Protocol of the Session on October 11, 2007

Meine Damen und Herren, die Pflegequalität in Thüringen hat einen guten Stand erreicht. Dennoch wissen wir auch, dass der Pflegebedarf in einer immer älter werdenden Gesellschaft grundsätzlich zunimmt und der Bedarf besonders außerhalb der Familie wächst. Das heißt, wir werden künftig mehr Menschen im Bereich der Pflege brauchen und wir werden auch mehr Menschen haben, die dort tätig sein müssen. Deshalb, so möchte ich in diesem Zusammenhang sagen, ist es richtig und wichtig, unsere Anstrengungen auf eine gute Ausbildung, insbesondere auch der Helfer in der Kranken- und Altenpflege, zu richten. Dieses Ziel wird mit dem Thüringer Gesetz - erst mal einen Schluck trinken -

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Trockene Luft hier und trockenes Thema.)

über die Helferberufe in der Pflege, welches im September-Plenum von der Landesregierung vorgelegt wurde und sich gegenwärtig im Sozialausschuss zur Beratung befindet, entsprechend verfolgt. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU)

Das Wort hat Abgeordneter Kubitzki, DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Pflege ist ins Gerede gekommen und war Thema vieler Boulevardblätter in der letzten Zeit und hat dazu beigetragen, auch Schlagzeilen zu liefern. Schuld an der ganzen Angelegenheit war der Pflegebericht des Medizinischen Dienstes. Ergebnis dieses Pflegeberichts, was medial rüberkam in diesem Land, die Zeitung mit den vier großen Buchstaben „Pflegeschande in Deutschland“ oder weitere Schlagzeile „Jeder dritte Pflegebedürftige ist unterversorgt“. Da muss ich natürlich sagen, die so etwas schreiben, müssen sich natürlich erst mal klar sein, was ist überhaupt „un

terversorgt“? Ich glaube, davon haben die, die das jedenfalls schreiben, keine Ahnung.

Die Pflege ist eben, meine Damen und Herren, medial gut verkaufbar, weil sie die Menschen bewegt und interessiert. Aber der Bericht des Medizinischen Dienstes spricht auch eindeutig von Verbesserungen in der Pflege. Und es wurde schon vom Minister berichtet, der Bericht des Medizinischen Dienstes hier in Thüringen spricht durchaus von einer guten Qualität, die wir hier in Thüringen haben. Das möchte ich ausdrücklich auch von dieser Stelle aus betonen: Die Pflege in Thüringen hat an Niveau gewonnen und das ist vor allem denjenigen zu verdanken, die täglich in der Pflege tätig sind, das ist denen zu verdanken, die auch als Angehörige ihre Familienangehörigen täglich pflegen, was eine sehr hohe Belastung für sie ausdrückt.

(Beifall DIE LINKE)

Ich möchte noch mal an dieser Stelle betonen: Der Pflegeberuf, meine Damen und Herren, verlangt unter den gegenwärtigen Bedingungen wirklich von den Akteuren sehr viel Idealismus, den sie mitbringen müssen, und vor allem auch Kraft und Ausdauer. Das ist oft gar nicht so einfach und trägt natürlich auch zu gewissen Berufsunzufriedenheiten bei, aber dazu möchte ich noch kommen.

Wenn wir hier auch sagen, dass es in Thüringen eine gute Pflegequalität gibt und wir die Pflege nicht schlechtreden sollen, so müssen wir aber auch in Thüringen über Pflege reden. Denn es gibt Probleme in der Pflege, im Umfeld der Pflege, die auf alle Fälle einer Klärung bedürfen und die durch die Politik beachtet werden müssen.

