In Punkt 2 fordern die LINKEN einen Armuts- und Reichtumsbericht für Thüringen bis zum Oktober 2008. Da glaubt selbst Herr Kubitzki nicht richtig dran, glaube ich. Auch wenn Sie den Bogen geschlagen haben, Sie hätten den Antrag vielleicht schon vor einem Monat geschrieben. Wenn man weiß, dass die Bundesregierung über zwei Jahre gebraucht hat, um die Daten zu erfassen, zusammenzutragen, auszuwerten, um einen Armuts- und Reichtumsbericht zusammenzustellen, da bin ich sehr nahe bei dem, was Herr Pilger gesagt hat. Herr Pilger hat gesagt, das ist nicht realistisch. Ich füge hinzu, das ist Populismus pur und das gilt auch für den geforderten Maßnahmekatalog zur langfristigen Beseitigung der Armutsursachen. Auch das ist in diesem Zeitraum weder inhaltlich noch zeitlich umzusetzen.
Für die CDU-Fraktion bleibt es aber dabei, zur langfristigen Bekämpfung von Armutsursachen geht es für uns im Wesentlichen um das Entstehen von neuen Arbeitsplätzen. Nehmen Sie bitte dazu wenigstens die aktuellen Zahlen der letzten Monate zur Kenntnis. Monat für Monat verbessert sich die Situation am Arbeitsmarkt, das ist dokumentiert, unabhängig davon, wie man die Zahlen von 2005 bewertet. Insbesondere auch für Jugendliche und Langzeitarbeitslose bieten sich zunehmend und kontinuierlich mehr Chancen. Auch die Beschäftigungsquote von Frauen und älteren Arbeitnehmern steigt glücklicherweise in Deutschland und in Thüringen wieder an. Ich habe vorhin auch schon ganz kurz die Wohnungssituation angesprochen. Auch dazu haben wir gerade aktuelle Thüringer Zahlen vorgefunden. In Deutschland war es so, dass seit 1998 die Zahl der Wohnungslosen sich halbiert hat. In Thüringen kann man vielleicht einiges an der Summe der Haushalte ablesen, die Wohngeld erhalten haben. Wir haben gerade in den statistischen Zahlen der letzten Woche gehört, dass rund 10 Prozent weniger Thüringer Wohngeld erhalten. Es werden jetzt wieder mehr. Glücklicherweise werden es wieder mehr, weil nämlich die Bundesregierung beschlossen hat, dass der Kreis der Berechtigten ausgeweitet wird, dass die Summe dessen, was gezahlt wird, von durchschnittlich 76 € auf 122 € ansteigen wird. Ich kann Ihnen nur sagen, wenn im nächsten Jahr 17.000 Thüringer zusätzlich mehr Wohngeld bekommen, ist das eine zusätzliche Leistung, die wir als unterstützende Leistung durchaus
begrüßen. Ich finde es richtig, dass in dieser Woche augenscheinlich eine Einigung dazu in Berlin getroffen wurde.
