Protocol of the Session on February 28, 2008

(Beifall SPD)

2009 wird ein Superwahljahr für Thüringen. Vier Wahlen stehen an. Ich will, dass wir dieses Superwahljahr zu einem Jahr der Demokratie machen. Deshalb sollten wir versuchen, die Wahlen so zu organisieren, dass sich möglichst viele Menschen an diesen Wahlen beteiligen. Mein Vorschlag wäre, Europawahlen und Kommunalwahlen zusammenzulegen, aber auch Landtagswahlen und Bundestagswahlen zusammenzulegen, denn eine hohe Wahlbeteiligung ist die beste Garantie gegen den Einzug von rechtsextremen Parteien in die Parlamente.

(Beifall SPD)

Herr Ministerpräsident, ich wäre froh, wenn wir auch in dieser Frage Einigkeit erzielen könnten, wenn wir die Thüringerinnen und Thüringer nicht viermal an die Wahlurnen schicken, sondern die vier Wahlen auf zwei Termine konzentrieren.

Demokratie lebt vom Mitmachen, haben Sie gesagt. Das sage ich auch. Aber ich frage Sie auch: Warum sträubt sich dann die CDU immer noch gegen mehr direkte Mitbestimmung in unseren Städten und Gemeinden? Wir haben das ja hier im Thüringer Landtag über ein Jahr lang diskutiert, unseren Vorschlag für bessere Bedingungen für Bürgerentscheide in Städten, Gemeinden und Kreisen. Wenn Demokratie vom Mitmachen lebt, dann müssten wir doch alles dafür tun, dass mehr Menschen sich beteiligen können, und zwar nicht nur in Parteien, Vereinen, Verbänden und bei Wahlen, sondern auch in direkten Abstimmungen. Das ist Teil einer lebendigen Demokratie und deshalb kann ich nur sagen, Sie haben diesen Teil lebendiger Demokratie bisher blockiert.

Jetzt läuft ein Volksbegehren gegen Ihre Blockadepolitik. Demokratie lebt vom Mitmachen. Wir werden dieses Volksbegehren unterstützen. Ich sage Ihnen eines: Wenn Sie Ihre eigenen Aussagen ernst nehmen, dass Demokratie vom Mitmachen lebt, geben Sie Ihre Blockadehaltung auf, machen Sie den Weg frei für bessere Bedingungen für Bürgerentscheide in unseren Städten und Gemeinden.

(Beifall SPD)

Es gibt auch einige andere Fragen, die im Thüringen-Monitor behandelt werden, bei denen wir uns nicht einig sind. Das betrifft insbesondere die Bildungs- und Familienpolitik. Herr Ministerpräsident, Sie versuchen, Ihrer Politik einen neuen Anstrich zu geben - das haben wir bei Ihrer Regierungserklärung heute gesehen -, aber unter dem Lack rostet es weiter. Daran wird auch Ihre PR-Agentur nichts ändern, die Sie gestern vorgestellt haben.

(Beifall SPD)

Die hat übrigens auch die Sächsische Landesbank begleitet, diese PR-Agentur. Deshalb kann ich nur sagen, wenn die Politik nicht stimmt, dann hilft auch der beste Anstrich nichts mehr.

(Beifall SPD)