Das erste Problem beginnt schon bei den Qualitätskontrollen durch den Medizinischen Dienst. Pflege hat eigentlich das Ziel, dass die Lebensqualität des zu Pflegenden im Mittelpunkt steht. Pflege soll dazu beitragen, dass die Lebensqualität erhöht wird. Da habe ich schon das erste Problem, auch hier in den Beiträgen, die bisher kamen, wogegen ich mich verwahren bzw. wovon ich mich abgrenzen möchte: Pflege wird immer in Verbindung mit Alter gebracht. Ich glaube, das ist nicht so. Klar, mit zunehmendem Alter nehmen Körperaktivitäten ab, aber das muss nicht unbedingt dann gleich in die Pflege führen. Pflegebedürftig, meine Damen und Herren, kann heute innerhalb von Sekunden jeder Mensch werden. Dessen sollten wir uns bewusst werden, wenn wir von Pflege sprechen, nicht bloß Pflege von alten Menschen.

Das nächste Problem, was ich dabei habe, wenn ich über den Pflegebegriff rede: Durch Unfälle können auch bei jungen Menschen Verletzungen und blei

bende Schäden entstehen. Das kann dann eine Behinderung zur Folge haben. Da muss ich dann die Frage stellen: Ist das ein Pflegefall, der nur gepflegt wird und als Pflegebedürftiger betrachtet wird, oder hat der mit seiner Behinderung nicht auch das Recht, nicht bloß als Pflegefall betrachtet zu werden, sondern durch Hilfe in der Pflege und durch Assistenz an Lebensqualität zu gewinnen und in die Lage versetzt zu werden, ein relativ selbständiges Leben unter den gegebenen Handicapbedingungen zu führen? Da habe ich schon die Probleme, was den Pflegebegriff in unserer Pflegeversicherung betrifft.

Nun mal zu den Qualitätskontrollen: Wenn durch den Medizinischen Dienst Qualitätskontrollen durchgeführt werden, dann laufen die folgendermaßen ab: 75 Prozent der Kontrollen befassen sich mit Papier und 25 Prozent maximal befassen sich mit der Lebenssituation des zu Pflegenden, der begutachtet bzw. kontrolliert wird. Das heißt, es ist Vorschrift des Medizinischen Dienstes, dass bei Qualitätskontrollen 10 Prozent gerade mal so der Pflegebedürftigen begutachtet bzw. eingeschätzt werden, wie ist bei ihnen die Ergebnisqualität vorhanden. Damit will ich, meine Damen und Herren, nichts gegen Pflegedokumentation sagen. Mit der Pflegeversicherung seit 1995 hat sich die Pflege zu einer Wissenschaft entwickelt und der Pflegeprozess, die Aktivierung desjenigen stehen im Vordergrund, dies muss natürlich nachgewiesen werden, dies muss dokumentiert werden, wie kann ich ansonsten auch den Entwicklungsprozess des zu Pflegenden einschätzen. Deshalb, wie gesagt, die Dokumentationskontrolle ist notwendig und wird gebraucht. Aber was genauso wichtig ist, ist, dass sich der Medizinische Dienst auch davon überzeugt, wie ist die Patientenzufriedenheit, wie ist die Zufriedenheit des zu Pflegenden, wie hat er durch Pflege an Lebensqualität gewonnen. Durchaus festgestellte Mängel auch in den Berichten des Medizinischen Dienstes zeugen davon, dass es auch noch bei Anbietern, bei Leistungserbringern Mängel gibt, dass bestimmte Sachen auch pflegewissenschaftlich nicht beachtet werden, dass Pflegestandards in der Dekubitusprophylaxe, also Wundliegen, nicht beachtet werden, dass Ernährungspläne nicht eingehalten werden und dergleichen mehr. Aber das ist auch oft Ursache dafür, dass das Pflegepersonal enormem Druck ausgesetzt ist und dass darunter natürlich auch die Beziehungen zwischen Pflegebedürftigen und Pflegepersonal leiden.

