Protocol of the Session on April 11, 2008

Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen Sitzung des Thüringer Landtags, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße unsere Gäste auf der Zuschauertribüne und die Vertreterinnen und Vertreter der Medien. Besonders möchte ich heute die Sachverständigenmitglieder und die Auskunftspersonen der Enquetekommission 4/1 begrüßen. Als Schriftführer hat neben mir Abgeordnete Holbe Platz genommen. Die Rednerliste führt Abgeordneter Eckardt. Für die heutige Sitzung haben sich Herr Abgeordneter Hauboldt und Frau Abgeordnete Reimann entschuldigt.

Ich möchte Ihnen zur Tagesordnung folgenden Hinweis geben: Zu TOP 25, Antrag der Fraktion DIE LINKE, „Rentengerechtigkeit für ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR“ wurde eine Neufassung verteilt.

Wir sind im Ältestenrat übereingekommen, den Tagesordnungspunkt 32 heute als ersten aufzurufen, was ich hiermit tue. Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 32

Vorabempfehlungen für eine Verwaltungsreform auf ge- meindlicher Ebene in Thürin- gen der Enquetekommission „Zukunftsfähige Verwaltungs-, Gemeindegebiets- und Kreis- gebietsstrukturen in Thürin- gen und Neuordnung der Auf- gabenverteilung zwischen Land und Kommunen“ Beratung der Vorabempfeh- lungen der Enquetekommis- sion - Drucksache 4/3965 - auf Verlangen der Fraktionen der CDU, DIE LINKE und der SPD dazu: Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 4/3967 - dazu: Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD - Drucksache 4/3987 -

Ich frage, wünschen die Einreicher das Wort zur Begründung des Beratungsverlangens? Das ist nicht der Fall. Wünschen die Einreicher des Entschließungsantrags das Wort zur Begründung? Das ist auch nicht der Fall. Somit eröffne ich die Ausspra

che. Der Vorsitzende der Enquetekommission, Abgeordneter Carius, hat gebeten, als erster Redner zu Wort zu kommen, um die Vorabempfehlungen der Enquetekommission vorstellen zu können. Ich erteile Ihnen hiermit das Wort. Bitte, Herr Abgeordneter.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, vom parlamentarischen Abend gestern sind alle gut nach Hause gekommen.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Ohne Verkehrskontrolle.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren - ohne Verkehrskontrolle, genau -, die Thüringer Gemeinden sind von großer Bedeutung für das Leben der Thüringerinnen und Thüringer. Mit ihren Gemeinden verbinden sie Heimat und Geborgenheit. Deswegen muss auch jede Entscheidung zur gemeindlichen Strukturveränderung gründlich und solide mit Augenmaß und nicht mit dem Zirkel abgewogen werden. Deswegen, meine Damen und Herren, bin ich sehr froh, dass wir Ihnen heute Vorabempfehlungen der Enquetekommission 4/1 präsentieren können, die das aus meiner Sicht getan hat.

Zunächst darf ich ganz herzlich all denen danken, die daran mitgearbeitet haben, vor allen Dingen den Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen des Landtags, die in der Kommission Mitglieder waren, natürlich auch den Sachverständigen, die ich auf der Gästetribüne herzlich begrüßen darf, und auch der Landtagsverwaltung, die in der Vergangenheit sehr gut mit uns zusammengearbeitet hat und ohne die diese Vorabempfehlungen so sicher nicht präsentiert werden könnten.

Wir haben uns als Kommission im vergangenen Jahr im Sommer der Aufgabe gestellt, dass wir ein Leitbild für die gemeindliche Entwicklung entwickeln wollen. Die Fraktionen haben dafür unterschiedliche und auch ähnliche Vorschläge unterbreitet, die wir dann in den Arbeitskreisen der Enquetekommission beraten und vertieft haben. Wir haben Anhörungen dazu durchgeführt. Ich möchte Ihnen im Folgenden gern die Lösungen, die die Kommission Ihnen vorschlägt, präsentieren.