Ich bedaure es aber, dass Sie offensichtlich von den LINKEN diese Zahlen überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Ihnen geht es - das sage ich schon deutlich - im Wesentlichen um eine Instrumentalisierung des Themas, das verdeutlicht Ihre Terminvorgabe vom Oktober 2008. Ich hatte es gesagt, dieser Termin ist definitiv nicht einzuhalten. Der vorhin schon zitierte Prof. Roland Lutz von der FH in Erfurt warnt deshalb berechtigt vor einer Instrumentalisierung des Themas im Wahlkampf. Er regt an, einen solchen Bericht erst nach dem Jahr 2009 vorzulegen. Ich füge hinzu - Sie sind darauf eingegangen, Herr Kubitzki -, ein eigenständiger Thüringer Arbeits- und Reichtumsbericht bindet sowohl Ressourcen der Erstellung als auch finanzielle Ressourcen. Da bleibe ich für die CDU dabei, diese Ressourcen werden den Betroffenen besser und direkter nützlich, wenn wir sie ihnen zur Verfügung stellen werden. Wir werden im Sozialausschuss dazu diskutieren. Wir haben verschiedene Anträge zu diesem Thema auf der Tagesordnung, es ist kein neues Thema. Sie wissen, wir beschäftigen uns seit geraumer Zeit sehr kontinuierlich damit. Aber aus den geschilderten Gründen sage ich für die CDU-Fraktion, wir halten die beiden Punkte des Antrags der LINKEN nicht für zustimmungsfähig. Wir haben Ihnen deswegen einen eigenen Antrag vorgelegt, der eine Situationsanalyse und eine Verknüpfung mit dem 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung fordert. Wir wollen, und das ist ja eben gewürdigt worden, eine breite Beteiligung bei den Erörterungen von Risikofaktoren, darum geht es nämlich. Wir müssen zunächst die Risikofaktoren auch hier in Thüringen bestimmen und dann müssen wir gemeinsam mit allen Trägern, Vereinen, Verbänden, den Kirchen und Fachexperten aus der Wissenschaft diskutieren, welche Lösungsansätze wir finden können. Genau aus diesem Grund bitte ich Sie sehr herzlich um Zustimmung zum vorliegenden Antrag der CDU-Fraktion. Den Antrag der Linkspartei - das hatte ich gesagt - werden wir ablehnen. Vielen Dank.
Frau Sozialministerin, es gibt noch eine Redemeldung aus der Mitte des Hauses. Für die Fraktion DIE LINKE Frau Abgeordnete Leukefeld.
digen“, sagt der Armutexperte Ullrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Wir wissen und es ist auch schon gesagt worden, betroffen sind viele, Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, ausländische Menschen, Familien mit vielen Kindern. Betroffen sind aber auch zunehmend Menschen aus der bislang für sicher gehaltenen Mitte der Gesellschaft. Leute, die Arbeit haben, aber schlecht bezahlt werden, Akademiker, die keine Anstellung finden, Facharbeiter, die ihr Leben lang gearbeitet und dann ihren Job verloren haben. Sie rutschen schnell in die Hartz-IV-Armutsfalle ab. Angespartes muss aufgebraucht werden. Leben auf Sozialhilfeniveau ist vorprogrammiert und Rente mit Abstrichen ebenfalls. Das, meine Damen und Herren, sind persönliche Schicksale, aber Einzelfälle sind es nicht, denn sie haben gesellschaftliche Ursachen. Wer also über Armut und Reichtum reden will, der braucht als Erstes Problembewusstsein, Herr Panse, und den Willen, die Ursachen und Konsequenzen zu analysieren. Wenn Sie hier sagen, der soziale Ausgleich in Deutschland funktioniert und schließen sich dem Urteil der DIW an, das haben Sie ausdrücklich gesagt, die CDU in Thüringen schließt sich dieser Meinung an, dann möchten wir das bezweifeln.
Ich gebe Ihnen recht, dass ein Bericht allein nichts ändert, aber ich muss ja erst einmal in die Situation eindringen, ich muss analysieren, um dann in der Lage zu sein - und das ist dann der eigentliche Auftrag -, Konsequenzen abzuleiten, Schlussfolgerungen zu ziehen und eine Strategie zur Bekämpfung und zur Beseitigung von Armut überhaupt zu entwickeln. Aber da muss ich erst einmal anerkennen, dass es sie gibt, und zwar hier und heute. Einstein sagte einmal, Herr Panse, „Phantasie ist besser als Wissen“, ich glaube, wir sollten dort auch nicht nur nach den finanziellen Dingen schauen, sondern Armutsbekämpfung muss viel mehr umfassen. Lassen Sie mich eines noch sagen: Gleichheit schafft keine Gerechtigkeit, haben Sie gesagt und zielen wohl ab auf eine gewisse Art von Gleichmacherei. Für uns ist Gleichheit der Menschen in ihren existenziellen Lebensgrundlagen unverzichtbar. Ich muss Ihnen sagen, meine Fraktion DIE LINKE wird sich mit Armut in Thüringen und in Deutschland nicht abfinden, da werden wir immer etwas dagegen machen.
