Mit der Unterzeichnung des Lissaboner Vertrags hat ein spannendes und ereignisreiches europäisches Jahr einen glücklichen Abschluss gefunden. Anfang 2007 waren die Aussichten allerdings noch äußerst trübe. Die Europäische Union steckte nach der Ablehnung des Verfassungsvertrags in Frankreich und den Niederlanden in einer Sackgasse. Alle Räder schienen stillzustehen, niemand wusste so recht, wie aus der misslichen Lage herauszumanövrieren sei. Entsprechend groß waren auch die Erwartungen an die deutsche Ratspräsidentschaft. Am 23. Juni 2007 gelang dem Europäischen Rat dann aber mit einem von vielen kaum noch für möglich gehaltenen
Kraftakt der Durchbruch. Bundeskanzlerin Merkel hatte mit einer geschickten Verhandlungsstrategie die Entscheidung vorbereitet, die Europa aus der Lethargie riss. Ausgestattet mit dem von den Staats- und Regierungschefs formulierten Mandat nahm die Regierungskonferenz dann am 23. Juli 2007 ihre Arbeit auf und endlich war die EU wieder in Bewegung. Bedauerlicherweise war bei den Verhandlungen des Rates im Juni allerdings das Projekt „Verfassung“ auf der Strecke geblieben. Auch die europäischen Symbole wie Hymne und Flagge mussten dem Kompromiss geopfert werden. Sie finden sich immerhin in einer vom Bundesrat angeregten und von 16 Mitgliedstaaten unterzeichneten Erklärung wieder, in der sich die Unterzeichner zu diesen europäischen Symbolen bekennen. Wichtiger ist jedoch, dass das zentrale Anliegen der deutschen Länder und der Bundesregierung, die politische Substanz des Verfassungsvertrags zu erhalten, durchgesetzt werden konnte. Mit der Unterzeichnung des Vertragswerks wurde in Lissabon ein wichtiges Etappenziel erreicht.
Heute, im Januar 2008, stehen wir am Beginn der nationalen Ratifizierungsverfahren. Als erstes Land hat Ungarn den Vertrag schon am 17. Dezember 2007 ratifiziert. Die weiteren Mitgliedstaaten werden im Laufe des Jahres 2008 folgen. In Deutschland ist das Ratifizierungsverfahren eingeleitet. Die Bundesregierung hat das Gesetz zur Ratifizierung des Vertrags von Lissabon bereits beschlossen. Bundestag und Bundesrat sollen noch vor der parlamentarischen Sommerpause 2008 darüber entscheiden. Die Thüringer Landesregierung wird bei der Abstimmung im Bundesrat mit Ja stimmen und damit ein klares Bekenntnis zu Europa abgeben.
Das Ratifizierungsverfahren in Deutschland wird genauso verlaufen wie beim EU-Verfassungsvertrag. Einen Volksentscheid über den Reformvertrag kann es in Deutschland aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geben. Grundgesetzänderungen für Einzelfälle sollte es schon aus prinzipiellen Gründen nicht geben. Einen vergleichbaren Antrag der damaligen PDS für ein Referendum zum Verfassungsvertrag hat der Thüringer Landtag deshalb auch schon am 12. November 2004 abgelehnt. Irland ist voraussichtlich der einzige unter den 27 Mitgliedstaaten der EU, der ein Referendum über den Vertrag von Lissabon durchführen wird. Die Iren haben seit ihrem Beitritt im Jahr 1973 mit am meisten von ihrer Mitgliedschaft profitiert. Dank der EU-Förderung hat sich das Land hervorragend entwickelt und zählt heute zu den reichsten Regionen Europas. Es gäbe viele gute Gründe für die Iren, dem Reformvertrag und damit der Weiterentwicklung der Europäischen Union zuzustimmen. Die irischen Parlamentarier,
die gestern Thüringen besucht haben, stehen dem Vertrag positiv gegenüber und gehen auch von einem positiven Ausgang, so wie mir gestern berichtet wurde, für das Referendum aus. Am Ende des diesmal hoffentlich reibungslosen Ratifizierungsprozesses wird Europa in eine neue Phase der Integration eingetreten sein, denn der ausgehandelte Reformvertrag ist die einschneidenste institutionelle Veränderung in der jüngeren Geschichte der Europäischen Union.
