Protocol of the Session on June 21, 2013

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Vielen Dank. Wünscht jemand aus der CDU-Fraktion oder der SPD-Fraktion das Wort zur Begründung des Alternativantrags? Das ist nicht der Fall, so dass ich die Aussprache eröffne und als Ersten

(Vizepräsidentin Dr. Klaubert)

für die CDU-Fraktion Abgeordneten Scherer aufrufe.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Rothe-Beinlich, ich will auch an den Anfang meiner Rede so was Ähnliches stellen wie Sie, dass ich es nämlich bedauerlich finde, dass ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen zu dem Thema der Rehabilitierung und Unterstützung wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilter nicht zustande gekommen ist.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie haben auch nicht mit uns gesprochen.)

Die Gründe sehe ich etwas anders als Sie. Natürlich haben wir im April gesagt, wir wollen darüber reden und dann kam plötzlich Ihr Antrag, Ihr fertiger Antrag.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein, nein.)

Ich kann es doch nur aus meiner Sicht sagen, wie ich es erlebt habe. Wir haben die Gründe nicht verstanden, weshalb es plötzlich so eilig war, ohne weiteres Gespräch zu suchen, den Antrag einzubringen. Das ist das Einzige, was ich dazu sagen kann.

Herr Abgeordneter Scherer, gestatten Sie eine Anfrage durch Frau Abgeordnete...

Dann, bitte schön.

Sehr geehrter Herr Scherer, wir haben den Antrag genau deshalb zurückgestellt. Ich frage Sie, ist es richtig, dass es am 15. April ein Telefonat mit Ihrer Fraktion gegeben hat mit Verweis auf die Neufassung des Antrags, mit den Ergänzungen der Fraktion DIE LINKE und der Bitte um konkrete Änderungsvorschläge, auf den Sie nie reagiert haben?

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Da können Sie jetzt zwar klatschen, aber mit mir hat am 15. April niemand telefoniert. Ob Sie mit jemand anderem telefoniert haben, weiß ich nicht.

(Zwischenruf Abg. Schubert, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Wir wissen, dass Ihre Frak- tion nicht funktioniert,...)

Was heißt, die Fraktion? Das ist ein Neutrum, die Fraktion. Sie müssen schon sagen, mit wem. Ja, okay, nehmen Sie es nicht so genau - die Fraktion, das könnten Sie auch noch als Femininum bezeichnen, wenn es „die Fraktion“ heißt, aber in der Sache ist es ein Neutrum. Nachdem das soweit nicht geklärt ist, jetzt zur Sache.

Es gibt eine weitere Anfrage, Herr Abgeordneter Scherer.

Nein, jetzt möchte ich bitte zur Sache reden.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ach, wie schade.)

Dann jetzt nicht, Frau Abgeordnete Rothe-Beinlich.

In beiden deutschen Staaten bestand bis 1968/69 die Strafvorschrift des § 175 StGB und seither sind einvernehmliche homosexuelle Handlungen nicht mehr strafbar, abgesehen von zunächst noch bis 1994 weiter geltenden Schutzaltersgrenzen. Wir müssen heute zur Kenntnis nehmen, dass nach dem Ende des nationalsozialistischen Systems der § 175 in seiner 1935 verschärften Form in der Bundesrepublik tatsächlich weiter gegolten hat. Die DDR ist 1950 zur vorherigen Fassung des § 175 Reichsstrafgesetzbuch zurückgekehrt. Aufgrund dieser Straftatbestände sind in beiden Teilen Deutschlands vielfache Verurteilungen erfolgt, wobei das Augenmerk nicht nur auf diese Verurteilungen zu richten ist, und das ist mir eigentlich wichtig, sondern auch zu sehen ist, dass die Verurteilten im gesellschaftlichen Bereich mit weitgehenden Ausgrenzungen, Nachteilen und damit Verletzungen ihres Persönlichkeitsrechts leben mussten, zum Teil bis hin zum Verlust ihrer bürgerlichen Existenz. Aus heutiger Sicht bedarf es keiner Diskussion, dass die Kriminalisierung homosexueller Menschen Unrecht war. Deshalb halten wir es für geboten gegenüber denjenigen, die von dieser staatlichen Verfolgung betroffen waren, unser Bedauern darüber auszusprechen und uns dafür einzusetzen, deren Ehre wiederherzustellen. Zugleich sollte aber auch eine

