Protocol of the Session on November 12, 2004

denn die Landesparlamente sind die Verlierer der bisherigen föderalistischen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. Das merken wir auch bei den Dingen, über die wir noch zu bestimmen haben. Gerade deshalb haben wir Landesparlamente, und da sind wir gefragt, ein existenzielles Interesse daran, dass diese Reform gelingt. Ich bedauere, das muss ich sagen, dass die Landtage in der Bundesstaatskommission nur als beratende und nicht als ordentliche Mitglieder vertreten sind. Deshalb ist es gut, dass wir heute im Landtag darüber eine Debatte führen, eine Debatte über die allgemeine Lage des deutschen Bundesstaats und seines aktuellen Reformbedarfs. Wir brauchen eine grundlegende Reform der bundesstaatlichen Ordnung. Wir brauchen Revitalisierung des Föderalismus, damit die parlamentarische Demokratie gestärkt wird, und das heißt die Entflechtung der politischen Entscheidungen und damit mehr Transparenz und Bürgernähe.

Lassen Sie mich zur Diagnose des gegenwärtigen Zustands etwas sagen: Die Fehlentwicklungen im Laufe von 50 Jahren bundesstaatlicher Entwicklung betreffen nahezu alle Felder. Die wichtigsten sind die Kompetenzabgrenzungen zwischen Bund und Ländern bei der Gesetzgebung, die Finanzverfassung, die Mischverwaltung und Mischfinanzierung zwischen Bund und Ländern und insbesondere einige der Gemeinschaftsaufgaben. Es ist die Zahl der zustimmungsbedürftigen Gesetze im Bundesrat und die Kompetenzverzahnung zwischen Bund und Ländern bei der nationalen Vorbereitung von EU-Recht und dessen Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland.

Ich kann nicht auf alle diese Themen eingehen, aber ich will mich schwerpunktmäßig mit dem Thema befassen, das insbesondere für die Landtage von zentraler Bedeutung ist, die Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern im Bereich der Gesetzgebung. Das ist im Übrigen auch derjenige Bereich, für den Thüringen in der Landtagspräsidentenkonferenz die Federführung hat. Unter maßgeblicher Vorarbeit meiner Vorgängerin, der ehemaligen Landtagspräsidentin Frau Lieberknecht, wurde von der Landtagspräsidentenkonferenz ein umfassendes, in sich geschlossenes Konzept zur Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen in die Bundesstaatskommission eingebracht. Ich möchte betonen, dass das übrigens das einzige dieser Art war, das in einer Gesamtheit die Problematik bearbeitet hat. Das betont noch mal das große Interesse, das wir gerade hier in Thüringen an dem Erfolg der Reform haben.

Deshalb möchte ich auch die heutige Debatte dazu nutzen, weiterführende Vorschläge zur Diskussion zu stellen. Oberstes, übergreifendes Ziel der Bundesstaatsreform muss es sein, die bundesstaatlichen Politikverflechtungen zwischen Bund und Ländern

nachhaltig zu reduzieren und somit klare Verantwortlichkeiten zwischen den Entscheidungsebenen zu schaffen. Das ist dringend notwendig. Das ist nicht nur notwendig aus Gründen einer effizienteren staatlichen Aufgabenerfüllung, sondern gerade auch wegen der effektiveren Teilhabe der Bürger. Denn nur wenn die Entscheidungsverfahren auf Regierungsund Parlamentsebene transparent, verständlich und zurechenbar sind, nur dann hat der Bürger eine echte Chance auf demokratische Teilhabe, insbesondere auch bei den Wahlen. Über diese Grundpositionen sollte hier im Thüringer Landtag und darüber hinaus zwischen allen Akteuren der Föderalismusreform Einigkeit bestehen. Da weiß ich, dass wir uns einig sind mit der Landesregierung, die uns in dieser Kommission vertritt. Es tun sich allerdings Differenzen dann auf, und das muss ich jetzt auch sagen, wenn Sie mal die Arbeit der Bundesstaatskommission verfolgen, wenn solche Grundsätze im Detail konkret und konsequent umgesetzt werden sollen.

