Protocol of the Session on December 10, 2004

Natürlich sollte nicht der Eindruck entstehen, dass ich die leichten Verbesserungen, insbesondere im Bereich Mathematik, nicht zur Kenntnis genommen habe, scheint es doch diesmal zumindest gelungen zu sein, die ausgewählten Testschüler besser zu motivieren, den Test doch diesmal ernster zu nehmen und nicht etwa zu boykottieren wie es vor drei Jahren wohl passiert sein soll. Dank den Gymnasiasten, die

uns in Mathematik zu einem Schrittchen nach vorn verhalfen, so dass das Ergebnis nicht ganz so peinlich ist. Aber Fakt ist, Schülerinnen und Schüler in Deutschland haben einen Abstand von eineinhalb Schuljahren zu Gleichaltrigen der Spitzengruppenländer, eben zum Beispiel zu Finnland. Aber das traurigste Ergebnis von PISA 2 ist, dass das deutsche Bildungssystem sozial noch ungerechter geworden ist. Die sozial determinierte Schere des Bildungserfolgs klafft noch mehr auseinander. Fast ein Viertel der 15-Jährigen - Sie haben die Zahl nicht genannt zählt zur Risikogruppe und bewegt sich auf dem untersten Kompetenzniveau, also vergleichbar mit dem eines Grundschülers. Die zwei Grundprobleme, die uns PISA 2003 wiederum nur noch deutlicher zeigt, heißen: mangelnde Förderung leistungsschwächerer Schüler sowie von Schülern mit Migrationshintergrund - seinen konkreten Ausdruck findet dies in der schlechten Lesekompetenz - und zweitens die enge Kopplung von sozialem Status der Elternhäuser und dem Kompetenzniveau der Kinder. Klar ist, dass Veränderungen im Bildungsbereich nicht in einer Zeitspanne von drei Jahren erreicht werden können. Wenn aber der CDU-Bildungskreis, wie es in der Ostthüringer Zeitung zu lesen war, keinen Handlungsbedarf sieht und Herr Emde gar meint - ich zitiere -, "in Deutschland besteht die Gefahr, sich auf die Schwachen zu konzentrieren, die Starken aber zu vergessen", dann halten wir das schlicht für eine skandalöse Fehleinschätzung.

(Beifall bei der PDS)

Es braucht keinen PISA-Test, um festzustellen, dass Thüringen bundesweit die höchste Förderschulquote, aber dort auch den höchsten Unterrichtsausfall hat. Nach wie vor verlassen 12,6 Schulabgänger die Schule ohne Schulabschluss - ein trauriger Spitzenwert für Thüringen. Selbst in Thüringen gibt es 117.000 funktionale Analphabeten. Meine Herren vom Bildungsarbeitskreis der CDU, nehmen Sie das zur Kenntnis. Schüler optimal und individuell bereits frühzeitig zu fördern, wie es die erfolgreichen PISALänder tun, heißt Individualisierung von Lernprozessen im Unterricht. Das heißt nicht unbedingt mehr Geld oder kleinere Klassen, sondern eine andere Methodik des Lehrens. Wenn wir von Erhöhung der Unterrichtsqualität im Allgemeinen sprechen, scheint das im Übrigen die Schnittstelle aller Bildungspolitiker zu sein, unabhängig vom Parteibuch und auch hier. Wenn aber in Deutschland, also auch in Thüringen, die Möglichkeit besteht, lernauffällige Kinder sitzen zu lassen oder in geringerwertige Schularten abzuschieben, verhindert dies die Übernahme von Verantwortung der Lehrer für leistungsschwächere oder verhaltensauffällige Schüler. Deutschlands geringerer Erfolg im Bildungsbereich liegt unseres Erachtens daran, dass die Lehrer eben nicht gezwungen sind bzw. durch entsprechende Stützsysteme

in die Lage versetzt würden, sich um jeden Schüler zu kümmern. Unsere Forderung nach begleitender Schulsozialarbeit in jeder Schule und die ausreichende Anzahl von Schulpsychologen ist Ihnen nicht neu. Im Übrigen stimmen wir dort hundertprozentig mit den Lehrern und Eltern überein. Aber es geht eben um mehr. Das individuelle Lernen funktioniert in heterogenen Gruppen, also altersdifferenziert und/ oder leistungsdifferenziert, besser als in homogenen Gruppen. Das muss doch endlich auch von Ihnen einmal untersucht oder wenigstens zur Kenntnis genommen werden.