(Vizepräsidentin Dr. Klaubert)

historische Aufarbeitung erfolgen, die sich auch allgemein mit den Folgen veränderter gesellschaftlicher Wertvorstellungen beschäftigen sollte, bis zu der Frage, wie grenzen staatliche Reglementierungen in Bereichen, die ich als höchstpersönlich bezeichnen will, definiert werden können. Dazu gehört auch aus heutiger Sicht die Entscheidung des Bundsverfassungsgerichts aus dem Jahr 1957 zu untersuchen, was durchaus auch dazu führen kann, die Erkenntnis zu fördern, dass auch heutige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom heutigen Zeitgeist geprägt sind und ein oder zwei Generationen weiter durchaus in einem anderen Licht gesehen werden könnten. In diesem Zusammenhang ist aber auch zu sehen und zu bewerten, wenn gefordert wird, die Verurteilungen, die auch in Ansehung der damaligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1957 erfolgt sind, nachträglich für nichtig zu erklären und aufzuheben. Ich will gar nicht von vornherein ausschließen, dass in der weiteren Diskussion auf Bundesebene letztlich im Rahmen einer Rehabilitierung auch die Aufhebung von Urteilen Ergebnis sein kann. Dies bedarf aus meiner Sicht jedoch einer gründlichen verfassungsrechtlichen Prüfung und Diskussion unter den Gesichtspunkten der Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit. Bedenken insoweit haben bereits das Saarland und Hessen im Bundesrat im Einzelnen vorgetragen. Das ist aber auch der Grund, weshalb unser Alternativantrag nicht einfach die Aufhebung der Verurteilungen fordert, sondern im Vordergrund unseres Antrags der Ausdruck des Bedauerns über die geschehene strafrechtliche Verfolgung Homosexueller, die Forderung nach deren Rehabilitierung und die Forderung nach geschichtlicher Aufarbeitung stehen. Wir stehen damit im Einklang mit der Entschließung des Bundesrats vom 12.10.2012, mit der die Bundesregierung aufgefordert wird, Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung vorzuschlagen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Die Diskussion ist damit ebenso wenig zu Ende, wie die gesellschaftlichen Ansichten sich weiter ändern. In meinen Augen kann die heutige Entschließung auch Denkanstöße geben zu einer sachlichen und klug reflektierenden Diskussion, zum Beispiel über Veränderungen im Adoptionsrecht und in anderen ähnlichen Bereichen. Danke schön.

(Beifall CDU)

Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Abgeordnete Stange das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne und vor dem Live-Stream. Heute befasst sich der

Thüringer Landtag mit einer seit vielen Jahren angeregten inhaltlichen Diskussion zum Thema Rehabilitation. Ich bin sehr dankbar, dass unsere beiden Fraktionen, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Fraktion DIE LINKE, diesen gemeinsamen Antrag nun endlich hier zur Diskussion stellen können, denn, wie gesagt, die Zeit ist mehr als reif dafür.

(Beifall DIE LINKE)

Meiner Meinung sind nach menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Maßstäben und Bestimmungen die auf Grundlage des § 175 Strafgesetzbuch und abgeleitet davon auch des § 175 a Strafgesetzbuch gefällten Urteile ein Verstoß gegen zentrale Menschen- und Grundrechte. Sie stellen aber auch einen Verstoß gegen die Grundrechte der sexuellen Selbstbestimmung und des Diskriminierungsverbots wegen sexueller Orientierung dar. Insbesondere der Europäische Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung hierzu eindeutige Position bezogen. Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lebenspartnerschaftsgesetz aus dem Jahre 2002 stellt dies unter Beweis. Parallel dazu, und das wurde bereits erwähnt, sind im Deutschen Bundestag Anträge von verschiedenen Parteien diesbezüglich in der Beratung. Am 13.05.2013 hat der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages eine Anhörung durchgeführt mit Sachverständigen. Die laufenden Beratungen und die Anhörungen gaben mir noch einmal den Anstoß, uns in Vorbereitung dieses Antrags noch mal intensiver mit den Inhalten zu befassen und auseinanderzusetzen. Es ist nicht so, dass wir erst die Bundesratsinitiative vom Dezember 2012 benötigt haben, um diesen Antrag auf den Weg zu bringen, sondern wir als LINKE und, ich denke, auch die GRÜNEN, haben uns vor allen Dingen am Bundesrat und den Bundesratsbeschlüssen orientiert, die u.a. die Landesregierungen auffordern, auch etwas zur Rehabilitierung der Verurteilten nach 1945 auf beiden Seiten des deutschen Staates auf den Weg zu bringen. Also ein Anstoß liegt nicht nur in den vorgelegten Anträgen, sondern natürlich auch in den Diskussionen, die wir in den letzten Wochen hier im Landtag sehr, sehr oft auch zu anderen Themen der Gleichstellung von Lesben und Schwulen geführt haben.

