. Im Schuljahr 2009/2010, das war das Schuljahr, bevor ich ins Amt gekommen bin, in diesem Schuljahr, also 2009, ist die Anzahl der Schüler im Gemeinsamen Unterricht auf einen Schlag um 440 Schüler gestiegen. Das war der größte Anstieg, den es je gegeben hat in den letzten Jahren, das war vor meiner Amtszeit. Nachdem ich Verantwortung übernommen habe, ist der Anstieg der Schüler im Gemeinsamen Unterricht zurückgegangen. Er ist im letzten Schuljahr sogar negativ gewesen

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Weil wir das Gesetz geändert haben.)

nein -, weil für mich in diesem Prozess eines gilt: Qualität rein, Tempo raus. Wir brauchen Qualitätsentwicklung.

(Beifall SPD)

Darum geht es vor allen Dingen.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Das soll ein ganz neuer Slogan sein.)

Nein, das ist kein ganz neuer Slogan. Das ist das, womit wir seit geraumer Zeit arbeiten, und die Zahlen, Herr Barth, können Sie sich anschauen. Daran kann man vorbeidiskutieren, man kann sich die Augen zuhalten, man kann in seiner ideologischen Kammer stecken bleiben. Das hilft aber den Schülerinnen und Schülern nicht und es hilft auch nicht für einen guten Unterricht in Thüringen. Deshalb noch einmal: Wir haben doch einen gemeinsamen Beschluss gefasst im Landtag. Warum ist es Ihnen denn nicht möglich, bei diesem gemeinsamen Beschluss zu bleiben und gemeinsam für vernünftige Bildungsbedingungen in Thüringen zu sorgen? Warum holen Sie denn immer wieder die ideologische Keule heraus und versuchen hier, die Schulpolitik zu diskreditieren, als einmal selbst mit anzupacken und vor Ort dafür zu werben, dass Schule gut gelingen kann?

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, bei allen Maßnahmen, die wir hier gemeinsam beschließen können, auf den Weg bringen können, und Herr Emde, lassen Sie mich das am Rande auch noch einmal sagen, Sie haben sich hier hingestellt und zitiert, mehr Herz und mehr Mittel, haben mehr Personal und mehr Investitionen gefordert. Wissen Sie, Herr Kollege, es waren die Vertreter Ihrer Partei, mit denen wir in den letzten Wochen intensiv gerungen haben genau um diese Frage, die eben nicht einfach bereit waren, mehr Personal und mehr Investitionen zur Verfügung zu stellen, und die auch ein Grund dafür waren, dass der Bericht nicht im Juni vorgelegt werden konnte, sondern jetzt vorliegt.

(Beifall SPD)

Ich sage Ihnen das in dieser Offenheit, weil Sie hier eine scheinheilige Debatte führen. Die CDU steht einerseits auf der Bremse, wenn es darum geht, mehr Personal zur Verfügung zu stellen und mehr Investitionen, und Sie stellen sich gleichzeitig hier hin und fordern genau das ein, was Ihre Kollegen ausbremsen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Emde, überlegen Sie mal, ob das wirklich redlich ist, ob das der Debatte hilft, überlegen Sie das bitte einmal.

(Beifall SPD)

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Wir holen die ideologische Keule raus. Mit dem Reden- schreiber müssen wir noch mal reden.)

(Minister Matschie)

Jetzt, werte Kolleginnen und Kollegen, bei allen Maßnahmen, die wir hier gemeinsam treffen können,

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja!)

mehr Personal, mehr Investitionen, werden wir trotzdem immer bei jedem einzelnen Kind wieder vor der Entscheidung stehen: Erstens, hat dieses Kind sonderpädagogischen Förderbedarf und, zweitens, in welche Schule soll dieses Kind gehen? Wo kann es am besten gefördert werden? Und in diesen Fragen ist aus meiner Sicht die größte Sorgfalt notwendig. Deshalb haben wir die Teams zur Qualitätssicherung der Begutachtung gemacht. Deshalb arbeiten wir mit einer intensiven Einbeziehung der Eltern in dieser Frage. Trotz aller Sorgfalt, die wir an dieser Stelle aufwenden können, wird es immer wieder in solchen Fragen zu Streitfragen kommen.

Ich will noch mal aufgreifen, Frau Hitzing, weil Sie es eben zitiert haben, den Fall der heute in der TLZ verhandelt wird. Okay, eine Familie muss selber entscheiden, ob sie sich so in die Öffentlichkeit stellen will. Das habe ich nicht zu kommentieren. Ich darf Ihnen aber auch sagen …

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Sehen Sie das auch so bei Eltern, die Ihre Auffassung vertreten?)

Moment, das will ich hier nicht kommentieren, habe ich gesagt, Herr Kollege Barth. Ich kann Ihnen aber versichern, mir liegt das Gutachten der Schulpsychologin vor, die das Kind begutachtet hat. In diesem Gutachten steht keine Empfehlung für das Förderzentrum.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Aber die El- tern wollen es.)