Ein Hauptproblem, und deshalb brauchen wir Veränderungen in der Pflegeversicherung und deshalb sind Reformen in der Pflegeversicherung notwendig, ist, dass mit Einführung der Pflegeversicherung, also seit 12 Jahren, für die Pflegebedürftigen die gleichen Deckelbeträge in Form von Sachleistungen oder Geldleistungen zur Verfügung stehen. Das heißt, wir haben seit 1995 keine Erhöhung der Leistungsbe

träge für Leistungen in der Pflege, aber die Pflege ist immer komplizierter gestaltet worden, weil sie sich zu einer Wissenschaft entwickelt hat. Das hat letzten Endes zu einem Realverlust von 13,1 Prozent bei Pflegeleistungen geführt. Die Absicht mit der Einführung der Pflegeversicherung, dass die Kommunen, dass die Sozialhilfeträger entlastet werden, indem die Pflegeversicherung geschaffen wurde, ist ab 2001 wieder rückläufig, das heißt, auch die Belastung für unsere Kommunen durch Zuzahlung und dergleichen mehr, weil eben die Deckelbeträge gleich geblieben sind, hat zugenommen. Ich möchte hier noch mal wiederholen: ein Realwertverlust von 13,1 Prozent. Die Zahl habe nicht ich erfunden, sondern die stammt von Frau Annette Widmann-Mauz, Mitglied des Deutschen Bundestags und der Fraktion der CDU/CSU, und die - nehme ich mal an - wird es wissen.

Mit Einführung der Pflegeversicherung haben wir auch in unserem Sozialversicherungssystem, meine Damen und Herren, eine andere Qualität erreicht. Wir haben nämlich erstmals eine Sozialversicherung geschaffen, die eine soziale Dienstleistung kommerzialisiert. Das heißt, die Pflege wurde mit Einführung der Pflegeversicherung dem freien Markt ausgesetzt und damit auch dem Wettbewerb. Dabei will ich an dieser Stelle nicht einwenden, dass Wettbewerb durchaus auch zur Qualitätserhöhung führen kann. Herr Minister, Sie haben gesagt, Sie sind für den Wettbewerb bei der Frage der besten Qualität, das ist richtig und das sollte auch dazu führen, aber Qualität, Herr Minister, kostet auch Geld. Wenn ich sage, dass seit 12 Jahren alles gleich geblieben ist, aber die Qualität durchaus gestiegen ist, so hat das trotzdem Geld gekostet und das geht dann in der Regel zulasten des Personals, welches in der Pflege eingesetzt ist. Denn das Geld muss ja irgendwoher kommen und das ist das Problem, welches wir haben.

Wenn jetzt zum Beispiel die Pflegekassen in Thüringen festlegen - was ich durchaus begrüße -, dass sich mit der Unterzeichnung neuer Rahmenverträge ab 01.01.2008 die Pflegedienste - zumindest im ambulanten Bereich ist es so - verpflichten müssen, dass die Pflegefachkräfte im Jahr 25 Stunden Qualifizierung absolvieren müssen und dass dies nachweisbar ist, dann finde ich das gut. Aber diese 25 Stunden kosten Geld - das ist nun einmal so - und das muss ich als Dienst irgendwoher nehmen. Wenn ich das nicht über die Vergütung hereinbekomme, weil diese auch nicht gerade kostendeckend ist, so bedeutet das natürlich wieder Druck auf das Personal.

Ein weiteres Beispiel: Es wird angestrebt, dass sich die Pflegedienste und stationären Einrichtungen zertifizieren lassen mit TÜV-Siegel. Das Komische ist nur: Wir hatten hier schon TÜV-Siegel verteilt und gute Ergebnisse durch TÜV Rheinland-Pfalz erreicht,

aber 14 Tage später kam der MDK Thüringen und die Ergebnisse waren pfutsch. Warum? Weil unterschiedliche Kriterien in Anwendung gebracht werden. Diese Zertifizierung kostet einer Einrichtung im Schnitt 4.000 €. Wenn ich einmal in diesem Zertifizierungsrhythmus drin bin, muss ich mich in Zukunft alle zwei Jahre zertifizieren lassen. Das sind also alle zwei Jahre für eine Einrichtung 4.000 €. Nun, wie gesagt, gegen dieses Prinzip ist nichts einzuwenden, aber man muss auch vonseiten der Politik begreifen, dass das finanziell untersetzt werden muss. Deshalb brauchen wir eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung.

