Protocol of the Session on January 25, 2008

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, es ist 12.00 Uhr und wir beginnen mit der heutigen Plenarsitzung. Ich heiße Sie recht herzlich willkommen.

Wir sind auch im Präsidium vollständig, Herr Abgeordneter Blechschmidt. Ich habe an Ihren fragenden Augen gesehen, dass Sie die Unvollständigkeit des Präsidiums kritisierten. Wir sind also jetzt vollständig.

Ich weise darauf hin, die Rednerliste führt der Abgeordnete Worm und auf der anderen Seite hat Platz genommen Herr Abgeordneter Eckardt.

Entschuldigt haben sich für die heutige Sitzung Frau Abgeordnete Jung und Herr Minister Schliemann.

Wir beginnen heute mit dem Aufruf des Tagesordnungspunkts 6

Thüringer Gesetz zur Neuordnung der Durchführung von Wider- spruchsverfahren Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 4/3714 - ERSTE BERATUNG

Die Landesregierung wünscht das Wort zur Begründung. Herr Staatssekretär Hütte, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die Landesregierung legt heute einen weiteren Baustein zur Verwaltungsmodernisierung und Deregulierung vor. Der Gesetzentwurf hat neben redaktionellen und systematischen Anpassungen im Widerspruchsrecht insbesondere eine umfangreiche instanzielle und sachbereichspezifische Abschaffung des Widerspruchsverfahrens zum Inhalt.

Instanzielle Abschaffung bedeutet, dass in allen Fällen, in denen das Landesverwaltungsamt Ausgangsbehörde und Widerspruchsbehörde ist, das Widerspruchsverfahren abgeschafft werden soll.

Sachbereichspezifische Abschaffung des Widerspruchsverfahrens heißt, dass das Widerspruchsverfahren für bestimmte Bereiche des besonderen Verwaltungsrechts, die im Gesetz einzeln aufgezählt sind, abgeschafft werden soll, unabhängig davon, ob Ausgangsbehörde eine kreisangehörige Gemeinde,

ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt ist.

Mit diesem Gesetzentwurf soll dabei das Ziel erreicht werden, das Widerspruchsverfahren in denjenigen Bereichen abzuschaffen, in denen die Nachteile der Durchführung dieses Verfahrens, wie insbesondere die lange Verfahrensdauer zulasten des Recht Suchenden, die Vorteile deutlich überwiegen, zum Beispiel, weil eine nur geringe Erfolgsquote und eine kaum ins Gewicht fallende Befriedungswirkung im Widerspruchsverfahren zu verzeichnen sind.

Beispielhaft möchte ich hier auf nachbarrechtliche Streitigkeiten im Baurecht hinweisen. Der Grundstückseigentümer, der sich gegen einen von der unteren Bauaufsichtsbehörde genehmigten Anbau auf dem Nachbargrundstück zur Wehr setzen möchte, kann dies nunmehr direkt im Klagewege tun. Bislang musste er zunächst das Widerspruchsverfahren, welches in der Regel mehrere Monate in Anspruch nahm, durchlaufen. Gerade in nachbarrechtlichen Streitigkeiten hat jedoch das Widerspruchsverfahren nicht zu einer Streitbeilegung geführt, da der Betroffene in der Regel zur Befriedung eine richterliche Entscheidung anstrebt und nur diese akzeptiert. In diesem Fall hätte je nach Entscheidung der Widerspruchsbehörde entweder der Nachbar oder der Bauherr um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht. Das Widerspruchsverfahren stellt also in diesen Fällen eine bloße Durchlaufstation dar und bindet nur Verwaltungskapazitäten, ohne seinen Zweck zu erfüllen.

Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf kann der Bürger nun schneller und durch Wegfall der Widerspruchsgebühren mit geringerem finanziellen Aufwand eine endgültige Beilegung im Rechtsweg herbeiführen. Grundlage für die in den Gesetzentwurf aufgenommenen Sachbereiche, in denen das Widerspruchsverfahren abgeschafft werden soll, bildet zunächst eine vom Landesverwaltungsamt durchgeführte Fallanalyse für die Jahre 2000 bis 2004, aus der die Anzahl der erlassenen Ausgangsbescheide, die jeweils eingelegten Widersprüche, die aufgehobenen Ausgangsbescheide, die dann erhobenen Klagen sowie die Erfolgsquote dieser Klagen für die beim Landesverwaltungsamt durchgeführten Verwaltungsverfahren hervorgehen.

So hat diese Fallanalyse im Bereich des Immissionsschutzrechts zum Beispiel ergeben, dass die im Ausgangsbescheid vom Landesverwaltungsamt getroffene Entscheidung in der Regel auch im Widerspruchsverfahren nicht geändert wurde. In diesen Identitätsfällen, in denen das Landesverwaltungsamt gleichzeitig Ausgangs- und Widerspruchsbehörde ist, musste der Bescheidadressat zum Erreichen endgültiger Rechtsklarheit also auch bisher schon den

Klageweg zu den Verwaltungsgerichten beschreiten. Dies hing auch damit zusammen, dass der Adressat einen Widerspruchsbescheid, der von der gleichen Behörde wie der Ausgangsbescheid erlassen wurde, in der Regel - so hat die Erfahrung gezeigt - nicht akzeptiert hat.

Durch den vorliegenden Gesetzentwurf kann der Adressat des Bescheids nunmehr schneller zur Rechtsklarheit gelangen, was vor allem unter Berücksichtigung auch wirtschaftlicher Aspekte einen Vorteil darstellt. Zu denken ist hier beispielsweise an die Fallkonstellation, in der ein Anlagenbetreiber sich gegen immissionsschutzrechtliche behördliche Auflagen zur Wehr setzt, die aus seiner Sicht Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit seines Betriebes haben.

Die Fallanalyse des Landesverwaltungsamts hat weitere typische Fallgruppen aufgezeigt, in denen der Bürger in jedem Fall um gerichtlichen Rechtsschutz nachsucht und das Widerspruchsverfahren deshalb nicht zu einer Streitbeilegung führt, zum Beispiel behördliche Entscheidungen, die die wirtschaftliche oder berufliche Existenz des Bürgers betreffen. Hier zu nennen sind die Versagung der Erlaubnis zum Betreiben eines Gaststättengewerbes nach dem Gaststättengesetz oder die Untersagung der Ausübung eines Gewerbebetriebes wegen Unzuverlässigkeit nach der Gewerbeordnung.

Darüber hinaus - also neben der Fallanalyse - wurde vom Innenministerium eine Länderumfrage in Zusammenarbeit mit dem Justizministerium durchgeführt, die die Erfahrungen auch der anderen Bundesländer bei der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens zusammenführte. Unter Berücksichtigung der vom Landesverwaltungsamt erhobenen Daten sowie des Ergebnisses dieser Länderumfrage wurden in den Gesetzentwurf nur solche Sachbereiche im Hinblick auf eine Abschaffung des Widerspruchsverfahrens aufgenommen, bei denen die Ziele des Widerspruchsverfahrens nicht oder nur unzureichend erfüllt werden. Diese Ziele sind: zusätzlicher Rechtsschutz für den Widerspruchsführer, Selbstkontrolle der Verwaltung, die Befriedungsfunktion und auch die Entlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das sind die Erwartungen, die bisher auch immer mit dem Widerspruchsverfahren verbunden worden sind.

Das grundlegende Zahlenmaterial ist unmittelbar in die Begründung des Gesetzentwurfs eingeflossen. Sie können es bei der Begründung zu den einzelnen Paragraphen und Änderungen nachlesen. Damit ist dem Gesetzentwurf unmittelbar und belastbar zu entnehmen, aus welchen Gründen sich in den einzelnen Sachbereichen der Gesetzgeber für die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens entscheiden sollte.