Ich will es in aller Klarheit und Deutlichkeit sagen: Ihre Bildungs- und Familienpolitik bleibt hinter den Anforderungen einer modernen Gesellschaft meilenweit zurück. Sie haben heute das Bild einer heilen Welt gezeichnet, aber die Wirklichkeit will irgendwie nicht so recht dazu passen. Wenn Ihre Familienoffensive so toll war, wenn die so große Zustimmung gefunden hat, warum gab es dann eigentlich ein Elternvolksbegehren gegen diese Familienoffensive? Warum haben Sie denn nach dem Beschluss dieser Familienoffensive in Thüringen bei den Kommunalwahlen 2006 eine gewaltige Schlappe einstecken müssen? Ich glaube, hier stimmt Ihre Wirklichkeitswahrnehmung nicht. Ich weiß auch nicht, warum Sie hergehen und die Zahlen verbiegen. Sie sagen, bei den Kindern unter drei Jahren besuchen mehr den Kindergarten als im Durchschnitt der neuen Länder. Das ist falsch. Statistisches Bundesamt, Zahlen vom letzten Jahr: In Thüringen gehen 37,5 Prozent der Kinder unter drei Jahren in einen Kindergarten, der Durchschnitt der neuen Länder beträgt 41 Prozent, Spitzenreiter ist Sachsen-Anhalt mit 51,8 Prozent. Sie können das gern in Zweifel ziehen, ich nehme diese Zahlen zunächst einmal ernst. Gute Politik beginnt damit, dass man ausspricht, was ist. Wir haben überhaupt keinen Grund, Zahlen zu verbiegen, sondern, wenn gute Politik möglich sein soll, müssen wir uns mit der Wirklichkeit auseinandersetzen, ob sie uns nun gerade passt oder nicht. Und dazu sollte ein

solcher Thüringen-Monitor eigentlich da sein. Herr Althaus, Sie haben das Erbe von Friedrich Fröbel gelobt. Das ist gut, aber gleichzeitig haben Sie in den letzten beiden Jahren den Kindergärten mehr als 50 Mio. € gekürzt. Wie passt denn das zusammen, Herr Ministerpräsident? Die Kommunen und die Eltern mussten am Ende dafür bluten. Viele Kommunen haben enorme Anstrengungen gemacht, um das, was Sie an Mitteln gekürzt haben, irgendwie auszugleichen. Nicht überall ist das möglich gewesen und deshalb sind auch die Elternbeiträge in vielen Kindergärten deutlich gestiegen. Ich weiß nicht, wie oft Sie ins Eichsfeld kommen, Herr Ministerpräsident, da Sie ja in Erfurt auch eine wichtige Aufgabe haben. Aber wenn Sie sich die Kindergärten im Eichsfeld anschauen, da hat die Thüringer Allgemeine mal eine Auflistung gemacht, wie sich die Elternbeiträge entwickelt haben. Ich nenne nur wenige Beispiele: Berlingerode von 50 € auf 90 €, Breitenworbis von 50 € auf 80 €, Günterode von 65 € auf 85 €, Teistungen von 65 € auf 90 €. Das ist die Entwicklung, die Sie mit Ihrer Art Familienpolitik in Gang gesetzt haben, den Kommunen in die Kasse greifen und den Eltern in die Tasche greifen, die heute mehr für den Kindergarten bezahlen müssen. Ich sage Ihnen auch ganz deutlich, dass wir noch ein so gutes Kindergartenangebot verfügbar haben in Thüringen, liegt heute allein an dem großen Engagement der Kommunen, die alles getan haben, um die Kindergartenstruktur zu erhalten.

(Beifall SPD)

Und wir haben es den Eltern zu danken, die bereit sind, mehr Geld auszugeben, höhere Elternbeiträge zu bezahlen, als das in der Vergangenheit der Fall war. Deshalb schmücken Sie sich an dieser Stelle nicht mit fremden Federn, sorgen Sie, Herr Ministerpräsident, dafür, dass die Kindergärten wieder ausreichend finanziert werden und gute frühkindliche Bildung auch die Unterstützung der Landesregierung hat.

(Beifall SPD)

Ihre Familienoffensive, werte Kolleginnen und Kollegen von der Union, hat zum Personalabbau in den Kindergärten geführt, die Zahlen liegen auf dem Tisch. Aber nicht etwa, weil es weniger Kinder gibt. Die Zahl der Kinder in den Kindergärten ist leicht gestiegen, die Zahl der Kindergärtnerinnen ist deutlich gesunken. Wenn Sie sich einmal die Mühe machen, Herr Kollege, und in einen Kindergarten gehen - ich habe das getan in den letzten zwei Jahren und bin in sehr vielen Kindergärten gewesen. Sie werden immer das Gleiche zu hören bekommen von den Erzieherinnen und Erziehern: Es gibt einen guten Bildungsplan, den begrüßen wir, aber wir haben kaum ausreichende personelle Ressourcen, um die

sen guten Bildungsplan auch umzusetzen. Es macht doch keinen Sinn, die Anforderungen hochzuschrauben und das Geld zu kürzen. Wie soll denn das zusammengehen?