Was bedeutet aber nun der Vertrag von Lissabon konkret für die europäische Rechtsordnung? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass mit dem Reformvertrag für die gesamte EU ein einheitlicher institutioneller Rahmen geschaffen worden ist. In diesem Rahmen werden die bisher getrennten drei Säulen der Union, und zwar die Europäischen Gemeinschaften, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Zusammenarbeit im Bereich der Rechts- und Innenpolitik vereinigt. Die Struktur der EU wird dadurch einfacher und klarer.
Zweitens: Die Union erhält eine eigene Rechtspersönlichkeit und wird dadurch auch nach außen handlungsfähig. Sie kann damit zum Beispiel internationale Abkommen abschließen und internationalen Organisationen beitreten.
Drittens: Die Union und ihre Mitgliedstaaten bekennen sich auch in der Präambel des Vertrags zu den gemeinsamen Werten Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit. In der Europäischen Grundrechtecharta werden diese Werte garantiert. Die Grundrechtecharta ist, anders als noch im Verfassungsvertrag vorgesehen, nicht Bestandteil des Reformvertrags geworden, sie ist aber dennoch mit Ausnahme von Großbritannien und Polen in der gesamten EU rechtsverbindlich und somit künftig bei der Verabschiedung und Umsetzung von EU-Recht zu beachten.
Das ist, meine Damen und Herren, in groben Zügen der neue Rechtsrahmen, der mit dem Vertrag von Lissabon geschaffen wird. Innerhalb dieses Rechtsrahmens, der mit dem Vertrag geschaffen wird, bewirkt der Reformvertrag weitgehende institutionelle Änderungen. Sie werden sowohl für die Beziehung zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten als auch für die europäischen Entscheidungsverfahren von entscheidender Bedeutung sein.
So regelt der Reformvertrag klar die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten. Erstmals wird auch ein Kompetenzkatalog eingeführt, der einzelne Politikbereiche der auschließlichen, der geteilten oder der sogenannten Ergänzungszuständigkeit der Union zuordnet. Zudem wird die Union verpflichtet, die regionale und lokale
Selbstverwaltung als Teil der verfassungsmäßigen Struktur der Mitgliedstaaten zu achten. Die Forderungen des Ausschusses der Regionen, aber auch der deutschen Länder haben somit ihre Wirkung nicht verfehlt. Flankiert wird die transparentere Zuständigkeitsverteilung von einer Stärkung der nationalen Parlamente. In Deutschland sind das der Bundestag und der Bundesrat. Sie erhalten neue, erweiterte Unterrichtungs- und Beteiligungsrechte und damit mehr Gewicht in der Union. Ihre Mitwirkung in der Union erhält dadurch eine neue Qualität.
Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass der Reformvertrag das Subsidiaritätsprinzip als Kriterium der Kompetenzzuweisung deutlich stärkt. So erhalten die nationalen Parlamente konkrete Rechte, um die Einhaltung dieses Prinzips wirksam zu kontrollieren. Diese Rechte hat der Europäische Rat im Juni 2007 gegenüber dem Entwurf des Verfassungsvertrags nach dem sogenannten Subsidiaritätsfrühwarnsystem sogar noch gestärkt. In Deutschland wird in diesem Verfahren neben dem Bundestag dem Bundesrat als Länderkammer eine entscheidende Bedeutung zukommen. Ihm steht wie in allen Zwei-Kammer-Systemen der Union eine der beiden den nationalen Parlamenten zugewiesenen Stimmen zu. Diese Rechte geben der Länderkammer die Möglichkeit, schwerwiegenden Eingriffen in regionale und kommunale Kompetenzen rechtzeitig entgegenzuwirken. Thüringen nimmt diese Wächterfunktion nach dem Subsidiaritätsprinzip über den Bundesrat und den Ausschuss der Regionen auch bisher schon sehr ernst. In jüngster Zeit hat zum Beispiel gerade das Grünbuch der Kommission zur Mobilität in der Stadt wieder einmal gezeigt, dass die Kommission und die Länder nicht zwangsläufig das gleiche Verständnis von Subsidiarität teilen. Ich habe in der Dezembersitzung des Bundesrates die Thüringer Position deutlich gemacht, dass Themen wie Städtemaut, Busspuren und Parkplatzbewirtschaftung nicht in die Zuständigkeit der EU fallen, sondern kommunale Angelegenheiten sind.