Die Eckpunkte, die die Bundesregierung jetzt vorgelegt hat, können nur ein erster Schritt dazu sein. Dass zum Beispiel die Entgeltbeträge seit 12 Jahren gleich sind, führt auch dazu, dass die Kommunen stärker belastet werden, aber auch der Pflegebedürftige. Bei Erhöhung von Leistungen an die Pflegedienste gibt es eine Kehrseite der Medaille. Wenn nämlich die Preise für bestimmte Pflegeleistungen teurer werden, aber das, was dem Patienten zur Verfügung gestellt wird, nur das Gleiche ist, heißt das bei höheren Preisen, er muss zuzahlen. Also überlegen sich viele bei der gegebenen finanziellen Situation, dann nämlich nicht so viel professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, was natürlich oft zu Qualitätsschwankungen führt.

Es wurde heute schon zu der Situation in Thüringen viel Gutes gesagt, Herr Minister. Aber auch Prof. Dorschner schätzt in seinem Bericht ein, dass die Berufsunzufriedenheit bei den Pflegekräften nicht zu unterschätzen ist und dass es Berufsunzufriedenheit bei den Mitarbeitern gibt. Wir können an dieser Stelle eigentlich nur dankbar sein, dass diese Berufsunzufriedenheit nicht an den Patienten ausgelassen wird und sich dort widerspiegelt, sondern dass die Pflegekräfte ihre Aufgaben trotzdem in hoher Qualität erfüllen.

(Beifall DIE LINKE)

Als Erstes sprechen Sie davon, Herr Minister, „das Ansehen des Pflegeberufes muss gestärkt werden“. Da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Aber das bedarf, wenn ich das Ansehen des Pflegeberufes stärken will:

1. Die Belastungen der Pflegekräfte müssen abgebaut werden. Vor allem auch Pflegekräfte, die in einem Alter über 50 und älter sind, haben körperliche Probleme, ihre Tätigkeit noch auszuführen. Auch für diese Menschen, die jahrelang in der Pflege aktiv waren, brauchen wir eine Perspektive, dass sie ihre Erfahrungen, die sie in der Pflege gesammelt haben, auch weiter zur Verfügung stellen können. Das wären zum Beispiel zukünftige Pflegeberater, die wir

wirklich einsetzen sollten. Dazu bedarf es aber auch Programmen, dass diese Kräfte qualifiziert werden dazu und dass sie dann in diese neuen Aufgaben überführt werden können.

Zum Ansehen des Pflegeberufs gehört auch - das trägt auch zur Berufszufriedenheit bei - eine angemessene Vergütung für die Pflegekräfte. Dann haben wir nämlich auch nicht das Problem, dass junge Pflegekräfte, die hier bei uns im Land ausgebildet werden, deren Ausbildung durch uns finanziert wird, abwandern in die alten Bundesländer. Es ist teilweise unverständlich, wenn meine Krankenschwestern in Mühlhausen für eine große Grundpflege 22 € bekommen und 35 km weiter im Hessischen, da gibt es 36 € dafür. Es ist nicht mehr an dieser Stelle nachzuvollziehen. So sind natürlich auch die Unterschiede in der Bezahlung. Das darf und sollte nicht länger geduldet werden.

Bürokratieabbau wurde heute schon angesprochen. Uns wird ja jetzt vorgeworfen, mit unserem Antrag - aber darauf komme ich noch zurück - würden wir auch zur Bürokratie mit beitragen. Ich gehe nochmals auf die Erkenntnisse von Prof. Dorschner zurück: 25 Prozent der Arbeitszeit der Pflegekräfte wird für Dokumentation verwendet. Wie gesagt, nichts dagegen einzuwenden, dass Pflegeprozesse dokumentiert werden, dass Pflegevisiten dokumentiert werden, dass das alles nachvollziehbar ist, aber das Hauptproblem der Bürokratie wird doch hier hausgemacht. Die Bürokratie entsteht vor allem beim Zusammenwirken zwischen Pflegediensten und z.B. den Kostenträgern, sprich den Kassen. Es ist - und das sind Berufserfahrungen - ein Unding, was bei uns hier in Thüringen über die Kassen läuft, was z.B. das Verordnungswesen betrifft.