(Beifall bei der PDS)

Genau das praktizieren freie Schulen erfolgreich, aber eben nicht nur diese, sondern auch Jenaplanschulen oder Grundschulen, die bereits positive Erfahrungen mit der veränderten Schuleingangsphase sammeln konnten. Genau daher leitet sich unsere Hauptforderung ab: Keine Selektion nach Klasse 4, sondern länger gemeinsam lernen, mindestens bis Klasse 8.

(Beifall bei der PDS)

Die gegliederte Schule als Belehrschule, in der möglichst alle Kinder im gleichen Tempo lernen, ist als Relikt der Industriegesellschaft überholt. Wir unterstützen deshalb ausdrücklich die Initiative für eine neue Schule, abgedruckt im Heft "Aktuell" des Grundschulverbandes Nr. 88/November 2004: Initiative für eine neue Schule, drei Ziele, drei Schritte. Schule ist ein Teil einer demokratischen Gesellschaft, alle mitnehmen, keinen zurücklassen. Zweites Ziel: Schule ist Ort der Erziehung und des Lernens, jedes Kind hat das Recht, in der Schule erfolgreich zu lernen. Drittes Ziel: Bildung ist uns wertvoll, die Schule ist es uns wert. Die drei Schritte, ich verzichte darauf, sie vorzulesen; länger gemeinsam zu lernen, ist der letzte davon. Ich habe übrigens ein paar Kopien für Ihren Bildungsarbeitskreis, Herr Emde,

(Zwischenruf Abg. Wehner, CDU: Alles Analphabeten.)

und ich kann Ihnen nur sagen, die unterschriebenen Listen, die dürfen Sie dann an das Pädagogische Institut der Evangelischen Kirche von Westfalen schicken. Ich gebe Sie Ihnen dann.

Also, wir brauchen einen Paradigmenwechsel in deutschen Schulen, Lehrer als Lernberater eines individualisierten selbständigen Lernprozesses, eine gute Schulatmosphäre, wo "Mitentscheidungen der Akteure" nicht nur auf dem Papier steht, sondern herausgefordert wird und Bedingung des Schullebens ist, sowie genügend Zeit im und außerhalb des Unterrichts für emotionales und soziales Lernen, also