Die Mehrheit der Länder war mit uns dieser Auffassung. Der Bundesrat forderte deshalb auch in seiner Stellungnahme in klaren Worten die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips. Mit dem neuen Verfahren nach dem Lissaboner Vertrag wird die Bedeutung einer derartigen Subsidiaritätsrüge deutlich aufgewertet, obwohl die Landesparlamente in diesem neuen EU-Verfahren keine eigenen Befugnisse haben, wird die Thüringer Landesregierung ihre enge Zusammenarbeit mit dem Landtag auch künftig fortsetzen. Wie bisher wird die Landesregierung auch weiterhin im Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten über die verschiedensten Europathemen ausführlich informieren. Die nationalen
Parlamente, sprich Bundestag und Bundesrat, erhalten überdies die Möglichkeit, den Europäischen Gerichtshof anzurufen, wenn sie durch geltende Rechtsakte der Union das Subsidiaritätsprinzip verletzt sehen. Auch hier gilt, dass in Deutschland der Bundesrat als nationales Parlament unabhängig vom Bundestag seine Haltung vertreten kann. Diese neuen erweiterten Rechte der nationalen Parlamente werden durch die Ausweitung der Befugnisse des Europäischen Parlaments ergänzt, auf die ich gleich noch zu sprechen komme. Beides zusammen bedeutet einen deutlichen Demokratisierungsschub in der Europäischen Union. Europa wird mit dem Vertrag von Lissabon auf jeden Fall demokratischer.
Meine Damen, meine Herren, der Reformvertrag verändert aber auch die Zuständigkeit der EU-Institutionen. Das Europäische Parlament wird mit dem Reformvertrag zu einem regulären Mitgesetzgeber. Fast alle europäischen Rechtsvorschriften werden künftig gemeinsam von Parlament und Rat angenommen. Das Europäische Parlament erhält mehr Kompetenzen, verliert aber gleichzeitig Mitglieder. Statt bislang 785 Abgeordnete werden künftig nur noch 750 und ein Präsident dem Parlament angehören. Deutschland wird 96 Abgeordnete, drei weniger als in der Vergangenheit, stellen.
Der Europäische Rat wird zu einem vollwertigen Organ der Union. An seiner Spitze steht künftig ein Präsident, der für die Dauer von 2,5 Jahren gewählt wird. Die bisherige halbjährlich rotierende Präsidentschaft wird aufgegeben, um die Präsidentschaftsarbeit letztendlich zu verstetigen. Ich denke, das ist eine sinnvolle Regelung. Entscheidungen des Rates können künftig weit häufiger als bislang mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden. So werden in Zukunft 181 Politikbereiche statt bisher 137 der qualifizierten Mehrheit unterfallen. Die Frage, wie diese qualifizierte Mehrheit berechnet werden soll, war schon bei den Verhandlungen zum Verfassungsvertrag einer der umstrittensten Punkte und entzweite die Mitgliedstaaten auch bei den Beratungen über den Reformvertrag bis zum Schluss.
Der schließlich gefundene Kompromiss sieht vor, dass ab 2014 der Rat mit einer doppelten Mehrheit zu entscheiden hat. Doppelte Mehrheit bedeutet, dass mindestens 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die gleichzeitig mindestens 65 Prozent der gesamten Bevölkerung der EU repräsentieren, einem Beschluss zustimmen müssen. Bis zum Jahr 2017 gelten allerdings Übergangsbestimmungen, wonach auf Antrag eines Mitgliedstaates die qualifizierte Mehrheit nach der Regelung des Vertrags von Nizza berechnet wird. Bei der Zusammensetzung der Kommission wird die bisherige Regelung, ein Kommissionsmitglied pro Mitgliedstaat, bis 2014 beibehalten. Danach werden jeweils noch zwei Drittel der Mitgliedstaaten einen
Kommissar stellen. Ein System der gleichberechtigten Rotation soll sicherstellen, dass kein Mitgliedstaat benachteiligt wird.
