Protocol of the Session on October 12, 2007

Hier kriegst du eine Minimalleistung, mit der du dich an der Grenze irgendwie noch halten kannst und das war es. Es gibt keinen aktiven Staat, der eingreift, der gezielt fördert, der Chancen vermittelt. Der ist bei dem Bürgergeldkonzept nicht mehr vorgesehen. Deshalb sagen wir: Wir lehnen ein solches Konzept ab. Wir wollen lieber einen aktiven Sozialstaat, der Vorsorge betreibt, der konkret eingreift, der Hilfe gibt. Sie haben es doch selber gesagt: Armut ist nicht nur eine Frage von wenig Geld; Armut hat viele Dimensionen und an all diesen Dimensionen muss ein vorsorgender Sozialstaat versuchen anzupacken. Nur eine Geldleistung allein ist zu wenig.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir wollen mit unseren Vorschlägen die Debatte hier in Thüringen vorantreiben. Wir wollen Verantwortung übernehmen für diese Situation, da, wo die Regierungsfraktion bisher keine Bewegung zeigt. Wir laden Sie aber ein, mit uns gemeinsam darüber nachzudenken. Sie haben die Frage der Finanzierung ins Spiel gebracht. Auch uns ist klar, dass das nicht zum Nulltarif zu haben ist, dass hier Kosten entstehen. Deshalb will ich zunächst einmal sagen, ich setze hier auf eine gemeinsame Anstrengung von Bund, Ländern und Gemeinden. So wie es uns beim Ausbau von Kinderkrippen und Kindergärten gelungen ist, eine gemeinsame Aktion von Bund, Ländern und Gemeinden auf die Beine zu stellen, brauchen wir auch eine solche gemeinsame Aktion bei der Bekämpfung von Kinderarmut.

(Beifall SPD)

Es ist zu Recht gesagt worden, an vielen Stellen müssen wir gleichzeitig ansetzen. Es ist ein komplexes Problem, was einer umfangreichen und umfas

senden Antwort bedarf. Deshalb müssen Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam in die Pflicht. Lassen Sie uns darüber reden, was wir hier in Thüringen auf den Weg bringen können. Die Kosten sehen wir jetzt. Aber ich bitte Sie auch in den Blick zu nehmen, welchen Gewinn wir später daraus haben, durch bessere Bildungschancen, durch verbesserte Gesundheit, durch bessere soziale Integration. Das zahlt sich allemal für die Gesellschaft aus, wenn wir ausreichend in unsere Kinder investieren. Deshalb lassen Sie uns jetzt nicht kleinmütig sein und auf das Handeln verzichten, lassen Sie uns gemeinsam mehr für Kinder in Thüringen tun.

(Beifall SPD)

Als nächster Redner hat das Wort Abgeordneter Hausold, DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Minister Panse, Sie haben eingangs, und das sicher zu Recht, festgestellt, das Problem der...

(Zwischenruf Abg. Panse, CDU: Das ist sicher eine Verwechslung.)

Oh, ich hatte, denke ich, keinen Blick in die Zukunft.

Also, Herr Minister Zeh - Entschuldigung -, Sie hatten eingangs deutlich gemacht, die Frage der Armut bei Kindern ist keine nur finanzielle Frage. Ich stimme Ihnen natürlich insoweit ausdrücklich zu. Allerdings haben Sie dann an verschiedenen Punkten, wie auch Herr Panse aus der CDU-Fraktion, sehr wohl an den entscheidenden Punkten wieder auf die Finanzen verwiesen. Ich sage mal ganz deutlich, Kollege Matschie hat es vorhin vor mir angeschnitten, wenn Sie zum Beispiel sagen, wenn wir heute stärker finanzielle Möglichkeiten schaffen, diese Armutszustände einzugrenzen und möglichst zu überwinden, dann verbauen wir der zukünftigen Generation die Wege, bürden ihnen Schulden auf und Ähnliches. Da sage ich Ihnen ganz konkret, unsere Sicht ist eine andere. Wer Armut in diesem Sinne, insbesondere Kinderarmut, über dieses Thema reden wir, nicht heute mit eindringlichen und darunter auch finanziellen Möglichkeiten eindämmt und schließlich überwindet, der wird der Gesellschaft der Zukunft ein unzumutbares Erbe und unzumutbare Belastungen hinterlassen. Das, denke ich, sollten wir in diesen Fragen bedenken.