Im Vordergrund stand in den zurückliegenden Wochen auch immer das Thema der sogenannten Homoehe. Selbst Frau Ministerpräsidentin äußerte vor wenigen Wochen, „dieses Sehnen nach der Ehe“, so will ich sie zitieren, als ein positives Zeichen. Dieses positive Zeichen haben wir auch aufgenommen in unsere Anträge und hofften auf eine gemeinsame Beschlussfassung.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Gerade mit Blick auf die Beseitigung der bestehenden Diskriminierungen bezogen auf die sexuelle

(Abg. Scherer)

Identität hat Thüringen eine besondere herausgehobene Aufgabe, eine besondere Stellung, denn die Landesverfassung hat im Vergleich zu den vielen anderen Landesverfassungen in Deutschland oder auch zum Grundgesetz ausdrücklich in Artikel 2 das Benachteiligungsverbot an sexueller Orientierung aufgenommen. Hieran, werte Mitglieder der Landesregierung, werte Mitglieder der Koalitionsfraktionen, wollen wir Sie auch noch einmal erinnern.

In wenigen Wochen und Tagen werden wir uns an die 20-jährige Verabschiedung der Thüringer Verfassung erinnern, werden Veranstaltungen begehen und da ist es wichtig, dass wir auch den Artikel 2 nicht nur auf dem Papier beschrieben haben, sondern auch ausdrücklich leben. Denn was schadet einer Verfassung mehr, wenn Glaubwürdigkeit und Akzeptanz nicht wirklich umgesetzt wird, wenn Verfassungstexte oder Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit so sehr auseinanderklaffen, wie es bisher noch der Fall ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Werte Abgeordnete, also ist es richtig, dass wir uns gemeinsam um die Rehabilitierung der Verurteilten nach dem § 175 in Ost und West gleichzeitig kümmern, denn sie haben unsere gemeinsame Solidarität von dieser Stelle verdient. Wir haben - und das sagte Frau Rothe-Beinlich bereits - uns in unserem Antrag vor allen Dingen darauf konzentriert, eine offizielle Entschuldigung des Landtags an die Betroffenen für ihr erlittenes Unrecht einzufordern.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir wollen - und das ist auch der Unterschied zu dem Alternativantrag - die Aufhebung aller Strafurteile ohne die Einzelfallprüfung und wir wollen eine entsprechende Entschädigung für die Betroffenen. Wir gehen nochmals davon aus - und das ist vielleicht auch für die Personen, die hier oben auf der Tribüne sitzen, wichtig -, dass es um Urteile geht, die in den deutschen Staaten nach dem 8. Mai 1945 bzw. ab 1949 gefällt wurden. Die Urteile werden gefällt auf der Grundlage des § 175 und - wie bereits auch Herr Scherer erwähnte - ist der § 175 in der BRD der Paragraph, der auch zu Nazizeiten in Anwendung gebracht wurde. Zu DDR-Zeiten wurde eine andere inhaltliche Ausrichtung des § 175 gewählt und benutzt. Dieser wurde bereits 1968 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Wir gehen davon aus - und das haben auch Erhebungen in den letzten Jahren immer wieder deutlich gemacht -, es handelt sich um eine Anzahl von Betroffenen in den alten Bundesländern von ca. 55.000, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR von ca. 1.300 bis 2.000 Personen. In den ersten 15 Jahren der alten Bundesrepublik wurden aufgrund des § 175 45.000 Verurteilungen registriert. Es ist bereits heute erwähnt - und das ist auch gut so -, dass durch

das Bundesjustizministerium ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben wurde und erste Ergebnisse in den letzten Wochen in einem Buch veröffentlicht worden sind, wo auch noch einmal der Hintergrund der Verurteilungen dargelegt wurde.