Wir haben uns darauf geeinigt - übrigens mit den Stimmen aller Sachverständigen bis auf eine Enthaltung und mit den Stimmen der Abgeordneten der SPD- und der CDU-Fraktion bei drei Gegenstimmen durch die PDS-Fraktion -, Ihnen für die gemeindliche

Entwicklung vorzuschlagen, dass wir in die Thüringer Kommunalordnung die Thüringer Landgemeinde einführen. Das ist vor allen Dingen - und ich möchte das jetzt im Einzelnen darstellen - rechtlich eine besondere Form der Einheitsgemeinde. Politisch ist sie aus unserer Sicht die Antwort auf die Frage: Was soll aus den Verwaltungsgemeinschaften und den erfüllenden Gemeinden werden? Jetzt stellt sich natürlich jeder die Frage, warum muss denn überhaupt für die VGs und für die erfüllenden Gemeinden eine Antwort gefunden werden, haben die ihre Arbeit schlecht gemacht? Da sage ich Ihnen ganz deutlich, die haben ihre Arbeit nicht schlecht gemacht. Wir sind sehr dankbar für die Tätigkeit der Beschäftigten, der VG-Vorsitzenden, auch der Bürgermeister in den Verwaltungsgemeinschaften. Aber wir müssen auch erkennen, dass wir durch den demografischen Wandel, durch geringer werdende Einnahmen auf Landes- aber auch auf kommunaler Ebene gerade bei den Verwaltungsgemeinschaften und bei den erfüllenden Gemeinden größere Probleme zu erwarten haben, als es bei den Einheitsgemeinden der Fall ist.

Zum einen sind wir häufig auf Probleme angesprochen worden, die damit zusammenhängen, dass schon kleine Gemeinden oftmals den Finanzierungsanteil für Investitionsmaßnahmen nicht erbringen können, das ist für kleine Gemeinden oftmals problematisch, zum anderen ist es natürlich systemimmanent in den Verwaltungsgemeinschaften, so dass jeder Bürgermeister auf seine Gemeinde schaut, dass wir eine sehr sektorale Betrachtungsweise haben und sich die Frage stellt, ob man sich das bei geringer werdenden Mitteln langfristig leisten kann oder ob man nicht für bestimmte Dinge eine stärkere Bündelung braucht. Das heißt vor allen Dingen eines, die Verwaltungsgemeinschaften haben aus unserer Sicht sehr gut die Verwaltungsschwäche der kleinen Gemeinden ausgeglichen. Was sie aber vom Modell her nicht konnten, ist im Grunde, die Finanzschwäche von kleinen Gemeinden dauerhaft auszugleichen und deswegen braucht es hier eine Antwort.

Wie ist die Landgemeinde ausgestaltet? Ich sagte ja bereits, die Landgemeinde ist eine Sonderform der Einheitsgemeinde. Wir werden einen Landgemeinderat haben nach unseren Vorstellungen, einen direkt gewählten Bürgermeister, der zugleich auch Verwaltungsleiter ist. Der Landgemeinde wird der übertragene wie auch der eigene Wirkungskreis zugeordnet und sie hat eine gesetzlich garantierte Ortschaftsverfassung, die noch dazu wesentlich mehr Rechte enthält für Ortschaften, als es derzeit in den klassischen Einheitsgemeinden der Fall ist.

Worin bestehen die Vorteile der Landgemeinde? Gegenüber der Verwaltungsgemeinschaft bestehen die Vorteile vor allen Dingen darin, dass wir eine Bün

delung der Aufgaben vor allen Dingen des eigenen Wirkungskreises auf der Verwaltungsgemeinschaftsebene haben. Das heißt, wir werden zum einen die Haushalte und zum anderen Feuerwehr, Kindertagesstätten, Bauhof, Baumaßnahmen, Investitionsmaßnahmen, etc. als Aufgaben nach unserer Vorstellung künftig bündeln. Wir erwarten zum einen, dass durch die Bündelung Maßnahmen in manchen Orten überhaupt erst möglich sind, die bisher eben nicht möglich waren, zum anderen glauben wir, dass wir bei dem Konstrukt der Verwaltungsgemeinschaft mit der Landgemeinde auch eine positivere Antwort auf demokratische Teilhabe leisten durch die direkte Wahl von Gemeinderatsmitgliedern und Bürgermeister, der zugleich auch Verwaltungschef ist. Sie wissen ja, hier hatte bislang der Bürger nicht das Recht, sondern das ist dann durch die Verwaltungsgemeinschaftsversammlung geschehen.