Ach, wissen Sie was, wir reden über hier und heute, Herr Emde und nicht über irgendwelche sozialistischen Visionen. Ganz konkret hier und heute und da gehen Sie einmal an den runden Tisch der sozialen Verantwortung, der in diesem Jahr noch seine 100. Sitzung machen wird, gehen Sie einmal ins Arbeitslosenparlament und reden Sie mit den Leuten. Ich kann der Sozialministerin nur empfehlen und, ich glaube, sie wird das auch aufgreifen, genau diese betroffenen Menschen auch in die Analyse und auch in die Erarbeitung der Schlussfolgerungen mit einzubeziehen.
Festzustellen ist, meine Damen und Herren, dass die gesellschaftliche Spaltung in Deutschland rasant zunimmt. Der Soziologe Heinz Bude hat in einem gerade erschienenen Buch betont, dass sich dabei das Gesicht der Ungleichheit, da geht es nicht um Gleichheit, er stellt das Gesicht der Ungleichheit fest, wandle. Es geht heute darum, wer drin ist und wer draußen ist. Die Betroffenen nennt Bude die „Ausgeschlossenen“, ausgeschlossen aus der Gesellschaft. Es gibt auch den neuen Begriff „das abgehängte Prekariat“ und das, meine Damen und Herren von der CDU, das können Sie auch nicht wollen. Erwerbsarbeit ist längst keine Garantie mehr, nicht zum Prekariat zu gehören, nicht arm zu sein. Mein Thema ist „Arm trotz Arbeit“. Das wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Institut der Hans-BöcklerStiftung hat ermittelt, dass in Deutschland 32 Prozent aller Vollbeschäftigten eine Anstellung im Niedriglohnbereich haben. Das heißt, sie beziehen weniger als 75 Prozent des durchschnittlichen Bruttolohns. Bei 2,5 Mio. dieser Beschäftigten lagen die Einkommen sogar unterhalb der 50-Prozent-Marke und Thüringen ist aufgrund der besonders niedrigen Löhne stark betroffen. Im IAB-Betriebspanel, was jetzt herausgegeben wurde, wird mitgeteilt, dass in Thüringen die Ost-West-Lohnangleichung seit 1996 „ausgeblieben ist“. Die Quote stagniert seitdem bei 71 Prozent West, weil Thüringen flächendeckend Niedriglohnland ist. Im Jahre 2006 erhielten bundesweit bereits 880.000 Erwerbstätige neben ihrem Lohn Arbeitslosengeldleistungen, also Arbeitslosengeld II. Im Jahre 2007 stieg ihre Anzahl noch einmal auf durchschnittlich 1,3 Mio. und das ist eine Zunahme um 48 Prozent. In Thüringen ist es so, dass trotz einer Vollzeitarbeitsstelle 22.000 Menschen noch von Hartz IV abhängig sind. Besonders betroffen - auch das wissen Sie - sind hier in Thüringen Frauen. Auch Menschen mit vermeintlich sicheren und gut bezahlten Arbeitsplätzen geraten inzwischen zunehmend unter Druck, denn der Trend geht in Richtung prekärer Beschäftigung. Der Kollege Pilger hat schon was dazu gesagt. Ich will das nur in einigen Stichworten untermauern. Niedrige Löhne, Abbau sozialversicherungspflichtiger Stellen,
Mini- und Midijobs, zeitlich befristete Anstellungen, Zunahme von Leiharbeit, Auslagerung von Geschäftsbereichen und Scheinselbständigkeit müssen hier schon genannt werden. Wenn gesagt wird, wir haben einen Zuwachs an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung - das ist richtig -, dann überprüfen Sie mal die Qualität dieser Arbeitsplätze, weil mehr als die Hälfte dieser Arbeitsplätze prekäre Beschäftigungsverhältnisse beinhalten. In dem IAB-Betriebspanel, was ich gerade angesprochen habe, kann man auf Seite 13 noch mal nachlesen gerade zum Thema Leiharbeit, weil es hier auch eine Rolle gespielt hat: „Leiharbeit wandelt sich vom Instrument einer Reaktion auf einen Nachfrageboom zu einem Instrument dauerhafter Kostensenkung.