Deshalb möchte ich Folgendes zur Verteilung der Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern sagen: Die geradezu zwingende Notwendigkeit zu grundlegenden Reformen in diesem Bereich ergibt sich aus der unbestreitbaren Erkenntnis, dass ein jahrzehntelanger Prozess der gesetzgeberischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland zu einer massiven Verlagerung von Gesetzgebungskompetenzen von den Ländern auf den Bund und zu einem Exekutivföderalismus zulasten der Landesparlamente geführt hat. Der Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung wurde in Artikel 74 Grundgesetz und über Artikel 74 a Grundgesetz in ca. 20 konkreten Einzelfällen ständig ausgeweitet. Noch gravierendere Folgen zulasten der Länder hatte die Praxis des Bundes, die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz dann nahezu vollständig auszuschöpfen. Sie verdiente zumindest bis zur Änderung von Artikel 72 Abs. 2 Grundgesetz im Rahmen der Verfassungsreform von 1994 ihren Namen nicht. Es gab überhaupt keine echte Konkurrenz zwischen Bund und Ländern. Der Bund hatte vielmehr ein verfassungsrechtlich kaum begrenztes Zugriffsrecht auf alle Materien der konkurrierenden Gesetzgebung. Dieses Zugriffsrecht war zudem kaum justiziabel. Die Voraussetzungen für den Zugriff des Bundes wurden bei der Verfassungsreform 1994 in Artikel 72 Abs. 2 Grundgesetz verschärft und für eine verfassungsgerichtliche Überprüfung justiziabler gefasst. Das war also der erste Schritt in die richtige Richtung.

Die auf dieser Verfassungsänderung fußenden Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Altenpflege, zum Ladenschluss und zum Hochschulrahmengesetz stärken dementsprechend den gesetzgeberischen Spielraum der Länder, indem sie die Voraussetzungen für eine bundesrechtliche Regelung nach Artikel 72 Abs. 2 Grundgesetz mit - erfreulich, muss

man sagen - einer sehr stringenten Argumentation begrenzten.

Eine ähnlich unitarische Entwicklung gibt es bei der Rahmengesetzgebung: Sie ist alles andere als eine echte Rahmen- oder Grundsatzgesetzgebung des Bundes. Sie belässt den Ländern in der Praxis nur wenig substanziellen politischen Gestaltungsspielraum und legt zu viele Details fest. Ich denke mal nur an die Diskussion um die Juniorprofessur, die wir in der letzten Zeit geführt haben. Der Bund konnte bis zur Verfassungsreform 1994 nach Artikel 75 Grundgesetz - alte Fassung - auch unmittelbare und bis ins Detail gehende Regelungen erlassen und das hat er auch ausgiebig getan. Der Verfassungsgeber konnte sich dennoch 1994 nicht dazu entschließen, diese Möglichkeiten gänzlich zu unterbinden. Immerhin wurde die Kompetenz des Bundes zu in Einzelheiten gehenden oder unmittelbar geltenden Regelungen auf Ausnahmefälle begrenzt, die leider nicht näher spezifiziert werden.

Bei der Rahmengesetzgebung gibt es insbesondere im Umweltbereich geradezu einen exponentiellen Zuwachs der Verflechtungen zu beklagen. Die EU erlässt Richtlinien, der Bund erlässt Rahmengesetze und die Länder müssen diesen zweifach vorgegebenen Rahmen ausfüllen. Das Ergebnis ist eine dreistufige Gesetzgebung, die kaum noch jemand durchschaut und für die Verantwortlichkeiten kaum noch zurechenbar sind. Das heißt, der Bereich der Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern muss neu strukturiert werden. Im Moment scheint ja über die Abschaffung der Rahmengesetzgebung weit gehend Einigkeit zu herrschen und ich stimme dem ausdrücklich zu, dass das in der Bundesstaatskommission vorangetrieben wird.

Jetzt kommen wir zur konkurrierenden Gesetzgebung: Hier muss es vorrangig darum gehen, deren Materien zwischen Bund und Ländern neu aufzuteilen und sie jeweils dem Bund oder den Ländern zur ausschließlichen Wahrnehmung zu übertragen. Hinsichtlich der auf die Länder zu verlagernden Materien verweise ich hier noch mal auf die unter Federführung von Thüringen erarbeiteten Vorschläge der Landtagspräsidentenkonferenz, die Ihnen in der Drucksache des Thüringer Landtags 3/4240 vom 7. Juni 2004 vorliegen. Dieser Katalog ließe sich im Hinblick auf die neueste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Erforderlichkeitsklausel in Artikel 72 Abs. 2 Grundgesetz noch deutlich erweitern, denn mit dieser Rechtsprechung hat der Bund in der Diskussion um die Neuaufteilung der Gesetzgebungskompetenzen die strikte Beweislast für die Notwendigkeit bundesweiter Regelungen festgestellt. Die Kompetenzkategorie der konkurrierenden Gesetzgebung sollte nur dann erhalten bleiben, wenn die vorrangig wünschenswerte Aufteilung der Gesetz

gebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern sachlich nicht vertretbar oder politisch nicht durchsetzbar ist. In der Bundesstaatskommission scheint man derzeit die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz durch das Modell einer so genannten Zugriffs- oder Vorranggesetzgebung der Länder ergänzen zu wollen. Zumindest sieht man darin die Kompromisslösung. Bei diesem Modell handelt es sich also um eine Art umgekehrte konkurrierende Gesetzgebung. Die Länder können einzelne noch festzulegende Materien aus der konkurrierenden Gesetzgebung ganz oder teilweise an sich ziehen und eigenverantwortlich gesetzlich regeln. Dieses Zugriffsmodell wird von der Bundesregierung abgelehnt. Ich muss sagen, ich habe durchaus Verständnis dafür, dass die Bundesregierung das ablehnt. Es gibt Bedenken, die diesen Kompromiss fraglich erscheinen lassen. Denn dann führt die Zugriffsgesetzgebung zu einem unsystematischen Nebeneinander von bundes- und von landesrechtlichen Gesetzgebungsfragmenten. Wir erhalten zwischen großen und kleinen Ländern einen Föderalismus zweier Geschwindigkeiten. Wenn es keine Notwendigkeit für eine bundeseinheitliche Regelung gibt, dann brauchen die Länder kein Zugriffsrecht, dann kann ihnen die Materie zur ausschließlichen Wahrnehmung einfach zugewiesen werden. Schließlich stellt sich die Frage, ob das Zugriffsmodell im Hinblick auf die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 72 Abs. 2 Grundgesetz aus dieser Sicht überhaupt noch nötig ist. Diese Rechtsprechung stärkt auch die Verhandlungsposition der Länderseite und somit der Länder ganz erheblich.

Aufgrund dieser veränderten Ausgangslage, die sich jetzt ergeben hat, schlage ich folgenden Kompromiss vor: Da der Bund aufgrund der neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Erforderlichkeitsklausel des Artikels 72 Abs. 2 Grundgesetz künftig nur noch ein sehr begrenztes Zugriffsrecht auf die Materien der konkurrierenden Gesetzgebung besitzt, sollte er einer grundlegenden Neuaufteilung dieser Gesetzgebungsmaterie zugunsten der Länder zustimmen. Ein verbleibender Rest der konkurrierenden Gesetzgebung, der wahrscheinlich gar nicht groß ist, auf den könnte der Bund dann allerdings ein erleichtertes Zugriffsrecht nach Artikel 72 Abs. 2 Grundgesetz haben. Dieser Kompromissvorschlag enthält eindeutige Kompetenzzuweisungen, die wir fordern und die notwendig sind, und er gestattet dem Bund ein erleichtertes Zugriffsrecht auf die konkurrierende Gesetzgebung, so dass dort ungefähr eine Balance zwischen Ländern und Bund hergestellt werden kann. So ließe sich auch der von Bundesseite und maßgeblichen Stimmen aus der Wissenschaft beschworenen Gefahr begegnen, dass die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu einer unerwünschten Versteinerung der Kompetenzverteilung führen könnte. Aufgrund meines Kompro