auch die ganztägige Anwesenheit der Lehrer, also eine offene Ganztagsschule, in der man selbst gern Schüler gewesen wäre. Zum dreigliedrigen deutschen Schulsystem hat der internationale PISAKoordinator Andreas Schleicher eine klare Meinung. Zitat: "Anreize werden dort so gesetzt, dass die Verantwortung für Erfolg allein auf die Lernenden geschoben wird. Wer nicht mithalte, müsse ein Jahr wiederholen oder werde in niedrigere Bildungsgänge abgeschoben." Das gibt es in erfolgreichen Bildungsnationen nicht. Damit löst man das Problem der Chancengerechtigkeit nicht. Dass das finnische Schulsystem keine Förderschulen kennt, möchte ich hier nur am Rande erwähnen. Vermutlich scheint es ihnen derzeit noch zu absurd, um dies auch nur in Erwägung zu ziehen. Deutsche Lehrer sind Einzelkämpfer. Es gibt kaum Austausch untereinander oder zwischen den Schulen. Die Evaluation der Unterrichtsgestaltung wird zu sehr unter dem Aspekt der Kontrolle gesehen und wenig unter dem Aspekt des Gewinns. Fast jede dritte Schule verzichtet darauf, Ergebnisse der Kompetenztests abzurufen, auszuwerten und in ihre Arbeit einfließen zu lassen. Die Einführung nationaler Bildungsstandards und die damit einhergehende Einführung von Kompetenztests in den Klassenstufen 3 und 6 als Ist-Standserhebung, die Erarbeitung von Leitbildern und Arbeitsvorgaben sind sicher wichtige Schritte in Richtung einer Verbesserung von Unterrichtsqualität. Auch die Anstrengungen, die in einigen wenigen Schulämtern im Rahmen des Eule-Programms unternommen werden, sind hervorhebenswert und sollten dazu führen, dass alle Schulen in Thüringen sich solch einem von innen heraus motivierten Entwicklungs- und Erneuerungsprozess in Sachen Schulqualität stellen. Aber es reicht nicht aus, nur auf Ist-Standserhebungen zu verharren, zumal sie von einem Großteil der Pädagogen eben noch als Zeitverschwendung und Kontrolle wahrgenommen werden, da sie die Behebung anerkannter Probleme nicht selbst beeinflussen können. Wir brauchen mehr Eigenverantwortung in den Schulen und auch die inhaltliche Verantwortung der Schulträger. Interessant wären die Ergebnisse von reformpädagogisch arbeitenden Schulen, die schon längst nach integrativen Grundsätzen der skandinavischen PISA-Länder arbeiten. Schneiden diese vielleicht besser ab, als dies ihre eigene bildungspolitische Engstirnigkeit erlaubt? Im letzen Jahrgang 2004 lagen die Abiturienten der Jenaplanschule in Jena übrigens mit einem Abiturdurchschnitt von 1,6 über dem Durchschnitt aller Thüringer Gymnasien - Kindergarten, Grundschule, Regelschule und gymnasiale Oberstufe, alles unter einem Dach. Von den Ist-Standsanalysen ausgehend müssen Entwicklungsprozesse folgen. Aber wie soll das geschehen, wenn den Schulen wichtige Kompetenzen hinsichtlich der Selbstevaluation und supervisorische Fall- und Problembesprechung fehlen? Hier sind die Schulen auf sich allein gestellt. Hier sollen die Schulen eigen

verantwortlich Schul- und Qualitätsentwicklungsprozesse in Gang bringen. Welche Unterstützung aber erhalten Sie hierbei? Von den dringend benötigten Schulpsychologen, 16 wurden nach den Ereignissen am Erfurter Gutenberger Gymnasium eingestellt, hat sich mittlerweile das Kultusministerium erfolgreich getrennt, und das trotz des enormen Bedarfs der Schulen an organisationspsychologischer Beratung bei den laufenden und anstehenden Schulentwicklungsprozessen. Die Gleichrangigkeit von individueller Leistungsförderung und sozialer Gerechtigkeit, das ist der Schlüssel zum Erfolg der PISA-Spitzenländer. Die isolierte Berücksichtigung einzelner oder weniger Faktoren kann aufgrund der bestehenden Wechselwirkungen nicht zum gewünschten Erfolg führen. Insofern zeigt PISA 2 deutlich die Notwendigkeit einer umfassenden Umgestaltung des deutschen Bildungssystems. Um Deutschland und insbesondere Thüringen aus der Schulmisere herauszuholen, reicht es nicht, vorhandene Löcher zu stopfen. Jede einzelne Bemühung ist in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt, so wichtig sie im Einzelnen auch ist und für die wir auch die Notwendigkeit sehen. Von dem Eule-Programm sprach ich bereits, die Leseinitiative wäre zu nennen oder die Einführung der Kompetenztests.

An die Adresse der Regierungsfraktion: Ja, die PDS fordert ein anderes, ein integriertes Schulsystem, welches aber nicht von heute auf morgen den Schulen übergestülpt werden soll. Hier geht es um die Denkrichtung. Und nein, die PDS sieht in der sofortigen Ablösung des bisherigen strukturierten Bildungssystems nicht das allein selig machende Mittel. Ich hatte ja betont, dass es viele Faktoren sind, die den Erfolg der PISA-Spitzenreiter determinieren. Es gibt aber grundlegende Faktoren, die ein erfolgreiches Bildungssystem ausmachen, und ohne Zweifel gehört die frühe Selektion der Schüler in unterschiedliche Schularten nicht dazu. Das hat PISA nun wirklich deutlich gezeigt.