“ Das, glaube ich, kann nicht gewollt sein. Unsicherheit und die Angst vor Armut sind damit in der Mitte der Gesellschaft angekommen mit dramatischen Folgen. „Unsichere Arbeit, unsicheres Leben“, so lautete der Titel einer Anhörung meiner Fraktion im Februar. Droht die Beschäftigungsperspektive zu schwinden, stehen Lebensentwürfe auf der Kippe - das war ein Fazit. Wir haben hier eine Dokumentation zusammengestellt. Ich hätte sie gern dem Wirtschaftsminister gegeben, Frau Ministerin Lieberknecht, aber ich gebe sie Ihnen, er ist ja eh nicht da, und ich glaube, das ist auch ein Stück weit Analyse und auch Handlungsstrategie, die daraus entnommen werden kann.
Wir wissen, meine Damen und Herren, dass Ungelernte und gering Qualifizierte ein hohes Armutsrisiko tragen. Es handelt sich aber nicht nur um ein Problem abhängig Beschäftigter. Bei den Selbstständigen ohne Mitarbeiter leben heute 10 Prozent unterhalb der Armutsgrenze. Freiberufler, vor allem im Weiterbildungsbereich, können von Honorarverträgen oft nicht mehr existenzsichernd leben. Gleiches gilt übrigens für den Wissenschaftsbereich, weil es Dauerbeschäftigung in Vollzeit im Grunde nur bei Professoren gibt. Befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeit, Praktika sind anstelle des Normalarbeitsverhältnisses gegeben. Sie finden hier drin, Frau Ministerin, auch eine Dokumentation von genau einem Kollegen der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, der zu diesem Thema gesprochen hat.
Thüringen nimmt, wie schon gesagt, im bundesweiten Vergleich leider eine negative Spitzenposition als Niedriglohnland ein. Das hat angesichts des zunehmenden Fachkräftebedarfs große Auswirkungen. Ich sage Ihnen, das ist schon längst zum Standortnachteil geworden. Denn die Initiative Re-Thüringen wird nicht funktionieren, wenn Pendler oder potenzielle Rückkehrer als Fachkräfte in Thüringen deutlich weniger verdienen als im Westen. Der Kollege Pilger hat es schon gesagt, selbst der Wirtschaftsminister hat das ja jetzt verstanden und fordert plötzlich ein höheres Lohnniveau.
Ich kann es Ihnen nicht ersparen, dass ich an dieser Stelle noch einmal nachdrücklich unsere Forderung nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn aufmachen will. In Frankreich wurde gerade jetzt der Mindestlohn fortgeschrieben, im Übrigen auf 8,71 €, und ich denke, da kann man schon mal schauen, da sind französische Verhältnisse vielleicht Maßstab auch für eine Entwicklung in Deutschland.
Die Argumente dazu sind mehrfach ausgetauscht. Sie von der CDU wollen keinen gesetzlichen Mindestlohn, allen voran der Thüringer Ministerpräsident. Ich will Ihnen aber eines sagen und möchte gern den früheren US-Präsidenten Franklin Roosevelt zitieren, der hat nämlich 1933 gesagt, ich zitiere mit Ihrer Genehmigung: „Unternehmen, deren Existenz lediglich davon abhängt, ihren Beschäftigten weniger als einen zum Leben ausreichenden Lohn zu zahlen, sollen in diesem Land kein Recht mehr haben, weiter ihre Geschäfte zu betreiben.“
Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens, dass man von Vollzeit leben können muss, dass Arbeit nicht arm macht.