Mit der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in den im Gesetzentwurf enthaltenen Bereichen wird zum einen der Verwaltungsaufwand durch Verzicht auf die Durchführung einer staatlich nicht notwendigen Aufgabe erheblich reduziert. Damit wird im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung ein wichtiger Beitrag zur Deregulierung und zur staatlichen Aufgabenkritik geleistet. Zum anderen werden die Verfahren beschleunigt, was den Interessen der Bürger, aber auch der Wirtschaft dient. Für die Betroffenen reduziert sich das Kostenrisiko, wenn sie ohne kostenpflichtigen Erlass eines Widerspruchbescheids unmittelbar den Klageweg beschreiten können. Zudem ist die Möglichkeit, schnell zu bestands- bzw. rechtskräftigen Bescheiden zu gelangen, insbesondere in Bereichen mit wirtschaftlichen Auswirkungen von besonderer Bedeutung und auch ein beachtlicher Standortfaktor.

Im Gegenzug zur Abschaffung des Widerspruchsverfahrens soll durch die Einführung eines sogenannten Qualitätsmanagements die Ausgangsbescheiderstellung qualitativ und verfahrensrechtlich so verbessert werden, dass die bereits zum jetzigen Zeitpunkt nur geringe Fehlerhaftigkeit der Bescheide weiter sinkt, gleichzeitig aber auch die Akzeptanz seitens des Adressaten im Verwaltungsverfahren hinsichtlich der behördlichen Entscheidung möglichst erhöht wird. Es ist deswegen vorgesehen, alle verwaltungsverfahrensrechtlichen Möglichkeiten in noch stärkerem Maße zu nutzen, unter anderem durch intensiveren Einsatz des Anhörungsrechts nach § 28 des Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetzes.

Durch die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in den Fällen, in denen das Landesverwaltungsamt Ausgangsbehörde ist, wird es dort im Übrigen zu einer dauerhaften Reduzierung des Personalaufwands kommen. Ebenso wird der Wegfall des Widerspruchsverfahrens in den im Gesetz genannten Sachbereichen zu einer spürbaren Entlastung der kommunalen Gebietskörperschaften in ihrer Eigenschaft als Widerspruchsbehörde führen.

Die im Rahmen des Anhörungsverfahrens beteiligten kommunalen Spitzenverbände haben den Gesetzentwurf grundsätzlich positiv bewertet. Im Ergebnis enthält der Gesetzentwurf durchgängig eine Entlastung sowohl der Landesverwaltung als auch der kommunalen Gebietskörperschaften.

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass in Thüringen bereits in Teilbereichen das Widerspruchsverfahren ohne nennenswerte Probleme auch bisher schon abgeschafft ist, so zum Beispiel bei Verwaltungsakten der Polizei sowie der unteren Jagd- und der Fischereibehörden. Ebenso haben zahlreiche andere Bundesländer das Widerspruchsverfahren in weiteren Bereichen abgeschafft. Neben

Bayern, das nach der Durchführung eines zunächst auf einen Regierungsbezirk beschränkten Pilotprojekts das Widerspruchsverfahren nunmehr unbefristet und weitreichend für ganz Bayern abgeschafft hat, ist beispielsweise auch in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und in Hessen das Vorverfahren in festgelegten Sachbereichen bereits entfallen. Auch an den Erfahrungen und gesetzlichen Regelungen dieser Länder hat sich die Landesregierung bei den im Gesetzentwurf enthaltenen Sachbereichen orientiert.

Der Gesetzentwurf ist auf fünf Jahre befristet, insofern - wenn man so will - ein Pilotprojekt. Nach einem Ablauf von drei Jahren ist vorgesehen, eine Evaluierung durchzuführen, um die Auswirkungen zu veranschaulichen und dann über den Fortbestand des Gesetzes aufgrund der bis dahin vorliegenden Erfahrungen zu entscheiden.