Ja, aber hier drin wird etwas anderes behauptet. Ich glaube, wir sollten alle gemeinsam vorsichtig sein, die Medien und wir auch. Solche Einzelbeispiele hier heranzuziehen, auf dem Rücken von betroffenen Kindern hier solche Auseinandersetzungen auszutragen, wir sollten uns das wirklich gut überlegen.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Aber Sie stel- len sich im Fernsehen neben eine Mutter, die Ihre Meinung vertritt. Moralapostel…)

Herr Kollege Barth, zu dieser Fernsehsendung habe nicht ich eingeladen, sondern der MDR hat verschiedene Vertreter angefragt, eingeladen. Und jeder der von den Medien eingeladen wird, ist frei, das zu tun. Auch diese Mutter, die sich heute in der TLZ äußert, ist frei, das zu tun. Das habe ich überhaupt nicht zu bewerten. Ich fordere uns nur gemeinsam auf, vorsichtig zu sein und sorgfältig zu

sein, wenn es dann um die betroffenen Kinder geht. Das Kind hier ist mit Bild in der Zeitung mit seinem konkreten Fall. Ob einem Kind das wirklich hilft, ich mache mal ein Fragezeichen dahinter, aber das ist nicht meine Entscheidung. Wir können aber dafür sorgen, dass diese Debatte nicht auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird und dass Eltern, die in Sorge sind, ob das jetzt wirklich die richtige Entscheidung ist, auch Ansprechpartner haben, mit denen sie diese Sorgen klären können.

Ich habe mich heute verständigt mit Herrn Brockhausen, dass wir einen kleinen Ombudsrat einrichten wollen. Ich habe auch mit dem Vorsitzenden der Landeselternkonferenz heute gesprochen, Herr Brockhausen ist bereit, den Vorsitz in einem solchen Ombudsrat zu übernehmen. Der Vorsitzende der Landeselternvertretung ist auch bereit, dort mitzumachen. Wir werden gemeinsam überlegen, wer noch dazu muss, sicher ein Vertreter aus dem Förderschulbereich, sicher jemand aus dem Bereich Kinder- und Jugendpsychologie. Und so richten wir einen Ombudsrat ein, an den sich betroffene Eltern wenden können oder eben auch Lehrer, die nicht wissen, ob Entscheidungen richtig oder falsch sind, wo man sich an neutraler Stelle Rat holen kann. Denn eins ist mir wichtig, dass wir möglichst gemeinsam mit den Eltern handeln.

Aber - und jetzt komme ich noch mal auf die Frage Elternrecht zu sprechen - am Ende steht im Zentrum das Wohl des Kindes und nicht das Wohl der Eltern oder die Entscheidung der Eltern. Am Ende steht im Zentrum das Wohl des Kindes und die Gesamtsituation, die zu betrachten ist.

Herr Emde, vielleicht hören Sie mir mal einen Moment zu. Wir haben auch Situationen, wo Eltern gesagt haben, dieses Kind soll unbedingt in den Gemeinsamen Unterricht. Ich habe selber einen Fall erlebt an einer Schule - ich will jetzt keine Namen oder Schule nennen -, da ging es um ein extrem verhaltensauffälliges Kind. Die Schule hat gesagt, wir kommen mit diesem Kind im Gemeinsamen Unterricht nicht klar, wir kriegen es nicht hin, wir empfehlen, das Kind erst einmal rauszunehmen und an einem Förderzentrum weiter zu fördern. Die Mutter hat gesagt, ich will das aber nicht, ich will, dass das Kind im Gemeinsamen Unterricht bleibt. Das ist auch mal ein Fall, der zeigt, dass die Entscheidung, die Sie damals getroffen haben mit Ihrer alleinigen Mehrheit, dass es ein Letztentscheidungsrecht des Schulamtes gibt, weil das Wohl des Kindes im Zentrum stehen muss und weil man die Gesamtsituation im Blick haben muss, eine richtige Entscheidung war. Ich habe sie beibehalten, Herr Emde.

(Beifall SPD)

Und trotzdem gilt eines: Es ist sicher sehr schwer, gegen den erklärten Willen von Eltern Kinder zu fördern. Deshalb muss unser allererstes Ziel sein, die Eltern auf dem Weg in die Entscheidung mitzuneh

(Minister Matschie)

men. Deshalb werden wir für offene Fragen, für strittige Fragen diesen Ombudsrat einrichten. Ich bin Herrn Brockhausen sehr dankbar und auch dem Vorsitzenden der Landeselternvertretung, Herrn Rommeiß, dass sie ihre Bereitschaft erklärt haben, hier mitzumachen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen umfangreichen Entwicklungsplan vorgelegt, der nicht alle über einen Kamm schert, der konkrete Empfehlungen für die einzelnen Regionen gibt. Ich wünsche mir, dass wir nach dieser Debatte, die vielleicht auch ein bisschen emotional geführt wird, weil ja auch viel Leidenschaft in der Bildungsentwicklung steckt, wieder zu der Gemeinsamkeit zurückkehren, zu der Gemeinsamkeit, die wir in dem Beschluss vom 19.07. letzten Jahres dokumentiert haben, nämlich dass wir gemeinsam ein inklusives Bildungssystem wollen, das den Prinzipien der Chancengerechtigkeit und Diskriminierungsfreiheit gerecht wird sowie ein gemeinsames Leben und Lernen von Menschen mit und ohne Behinderungen bei optimaler individueller Förderung ermöglicht. So haben wir es beschlossen. So sollten wir es auch gemeinsam umsetzen und dafür sorgen, dass alle Kinder in Thüringen gute Entwicklungschancen haben. Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön, Herr Minister. Durch die Länge der Redezeit des Herrn Ministers haben wir neue Redezeiten für die Fraktionen. Ich will sie ansagen: Für die Fraktion der CDU, weil sie noch Restredezeit hatte, noch 4:20 Minuten und für die übrigen Fraktionen jeweils 3:30 Minuten.