(Beifall bei der PDS, SPD)

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Wo lesen Sie das raus?)

Im Übrigen, 68 Prozent der Ostdeutschen und ein Drittel der Westdeutschen sind für ein längeres gemeinsames Lernen bis Klasse 8.

Herr Goebel meint, wir brauchen eine Qualitäts- und keine Strukturdebatte in Thüringen. Die Meinung der PDS dazu ist ganz klar: Wir brauchen eine Qualitäts- und eine Strukturdebatte. Deshalb fordern wir die zügige Umsetzung der Empfehlungen der Enquetekommission "Erziehung und Bildung in Thüringen". Die Ergebnisse in PISA 2003 zeigen deutlich, dass die dort erarbeiteten Reformvorschläge aktu

eller denn je sind und eben keine Momentaufnahme darstellen. Wir fordern die Bereitschaft der Landesregierung und der CDU-Fraktion, die empirischen Daten endlich zur Kenntnis zu nehmen. Ja, es gibt nun eine mehrfach nachgewiesene Chancenungleichheit des Bildungssystems in Deutschland. Ja, dieser Chancenungleichheit wird nicht adäquat entgegengesteuert, sondern durch frühzeitige Selektion der Schüler unterstützt. Ja, es liegt in unserer Verantwortung, die Begabung unserer Schüler in den Vordergrund zu rücken und sich den Schwächen individuell zuzuwenden. Wir können es uns aber nicht leisten, dass der Kontostand und der akademische Grad der Eltern den Bildungsweg eines Kindes bestimmt und nicht die Begabung des Kindes.

(Beifall bei der PDS, SPD)

PISA 2003 belegt mit wissenschaftlichen Daten die Mängel eines differenzierten Schulsystems mit seiner frühzeitigen Selektion der Schüler. Genau dies ist ein - ich zitiere hier die PISA-Wissenschaftler - "Besorgnis erregendes Ergebnis der PISA-Folgestudie". Dies in Abrede zu stellen, Herr Minister, grenzt an bildungspolitische Ignoranz. Eines der wichtigsten bildungspolitischen Ziele demokratischer Gesellschaften wird nicht erreicht. Das bundesrepublikanische Bildungswesen schafft es nicht, allen Heranwachsenden gleich gute Bildungschancen zu geben, sie optimal zu fördern und gleichzeitig soziale, ethnische und kulturelle Unterschiede in der Bildungsbeteiligung und im Bildungserfolg auszugleichen. Das Recht eines jeden jungen Menschen auf eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Erziehung und Bildung ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage ist aber so oder in gleich lautenden Formulierungen in den Schulgesetzen aller Länder verankert. Alle Kultusminister müssen sich deshalb die Fragen gefallen lassen, wie lange sie noch gewillt sind, gegen die Schulgesetze ihrer eigenen Länder zu verstoßen und den jungen Menschen das Recht auf optimale Bildung vorzuenthalten. Die Landesregierung unternimmt nichts, um der sozialen Selektivität entgegenzusteuern, ganz im Gegenteil. Massive Kürzungen der Landesfinanzen treffen besonders den Bildungsbereich. Da meine ich nicht nur die Kürzung bei der Erwachsenenbildung, beispielsweise zum Nachholen von Bildungsabschlüssen, unverantwortbar scheint auch, Beamte, die nur noch Nullen als Haushaltsstellen bewirtschaften können, Kaffee trinken zu lassen, aber die Hortnerinnen, den nunmehr insolventen Kommunen überhelfen zu wollen. 50 Prozent der Regelschulen und Gymnasien nutzen die Schuljugendarbeit erfolgreich zur Profilierung als Schulen mit offenen Ganztagsangeboten. Eine hohe Schülerbeteiligung, die Akzeptanz beweist dies und nun wie scheinbar immer bei Modellfinanzierungen, wird die Hälfte davon der Diskontinuität der Ministerneubesetzung zum Opfer fallen. Man entzieht dem