Anstelle des ursprünglich vorgesehenen EU-Außenministers soll das neu geschaffene Amt des Hohen Beauftragten der Union für die Außenbeziehungen und Sicherheitspolitik die Außenpolitik der EU schlagkräftiger machen. Es vereint die bisherigen Funktionen des EU-Außenbeauftragten des Rates und des EU-Außenkommissars.
Meine Damen, meine Herren, Europa hat durch die lang andauernde Debatte über seine rechtlichen Grundlagen und seine institutionelle Gestalt zugegebenermaßen viel Zeit verloren. Europa hat in diesem Prozess aber auch viel gewonnen. Die gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden haben Europa wieder zu einem Thema in der Öffentlichkeit gemacht und die Verantwortlichen in Europa wachgerüttelt. Die Kommission, aber auch die Politiker in den Mitgliedstaaten haben erkannt, wie wichtig die Vermittlung konkreter Ergebnisse europäischer Politik für die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern ist. Dazu braucht es aber regionale Vermittlungsinstanzen, um die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich zu erreichen. Die Landesregierung stellt sich dieser Verantwortung.
So werden wir in dem kommenden Monat mit einer Vielzahl von Initiativen und Veranstaltungen die Bürgerinnen und Bürger unseres Freistaats über Inhalte und Ziele des Reformvertrages informieren. Im Rahmen der Europawoche vom 2. bis 11. Mai 2008 wird es beispielsweise zahlreiche Einzelveranstaltungen zum Vertrag von Lissabon geben. Auch in den Thüringer Schulen sollen im Rahmen des EU-Projekttages am 6. Mai den jungen EU-Bürgern die Kernbestandteile der neuen Rechtsordnung vermittelt werden. Das Europäische Informationszentrum in der Thüringer Staatskanzlei - kurz EIZ genannt - wird in seinen Aktivitäten dem Vertrag von Lissabon ebenfalls einen breiten Raum geben. Auch im Internetangebot des EIZ und der Thüringer Staatskanzlei stehen entsprechende Informationen bereit. Wir werden auch ein eigenes Faltblatt zum Reformvertrag herausgeben. Ziel ist es, auf breiter Front zu informieren, die Neuerungen bekannt zu machen und für Europa zu werben.
Dass sich intensive Öffentlichkeitsarbeit lohnt, hat die auch in dieser Hinsicht erfolgreiche deutsche Ratspräsidentschaft gezeigt. Europa war im 1. Halbjahr 2007 in aller Munde. Eine Folge, im Euro-Barometer vom Juni 2007 zeigte sich eine höchst erfreuliche Entwicklung. Das Ansehen der Europäischen Union war innerhalb eines Jahres um 10 Prozentpunkte gestiegen auf 52 Prozent. Auch die Mitgliedschaft Deutschlands in der Union wurde deutlich
positiver gesehen als noch ein Jahr zuvor. Während im Jahr 2006 nur 58 Prozent sie als eine gute Sache ansahen, waren es 2007 65 Prozent.
Meine Damen, meine Herren, diese Ergebnisse sollten Ansporn sein, wie ich denke, im Jahr der Ratifizierung des EU-Reformvertrages intensiv um das Vertrauen der Bürger in die Europäische Union zu werben. Ein spezieller Aspekt wird uns diese Aufgabe hoffentlich erleichtern. Der Freistaat Thüringen wird nämlich ab dem 2. Halbjahr 2008 bis zu den Europawahlen im Sommer 2009 den Vorsitz der Europaministerkonferenz innehaben. Ein gemeinsames Anliegen der Europaminister der Länder, der Europäischen Kommission und der Bundesregierung wird es sein, den negativen Trend bei der Wahlbeteiligung zum Europäischen Parlament umzukehren. Die Demokratie in Europa braucht die Stimmen ihrer Bürger. Auch Sie alle hier im Thüringer Landtag sollten sich dafür einsetzen, denn Europa ist nicht so fern, wie wir es glauben. Europa ist vielmehr überall und das jeden Tag, auch wenn uns das nicht ständig bewusst ist.