(Beifall DIE LINKE)

Ich will hier auch noch mal sagen, wenn die Fragen von Bildung und Arbeit stehen - und sie stehen natürlich ganz ursächlich im Zusammenhang und deshalb stehen auch die Fragen des Mindestlohnes, wie hier schon erwähnt, und all diese Dinge sehr eng im Zusammenhang damit -, dann heißt das aber auch - ich klammere hier mal die Bildungspolitik, wo ja bekannt ist, dass wir mit der Mehrheitsfraktion ganz entschiedene Meinungsverschiedenheiten haben, aus -, dass wir für den Bereich Arbeit andere Überlegungen brauchen. Es ist vorhin sehr viel von Definitionen von Armut berechtigterweise gesprochen worden. Aber, meine Damen und Herren, wir brauchen auch eine andere Definition von Arbeit. Zu glauben, dass allein Erwerbsarbeit im herkömmlichen Sinne die Einkommen der Thüringerinnen und Thüringer für die Zukunft gestalten kann und das daraus resultieren kann, wird nicht ausreichen. Nun sage ich es noch mal: Eine öffentlich geförderte Beschäftigung im vernünftigen Maße gehört deshalb dazu, wenn man darüber spricht.

(Beifall DIE LINKE)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kinderarmut - und das ist, denke ich, unbestritten - ist eines der drängendsten Probleme unserer Zeit. Das sieht ja offensichtlich die SPD ganz ähnlich, sonst hätte sie diesen Antrag logischerweise heute nicht eingebracht. Ich will hier auch sagen, wir stimmen der Analyse zu, dass eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft auch mit einer massiven Steigerung der Kinderarmut in unserer Gesellschaft einhergeht. Allerdings müssen wir auch Ursachen bewerten, wenn wir Änderungen erreichen wollen. Deshalb denke ich, diese Spaltung ist ebenso wenig vom Himmel gefallen wie die Gründe für die Zunahme der Kinderarbeit.

(Beifall DIE LINKE)

Prof. Merten, hier schon zitiert heute, hat ja konstatiert - und wir stimmen mit ihm überein -, dass die HartzIV-Gesetzgebung einer der Hauptgründe für die Zunahme der Kinderarmut ist. Ich zitiere in diesem Zusammenhang: „Insgesamt hat sich für ganz Thüringen ein Zuwachs von armen Kindern durch die Einführung der Hartz-IV-Gesetze von 162 Prozent ergeben“.

Meine Damen und Herren, das sind einfach Fakten, denen man sich stellen muss.

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen möchten wir nicht nur anhand Ihres Antrags, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPDFraktion, über die Kinderarmut reden, sondern wir möchten vielmehr über arme Kinder sprechen in einem Zusammenhang, der wirklich von den Realitäten

ausgeht, die auch aus der Gesetzgebung und besonders aus der Hartz-IV-Gesetzgebung erwächst, und weil das keine Angelegenheit allein des Landes Thüringen sein kann, zielen wir mit unserem Antrag auch auf eine Bundesratinitiative. Ein Bericht zur Entwicklung der Kinderarmut kann natürlich in keinem Falle schaden. Aber ich muss hier auch ganz deutlich sagen, unseres Erachtens liegt bereits genügend Datenmaterial vor, welches eine zum Teil erschreckende Entwicklung beleuchtet und uns, meine Damen und Herren, dazu zwingt, schnellstmöglich in diesen Bereichen tätig zu werden.

(Beifall DIE LINKE)

Bei allen landesspezifischen Maßnahmen sind wir nun wirklich nicht weit auseinander, was die SPDFraktion betrifft. Ich will auch feststellen, offensichtlich hat man dort seit dem Plenum gerade zu der Frage des Essengeldes, wo uns ja noch ganz stark Populismus vorgeworfen wurde, eine andere Position gefunden. Dass eine kostenlose Verpflegung in Kindergärten und Schulen ein wirklich wichtiger erster Schritt ist, die Auswirkungen von Armut zu reduzieren, ist ja jetzt offensichtlich auch ganz deutlich Ihre Position. Das kann ich natürlich aus meiner Sicht nur begrüßen.