Hinsichtlich der innerhalb der Evaluierung vorgesehenen Datenerhebung sind vom Innenministerium unter Einbeziehung des kommunalen Bereiches bereits Erhebungsbögen erarbeitet worden. Diese sollen in Zusammenarbeit mit dem Landesverwaltungsamt an die kommunalen Gebietskörperschaften weitergeleitet werden, um schon jetzt die Daten für 2006 und 2007 zu erheben, die als Vergleichsgröße die Ausgangsbasis für die Evaluierung leisten sollen.

Der Gesetzentwurf sieht neben der sachbereichsspezifischen und instanziellen Abschaffung des Widerspruchsverfahrens eine Vereinheitlichung des Widerspruchsverfahrens in Hortkostenbeteiligungsverfahren durch eine Neufassung von § 12 des Thüringer Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vor. Danach soll das Landesverwaltungsamt nunmehr für alle Widersprüche, die sich gegen die Beteiligung an den Hortkosten richten, zuständig sein. Auf diese Weise wird eine bislang unbefriedigende Rechtslage beseitigt, da bislang für einen Widerspruch gegen verschiedene Teile eines Bescheids zwei Behörden zuständig waren. Zudem bestimmt der Gesetzentwurf, dass das neu errichtete Amt für Ausbildungsförderung beim Studentenwerk Thüringen auch für Widersprüche gegen von ihm erlassene Ausgangsbescheide zuständig ist. Auch dadurch werden Kompetenzen gebündelt und zusammengeführt.

Ich bin zuversichtlich, dass der Gesetzentwurf die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen und seinen Teil zur Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschafts- und nicht zuletzt auch Bürgerfreundlichkeit in Thüringen leisten wird. Wir sollten den Mut haben, wenigstens den Versuch zu wagen - das ist dieser Gesetzentwurf -, alte Zöpfe abzuschneiden und bürokratischen Ballast über Bord zu werfen.

In diesem Sinne freue ich mich auf die Ausschussberatung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU)

Ich eröffne die Aussprache und rufe für die Fraktion DIE LINKE Abgeordneten Kuschel auf.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär, wir stimmen mit Ihnen überein, dass wir hier in dem Haus des Öfteren den Mut haben sollten, Dinge in Frage zu stellen oder - um mit Ihren Worten zu sprechen - alte Zöpfe abzuschneiden. Der vorliegende Gesetzentwurf wird aber diesen Ansprüchen aus unserer Sicht nur ansatzweise gerecht.

Um zu verdeutlichen, wo wir hier die Problempunkte sehen, die wir dann sicherlich im parlamentarischen Geschäftsgang weitergehend erläutern, noch mal aus unserer Sicht zum Sinn und Zweck der Widerspruchsverfahren, also des gerichtlichen Vorverfahrens: Für uns ist das Widerspruchsverfahren eine wichtige Stufe im Rechtsstaat. Es erfolgt noch mal eine Überprüfung des Verwaltungshandelns. Es dient dem Bürger auch dazu, effektiv und kostengünstig Rechtsschutz zu erlangen. Sie haben gesagt, es käme für den Bürger zu einer Kostenentlastung. Dazu werde ich dann noch im Detail etwas sagen. Aber das Widerspruchsverfahren dient auch der Transparenz und dem Dialog zwischen Bürger und Verwaltung, weil entweder im Rahmen der Anhörung oder der Widerspruchsbearbeitung sowohl der Bürger das Verwaltungshandeln nachvollziehen kann als auch die Verwaltung selbst eine Kontrolle eigenen Handelns vorsieht, also die sogenannte Selbstkontrolle.