Meine Damen und Herren, mit dem Vertrag von Lissabon sind jedoch nicht alle großen Themen abgearbeitet, denn die Reformen der EU-Agrarpolitik, der Kohäsionspolitik und das europäische Finanzsystem stehen unmittelbar bevor. Die Landesregierung bereitet sich auf diese Herausforderung gut vor, wir reden auch künftig und werden die Interessen in Europa mit Nachdruck vertreten, zumal der Reformvertrag uns stärkere Mitwirkungsrechte über den Bundesrat bringen wird. Wir werden versuchen, sie im Rahmen unserer Möglichkeiten zu nutzen. Bitte unterstützen Sie uns dabei. Vielen Dank.
Danke für den Sofortbericht. Ich frage die Fraktionen: Wer wünscht die Aussprache zum Sofortbericht zum Antrag der Fraktion der CDU und Ziffer 1 der Linksfraktion? CDU-Fraktion, Fraktion DIE LINKE. Die SPD-Fraktion möchte keine Aussprache. Dann eröffne ich die Aussprache diesbezüglich und zugleich auch zu Ziffer 2 des Antrags der Fraktion DIE LINKE. Als erster Redner hat das Wort Abgeordneter Kubitzki, Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich möchte mich bei Ihnen, Herr Minister, erst einmal für die Berichterstattung bedanken. Allerdings muss ich an dieser Stelle auch sagen, dass wir selbstverständlich zu manchen Ausführungen eine andere Intention haben. Richtig ist, Europa braucht zu seinem Funktio
nieren einen Vertrag, der festlegt, wie das Zusammenleben der Menschen in Europa gestaltet wird. Deshalb ist das schon richtig, wenn Sie sagen, Herr Minister, dass die jetzige Stufe dieses Reformvertrags ein wichtiger Schritt für Europa ist. Aber ob es das Ergebnis ist, was sich Europa erhofft hat, was sich die Menschen in Europa erhofft haben, das ist eine andere Frage. Sie haben es dargelegt, es war ein sehr weiter Weg bis zur Unterzeichnung dieses Reformvertrags. Vorausgegangen ist dem eine handfeste Krise, eine Krise bei der Erarbeitung der ursprünglichen Absicht, nämlich der Erarbeitung eines Vertrags für eine europäische Verfassung. Und ob Europa aus dieser Krise heraus ist, ich glaube, das können wir erst feststellen, wenn der Ratifizierungsprozess abgeschlossen ist. Da sehe ich schon auf Europa und seine Menschen noch einige Probleme zukommen. Denn es ist das Problem, wie es gelingt, dass die europäischen Bürgerinnen und Bürger in diesen Prozess der Ratifizierung einbezogen werden.
Nun saß bei diesem Weg zu diesem Grundlagenvertrag zu einer ursprünglich europäischen Verfassung natürlich der Schreck bei den europäischen Eliten tief, als die französischen und niederländischen Bürger in einem Referendum den ursprünglichen Entwurf eines Verfassungsvertrags mit deutlicher Mehrheit abgelehnt haben.
Da ging es los. Da ging es aber auch los, dass man nach Ausflüchten und Gründen gesucht hat, warum das so gekommen ist. Man hat sich dann vorrangig beschränkt, die Herrschenden in Europa, wir schieben das mal auf innenpolitische Probleme in Frankreich und in den Niederlanden. Aber ich hatte das hier in dem Hohen Haus schon einmal gesagt, es hatten sich in Frankreich an diesem Referendum für diesen Verfassungsvertrag 70 Prozent der Wahlberechtigten beteiligt, ein Jahr vorher bei den Europawahlen waren es nur 42,8 Prozent. Das macht deutlich, dass sich die Franzosen mit diesem Vertragsentwurfswerk auseinandergesetzt haben. Die Franzosen als auch die Niederländer haben es abgelehnt, weil diese Völker kein neoliberales und unsoziales Europa wollten, weil sie keine Einschränkungen in ihren sozialen Rechten haben wollten und weil sie vor allem wollten, dass die Kräfte des freien Marktes in Europa nicht die Oberhand gewinnen. Das waren die Ursachen für die Ablehnung des Vertrags durch das Referendum in Frankreich und den Niederlanden. Da saß der Schreck sehr tief und es begann dann - wie sie genannt wurde - die Phase der Reflektion, die Phase des Nachdenkens. Die Bundeskanzlerin hatte es sich dann zum Ziel gesetzt, diesen Prozess wieder in Gang zu setzen. Herausgekommen ist der Reformvertrag.