Im Übrigen will ich an der Stelle noch mal auf Sie zurückkommen, Herr Minister Zeh. Sie hatten ja, was diese Frage betrifft, sofort den Einwand aufgemacht, dann würden wir auch nicht bedürftige Kinder fördern. Mal abgesehen davon, dass die Flexibilität, wie das ja heute heißt, Menschen und Familien ganz schnell in ganz unterschiedliche Situationen bringen kann, schon das allein rechtfertigt auch eine solche Finanzierung des Essengeldes für alle. Aber ich will mal noch eine andere Frage, die auch mit Armut zu tun hat, hier aufwerfen. Ist es denn nun nicht wirklich so, dass wir eine gemeinschaftliche Regelung für alle Kinder auch deshalb wollen, damit jeder, der nun sozial besonders betroffen ist, seine Würde geschützt sehen kann in diesem Zusammenhang? Das ist doch eine Frage, die wir hier mal mit bedenken sollten,

(Beifall DIE LINKE)

gerade wenn wir nicht nur über finanzielle Aspekte reden wollen. Aber ich will das auch noch mal sagen: Es ist eine Tatsache, Kinder ohne Frühstück in der Kindertagesstätte, Kinder, die vor dem Mittagessen wieder abgeholt werden, weil die Kosten zu hoch sind, zuhause dann aber auch keine ausreichende Mahlzeit erhalten, Kinder, die in der Schule nicht richtig lernen können, weil sie hungrig sind, diese Kinder können nicht die gleichen Entwicklungs- und Lebenschancen haben wie Kinder mit einer gesunden, ausgewogenen und vor allen Dingen auch ausreichenden Ernährung. Deshalb muss diese zentrale

Forderung für uns ein ganz deutliches Anliegen und ein wichtiger, aber sofortiger erster Schritt sein, hier eine Lösung herbeizuführen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich hatte von Länderspezifik gesprochen und gesagt, dass wir dort weitestgehend auch mit der SPD übereinstimmen. Aber erlauben Sie mir, doch noch mal die Frage etwas im Ganzen zu beleuchten. Kinderarmut ist nicht ein länderspezifisches Problem und wird mit Maßnahmen im Land und in den Kommunen auch nicht grundlegend allein zu bekämpfen sein. Denn natürlich macht es einen Unterschied, ob Kinder am Tag dieses warme Essen zum Beispiel bekommen oder nicht, ob Eltern sich die Schulbücher leisten können oder nicht, ob Kunst- und Kulturveranstaltungen praktisch für die Kinder möglich sind oder nicht. Das alles sind zugegebenermaßen wichtige landespolitische Maßnahmen, die unterstützen wir ausdrücklich. Aber eine Armutsschicht, die es auch vor der Einführung von Gesetzen zur Veränderung des Arbeitsmarkts in dieser Dimension nicht gegeben hat, verschwindet ja auch damit nicht einfach wieder. Wer deshalb über Armut redet, der muss auch über den Arbeitsmarkt und auch über Hartz IV und darüber reden, wie dieses wirkliche soziokulturelle Existenzminimum gerade von diesen Fragen berührt wird. Deshalb plädieren wir für eine Bundesratsinitiative.

(Beifall DIE LINKE)

Ich will hier noch mal sagen: Die Auswirkungen sind doch bekannt und wurden schon zum Teil genannt. Es ist Fakt, arme Kinder sind häufiger schlecht ernährt. Arme Kinder sind übrigens auch häufiger krank. Arme Kinder haben in der Schule wesentlich schlechtere Chancen als Kinder aus besser verdienenden oder wohlhabenden Familien. Arme Kinder erfahren weniger Unterstützung in der Gesellschaft, sie haben aber auch weniger Beziehungen, und es fällt ihnen schwerer, ein stabiles Selbstbewusstsein aufzubauen, das ist gerade wichtig in unserer Gesellschaft. Kinder in armen Familien können mitunter auch aufgrund der Lage der Eltern - das ist natürlich ein Zusammenhang - gerade nicht so stark mitunter auf emotionale Unterstützung rechnen. Sie sind auch, das belegen Werte, häufiger davon betroffen, dass familiäre Strukturen zusammenbrechen, dass sie in wechselnden familiären Beziehungen leben müssen oder letztendlich nur von einem Elternteil erzogen und betreut werden. Das hat alles nichts damit zu tun - und da unterstütze ich das, was gesagt wurde -, dass Armut oder geringes Einkommen per se zu solchen Zuständen führt, aber es wird viel häufiger in Familien mit diesen Armutsverhältnissen auftreten und deshalb müssen wir uns damit auseinandersetzen und Veränderungen schaffen in diesen Bereichen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch einmal zum Abschluss hier konstatieren, wir stimmen überein mit der Wissenschaftlerin Gerda Holz, die festgestellt hatte, ich zitiere: „Aufwachsen in Armut hat lebenslange Folgen, die ohne Erhöhung der finanziellen Aufwendungen des Staates nicht aufgefangen werden. Es müssen die elterlichen Ressourcen gestärkt, aber auch die institutionellen Rahmenbedingungen verbessert und das Bewusstsein aller, die für das Aufwachsen von Kindern mit verantwortlich sind, gefördert werden." Ich glaube, nur in diesem Dreiklang können wir uns der Aufgabe mit Erfolg nähern und in diesem Sinne will ich auch noch einmal trotz aller Kontroverse sagen, müsste es an und für sich möglich sein, dass wir gemeinsam als Fraktionen dieses Hauses entsprechende Schritte einleiten können. Deshalb - das muss ich auch so deutlich sagen - empfinde ich Ihre wieder sehr prinzipielle Ablehnung, meine Damen und Herren aus der Mehrheitsfraktion, einfach fehl am Platze.