Wir sind davon überzeugt, allein die Existenz des Widerspruchsverfahrens beeinflusst Verwaltungshandeln. Wenn die Behörde weiß, dass der Bürger eine Entscheidung nochmals überprüfen lassen kann, hat das natürlich Folgen für das Verwaltungshandeln. Diese Selbstkontrolle ist für uns besonders wichtig. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass die Zielstellung des Gesetzentwurfs, so wie sie die Landesregierung formuliert hat, damit nicht in der ganzen Breite zu erreichen ist. Wir sprechen uns vom Grundsatz her gegen die Abschaffung der Widerspruchsverfahren in der nun vorgesehenen Art und Weise aus.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind deshalb für die Beibehaltung der Widerspruchsverfahren, weil anderenfalls die Selbstkontrolle und die Selbstkorrektur der Behörden weitestgehend ausgeschlossen wird. Es werden die Bürger gezwungen, sich sofort an die Gerichte zu wenden und damit ist - das besagen auch die Erfahrungen in Bayern - nicht damit zu rechnen, dass Gerichte entlastet, sondern

dass die Gerichte mehr belastet werden.

Meine Damen und Herren, die Abschaffung des Widerspruchverfahrens führt auch zu einer Diskussion, dass die Bürger das Gefühl haben, nach wie vor nur Adressat von Verwaltungsentscheidungen zu sein und nicht Partner von Verwaltungen. Das heißt, der ordnungspolitische Charakter der Verwaltungen wird weiter gestärkt. Die Wünsche der Bürger beziehen sich aber darauf, Verwaltungen zunehmend als partnerschaftliche Verwaltung zu verstehen und den ordnungspolitischen Charakter weiter zurückzudrängen. Verwaltung wird als zu unflexibel wahrgenommen und getroffene Entscheidungen, so hat der Bürger das Gefühl, können nicht mehr korrigiert werden. Wir sind aber auch der Überzeugung, dass durch Ihr Vorhaben, die Widerspruchsverfahren abzuschaffen, aus unserer Sicht eine zusätzliche finanzielle Hürde für den Bürger aufgebaut wird. Ich darf in dem Zusammenhang daran erinnern, dass die Mindestgebühr bei Widerspruchsverfahren, das haben wir erst vor wenigen Monaten hier im Landtag beschlossen, 30 € beträgt. Die Mindestgebühr bei Einreichung einer Klage bei den Verwaltungsgerichten ist um ein Vielfaches höher. Wir befürchten eine Selektion dahin gehend, dass zunehmend die wirtschaftliche Situation und die soziale Stellung des Bürgers eine Voraussetzung dafür ist, ob ein Bürger künftig dann noch sein Recht wahrnehmen und behördliche Entscheidungen überprüfen kann. Deshalb sagen wir, das Widerspruchsverfahren muss in dieser Art und Weise bleiben. Im Übrigen, darauf hatte ich schon mal ansatzweise verwiesen, der Wegfall des Widerspruchverfahrens kann das Handeln der Behörden erheblich beeinflussen, unter anderem wegen des Wegfalls der Selbstkontrolle.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir befürchten tatsächlich Mehrarbeit für die Gerichte. Die Erfahrungen aus Bayern, dort ist das zum 01.07. des vergangenen Jahres eingeführt worden, bestätigen das zumindest, also die Zahlen bestätigen, dass die Verfahren gestiegen sind. Das wird Konsequenzen für die Gerichte in Thüringen haben, die Verfahrensdauern werden sich weiter verlängern. Der Thüringer Innenminister hat im Juni 2007 bereits auf ein erhebliches Problem verwiesen, nämlich dass die Durchschnittsdauer der Eilverfahren in Verwaltungsgerichtsstreitigkeiten inzwischen 13 Monate beträgt und in den Hauptsacheverfahren 18,5 Monate. Der Gemeinde- und Städtebund hat in seiner Stellungnahme sogar davon gesprochen, dass sich die Verfahren in der Hauptsache bis drei Jahre hinziehen. Das kann natürlich nicht Sinn und Zweck sein. Darüber müsste nachgedacht werden, wo die Ursachen liegen. Wir befürchten aber, dass diese Situation sich weiter verschärft, wenn die Widerspruchsverfahren abgeschafft werden. Wir sind auch davon überzeugt, dass die von der Landesregierung prognostizierte