nun gerade im Wachsen begriffenen Pflänzchen Ganztagsschule den Boden in Thüringen. Die Lehrmittelfreiheit und das warme Schulessen werden Opfer sozialistischer Vergangheitsbewältigung und die Schülertransportkosten steigen wegen weiterer Schulschließungen als Folge einer Effizienz des differenzierten Schulsystems. Die Landsregierung diskutiert in der Presse die Absenkung von Standards in den Kindergärten, dabei wird offensichtlich auch über die Lockerung des Betreuungsschlüssels in Kindergärten nachgedacht. Statt erfolgreiche Strukturen, auf die sie ja noch hinweisen und stolz darauf sind, zu erhalten und auszubauen, scheint auch dieser Bereich kein Tabu mehr zu sein. Das derzeitige Ausbildungsniveau der Erzieher in der sozialpädagogischen Breitbandausbildung auf Fachschulniveau, international völlig überholt, muss ich hoffentlich nicht anhand von Zahlen beweisen. Diese wird den Ansprüchen moderner frühkindlicher Betreuung nicht gerecht. Man führe sich allein die Tatsache vor Augen, dass der momentane Notendurchschnitt im Realschulabschluss für die Zulassung zur Erzieherfachschulausbildung bei ca. 3,0 liegt. Es scheint also möglich, dass Leseunlustige, für duale Ausbildung leider nicht gebrauchte junge Menschen mangels anderer Alternativen Lehrmeister der nächsten Generation werden. Sprechen Sie bitte mal mit den Kindergartenleiterinnen über das durchschnittliche Niveau der zugeteilten Praktikanten. Leider handelt es sich nicht um Einzelfälle.

Eine weitere Folge der hochschulfernen Erzieherausbildung möchte ich nur am Rand erwähnen, der gravierende Mangel an Forschung zur frühkindlichen Bildung und Erziehung. Deutschland leistet sich mehr Professoren für japanische Sprache als für frühkindliche Bildung. Erschreckend, dass uns darauf die OECD hinweisen musste. Herr Fthenakis erwähnte es bereits bei der Anhörung des Bildungsausschusses im Landtag vor drei Jahren, jedoch ohne erkennbares Ergebnis. Ein mehr oder weniger deutlich ausgesprochenes Hauptargument gegen die Akademisierung der Erzieherausbildung sind die Kosten und die Angst, dass gut ausgebildete Erzieherinnen höhere Gehälter fordern. Abgesehen davon, dass uns unsere Kinder gut ausgebildete Pädagogen Wert sein sollten, gibt es internationale Wirtschaftsstudien, die belegen, dass für jeden Dollar, der in Bildungsprogramme für 3- und 4-Jährige investiert wird, drei Dollar zurückfließen. Das Problem ist dabei nur, dass sich dieser Gewinn erst einstellt, wenn die Kinder erwachsen sind, eine Zeitdimension, welche im aktuellen und von parteipolitischen Interesse geprägten Haushaltsdenken leider keine Rolle spielt. Ausgaben im Bereich Bildung sind investive Ausgaben und fordern einen Blick über den Horizont einzelner Jahreshaushalte hinweg. Wohl dem Land, in dem Minister und Haushaltspolitiker solch einen Blick besitzen. Ich würde mich über eine Fortberatung des

Berichts im Ausschuss freuen.