Der Reformvertrag - das müssen wir eindeutig sagen - ist hinter verschlossenen Türen verhandelt worden. Die Bürger Europas sind bei diesen Verhandlungen vor der Tür geblieben und wurden dort nicht einbezogen. Das einzig Positive, was ich an dieser Stelle sagen muss, es ist ein Vertragsergebnis entstanden. Das ist aber alles. Ansonsten müssen wir sagen, gegenüber dem ursprünglichen Verfassungsvertrag ist aus Brüssel nichts Neues herausgekommen.
Sie haben selbst gesagt, die wesentlichen Elemente des ursprünglichen Verfassungsvertrags sind erhalten geblieben. Aber dann müssen wir sagen, im Wesentlichen sind das die Elemente des Neoliberalismus und der freien Marktwirtschaft und der Militarisierung Europas. Aber dazu werde ich im Einzelnen noch kommen.
Ein Hauptproblem sehe ich - um überhaupt diesen Vertragsentwurf jetzt den europäischen Bürgern erst einmal nahezubringen - schon allein in der Schwierigkeit des Lesens dieses Vertrags selber, so wie er jetzt ist. Wir hatten darüber schon im Ausschuss gesprochen, es ist ein Artikelvertrag wo dann solche Sachen drinstehen wie - Beispiel: In § 3 wurde Absatz 1 verändert und wird rübergenommen in den § 62 Abs. 2 und die nachfolgenden Paragraphen sind... Also das heißt, das ist sehr schwer verständlich zu lesen, selbst für Fachleute. Es wird Zeit, dass vor allem für dieses Vertragswerk erst mal eine Textfassung herauskommt, in der im Prinzip die Änderungen in den beiden Verträgen eingearbeitet werden, dass es verständlich ist, vor allem dass es auch für jeden Menschen verständlich ist, für jeden Bürger in Europa, das zu lesen.
Natürlich sagen wir auch als LINKE, es sind in diesem Vertragsentwurf durchaus positive Elemente enthalten, die wir auch würdigen und sagen, das ist gut so. Ich nenne nur als Beispiel die Grundrechtecharta und die gewachsenen Befugnisse für das Europäische Parlament an sich. Ich nenne natürlich auch demokratische Elemente, die in dem Vertrag enthalten sind, wie zum Beispiel auch die Möglichkeit der Bürgerbegehren bei europäischen Entscheidungen, an denen sich 1 Mio. europäische Bürger beteiligen müssen.
Aber die negativen Elemente, meine Damen und Herren, des letzten Vertragsentwurfs einer europäischen Verfassung sind auch in den neuen Vertragsentwurf mit hinübergerettet worden. Da beginne ich auch wieder bei vielen demokratischen Elementen. Wenn ich einerseits sage, die Befugnisse des Europäischen Parlaments sind gewachsen, aber das Europäische Parlament ist nach wie vor noch nicht das beschließende Organ in der EU, das ist nach wie vor der Rat. Der Europäische Rat, meine Damen und Herren, ist von den europäischen Bürgern nicht
demokratisch gewählt worden, weil die Regierungschefs - das wissen wir alle - über ihre jeweiligen Parlamente gewählt werden. Aber dass wir einen Europäischen Rat haben, über den die europäischen Bürger entscheiden, das können wir nicht sagen.
Ja, das ist der Standpunkt. Wir wollen mehr Bürgerbeteiligung, Herr Bergemann, mehr Bürgerentscheide wollen wir, nicht dass dann eine Elite fünf Jahre macht, was sie will, und das Volk bleibt außen vor.