(Beifall DIE LINKE)

Es hat sich zu Wort gemeldet Abgeordneter Emde, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich würde gleich zu Beginn einmal auch nach dem parlamentarischen Abend mit dem Landessportbund zu einer Äußerung von Herrn Matschie sagen, dass die Sportvereine Kinder, die aus nicht so gut verdienenden Elternhäusern kommen, nicht aufnehmen würden.

Herr Matschie, ich bilde mir ein,

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Das habe ich nicht gesagt, Herr Emde, das stimmt nicht.)

- na ja, Sie haben ja wehklagend gesagt, dass diese Kinder aus Familien, die nicht über so viel Geld verfügen, den Weg in den Sportverein nicht finden. Ich will Ihnen das ganz klar sagen und, ich glaube, ich kenne mich in vielen Sportvereinen in Thüringen aus, dass die Sportvereine immer sehr großzügig sind, wenn es darum geht, Kindern, die vielleicht über nicht so viel Geld oder die Eltern nicht über so viel Geld verfügen, in ihre Reihen aufzunehmen. Ich kann das von meinem eigenen Verein sagen und von vielen anderen Vereinen auch. Insofern halte ich das für eine nicht angebrachte Äußerung.

(Zwischenruf Abg. Taubert, SPD: Das ist doch andersherum, Herr Emde.)

Zu Herrn Hausold will ich eingangs nur sagen, Herr Hausold, ich glaube, Sie haben immer noch nicht realisiert, dass die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik á la Honecker eben nun mal ins Abseits führt

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, DIE LINKE: Und Sie kennen die Realitä- ten nicht.)

und Ihre Bemerkungen kann ich einfach nicht anders deuten.

Herr Matschie, Sie haben uns vorgeworfen, dass wir eine Politik des Abwartens und der Stagnation usw. betreiben würden. Ich kann Ihnen aber nur sagen, in Thüringen gibt es mehr Ganztagsangebote als anderswo in Deutschland. Wir sind beim Abschnitt mit den schulischen Leistungen eben immer vornan in Deutschland. Es wurde uns erst wieder nachgewiesen, dass gerade wir in Thüringen besonders stark Familienleistungen erbringen. Sie reden hier über die mangelnde Bildungsbeteiligung von Kindern aus sozial schwachen Familien, Sie müssen aber auch dazusagen, es ist eben in Thüringen nicht so gravierend wie in anderen deutschen Bundesländern ist, sondern wir sind dort wirklich richtig gut und das sollten Sie demnächst auch entsprechend hier so äußern, wenn Sie bei Wahrheit und Klarheit bleiben wollen.

Ich habe eher den Eindruck, dass die SPD meint, dass sie aus dem Stimmungstief, in dem sie sich gerade befindet, herauskommt, indem sie besonders populäre linke Themen bedient, und nichts anderes scheint mir das mit diesem plötzlich neu entdeckten Thema der Kinderarmut zu sein.

(Zwischenruf Abg. Buse, DIE LINKE: Das ist geistiger Dünnschiss!)

Gibt es für so etwas auch einen Ordnungsruf?

Das entscheide ich. Wenn Sie jetzt einen kleinen Moment Geduld haben, erteile ich Herrn Abgeordneten Buse einen Ordnungsruf für den Zwischenruf. Jetzt haben Sie wieder das Wort, Herr Abgeordneter Emde.

Sehen Sie, das hat dann auch etwas mit Bildung und Umgang

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Was hat er denn gesagt?)

Das möchte ich nicht unbedingt wiederholen.

und Vorbildwirkung zu tun, wie sich Abgeordnete in diesem Hause äußern.