(Beifall bei der PDS)

Frau Abgeordnete Reimann, das heißt, Sie beantragen die Fortberatung im Bildungsausschuss. Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Döring zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, gesundbeten und schönreden scheint derzeit die Lieblingsbeschäftigung der in Regierungsverantwortung stehenden Bildungspolitiker der Bundesländer zu sein. Auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU, bringen es hier ja zur wahren Meisterschaft. Natürlich, Herr Minister Goebel, kann man den Bürgerinnen und Bürgern Sand in die Augen streuen. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Die Resultate der PISAFolgestudie sind für uns nämlich überaus ernüchternd. Deutschland liegt bei PISA 2003 in allen drei Kompetenzbereichen, die auch schon im Jahr 2000 getestet wurden, in der unteren Hälfte der Leistungstabelle der 29 teilnehmenden Staaten. Das heißt, zwar haben gegenüber PISA 2000 in allen drei Kompetenzbereichen sich bessere Platzierungen für Deutschland ergeben, der tatsächliche Zugewinn bewegt sich aber je nach untersuchtem Bereich nur zwischen 5 und 16 Leistungspunkten. Da ein Plus oder Minus von 10 Leistungspunkten vom PISA-Konsortium als rein statistische Schwankung angesehen wird, hat Deutschland real bei der PISA-Folgestudie nicht wesentlich besser abgeschnitten, als bei PISA 2000. In allen drei Kompetenzbereichen beträgt der Vorsprung der PISA-Spitzenstaaten weiterhin 40 bis 50 Leistungspunkte und entspricht einem Kompetenzunterschied von mehr als einem Schuljahr. Der PISA-Koordinator der OECD, Andreas Schleicher, wurde vorhin schon zitiert, hat es, Frau Reimann, noch klarer und deutlicher kommentiert. Ich zitiere: "Das dreigliedrige System ist gescheitert. Die Zusammenschau der Ergebnisse von PISA und IGLU zeigt klar, dass das Ziel der frühzeitigen Differenzierung, nämlich leistungsschwächere und leistungsstärkere Schüler durch Trennung in verschiedene Schulformen optimal zu fördern, völlig verfehlt ist. Weder werden leistungsschwächere Schüler besonders gut gefördert noch ergibt die Auslese der vermeintlich Leistungsstärkeren eine zufrieden stellende Leistungsspitze. Das ist die Realität.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt, das gegliederte Schulwesen in Deutschland hat sich erneut als wenig leistungsfähig erwiesen, und daran ändert auch, Prof. Goebel, Deutsch

lands Platz 13 bei dem erstmals getesteten Kompetenzbereich "Problemlösen" nichts. Zwar lässt sich in diesem Kompetenzbereich an den deutschen Schülern laut PISA-Konsortium ein bemerkenswertes kognitives Potenzial erkennen, wie das schlechte Abschneiden bei der mathematischen und naturwissenschaftlichen Grundbildung jedoch zeigt, gelingt es aber nicht dieses Potenzial für komplexere analytische Anforderungen nutzbar zu machen. Das Abschneiden der einzelnen Bundesländer bei der PISAFolgestudie ist noch nicht bekannt. Es dürfte sich aber im Rahmen der gesamtdeutschen Resultate bewegen. Daher lässt sich auch für Thüringen mit einiger Sicherheit sagen, dass sich gegenüber PISA 2000 keine wirkliche Verbesserung ergeben hat. Wenn wir uns noch mal vergegenwärtigen PISA 2000 - hier war Thüringen in allen drei geprüften Kompetenzbereichen 40 bis 60 Leistungspunkte unter den PISA-Spitzenstaaten. Das entspricht einem Kompetenzunterschied von ein bis zwei Schuljahren. Wir erinnern uns, vor allem besaßen Thüringer Schulen bei der Lesekompetenz nicht den Stellenwert, der wirklich als elementare Kulturtechnik zukommt. Besonders auffällig war die weit über dem Durchschnitt liegende Leseunlust der Thüringer Schüler.

Deshalb bestand und besteht für Thüringen kein Anlass zufrieden zu sein. Auch wenn Sie noch einmal den vierten Platz hier zitiert haben, Sie kennen meine Meinung, ich sage klar, wir müssen auch die Vergleichsbasis noch mal betrachten, und wenn wir die Migrantenkinder nicht in den Vergleich mit einbeziehen, dann stehen wir auf Platz 10 von 13 Ländern. Das ist die Realität. Was für mich einzig zählt, ist der internationale Vergleich mit den PISA-Spitzenstaaten und nicht die Frage, wo man innerhalb der zweiten Liga positioniert ist. Wenn Sie sich auch noch gern mit dem bayerischen Hintertupfingen messen wollen, das ist Ihre Sache. Für uns ist einzig von Belang, ob und wie es uns gelingen wird, den Freistaat an das internationale Spitzenniveau heranzuführen.