Entlastung der Behörden sowohl auf kommunaler als auch auf Landesebene nicht eintreten wird. Im Gegenteil, wir gehen davon aus, es kommt zu einer Mehrbelastung, und zwar durch die steigende Zahl der Klageverfahren. Zwar würden die Behörden nicht mehr die Widersprüche zu bearbeiten haben, aber sie müssen für die Gerichte die entsprechenden Schriftsätze fertigen. Das wird personelle, aber auch finanzielle Ressourcen binden. Ein Beitrag zur Deregulierung bzw. Verwaltungsvereinfachung oder Entledigung von Aufgaben - das kann ja ein Wunsch sein -, aber hier ist tatsächlich die Frage zu beantworten, was mehr Arbeit macht, die Bearbeitung von Widerspruchsverfahren oder letztlich die Beteiligung der Behörden in Gerichtsverfahren. Wir gehen davon aus, dass zumindest kein Automatismus darin zu sehen ist, dass durch den Wegfall der Widerspruchsverfahren die Behörden entlastet werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, an einem Beispiel will ich verdeutlichen, dass Widerspruchsverfahren durchaus ihre Wirkung entfalten können. Aus der Begründung geht beispielsweise hervor, dass im Baurecht in dem Erhebungszeitraum 2000 bis 2004 594 Widersprüche vom Landesverwaltungsamt bearbeitet wurden. Diese Entscheidungen sind nur in 27 Fällen letztlich mit Klage angefochten worden. Das heißt, mehr als 95 Prozent der offenen Fragen konnten im Widerspruchsverfahren geklärt werden. Jetzt müssen Sie sich aber einmal die Frage beantworten, bei einer so hohen Effizienz, mit der 95 Prozent der offenen Fragen im Widerspruchsverfahren abgeklärt werden konnten, weshalb Sie dann gerade in diesem Bereich beabsichtigen, ein solches Verfahren abzuschaffen.

Meine Damen und Herren, wir werden natürlich auch im parlamentarischen Geschäftsgang einfordern, dass uns die Fallzahlanalysen konkret zur Verfügung gestellt werden. Wir haben nur das Ergebnis in der Begründung und wir würden natürlich sehr gern die Zahlen auch selbst bewerten können und uns nicht ausschließlich auf die Bewertung durch die Landesregierung verlassen.

Meine Damen und Herren, Sie müssen zudem die Frage beantworten, darauf sind Sie, Herr Hütte, mehrfach eingegangen, warum denn die Bürger - oftmals im Ergebnis der Bearbeitung von Widersprüchen - kein Vertrauen in die dort getroffenen Entscheidungen der Behörden haben und sich dann an das Gericht wenden. Warum eigentlich? Auch die Frage ist zu beantworten und vielleicht hat das auch strukturelle Ursachen, auf die ich schon einmal kurz eingegangen bin mit den Stichworten „ordnungspolitische Ausprägung“ oder „partnerschaftliche Verwaltung“. Wir glauben, wenn wir dort ansetzen und ein anderes Verhältnis zu den Bürgern finden, dann wird auch das Vertrauen in Verwaltungsentscheidungen

an Akzeptanz gewinnen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung ist sich selbst nicht ganz sicher, welche Wirkung das Gesetz entfaltet, deshalb die Befristung auf fünf Jahre und die Evaluierung nach drei Jahren. Wir halten das aber für bedenklich, weil wir letztlich das Gesamtverfahren umstellen und möglicherweise nach drei oder nach fünf Jahren zum jetzigen Zustand zurückkehren. Die Bayern haben es anders gemacht, die haben in einem Bereich ein Pilotprojekt gestartet. Hier wäre die Landesregierung zu fragen - und auch das werden wir im Ausschuss thematisieren -, warum man sich in Thüringen nicht auch für ein Pilotprojekt entschieden hat, denn ein Experiment über das ganze Land hinweg und über eine Vielzahl von Sachgebieten halten wir für unangemessen. Es wird dann schwierig, im Rahmen der Evaluierung tatsächlich wieder einen völligen Paradigmenwechsel herbeizuführen.