Nun stellt sich die Frage: Was ist denn der Vorteil gegenüber der klassischen Einheitsgemeinde? Aus unserer Sicht ist es ganz klar, dass wir mehr Beteiligungsrechte vor Ort haben als das bei der klassischen Einheitsgemeinde der Fall ist. Wir haben eine garantierte Ortschaftsverfassung mit mehr Kompetenzen, als es bislang der Fall ist. Den enumerativen Katalog der Empfehlungen möchte ich Ihnen an dieser Stelle nicht vorlesen, Sie können alle selbst nachlesen. Man muss eines sagen, das Ortschaftsrecht, was wir hier gesetzlich vorgeben, ist auch ein Mindestmaß, natürlich kann jeder Landgemeinderat für sich beschließen, insbesondere in der Zeit von Fusionen, dass man für die Ortschaften bestimmte Mehrreservatsrechte vorhält. Es ist aus unserer Sicht sinnvoll, wenn die Bürger vor Ort mehr entscheiden wollen und auch mehr entscheiden können, dann sollen das die Gemeinden für sich regeln; nur, das werden wir gesetzlich nicht können.

Vielfach wurde diskutiert: Braucht man überhaupt eine Mindestgröße? Braucht man eine Mindestgröße von 3.000, von 5.000, von 8.000 oder von 6.000? Nun, dann sage ich Ihnen, wir haben in der Kommission lange gerungen, man braucht eine Mindestgröße, und zwar aus einem einfachen Grunde, man braucht ein willkürfreies Anknüpfungskriterium für eine solche Reform und da bleibt nur eine Anknüpfung an Einwohnermindestgrößen und an Flächenmindestgrößen. Wir haben uns aber dazu entschieden, gerade mit Blick darauf, dass wir mit den 3.000 Einwohnern eine nicht sehr große Mindestgröße für Einwohner haben, muss man auch dann keine Mindestgröße für die Fläche vorhalten.

Die Frage, warum nun 3.000 die Mindestgröße ist, sage ich Ihnen, wir knüpfen hier an die bewährte Größe der Thüringer Kommunalordnung an, die sich aus unserer Sicht, aus Sicht der Kommissionsmehrheit, eben für die Masse der Thüringer Kommunen,

die 3.000 Einwohner haben und damit auch selbständig verwaltet werden, weil die sich bewährt hat. Insofern gab es für uns keinen anderen sinnvollen Anknüpfungspunkt als diese Mindestgröße von 3.000 Einwohnern. Jetzt wird von interessierter Seite eingewandt, das würde zu einer Zersplitterung der bestehenden Verwaltungsgemeinschaften führen. Meine Damen und Herren, das ist aus Sicht des Kommissionsvorschlages nicht zutreffend, weil unser Ansatz grundsätzlich ein anderer ist. Denn der Ausgangspunkt für die Kommissionsmehrheit war die Anknüpfung an bestehende Verwaltungsstrukturen, d.h. die Anknüpfung an die Verwaltungsgemeinschaft oder an die erfüllende und erfüllte Gemeinde. Das heißt, aus unserer Sicht gewinnen wir dadurch gerade mehr Leistungsfähigkeit, dass wir eben nicht komplette Verwaltungen durcheinanderwirbeln, was dazu führen würde, dass die Verwaltungen sich mehr mit sich selbst beschäftigen als mit den Interessen der Bürger, sondern dass die Verwaltung weiter ihre Arbeit machen kann, aber sich zukünftig konzentrieren kann auf das, was wichtig und notwendig ist. Insofern ist die Anknüpfung an die bestehenden Verwaltungsstrukturen aus unserer Sicht ein Riegel davor, dass die Verwaltungsgemeinschaften sich komplett zersplittern - also eine in mehrere Teile. Der andere Riegel, auf den wir uns in der Kommissionsarbeit geeinigt haben, war, selbst wenn sich Verwaltungsgemeinschaften im Einzelfall auflösen sollten, was möglich und vor Ort auch wünschbar sein kann - das weiß ich nicht -, würden wir ja immer noch darauf bestehen, dass keine zusätzliche Verwaltungsstruktur entstehen darf. Das heißt, aus unserer Sicht wollen wir leistungsfähige Verwaltungen aus denen machen, die wir jetzt vor Ort haben. Wir wollen nicht mehr Verwaltung für den Bürger, wir wollen eine leistungsfähige Verwaltung.

Warum zweierlei Ortschaftsrecht, ist eine Frage, die vor allen Dingen die PDS-Fraktion,

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: DIE LINKE.)