(Beifall SPD)

Ich will noch mal einen Satz zum Erziehungsgeld sagen: Erstens bin ich froh, dass das nicht im Bundesgesetz festgeschrieben worden ist, was die Finanzierung der Kindergärten aus Bundesmitteln regelt, sondern nur erwähnt worden ist und der nächste Bundestag die Freiheit hat, über diese Frage eigenständig zu entscheiden. Ich bin deshalb froh, Herr Ministerpräsident, weil ich überzeugt bin, dass diese Art von Erziehungsgeld, die Sie geschaffen haben, nämlich den Eltern Geld dann zu geben, wenn sie das Kind nicht in den Kindergarten geben, dass das der falsche finanzielle Anreiz für Familien ist. Sie reden da immer von Wahlfreiheit. Aber Familien, die über ein sehr geringes Einkommen verfügen, haben die dann wirklich eine Wahl, wenn sie vor die Entscheidung gestellt werden, 150 € mehr in der Familienkasse zu haben oder das Kind in den Kindergarten zu geben? Und mehr und mehr Eltern aus armen Verhältnissen entscheiden sich eben dafür, die Kinder nicht in die Kindergärten zu geben, sondern das Geld zu behalten. Das ist der falsche Weg, Herr Ministerpräsident.

(Beifall SPD)

Sie sagen ja oft, man muss damit die Erziehungsleistung honorieren. Ich finde es richtig, dass Erziehungsleistung honoriert wird. Aber es ist doch ein Irrglaube anzunehmen, dass nur die Eltern, die ihre Kinder nicht in den Kindergarten geben, eine Erziehungsleistung vollbringen. Eine Erziehungsleistung vollbringen doch auch all die vielen Eltern, die ihre Kinder in die Kindergärten geben, aber nebenbei auch eben noch arbeiten gehen, um den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen. Die bringen doch auch eine Erziehungsleistung. Sie haben doch das gleiche Anrecht auf eine finanzielle Unterstützung.

(Beifall SPD)

Also, Herr Ministerpräsident, das macht, so wie das konstruiert ist, keinen Sinn. Es setzt die falschen Anreize und es benachteiligt Kinder aus armen Familien. Wir wollen - und das haben wir deutlich gemacht, indem wir den Gesetzentwurf des Elternvolksbegehrens hier im Thüringer Landtag eingebracht haben -, dass die Kindergärten wieder besser finanziert werden, dass der Personalschlüssel verbessert wird, dass die Betreuungszeiten ausgeweitet werden. Wir wollen den Rechtsanspruch ab dem ersten Lebensjahr. Da habe ich von Ihrer Seite

Andeutungen in der Presse gehört, dass Sie sich in diese Richtung bewegen wollen, das wäre gut. Diesen Weg könnte man an der Stelle gemeinsam gehen. Wir wollen aber auch, dass schrittweise das Kindergartenangebot für die Eltern kostenfrei zur Verfügung gestellt werden kann. So wie in Deutschland irgendwann einmal die Schulgebühren abgeschafft worden sind, sollten wir auch dafür sorgen, dass Schritt für Schritt die Kindergartengebühren in Deutschland abgeschafft werden.

(Beifall SPD)

Herr Althaus, Sie haben seit Ihrem Amtsantritt fast 170 Mio. € in der Bildung gekürzt. Das ist kein Ruhmesblatt. Gestern haben Sie ein weiteres Kürzungsgesetz durch den Landtag gebracht, nämlich das Gesetz zur Lehrerbildung. Alle Experten, bis auf den Philologenverband, haben sich in der Anhörung gegen Ihren Gesetzentwurf gestellt, weil sie es falsch finden, eine Drei-Klassen-Gesellschaft von Lehrern zu schaffen, weil sie es falsch finden, die Ausbildungszeit für Grundschullehrer auf acht Semester zu begrenzen, für Regelschullehrer auf neun Semester und für Gymnasiallehrer auf zehn Semester. Das macht pädagogisch überhaupt keinen Sinn. Es ist der falsche Ansatz und das haben Ihnen alle Experten deutlich gemacht.