Wahre Demokratie ist nämlich Volksbegehren. Ich weiß, meine Damen und Herren, das hatten wir schon gestern und das hatten wir heute schon. Sie scheuen die Meinung der Bürger.
Ich muss natürlich auch fortsetzen und sagen, wenn ich die Grundrechtecharta hervorhebe und die Elemente, die dort enthalten sind, auch unsere Zustimmung finden, so muss ich sagen: Traurig ist, dass die Grundrechtecharta direkt aus dem Vertragswerk herausgenommen wurde, da sie eine Anlage ist, die zwar rechtsverbindlich ist, aber trotzdem besteht die Möglichkeit, die Grundrechtecharta, wie z.B. in Großbritannien und Polen, nicht für seinen jeweiligen Bereich anzuwenden. Polen hat zwar jetzt Bereitschaft dazu signalisiert, das ist abzuwarten. Aber zumindest die Bürger von Großbritannien haben eben nicht das Recht, ihre Grundrechte einzuklagen. Ich muss natürlich auch sagen, die Grundrechtecharta hinkt der Sozialcharta, die vor Jahren schon erarbeitet wurde, hinterher. Es ist erhalten geblieben als negativ, die neoliberale Wirtschaftspolitik wird fortgesetzt. Sie ist zwar aus der Präambel herausgenommen worden und die Kräfte der freien Dienstleistungen und dergleichen mehr sind dafür trotzdem in dem Vertragstext an hinterer Stelle. Vor allem die Deregulierungswut der Kommission gerade bei Elementen der öffentlichen Daseinsvorsorge sind nach wie vor in dem Vertrag enthalten. Was besonders negativ ist, die Elemente der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, was natürlich zu Niedriglöhnen usw. führen kann. Was wir ganz scharf kritisieren und wo wir uns nie einverstanden erklären werden, meine Damen und Herren, in diesem Vertragswerk, das ist die zunehmende Militarisierung Europas, die in diesem Vertrag verankert wurde.
Erstens: Alle Europäischen Staaten werden aufgefordert, ihre Rüstung auf den neuesten Stand zu bringen, ihre Streitkräfte auszubauen und verteidigungsfähig zu gestalten. Ich frage mich, was da verteidigt werden soll?
Zweitens besteht die Möglichkeit und ist vertraglich verankert, dass ohne Zustimmung des Europäischen Parlaments zukünftig europäische Streitkräfte, vereinte Streitkräfte an Militäreinsätzen überall in der Welt teilnehmen können. Und das Rüstungsamt, was geschaffen wurde, unterstreicht die Aufrüstung Europas noch einmal. Dieses Rüstungsamt funktioniert schon, das bedarf noch nicht einmal mehr der Ratifizierung dieses Grundlagenvertrags.
Das arbeitet schon. Deswegen kritisieren wir das ja, Herr Kretschmer, weil das Aufrüstung für Europa vorsieht. Dieses Geld, was dafür verwendet wird, Herr Kretschmer, das könnte europaweit eingesetzt werden für die Klärung der sozialen Probleme, die wir in Europa haben.
Natürlich, meine Damen und Herren, zu kurz kommt auch in dem Grundlagenvertrag der Klimaschutz. Was wir kritisieren müssen, ist vor allem auch der Aufbau und der weitere Ausbau der Atomenergie. Verankert ist auch in dem Grundlagenvertrag eine aggressive Außenhandelspolitik. Wer den richtig liest, Herr Kretschmer, es ist auch wieder möglich geworden mit Hilfe dieses Vertrags, dass wir auch militärisch um Energieressourcen kämpfen können. Das lässt dieser Vertrag zu. Diese neoliberalen Elemente, meine Damen und Herren, diese Elemente der Militarisierung Europas sind Grund genug, dass wir sagen, diesen Vertragsentwurf mit diesem Text müssen wir als LINKE ablehnen. Das heißt, wir wollen ein anderes Europa. Wir wollen ein Europa der Bürger und Bürgerinnen, die dort mitbestimmen können, und wir wollen vor allem ein soziales, ein friedliches und wir wollen ein ökologisches Europa. Wir wollen kein Europa der Eliten, wir wollen ein Europa der Menschen haben.