Meine Damen und Herren, das schlechte Abschneiden Thüringens bei PISA 2000 ist ein Ergebnis, das eigentlich zwingend Veränderungen im Thüringer Schulwesen hätte nach sich ziehen müssen. Längeres gemeinsames Lernen, Ausbau schulischer Ganztagsangebote, individuelle Schülerförderung, neue und differenzierte Unterrichtsformen, stärkere Eigenständigkeit der Schulen und Schulprofilbildung, Weiterentwicklung und Evaluierung der Bildungsqualität, stärkere Öffnung der Schulen zu ihrer Lebensumwelt und nicht zuletzt eine grundlegend reformierte Lehrerausbildung; das sind die wichtigsten der aus PISA 2000 ableitbaren und unverändert gültigen bildungspolitischen Konsequenzen für Thüringen. Geschehen ist jedoch bislang so gut wie nichts. Die Landesregierung hält ja insbesondere unbeirrt am gegliederten Schulsystem fest

(Zwischenruf Abg. Schwäblein, CDU: Recht so!)

wir haben das heute noch einmal klar gehört -, also an der frühen Aufteilung der Kinder auf unterschiedliche Schularten nach der Klasse 4. Und dies, obwohl sich das Thüringer Schulwesen bei PISA 2000 nicht nur als leistungsschwach, sondern auch als sozial ungerecht erwiesen hat, wie die Schulbildung in Deutschland insgesamt.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Unsinn!)

Wie die Schulbildung in Deutschland insgesamt - Sie müssen schon mal zuhören. Das Kind eines Chefarztes in Thüringen hat Ende der Klasse 4 eine mehr als doppelt so große Chance auf die begehrte Gymnasialempfehlung als ein Kind eines Arbeiters. Und dies ist ein objektiver Befund, auch nachzulesen in der Enquetekommission. Sie haben ja diesem Bericht auch zugestimmt, meine Damen und Herren von der CDU. Anstatt also Kindern Bildungswege zu eröffnen, führt das Thüringer System der frühen Aufteilung auf unterschiedliche Schularten allzu oft in Bildungssackgassen.

(Beifall bei der SPD)

Viele der bei PISA 2000 und erneut bei PISA 2004 erfolgreichen Staaten gehen einen anderen Weg und das müssen Sie endlich zur Kenntnis nehmen. Sie lassen die Schüler länger gemeinsam lernen und ermöglichen in den Klassen und Lerngruppen einen nach Leistungsniveau differenzierten Unterricht. Die Schulen arbeiten ergebnisorientiert. Alle Schüler erhalten individuelle Förderung und Unterstützung.

(Zwischenruf Abg. Schwäblein, CDU: Sie gliedern innerhalb einer Klasse.)

Sie werden konsequent und umfassend in ihren Stärken gefördert. Herr Schwäblein, die Schüler lernen gemeinsam und dabei werden sie individuell gefördert. Herr Schwäblein, vielleicht wäre es mal ganz interessant, wenn Sie sich damit beschäftigen und sich erst mal

(Zwischenruf Abg. Schwäblein, CDU: In Lerngruppen).

das anschauen. Da können Sie auch mal in die Jenaplanschule gehen, da können Sie das sogar in Thüringen am Detail sich anschauen, wie das funktioniert. Vielleicht wäre es mal ganz interessant, da könnten Sie die Bemerkungen hier auch lassen. Genau das wollen wir auch, individuelle Förderung beim gemeinsamen Lernen. Das ist das, was wir wollen, und deshalb treten wir auch für das gemeinsame Lernen aller Schüler bis einschließlich Klasse 8 ein.