DIE LINKE, vielen Dank, sehr interessiert hat. Nun, aus unserer Sicht ist es nicht notwendig, ein Gesetz zu machen, wenn es eben nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen. Aus unserer Sicht haben sich gerade die Einheitsgemeinden vielfach bewährt, auch mit dem geltenden Ortschaftsrecht. Die Bürger sind vor Ort zufrieden. Deswegen ist es nicht notwendig, dass wir für all die, die jetzt zufrieden sind, ein stärkeres Ortschaftsrecht schaffen und dort im Grunde eine Zersplitterung herbeiführen, die vor Ort vielleicht gar nicht gewollt ist, sondern unserer Ansicht nach, wenn die Bürger das auch in bestehenden Einheitsgemeinden wollen, können sie auch jetzt nach geltendem Recht ihr Ortschaftsrecht gern erweitern. Aber es ist nicht notwendig, dass wir ein zusätzliches min

destgarantiertes Ortschaftsrecht vorgeben, das eher dazu führt, dass wir in den Einheitsgemeinden, die gut laufen, dann zusätzliche Probleme bekommen.

Auf der anderen Seite müssen wir auch sehen, dass die klassische Einheitsgemeinde, wie sie derzeit in der Thüringer Kommunalordnung verankert ist, für viele Gemeinden nicht attraktiv genug war, ihre Selbständigkeit aufzugeben. Gerade deswegen braucht es für diese kleinen Gemeinden, die sich vor allem im ländlichen Raum befinden, wo auch die Selbständigkeit ein hohes Gut ist, was mit Tradition und Geschichte zusammenhängt, auch mehr Gestaltungsspielraum vor Ort. Deswegen ist es notwendig, dass man zweierlei Ortschaftsrecht vorhält. Damit ist, aus meiner Sicht, die Landgemeinde eben auch eine vernünftige Antwort auf die sehr kleinteilige Siedlungsstruktur.

Was passiert mit den Beschäftigten, den Bürgermeistern, den Verwaltungsgemeinschaftsvorsitzenden und den Gemeinderäten? Aus unserer Sicht sollen die Beschäftigten in die Landgemeinde übergehen. Ähnlich gilt es auch für die Verwaltungsgemeinschaftsvorsitzenden, denn wir halten sie für sehr erfahrene Beamte. Man würde sich keinen Gefallen tun, wenn man auf ihre gute Arbeit verzichten würde.

(Beifall CDU)

Auf der anderen Seite werden aus unserer Sicht die Bürgermeister oder Verwaltungsgemeinschaftsvorsitzenden durchaus auch das Recht haben, sie können für die Bürgermeisterposition der Landgemeinde kandidieren oder können in ihrer Ortschaft weiter ihre gute Arbeit fortsetzen und damit letztlich für die positive Aufnahme von Heimat für Identität in ihrer Gemeinde sorgen.

Eine nächste Frage ist: Wofür braucht man eine Einführungsphase, warum überhaupt? Aus unserer Sicht deshalb, weil wir lieber eine Lösung vor Ort, die vor Ort von breiter Akzeptanz getragen ist, wollen als einen gesetzlichen Zwang. Wir hatten ja auch 2012 mal diskutiert, das ist insbesondere deswegen herausgenommen worden, weil der Gemeinde- und Städtebund, auch der Landkreistag sehr deutlich gesagt haben, dass 2012 aus ihrer Sicht kein zulässiges Anknüpfungskriterium ist, weil die Kommunalwahlen klassischerweise die Gemeinderatswahlen sind oder die Kreistagswahlen und deswegen wäre ein anderes Anknüpfungsdatum zu wählen. Auf der anderen Seite haben wir mit der Abschaffung, mit der Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip und - von der Mehrheit der Kommission - dem neuen Prinzip der doppelten Mehrheit eine Dynamik in den Prozess hineingebracht, die es aus unserer Sicht nicht erforderlich erscheinen lässt, derzeit ein Enddatum vorzusehen, sondern wir müssen hier einfach