(Beifall SPD)

Es ist - und das ist die Wahrheit, Herr Minister Goebel - ein „Lehrerspargesetz“. Weniger Ausbildung, niedrigerer Abschluss, weil dann weniger bezahlt werden muss. Ich finde, das ist der falsche Weg. Schauen Sie in unser Nachbarland Sachsen. Die Sachsen sind einen anderen, einen besseren Weg gegangen. Die sagen, alle Lehrer sollen die gleiche Ausbildungszeit haben, egal, ob sie in der Grundschule unterrichten oder am Gymnasium. Das ist der richtige Weg. Natürlich sind die Anforderungen unterschiedlich in Grundschule und Gymnasium. Sie sind unterschiedlich, aber die Anforderungen an der Grundschule sind nicht geringer als am Gymnasium, sie setzen auch eine sehr hohe pädagogische Kompetenz voraus, weil gerade in den ersten Jahren eine individuelle Förderung hohe Bedeutung für die Entwicklung der Kinder hat. Deshalb lassen Sie uns doch dafür sorgen, dass alle Lehrer gleichermaßen gut ausgebildet werden.

(Beifall SPD)

Herr Goebel, Sie bewegen sich durch die Bildungs- und Kulturpolitik wie eine losgerissene Kanone an Bord eines Schiffes. Alles, was Ihnen in den Weg kommt, gerät in Gefahr, zertrümmert zu werden. Bei den Kindergärten haben Sie massiv gekürzt. Beim Büchergeld wollten Sie den Eltern in die Tasche

greifen und wurden am Ende nur von den Gerichten gestoppt. Die Essenzuschüsse für die Schulen haben Sie gestrichen. Bei den Schulhorten versuchen Sie jetzt, die Kommunalisierung durchzudrücken und jetzt auch noch bei der Lehrerbildung ein Spargesetz. Ich finde, wenn schon sparen, dann sollten wir uns einen solchen Minister sparen. Herr Ministerpräsident, schicken Sie ihn in den Ruhestand, bevor er noch mehr Schaden anrichtet.

(Beifall SPD)

Herr Althaus, Sie zeichnen ein rosiges Bild von der hohen Zufriedenheit mit dem Thüringer Schulsystem und Sie bemühen die Ergebnisse des Thüringen-Monitors. Wir beide wissen ganz genau, dass es sehr darauf ankommt, welche Frage man stellt und dass danach die Antwort auch ausfällt. Alternativen haben Sie z.B. überhaupt nicht abgefragt. Die Frage, ob die Kinder vielleicht länger gemeinsam lernen sollten, die haben Sie ganz absichtsvoll überhaupt nicht gestellt, sondern Sie haben sehr allgemeine Fragen zum Schulsystem gestellt, die Ihnen gute Antworten liefern, mit denen Sie jetzt weiter arbeiten können. Sie haben den ehemaligen deutschen PISA-Koordinator Prof. Prenzel zitiert und damit versucht, das heutige gegliederte Schulsystem zu rechtfertigen. Ich will ihn auch zitieren. Prof. Prenzel hat gesagt: „Uns sollten Länder wie Finnland ein Ansporn sein. Sie zeigen, zu welch erstaunlichen Leistungen auch 15-Jährige schon in der Lage sind. Die spielen in einer anderen Liga und sind ihren Altersgenossen in Deutschland um zwei Schuljahre voraus.“ Wie erreichen die das in Finnland? Mit einem gegliederten Schulsystem? Nein, mit der finnischen Gemeinschaftsschule, in der die Kinder gemeinsam lernen, in der sie gut individuell betreut werden und in der Kinder ausreichend Ganztagsangebote haben. Das ist das Erfolgsmodell. Eine solche Gemeinschaftsschule, die wollen wir hier in Thüringen auch.