Aber Ihre Bemerkungen zeigen mir es immer wieder, es besteht natürlich wenig Hoffnung, dass die Landesregierung unseren bildungspolitischen Vorstellungen folgen wird. Wenn man sich den Landeshaushalt 2005 anschaut und die wirklichen Vorhaben, die Sie hier vorgetragen haben, dann stellt sich die Frage, ob Sie überhaupt willens sind, wirklich aus PISA 2000 und aus der Folgestudie ernsthafte Konsequenzen zu ziehen.

Herr Abgeordneter Döring, gestatten Sie eine Anfrage durch den Abgeordneten Schwäblein?

Am Ende dann, Herr Schwäblein.

Anders kann ich es mir beispielsweise nicht erklären, dass statt des erforderlichen Ausbaus schulischer Ganztagsangebote es hier zu einer drastischen Reduzierung kommt. Der Entwurf des Landeshaushalts 2005 zeigt deutlich, dass die Schuljugendarbeit zurückgefahren wird, also die personelle Komponente schulischer Ganztagsangebote. Wir erinnern uns noch, hier im Hause wurde die Jugendarbeit in höchsten Tönen vom früheren Kultusminister sozusagen beschrieben oder von einem spezifisch thüringischen Weg zu einem Plus an schulischen Ganztagsangeboten gesprochen. Deshalb, Herr Minister Göbel, gestatten Sie mir ganz konkret die Nachfrage, ob denn die von Herrn Krapp auch in dieser Runde wiederholt dargelegten Erkenntnisse in einem Kultusministerium unter Ihrer Leitung nichts mehr wert sind. Oder haben sich inzwischen neue Fakten ergeben, demzufolge in der Sekundarstufe I in Thüringen keine Ganztagsangebote mehr gebraucht werden?

Noch kontraproduktiver wird sich die geplante Kommunalisierung der Grundschulhorte auswirken. Bislang, das wissen wir, sind die Schulhorte integraler Bestandteil der Grundschulen und sie bilden Grundschule und Schule - eine pädagogische Einheit. Entsprechend dem Schulgesetz und den darauf beruhenden weiteren Vorgaben des Landes nehmen sie sozusagen ihre spezifischen Aufgaben wahr, um gemeinsam das pädagogische Konzept ihrer Grundschulen zu verwirklichen. Durch genau diese enge Verbindung mit den Schulhorten sind die Grundschulen nach der Definition der KMK auch offene Ganztagsschulen. Wer den Grundschulhort allein als Freizeitbereich bezeichnet, wie das der Ministerpräsident gestern getan hat, der hat die Entwicklung der Grundschulen gerade in Bezug auf die veränderte Schuleingangsphase in den vergangenen Jahren offenbar verschlafen. Genau das ist das Positive, die enge Verzahnung von Grundschule und

Schule unter einheitlicher Trägerschaft und mit gemeinsamem pädagogischem Konzept. Das will die Landesregierung mit der geplanten Kommunalisierung zerschlagen. Damit stellt sie sich in eindeutigen Widerspruch zu den aus PISA 2000 ablesbaren Erfordernissen der Existenz und Weiterentwicklung der Thüringer Grundschulen als offene Ganztagsschulen und stellt das zur Disposition. Auch dies belegt, dass die Landesregierung nichts, aber auch gar nichts aus PISA 2000 zu lernen bereit ist. Angesichts dieses bildungspolitischen Versagens müssen wir schon jetzt mit Sorge der nächsten PISA-Runde oder einer neuen internationalen Grundschulstudie entgegensehen. Aber ich bin sicher, dass der Kultusminister sich auch dann etwas einfallen lassen wird, um das schlechte Abschneiden Thüringens schönzureden. Eventuell erfreut er uns alle dann ja mit der Nachricht, dass es dem Freistaat immerhin gelungen sei, sich deutlich vor Kasachstan, Paraguay oder den Kapverdischen Inseln zu platzieren. Darauf bin ich schon heute gespannt. Danke.

(Beifall bei der SPD).

Herr Abgeordneter Döring, Sie hatten versprochen, dass Sie noch eine Frage beantworten. Herr Abgeordneter Schwäblein.