missvorschlags würden beide Seiten gewinnen, der Bund und die Länder. Ich werde deshalb diesen Vorschlag auch den Mitgliedern der Bundesstaatskommission zur Kenntnis geben.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, einen großen Zankapfel zwischen Bund und Ländern stellen auch die Gemeinschaftsaufgaben dar. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass Gemeinschaftsaufgaben den von mir bereits genannten Prämissen einer Bundesstaatsreform widersprechen: dem Gebot einer Aufgabenentflechtung und Aufgabentrennung sowie dem Gebot klarer Verantwortlichkeiten. Deshalb habe ich auch große Sympathie für die Reduzierung der Gemeinschaftsaufgabe, aber ich habe große Vorbehalte gegenüber ihrer vollständigen Abschaffung. Insbesondere plädiere ich dafür, die überregionale Forschung weiterhin in einem Verbund von Bund und Ländern gemeinsam zu fördern. Ob das unverändert in der bisherigen Form der Gemeinschaftsaufgaben geschehen sollte, ist für mich nicht der entscheidende Punkt. Über die Etikettierung streite ich nicht. Mir geht es um die Sache und ich glaube, hier sind wir in der Bundesstaatskommission schon gut vorangekommen. Dies spricht dafür, einen institutionellen Bund-Länder-Verbund zu gründen und unter diesem die Forschung weiterzuführen. Denn die Forderung dann auch nach einem Bund-Länder-Verbund hindert durchaus nicht, die bisherigen Koordinierungsverfahren zu verschlanken, zu effektivieren und flexibler zu gestalten. Man könnte auch, so wie es derzeit diskutiert wird, die Forschungseinrichtungen noch einmal daraufhin überprüfen, ob sie ausnahmslos wirklich überregionale Bedeutung haben. Aber nachdem wir diese Forschungseinrichtungen so intensiv evaluiert haben, bin ich der Auffassung, dass man die jetzige Aufteilung der Forschungseinrichtungen übernehmen und fortführen sollte.

(Beifall Abg. Schwäblein, CDU)

Meine Damen und Herren, denn viele Forschungsaufgaben erfordern den Einsatz von so erheblichen personellen und finanziellen Ressourcen, dass die Möglichkeiten einzelner Länder damit überfordert sind. Das gilt nicht nur für finanzielle Kapazitäten, das gilt auch für die personelle Kapazität. Wir wollen und wir müssen international wahrgenommen werden und deshalb muss unser Forschungsstandort Deutschland unter internationalen, unter europäischen Gesichtspunkten gestaltet werden und deshalb ist die Erhaltung dieser Gemeinschaftsaufgabe für unser Land von dringender Bedeutung. Wir brauchen natürlich Abstimmung zwischen Bund und Ländern, wenn es um Details geht, wenn es um direkte Forschungseinrichtungen geht, aber wir brauchen die Gesamtverantwortung, die in der gemeinsamen Forschungsförderung zum Ausdruck kommt. Es ist für mich auch wichtig, noch mal darauf hinzuwei

sen, und das ist auch ein Gebot der Wirtschaftlichkeit, Investitionen in hohen Größenordnungen zwischen Bund und Ländern abzustimmen. Einmal um unwirtschaftliche Überkapazitäten zu verhindern, aber wir brauchen zwischenstaatliche Synergieeffekte, die wir auch mit vergleichbaren Standards erfüllen können. Es ist ganz wesentlich, dass wir in der gesamtdeutschen Wissenschaftslandschaft den internationalen Standards genügen können. Das heißt, diese Erwägungen sprechen auch für eine Kooperation beim Hochschulbau. Er muss nicht im Rahmengesetz geregelt werden, aber es ist wichtig, dass es Abstimmungen zwischen Bund und Ländern gibt, um eben die Hochschullandschaft auch international vergleichbaren Standards entsprechend aufbauen zu können. Überlegungen des Bundes, der zumindest die außeruniversitäre Forschungsförderung in die ausschließliche Bundeskompetenz überführen wollte, das möchte ich noch mal hier betonen, muss man entschieden widersprechen. Zwei wesentliche Gründe gibt es dafür: Deutschland soll aus struktur- und regionalpolitischen Gründen weithin eine regional breit gefächerte Forschungslandschaft besitzen. Das Ziel ist eben bei einer Beteiligung der Länder besser gesichert, als wenn allein der Bund die Entscheidung trifft, wo eine Forschungseinrichtung ihren Sitz hat, wenn allein der Bund seine Gesichtspunkte bei der Förderung einbringen kann. Es ist wichtig, dass von den Ländern her entsprechende Impulse kommen. Nur auf diese Weise können wir die Grundlagenforschung flächendeckend fördern. Für die Wissenschaft ist es insbesondere gut, die immer wieder die Forschungsfreiheit als einen wesentlichen Punkt hervorhebt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, lassen Sie mich zum Schluss noch den europäischen Aspekt unserer nationalen Bundesstaatsdebatte ansprechen. Wenn die Rechtsetzungs- und Finanzkompetenzen in wesentlichen Bereichen auf die EU verlagert sind oder weiterhin dahin abwandern, dann brauchen wir, zugespitzt, bei uns in Deutschland keine Föderalismusreform mehr. Dann gibt es keine wesentlichen nationalen Kompetenzen mehr, die zwischen Bund und Ländern verteilt und von den Landtagen wahrgenommen werden können. Diese Gefahr einer weiteren Europäisierung des nationalen politischen Gestaltungsraums besteht durchaus, auszuschließen ist sie nicht. Aber wir sind der Auffassung, dass man auch dort entsprechend wirksam werden muss, dass die Gesetzgebungskompetenzen zwischen Ländern und EU neu geregelt werden. Im Gipfeltreffen in Nizza und in Laaken bestand daher durchaus Einvernehmen, dass die Kompetenzverteilung am Maßstab des Subsidiaritätsprinzips zugunsten der Mitgliedstaaten neu und mit der erforderlichen Klarheit zu ordnen sei. Was ist in dem Vertragsentwurf, der uns jetzt vorliegt, von diesen zentralen Forderungen übrig geblieben? Der Vertragsent