Viele negative Folgen sind schon benannt worden. Ich will das hier nicht wiederholen. Das ist schlimm, aber eins möchte ich Ihnen noch sagen. Noch schlimmer ist in meinen Augen die Abhängigkeit, in die sich Menschen aufgrund von Armut begeben. Abhängigkeit in der Familie, aber auch Abhängigkeit vom Staat. Armut ist eben mehr als Einkommensarmut. Sie berührt alle Lebensbereiche. Dass aber heute mit Armut und Abhängigkeit eine Entwürdigung und Diskriminierung und auch Kriminalisierung von beispielsweise Hartz IV-Empfängern einhergeht, das kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht ersparen. In der Öffentlichkeit ist bekannt, dass es nicht nur bei Lidl und Telekom unerhörte Überwachungsmaßnahmen gibt, sondern eben auch in besonderer Weise bei Hartz IV-Empfängern. Da ist ja einiges auch in der Öffentlichkeit bekannt geworden.
In der Beantwortung meiner Kleinen Anfrage in Drucksache 4/4097 wird deutlich, dass die Landesregierung ein starkes Anwachsen der sogenannten Hausbesuche konstatieren musste, aber im Übrigen kaum aussagefähig war. Wir, meine Fraktion, hat kürzlich zu einem Fachgespräch eingeladen, in dem Juristinnen, Betroffene und Erwerbslosenini
tiativen über ihre Erfahrungen mit der heutigen Überwachungspraxis gesprochen haben. Ich sage Ihnen, es ist haarsträubend, was sich dort zum Teil abspielt und wie Menschen von ARGEn und ihrem Außendienst und sogar von beauftragten Dritten, z.B. angeheuerten Detektiven, behandelt werden. Ich möchte exemplarisch an einem konkreten Beispiel deutlich machen, wovon ich spreche. Es handelt sich um einen Hartz IV-Bezieher aus Rudolstadt, der mich ausdrücklich gebeten hat, seine Situation hier öffentlich zu machen. Bevor es zu einem persönlichen Gespräch zwischen uns kam, bei dem er mir seine Geschichte erzählte und den Schriftverkehr mit der ARGE und die Aktenlage mit den Klagen und Urteilen zeigte, hat er mir folgende E-Mail geschrieben. Ich habe die leicht gekürzt, damit es nicht zuviel wird, aber das ist sein O-Ton, ich zitiere: „Ich habe Ihren Bericht über die Bespitzelung in ARGEn mit Verzweiflung gelesen. Bei mir ist das auch so, obwohl ich behindert bin. Ich quäle mich seit einem Jahr mit der ARGE herum. Ich habe in einem Dorf bei Rudolstadt als Untermieter mit schriftlichem Mietvertrag gewohnt. Meine Vermieterin ist 13 Jahre älter wie ich. Ab 01.07.2007 wurde ich aber mit ihr durch die ARGE ‚verheiratet’. Ich habe meine zwei Zimmer gehabt und die Küche und Bad habe ich mit benutzt. Leute in meinem Dorf wurden ausgehorcht und das alles hinter meinem Rücken. Es war immer eine reine Wohngemeinschaft. Ich habe vom 01.07.2007 bis zum 31.10.2007 keine Leistungen bekommen. Im Oktober 2007 war eine Gerichtsverhandlung, wo ich mich verpflichten musste, umzuziehen.“ Ich sage das mal, er hat einen Vergleich angenommen. „Vom 01.08. bis 01.12.2007 bekam ich keine Kosten der Unterkunft. Die Klage läuft noch. Im Juli 2007 habe ich gar keine Leistungen erhalten. Ich musste vier Monate betteln, dass ich überleben konnte. Vor kurzem musste ich kämpfen, dass meine Ehrenpension“ - er meinte die Opferrente von 250 € - „nicht mit in das Arbeitslosengeld II angerechnet wird. Ich stehe wieder unter Beobachtung. Ich fühle mich wieder verfolgt. Mein Trauma mit der Stasi ist in mir wieder hochgekommen. Ich habe sämtliche sozialen Kontakte verloren und leide unter Depressionen. Ich bitte um Hilfe. Niemand will mir helfen. Ich stehe ganz allein da.“ Soweit das Zitat, die konkreten Orte habe ich weggelassen. Meine Damen und Herren, ich nenne dieses Beispiel hier sehr bewusst und ich kann Ihnen sagen, wie sehr ich bewegt war während und nach diesem Gespräch. Ich habe den Mann gefragt, ob er weiß, wen er um Hilfe bittet und er wusste es.