Meine Damen und Herren, das Ziel muss sein, das Widerspruchsverfahren zu erhalten, aber nicht im jetzigen Status, sondern es weiterzuentwickeln, denn es gibt Kritik an den Widerspruchsverfahren, insbesondere an der Bearbeitung der Widersprüche. Es gibt lange Bearbeitungszeiten. Die drei Monate Regelbearbeitungszeit, die die Verwaltungsgerichtsordnung vorschreibt, ist in Thüringen die Ausnahme. Es gibt ganz selten Widerspruchsverfahren, die in dieser Dreimonatsfrist bearbeitet werden. Da kann die Landesregierung darauf verweisen, jeder Bürger hat dann das Recht, über eine Untätigkeitsklage sofort den Weg zum Gericht zu suchen, aber da bleibt diese finanzielle Gerichtskostenhürde, zumal wir auch beschlossen haben, dass in Verwaltungsgerichtsstreitigkeiten nunmehr die Vorkostenpflicht gilt.

Also, wo liegen denn die Ursachen, weshalb sind die Behörden nicht in der Lage, eine gesetzliche Vorgabe einzuhalten, in drei Monaten Widersprüche zu bearbeiten? Warum wird der Regelfall nur im Ausnahmefall eingehalten? Es gibt auch Probleme, was die Intransparenz betrifft. Verwaltung wird bei den Bürgern oftmals als geschlossener Raum wahrgenommen, der kaum zu durchdringen ist. Oftmals stellen sich auch Bürger die Frage, warum die Behörde, die letztlich den Bescheid erlassen hat, ausschließlich ohne Beteiligung Dritter die Widersprüche bearbeitet oder die Aufsichtsbehörden einbezieht, die aber bereits bei der Erstellung der Bescheide mit beteiligt waren, warum also ein geschlossener Raum der Bearbeitung erfolgt und dieser nicht durchbrochen wird. Wir wollen das Widerspruchsverfahren nicht abschaffen, sondern modernisieren, und zwar mit zwei Zielen: Stärkung der Position des Bürgers im Widerspruchsverfahren. Da hat die Landesregierung ein Angebot gemacht, was die Qualifizierung des Anhörungsverfahrens betrifft. Das nehmen wir erst einmal wohl

wollend zur Kenntnis und werden uns damit auseinandersetzen. Auch was das Qualitätsmanagement betrifft, ist durchaus für uns ein Ansatzpunkt. Aber wir wollen auch die Selbstkontrolle der Verwaltung stärken. Wir diskutieren deshalb gegenwärtig bei uns in der Fraktion ein Modell der Bildung von Widerspruchsausschüssen. Das wäre für uns ein Ansatz, um das Widerspruchsverfahren tatsächlich auf den Bürger zu orientieren und die Selbstkontrolle der Verwaltung gleichzeitig zu stärken. Darüber müssen wir weiter diskutieren, wir werden das in den Geschäftsgang des Gesetzes mit einbringen. Widerspruchsausschüsse - dort gibt es Erfahrungen beispielsweise in Hessen, damit werden wir uns auseinandersetzen. In dem Sinne schließen wir uns der Erwartung des Staatssekretärs an, der sich auf die Ausschussberatungen freut. Das ist nicht immer so. Wir werden uns auch dementsprechend darauf einstellen und mit ihm die Freude teilen. Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Baumann zu Wort gemeldet. Ich hoffe, dass dann irgendjemand noch die Ausschussüberweisung beantragt.