Erfahrungen sammeln, wie sich das Prinzip der doppelten Mehrheit darstellt. Das heißt, die Mehrheit der Gemeinden muss auch die Mehrheit der entsprechenden Bürger, der Bevölkerung der Verwaltungsgemeinschaft darstellen, die können sich dann zusammenschließen. Die Gemeinden, die sich dem nicht anschließen wollen, sollen über die Erfüllungskonstruktion weiter verwaltet werden. Wir haben gerade mit diesem neuen Instrument im Grunde noch keine Erfahrungen, können aus meiner Sicht aber gut davon ausgehen - und das Beispiel aus dem Landkreis Schmalkalden-Meiningen zeigt uns ja sehr positiv, dass hier vor Ort sehr schnell darüber nachgedacht wird, diese Empfehlung auch tatsächlich für sich zu gebrauchen -, dass durch dieses neue Prinzip Gemeinden sich zusammenfinden zu einer Landgemeinde, wo einzelne bisher bei Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips sagen konnten, wir machen da nicht mit und damit passiert hier gar nichts. Wir können also gut davon ausgehen, dass hier zahlreiche Landgemeinden entstehen und damit eine sinnvolle gemeindliche Struktur vor Ort auch vorgehalten wird.

(Beifall CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zum Abschluss kommen. Der Gemeinde- und Städtebund hat in einer der Anhörungen einmal formuliert: „Wir fordern Sie auf als Enquetekommission dieses Landtags, ein wahlsicheres Leitbild zu präsentieren.“ Wir alle waren uns darüber im Klaren, dass das keine sehr einfache Aufgabe ist, aber aus meiner Sicht ist es gelungen, ein mit einer übergroßen Mehrheit der Kommission, was vor Monaten nicht erwartbar war, gefundenes Ergebnis hier vorzulegen, was zum einen Effizienzerwägungen natürlich Rechnung trägt, indem wir an die Verwaltungsstrukturen, an die funktionale Zusammenarbeit in den gegenwärtigen Verwaltungsgemeinschaften anknüpfen, was aber zum anderen auch dem Interesse der Bürger nicht nur an eine leistungsfähige Verwaltung Rechnung trägt, sondern auch an eine möglichst bürgernahe Verwaltung, wo die Bürger von sich aus die Entscheidungen, die sie im Ort betreffen, auch tatsächlich mit treffen können, wo sie auch mit beteiligt sind. Aus meiner Sicht, meine Damen und Herren, ist dieses Leitbild ein Leitbild für kraftvolle und leistungsfähige Kommunen, die auch in Zukunft die steigenden Erwartungen der Bürger an ihre Verwaltung und an ihre Teilhabe, diese Interessen bedienen können, indem wir an die vor Ort bestehenden Strukturen angeknüpft haben und nicht mit dem Zirkel große Einheiten geschlagen haben ohne Rücksicht auf Identität und Heimat der Bürger. Ich glaube, wir haben ein gutes Ergebnis in der Kommission, was wir Ihnen heute präsentieren können. Ich würde mich freuen, wenn die Empfehlungen Umsetzung und Zustimmung in diesem Haus finden würden.

Ich darf mich ganz herzlich bedanken bei allen Kommissionsmitgliedern, bei den Sachverständigen, der Landtagsverwaltung, insbesondere natürlich bei meinen Kollegen der CDU-Fraktion, aber auch bei den Kollegen von der SPD-Fraktion. Vielen Dank für die konstruktive Zusammenarbeit.

(Beifall CDU, SPD)

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Kuschel, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, CDU und SPD versuchen die Bildung der Landgemeinden als großen Wurf der Enquetekommission zu verkaufen. Diesen Wurf sind sie aber bis heute bedauerlicherweise schuldig geblieben. Nach jahrelanger Arbeit hat die Kommission kaum ein erkennbares Ergebnis vorzuweisen. Man könnte auch von Aktionismus oder Täuschung der Öffentlichkeit sprechen. Letzteres ist Ihnen ganz gut gelungen. Eine Zeitung schreibt heute, die für sich in Anspruch nimmt, die größte hier in Thüringen zu sein, Landgemeinden würden die Verwaltungsgemeinschaften ablösen. Das ist genau der Punkt, den Sie der Öffentlichkeit suggerieren, und genau dies ist aber verkehrt. Herr Carius, da hilft auch nicht, wenn Sie so große Worte gebrauchen wie, die Landgemeinden, das wäre die Antwort auf die Zukunft der Verwaltungsgemeinschaften. Nein, Sie etablieren mit den Landgemeinden künftig vier Rechtsinstitute auf der gemeindlichen Ebene. Neben der Einheitsgemeinde bleibt die Verwaltungsgemeinschaft bestehen, es bleibt die erfüllende Gemeinde bestehen und Sie fügen ein weiteres Rechtsinstitut hinzu, nämlich die Landgemeinden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das verwundert nicht. Herr Carius war in diesem Punkt ehrlich.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Er ist im- mer ehrlich.)