(Beifall SPD)

Sie haben die Ländervergleiche angesprochen, Herr Althaus. Wir haben schon häufiger darüber diskutiert. Ich sage es Ihnen noch mal: Egal, wie Thüringen beim nächsten innerdeutschen PISA-Schaulaufen abschneidet, am Abstand zu den international erfolgreichen Bildungsländern hat sich leider wenig geändert. Das ist die Wahrheit. Vielleicht kennen Sie ja den Film „ Cool Runnings“, da gibt es den Bob Jamaika Eins. Zu Hause sind die Jungs unschlagbar, aber das nützt denen nichts. Wir müssen die internationale Spitze wieder einholen und nicht nur zu Hause unschlagbar sein, Herr Ministerpräsident.

(Beifall SPD)

Die Thüringerinnen und Thüringer haben ein gutes Gespür dafür, wie stark der Schulerfolg von Kindern von der sozialen Herkunft abhängt. Was ist Ihre Antwort auf dieses Gespür der Thüringerinnen und Thüringer vom starken Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg? Sie sagen einfach, die sehen das nicht richtig. Sie haben eine falsche Wahrnehmung der Wirklichkeit. Aber, Herr Ministerpräsident, an dieser Stelle gibt es nun wirklich zu viele Untersuchungen, um die Wirklichkeit zu ignorieren. Die Wirklichkeitsstörung liegt in dieser Frage ganz klar bei Ihnen.

(Beifall SPD)

Ich will dazu noch mal Prof. Prenzel zitieren: „Die dramatische Botschaft der ersten PISA-Studie gilt weiter. In kaum einem anderen Land bestimmt die soziale Herkunft so sehr den Schulerfolg wie in Deutschland bei im internationalen Vergleich mittelmäßiger Schülerleistung.“ Jetzt kann man differenzieren und sieht, dass das in den Bundesländern in Deutschland unterschiedlich stark ausgeprägt ist.

(Zwischenruf Prof. Dr. Goebel, Kultusmi- nister: Jetzt differenzieren.)

Ja, das ist richtig und da steht Thüringen nicht so schlecht da im Vergleich der Bundesländer. Das gestehe ich gern zu. Aber auch in Thüringen hat ein Kind aus gutem Hause bei gleicher Leistung eine dreimal so große Chance, aufs Gymnasium zu kommen wie ein Kind aus einer einfachen Familie. Das kann uns nicht befriedigen, Herr Minister Goebel. Daran müssen wir arbeiten, dass dieser Zusammenhang stärker aufgebrochen wird.

(Beifall SPD)

(Zwischenruf Prof. Dr. Goebel, Kultusmi- nister: Da sind wir uns einig.)

Prof. Hauser aus Jena hat vor Kurzem in einem Interview von einem fatalen Zusammenhang zwischen Herkunft und Zukunft auch hier in Thüringen gesprochen. Deshalb, Herr Ministerpräsident, es macht doch gar keinen Sinn, sich die Situation schönzureden und zu sagen, die Thüringer nehmen das alles nur falsch wahr - es ist so! Auch die ganz persönliche Erfahrung zeigt uns doch immer wieder, dass unsere Schule nicht ausreichend erfolgreich ist. Wenn man sich ein Kleinkind vor Augen hält, mit welcher Neugier und mit welchem Entdeckergeist es auf die Welt zugeht, offen für alles, ein richtiger kleiner Forscher. Und wenn man dann manche Jugendliche sieht, wenn sie das Schulsystem durchlaufen haben - null Bock, keine Idee für die Zukunft, nur noch rumhängen und nicht mehr aktiv sein, Neugierde weg.

Nun sage ich nicht, das liegt alles an der Schule. Vieles liegt auch in den Elternhäusern - gar keine Frage - und das macht ja auch der Thüringen-Monitor sehr deutlich. Aber wir müssen doch auch die Frage stellen, ob nicht Ursachen für solches Verhalten auch in unserem Bildungssystem zu suchen sind. Ich bin sicher, dass wir besser sein können. Natürlich werden wir nicht jedes Kind zu einem Wissenschaftler machen, das ist mir auch klar. Aber dafür zu sorgen, dass Menschen offen bleiben, dass sie neugierig bleiben auf die Welt, dass sie weiterlernen wollen ihr Leben lang, dass sie nicht aufgeben und null Bock haben - das müssen wir hinkriegen, das wäre eine Vision für Thüringen, für die es sich zu kämpfen lohnt. Dafür ist es notwendig, dass alle Kinder gleiche Chancen in diesem Bildungssystem bekommen.