wurf sieht bedauerlicherweise keine Rückverlagerung von EU-Kompetenzen auf die Mitgliedstaaten vor. Im Gegenteil, die Kompetenzausstattung der EU einschließlich Förderprogramme soll nicht nur festgeschrieben, sondern deutlich erweitert werden. Unsere nationale Bundesstaatsreform muss daher Hand in Hand mit einer nachhaltigen Föderalisierung der EU gehen. Wir müssen von der EU Kompetenzen zurückverlagern und die Kompetenzabgrenzung am Maßstab des Subsidiaritätsprinzips klarer und eindeutiger vornehmen. Schließlich müssen die Mischfinanzierungen in Deutschland zurückgeführt werden.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich bin wirklich ein glühender Verfechter der Europäischen Gemeinschaft und lege sehr viel Wert darauf, dass die EU nicht nur ein wirtschaftlicher Interessenverbund, sondern eine organisch gewachsene kulturelle, historische, wissenschaftliche Rechts- und Wirtschaftsgemeinschaft ist. Wichtig ist jedoch die Möglichkeit des eigenständigen Agierens im Verbund das kennen wir aus unserem föderalen Gefüge und die notwendigen und möglichen Abstimmungen müssen geführt werden. Deshalb muss meiner Meinung nach auch in unserer europäischen Debatte das Subsidiaritätsprinzip neue Beachtung finden. Das gilt für die EU wie für die Bundesrepublik.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen sie mich zum Schluss noch mal zusammenfassen: Ein guter Staat verlangt differenzierte Strukturen, die sich am Subsidiaritätsprinzip orientieren. In einem so gegliederten Staatswesen kommt gerade den Ländern und ihren Parlamenten eine ganz wesentliche demokratische Repräsentationsfunktion zu. Bricht diese Ebene weg und entfernt sich damit Politik immer weiter aus der demokratischen Einflusssphäre der Bürger, dann geht für die Menschen in diesem Staat mit jeder weiteren Zentralisierung und Anonymisierung der Politik letztlich auch ein bedeutsames Stück ihrer eigenen Würde, Freiheit und Verantwortung verloren. Das will niemand, das wollen wir in keiner Weise und daher mein entschiedenes Plädoyer für eine Revitalisierung des Föderalismus in Deutschland. Die Kompetenzabgrenzung in der konkurrierenden Gesetzgebung wäre ein erster Schritt in diese Richtung. Vielen Dank.

Als nächster Redner hat das Wort Abgeordneter Blechschmidt, PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Bericht der Landesregierung von Staatssekretär Scherer und natürlich auch die Aussagen des Kollegen Matschie machen eigentlich deutlich, dass scheinbar

der in letzter Zeit in der Öffentlichkeit und in der Presse kundgetane Stand über die Arbeit der Bundesstaatskommission wohl doch nicht so stimmt. Denn ich habe gehört, wir arbeiten intensiv seitens der Landesregierung, und die Bundesregierung ist auch nicht tatenlos. Dann verstehe ich an und für sich die Debatte, die um die Bundesstaatskommission ist, hier nicht. Deshalb will ich unsererseits unsere Bedenken oder zumindestens Eindrücke, die momentan ablaufen in diesem Land, kundtun.

Lange Zeit - und es ist immer noch so - scheint es so, dass dieser - ich bleibe bei dem Sprichwort Tiger, der gestartet ist zur Föderalismusreform, wie ein so genannter Bettvorleger wieder landen wird. Das Schlimme dabei ist außerdem noch, dass die Verteidiger des Status quo ihre gemütlichen Hauspantoffeln wohl darauf stellen werden.