Leider kann man altes Unrecht nicht aus der Welt schaffen. Unrecht ist Unrecht, aber man hat heute einen Vorteil, altes Unrecht ist schlimm und es ist Geschichte und unveränderbar. Aber hier und heute, darum bitte ich Sie, ich sage das ganz bewusst, ich, dass wir gemeinsam dafür sorgen, neues Unrecht
(Zwischenruf Abg. Wehner, CDU: Wer Leute bespitzelt hat, der soll sich vorn hinstellen und uns was erzählen.)
Ja, sagen Sie das dem Kollegen, der war bei mir. Warum ist er denn nicht zu Ihnen gegangen, Herr Wehner? Die Frage möchte ich Ihnen mal stellen. Weil er schon lange weiß, dass er von Ihnen keine Hilfe mehr kriegt.
(Zwischenruf Abg. Wehner, CDU: Das ist eine Unverschämtheit, dass sich Stasi- Spitzel hier hinstellen und …)
Politik muss sich dafür einsetzen, dass Menschen, die in Armut leben, Auswege aufgezeigt werden, dass sie konkrete Hilfe bekommen und nicht noch zusätzlich gedemütigt werden. Dieser Ansatz geht weit über eine notwendige Berichterstattung über die reale Situation in Thüringen hinaus. Das ist auch nicht nur eine Aufgabe der Sozialministerin.
Lassen Sie mich zum Abschluss den renommierten Journalisten und Chef des Innenressorts der Süddeutschen Zeitung Heribert Brandel zitieren. Er hat kürzlich geschrieben …
Es ist keine Arroganz. Ich hätte mich nicht hier hinstellen müssen, Herr Jaschke, und das sagen müssen. Da gehört auch ein bisschen was dazu. Ich weiß schließlich, wer ich bin, und ich kenne meine Verantwortung, die ich in der Vergangenheit hatte und zu der ich da stehe, und ich kenne die auch hier und heute. Deswegen habe ich es gesagt.
Jetzt noch mal das Zitat von dem Herrn Heribert Brandel zum Abschluss: „Der Armuts- und Reichtumsbericht ist ein Bericht zur Lage der Demokratie, weil eine Demokratie, in der immer mehr Menschen am gesellschaftlichen Rand leben, nicht gut funktionieren kann.“ Ich bitte Sie, das ernst zu nehmen. Ich beantrage die Überweisung beider Anträge an den Sozialausschuss namens meiner Fraktion.
Ja, meine Damen und Herren, jetzt kommt der Nächste. Es geht hier um Armut in diesem Land, meine Damen und Herren. Die Reaktion, die Sie hier zeigen, raubt mir jede Hoffnung, dass sich unter Ihrer Führung in diesem Land da noch etwas ändern soll. Ich muss Ihnen mal eins sagen, es geht um Menschen, die da draußen leben, die den Glauben an die Politik verloren haben, die ihr Selbstwertgefühl verloren haben. Und Sie? Sie lachen hier über dieses Thema, was ernst genug ist.