(Beifall SPD)

Im internationalen Vergleich mittelmäßige Leistungen, gewaltige Abhängigkeit des Schulerfolgs von der sozialen Herkunft, das sind die drängendsten Herausforderungen für unser Bildungssystem auch hier in Thüringen. Ich frage Sie, Herr Ministerpräsident, wie wollen Sie diese drängenden Herausforderungen konkret anpacken? Ich habe davon kein Wort gehört heute. Stattdessen reden Sie von bildungspolitischer Kontinuität. Auf Deutsch ausgedrückt, heißt das einfach „Weiter so“.

Was ist wichtig für Bildungserfolg und Chancengleichheit? Wichtig ist gute frühkindliche Bildung - an dieser Stelle kürzen Sie. Wichtig ist eine gute frühe Förderung von Kindern aus sozial schwachen Familien - da setzen Sie die falschen finanziellen Anreize, die Kinder zu Hause zu lassen. Wichtig ist längeres gemeinsames Lernen, bessere individuelle Betreuung in einem neuen Schulmodell - an dieser Stelle blockieren Sie. Wichtig ist eine bessere Lehreraus- und -weiterbildung - an dieser Stelle sparen Sie. Herr Ministerpräsident, wie wollen Sie denn auf die Herausforderungen der Zukunft reagieren? Und es ist ja wahr, was Sie gesagt haben, für jeden einzelnen Menschen hängt von der Bildung immer stärker sein individueller Lebensweg ab, hängt ab, welche Jobmöglichkeiten er hat, welche Einkommensmöglichkeiten er in seinem Leben hat. Aber nicht nur das. Von der Qualität des Bildungssystems hängt heute auch Aufstieg und Fall ganzer Regionen ab. Ich will, dass wir bei den aufsteigenden Regionen in Europa sind. Das werden aber nur solche Regionen sein, die ganz vorn mitmischen können bei den internationalen Bildungsvergleichen. Deshalb müssen wir das Thüringer Bildungssystem besser machen und können nicht einfach sagen „Weiter so“.

(Beifall SPD)

Unser Gesetz für eine bessere Förderung der Kindergärten haben wir gemeinsam mit der LINKEN im Landtag eingebracht, es liegt Ihnen auf dem Tisch. Es ist jetzt an Ihnen, auf unsere Überlegungen einzugehen, Kindergärten wieder besser zu finanzieren, einen Rechtsanspruch ab dem ersten Lebensjahr zu schaffen. Aber auch unsere Vorstellungen für eine Thüringer Gemeinschaftsschule liegen auf dem Tisch. Wir wollen eine Gemeinschaftsschule nach finnischem Vorbild. Wir wollen, dass die Kinder bis zur 8. Klasse gemeinsam lernen können. Wir wollen, dass sie individuell gefördert werden, denn Kinder sind ganz unterschiedlich. Jeder, der welche hat, der weiß das doch. Ich habe drei Kinder, die sind sehr, sehr verschieden. Und die müssen, so verschieden, wie sie sind, auch in ihrem Lerneifer gefördert und begleitet werden - ja, das ist so. Sie haben die Erfahrung auch, sehe ich. Deshalb macht es doch keinen Sinn, Kinder nach unterschiedlichen Klassen zu sortieren und dann zu meinen, man habe genau gleichleistungsfähige Kinder vor sich. Nein, das ist der falsche Ansatz. Der richtige Ansatz ist zu sagen, wir haben es mit einzelnen Menschen zu tun, die sehr unterschiedlich leistungsfähig sind, die sehr unterschiedlich zu motivieren und zu fördern sind. Die kann man gemeinsam lernen lassen. Aber die muss man besser individuell betreuen. Dahin sollten wir das Schulsystem entwickeln und nicht die Kinder aufteilen.