(Beifall bei der PDS)

Das Procedere der Gestaltung dieses Prozesses ist immer gleich bleibend, ähnlich oder parallel. Zuerst werden und wurden radikale Veränderungsbedarfe geäußert und festgeschrieben. Letztlich wurden dann Veränderungen nur in konsensualen vereinbarten kleinen Schritten vorgenommen.

Meine Damen und Herren, ich möchte es ihnen hier nicht ersparen, es an dieser Stelle zu erwähnen, dass es ein Ausgrenzungskartell gegeben hat von CSU über CDU, SPD, F.D.P. und Grüne, dass PDS in dieser Kommission nicht mitarbeiten konnte. Man muss sich dies einmal vor Augen führen, dass die PDS in sechs Bundesländern immerhin 158 Landtagsabgeordnete und gegenwärtig...

(Zwischenruf Abg. Bergemann, CDU: Wenn sie keine Fraktion haben.)

Das hat damit überhaupt nichts zu tun, Kollege Bergemann. Nein, es ist eine Kommission, die, wir haben es zur Kenntnis nehmen dürfen, durch die Landesregierung und durch die Landtage gebildet wird. Und wo sind die ostdeutschen Landtage und 25 Prozent der Wählerinnen und Wähler dort vertreten im Förderalismusprozess.

(Zwischenruf Abg. Bergemann, CDU: Natürlich hat das was damit zu tun.)

(Beifall bei der PDS)

Da kann ich mir auch fast die Zahl...

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Die PDS ist doch in zwei Landesregierungen, die dort mitarbeiten. Kann denn die PDS dort nichts tun?)

Ich gehe davon aus, dass Sie da mitarbeitet, aber das widerspiegelt dennoch nicht die Repräsentation innerhalb der Landtage in den neuen Bundesländern.

(Beifall bei der PDS)

Damit - und den Satz nehmen Sie mir dann vorweg wäre so viel zu sagen zu 15 Jahren Maueröffnung und Wiedervereinigung in diesem Deutschland.

Meine Damen und Herren, es ist genannt worden ich will dies wiederholen, trotz alledem -, die Bundesstaatskommission hat sich drei aus unserer Sicht Schwerpunktaufgaben vorgenommen:

1. die Zuordnung der Gesetzgebungszuständigkeiten von Bund und Ländern zu prüfen;

2. Vorschläge für die Zuständigkeit und Mitwirkungsrechte der Länder in der Bundesgesetzgebung zu unterbreiten und

3. die Finanzbeziehungen, insbesondere bezogen auf die Gemeinschaftsaufgabe und die Mischfinanzierung zwischen Bund und Ländern, zu entflechten.

Zu 1. Im Laufe der letzten Jahre hat im Zusammenwirken, in Tateinheit von Regierung in Bund und Ländern eine Konzentration - das haben wir jetzt schon oft gehört in den vorhergehenden Beiträgen - der Gesetzeskompetenz auf Bundesebene stattgefunden. Damit wurden die Länder in ihrer Gesamtheit der wirksamen Steuerung wichtiger Politikbereiche beraubt. In erster Linie aber wurden, meine Damen und Herren, die Landesparlamente - wir - entmachtet. Einerseits verloren wir politische Gestaltungskompetenz, andererseits treffen die Landesregierungen im Bund zentrale Entscheidungen ohne die Kontrolle der Landesparlamente. Deshalb wird, wie ich finde, zu Recht von einem - und den Begriff haben wir auch schon in den letzten zwei Tage immer wieder vernommen - Exekutivförderalismus gesprochen, bei dem Regierungen von Bund und Ländern quasi Interessen- und Abstimmungskartelle bilden. Ich erinnere an A- und B-Länder. Die Parlamente hingegen verkümmern zunehmend zu regionalen "Verwaltungskontrollorganen", und dies kritisieren wir seit Jahren. Die Parlamente hatten deshalb mit dem Lübecker Konvent und der dort verabschiedeten Erklärung ein deutliches Zeichen gesetzt, ihr eigenes Selbstbewusstsein zu artikulieren. Mit den Ergebnissen der Bundesstaatskommission sollen, müssen und, wir hoffen, werden insbesondere die Landesparlamente, aber auch die Landesregierungen, die will ich hier durchaus mit einbeziehen, Gestaltungsmöglichkeiten auf den verschiedenen Politikfeldern zurückgewinnen. Eine Verlagerung von Bundesaufgaben an die Länder kann es nur mit entsprechenden Kostenerstattungen geben. Die entsprechende For

mel trägt drei Buchstaben, GfA: Geld folgt Aufgaben.