Werte Abgeordnete, werte Kolleginnen und Kollegen, wir sehen auch, dass die Tatsache noch weiter im Raum steht, dass vor allem die Verurteilten nicht den Mut hatten in den letzten Jahren, sich zu outen, dass sie nicht losgegangen sind und haben sich bei ihrem Dachverband, dem LSVD, gemeldet und haben gesagt, wir sind diejenigen, die es betroffen hat, weil die Scham einfach viel zu groß ist. Deswegen sprechen wir uns ausdrücklich für eine allgemeine Aufhebung der Urteile ohne Einzelfallprüfung noch einmal an dieser Stelle aus.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Werte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, ich war auch etwas enttäuscht und ich bin es noch heute, dass dieser Alternativantrag von Ihnen hier vorgelegt wird. An die SPD kann ich nur sagen, Sie bleiben mit dem Alternativantrag weit hinter den Forderungen Ihrer alten Bundesländer, wo Sie die Landesregierung stellen, zurück.

(Beifall DIE LINKE)

Das bedaure ich ausdrücklich. Ich bedaure auch ausdrücklich, dass Sie in Ihrem Antrag den § 151 des DDR-Strafgesetzbuches mit hineingeschrieben haben. Wir als LINKE sagen eindeutig, er gehört nicht in dem Zusammenhang in diesen Antrag,

(Beifall DIE LINKE)

denn die Vorschrift des § 151 des DDR-Gesetzbuches, das ab 1968 galt und 1988 abgeschafft wurde, formuliert eindeutig - und es ist auch nachzulesen -, dass dieser § 151 im Abschnitt mit den Vorschriften über den strafrechtlichen Jugendschutz steht. Das heißt nichts anderes, dass der § 151 den Regelungsbereich des sexuellen Missbrauchs Jugendlicher betrifft. Als Täter im Sinne dieser Vorschrift konnten sich Männer und Frauen strafbar machen. Nun kann man darüber durchaus kritisch diskutieren, dass im DDR-Strafrecht bei sexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen und Jugendlichen bis 18 Jahre unterschiedliche Maßstäbe angesetzt worden sind hinsichtlich der Strafbarkeitskriterien wie Altersgrenze, Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit der Opfer. Aber ich will noch einmal betonen, es hat nichts, aber auch wirklich nichts unserer Meinung nach mit dem Tatbestand der Verurteilten nach § 175 zu tun. Die Zielsetzung also der Vorschrift des § 151 Strafgesetzbuch der DDR war der Jugendschutz. Und das sollten wir in der Debatte klar auseinanderhalten und auch noch einmal deutlich machen.

Dagegen stellte die Vorschrift des § 175 die einvernehmliche Entscheidung erwachsener Männer zum

gemeinsamen Leben ihrer sexuellen Identität unter Strafe. Strafbarkeit knüpft an das „so sein und so leben“ der Personen an, obwohl sich die Beteiligten freiwillig dafür entschieden haben. Das, werte Kolleginnen und Kollegen, ist von dieser Stelle noch einmal deutlich zu machen und nicht zu kritisieren. So sein und so leben von Menschen zu bestrafen, macht die Menschen- und Grundrechtswidrigkeit genau des § 175 deutlich. Ich sage auch, Strafrecht darf nicht missbraucht werden, um Lebensformen von Menschen mit Repressionen zu erfüllen. Aus diesem Grunde, werte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, wird meine Fraktion Ihrem Alternativantrag mehrheitlich nicht zustimmen können, weil einfach folgende Dinge nicht beachtet worden sind. Ich will sie noch mal kurz zusammenfassen. Es ist keine Entschuldigung in Ihrem Alternativantrag formuliert, es ist keine Entschädigung in Ihrem Alternativantrag formuliert und es ist eine Zusammenmischung zwischen dem § 175 Strafgesetzbuch und dem § 151 Strafgesetzbuch der DDR, den wir so an dieser Stelle gemeinsam nicht akzeptieren können. Danke schön.