Er hat ausschließlich dieses zusätzliche Modell - in dieser Frage war er ehrlich, nur in dieser Frage.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Ehrli- cher als Sie.)

Bleiben Sie mal ganz ruhig. Sie haben also ausschließlich finanzielle Erwägungen für die Überlegungen für eine Neustrukturierung der gemeindlichen Ebene herangezogen. Wir haben einen anderen Ansatz. Für uns geht es auch um die Finanzen,

aber nicht an erster Stelle. Für uns stehen der Bürger, die Bedürfnisse des Bürgers an erster Stelle und deshalb wollen wir die Dreistufigkeit in diesem Lande schrittweise auflösen hin zur Zweistufigkeit. Deshalb wollen wir Veränderungen auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte, wollen die gemeindliche Ebene stärken. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, auch über leistungsfähigere Strukturen auf der gemeindlichen Ebene nachzudenken.

(Beifall DIE LINKE)

Herr Carius, Sie haben hier drei Vorzüge für die Landgemeinde dargestellt. Ich möchte Sie noch einmal fragen, wieso Sie das nur im Modell der Landgemeinden als einen Vorzug sehen und nicht im Modell der Einheitsgemeinden. Sie haben als Erstes ausgeführt, durch die Landgemeinden würde im Gegensatz zur Verwaltungsgemeinschaft auf der dann Landgemeindeebene eine Bündelung der Aufgaben im eigenen Wirkungskreis erfolgen. Selbstverständlich, aber das ist auch bei der Einheitsgemeinde so. Wenn Sie die Verwaltungsgemeinschaft in eine Einheitsgemeinde umwandeln, werden alle Aufgaben auf der Ebene der Einheitsgemeinde gebündelt. Das ist also kein Abgrenzungsmerkmal zur Einheitsgemeinde, sondern sagt, die Landgemeinde ist letztlich eine Einheitsgemeinde. Das ist dieses Fatale in der Diskussion, dass Sie die Landgemeinde als neues Modell verkaufen, dabei ist es maximal eine modifizierte Einheitsgemeinde mit einer etwas stärker ausgestalteten Ortschaftsverfassung. Dazu komme ich noch. Es ist also nichts Neues.

Zum Zweiten sagen Sie: Direktwahl des Bürgermeisters bei der Landgemeinde im Gegensatz zur indirekten Wahl des VG-Vorsitzenden, aber bei der Einheitsgemeinde wird der Bürgermeister schon immer direkt gewählt von allen Bürgern der Ortschaften. Also auch das ist kein Abgrenzungsmerkmal zwischen Landgemeinde und Einheitsgemeinde, sondern eher ein übereinstimmendes Merkmal. Sie wollen mehr Beteiligungsrechte vor Ort, ich unterstelle einmal, Sie nehmen Bezug auf die ausgebaute Ortschaftsverfassung, aber das können wir auch in den Einheitsgemeinden machen. Wenn Sie nämlich den Mut gehabt hätten, unsere Vorschläge der vergangenen Jahre zum Ausbau der Ortschaftsverfassung, zur Demokratisierung der Ortschaftsverfassung aufzugreifen, dann hätten wir jetzt schon eine stark ausgebaute Ortschaftsverfassung und nicht nur formale Beteiligungsrechte der Ortschaftsräte und der Ortsbürgermeister.

(Beifall DIE LINKE)

Also bei allen drei von Ihnen zitierten Kriterien, die angeblich die Landgemeinde gegenüber der Einheitsgemeinde abgrenzen können, kann ich keine

Abgrenzungskriterien erkennen, sondern - im Gegenteil - Übereinstimmungen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Sachen Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform bleibt Thüringen bedauerlicherweise das rückständigste Land in der Bundesrepublik. Dass die CDU kein Interesse daran hat, an den Reformvorschlägen hier mitzuarbeiten, das war von Anfang an klar. Die CDU-Vertreter in der Enquetekommission hatten eine Aufgabe, nämlich die Vorgabe ihres Ministerpräsidenten zu erfüllen, dass sich nichts verändert. Dieser Aufgabe sind Sie exakt nachgekommen und das Ergebnis haben wir heute. Es wird sich in diesem Land in dieser Frage nichts verändern.