Zu 2. - Mitbestimmungsrechte der Länder: Im Mittelpunkt dieses Sachverhalts steht Artikel 84 des Grundgesetzes. Der ehemalige Präsident der HumboldtUniversität in Berlin, Prof. Hans Meyer, hat im Januar des vergangenen Jahres überzeugend dargelegt, dass bei diesem Artikel insbesondere das Bundesverfassungsgericht die Verantwortung für Politik hemmende Verflechtungen trägt. Durch extensive Auslegung wurde die Zustimmungspflicht der Länder im Bundesrat bis auf die materiellen und damit eigentlich politischen Inhalte der Gesetze ausgedehnt. Die Aufgabe der Bundesstaatskommission besteht deshalb darin - wieder Prof. Meyer gesprochen -, die "begriffsjuristische" bis "begriffsstutzige Filigranarbeit" des Bundesverfassungsgerichts politischen Realitäten anzupassen.

Zu 3. - Entflechtung der Finanzbeziehungen: Im Unterschied zu den Entflechtungen der Gesetzgebung werden die geplanten Veränderungen in der Mischfinanzierung für die Bürgerinnen und Bürger direkt spürbar werden. Die Gemeinschaftsaufgabe wurde im Zuge der Finanzverfassungsreform 1969 eingeführt, um die Niveauunterschiede der Länder auszugleichen, die durch regional differenzierte Wirtschafts- und Strukturbedingungen entstanden. Sie stehen in Tradition der Planeuphorie und haben die ihnen zugedachte Aufgabe, die struktur- und regionalpolitischen Disparitäten zwischen den Ländern auszugleichen, unserer Meinung nach nicht erfüllt. Sie haben stattdessen dazu geführt, dass die Parlamente in milliardenschweren Abschnitten der Investitionspolitik bei der Wirtschaftsförderung, dem Hochschulbau, dem Agrar- und Küstenschutz, der Forschungsförderung, wie Frau Landtagspräsidentin kundgetan hat, nicht mitsprechen dürfen, sondern den von den Regierungen festgelegten Ergebnissen im Haushaltsplan nur zustimmen.

Mit der Gemeinschaftsaufgabe wurden die willkürlichen Zuschüsse der Bundesregierung an einzelne Länder, die vorab quasi am goldenen Zügel geführt wurden, auf eine verfassungsrechtlich transparente Ebene gehoben. Alle Länder, insbesondere Bayern bis 1989 und die ostdeutschen Länder seit 1990, haben von dieser Gemeinschaftsaufgabe profitiert. Ohne die Gemeinschaftsaufgabe Wirtschaftsförderung und den Hochschulbau wäre der bayerische Spagat zwischen Laptop und Lederhose nicht möglich gewesen.

(Beifall bei der PDS)

Die Entscheidung, die Gemeinschaftsaufgaben Hochschulbau, Agrar- und Küstenschutz und gegebenenfalls Wirtschaftsförderung aufzugeben und in die Verantwortung der Länder zu übertragen, entspricht dem

Zeitgeist und der Kritik an Mischfinanzierung. Ich glaube, dass wir mit dieser Verlagerung endlich als Landesparlamente, als Länder wieder Gestaltungsund Handlungsmöglichkeiten in unseren Bereichen erhalten.

Meine Damen und Herren, die sich zunehmend stärker öffnende Schere zwischen strukturstarken Regionen einerseits und wirtschafts- und finanzschwachen Regionen andererseits wird jedoch durch einen radikalen Wettbewerbsföderalismus, wie ihn insbesondere die F.D.P., aber auch Teile von CDU und CSU proklamieren, nicht geschlossen werden können. Im Gegenteil, die Differenz zwischen diesen wird sich verschärfen, denn - das haben wir auch schon vernommen - wer Wettbewerb will, muss am Wettbewerb beteiligte Länder auch in die Lage versetzen, gleiche Startchancen zu bekommen. Und haben wir nicht schon einmal die Erfahrung hinter uns, nach 1989 durch ungleiche Startchancen benachteiligt zu werden und dann entsprechende Schlussfolgerungen über Jahrzehnte aushalten und ausbaden zu müssen?