(Beifall DIE LINKE)

Bestimmte Handlungen können nur durchgeführt werden, wenn ich dazu eine Verordnung habe. Festgelegt ist von den Thüringer Kassen z.B., da sind auch SGB-V-Leistungen dabei, es gibt die erste Verordnung nur 14 Tage. Diese Verordnung muss aber innerhalb von drei Werktagen bei der Kasse eingereicht sein, aber die Kasse nimmt sich das Recht, vier Wochen und länger für die Bearbeitung und Bestätigung dieser Verordnung zu brauchen. Das heißt, die Dienste handeln erst mal ohne eine bestätigte Verordnung, ohne die Gewissheit zu haben, ob sie das überhaupt genehmigt bekommen, ob sie einen Pfennig Geld sehen für diese Sache. Wenn wir handeln würden, wir warten erst mal, bis die Kasse das macht - Patient tot. Es handelt keiner so, aber das sind Bürokratien, die die Dienste belasten. Rechnungen müssen liegen bleiben, können nicht bearbeitet werden. Vor allem die erste Folgeverordnung gerade bei Insulin-Patienten, wenn ich das zum Beispiel

sehe, ich glaube, wenn einer jetzt eine Verordnung bekommt, regelmäßig am Tag drei Insulin-Spritzen zu erhalten, weil er sich nicht selber spritzen kann, da bin ich mir sicher, nach 14 Tagen hat der das Insulin weiterhin. Hier muss es doch möglich sein, dass wir gerade auf diesem Gebiet Bürokratie abbauen. Aber dazu brauche ich nicht den Bund, das ist hier in Thüringen zu klären.

Auch bestimmte Sachen, die mit der Einführung der Qualität kamen - also das Tollste, was wir jetzt alle machen müssen, wir haben ein Beauftragtenunwesen. Den tollsten Beauftragten, den ich schaffen musste, ist der Beauftragte für Sani-Kästen in den Dienstautos. Es wird verlangt und ich muss es auch bei MDK-Kontrollen vorlegen.

Deshalb brauchen wir grundsätzlich eine Reform der Pflegeversicherung. Einige Vorstellungen vonseiten der LINKEN, wie wir uns eine Pflegeversicherungsreform vorstellen könnten: Als Erstes brauchen wir unbedingt eine Erweiterung des Pflegebegriffs, eines Pflegebegriffs, der die Teilhabe am Leben ermöglicht und nicht bloß reduziert ist auf Verrichtung. Zurzeit haben wir einen Pflegebegriff, der ist nur auf reine Pflege abgestellt wie das Waschen, Hauswirtschaft, wie viel Zeit braucht er, bekommt er die Stufe usw. Wir brauchen eine Erweiterung des Pflegebegriffs auf die Teilhabe, das ist erst mal grundsätzlich wichtig. Dazu leisten allerdings die Eckpunkte, die jetzt vorgelegt worden sind, keinen Beitrag.

Als Zweites brauchen wir eine bedarfsdeckende Pflegeabsicherung. Dieser Tage - Herr Panse war ja auch mit dort - fand eine Pflegetagung der privaten Anbieter hier wenige Meter vom Landtag statt. Da fiel wieder der Begriff, 1995 war das gang und gäbe, man hat es in der Zwischenzeit vergessen, aber es ist so: Die Pflegeversicherung wurde als eine sogenannte Teilkaskoversicherung geschaffen. Das heißt, es wird nicht der volle Pflegebedarf und - ich sage auch - Teilhabebedarf abgedeckt, sondern die Pflegeversicherung ist immer eine ergänzende Leistung zu nachbarschaftlichen, familiären und ähnlichen Leistungen. Wenn wir aber davon sprechen, dass es hier auch um Lebensqualität geht, dass es um Teilhabe geht, dann brauchen wir eine bedarfsdeckende Pflegeabsicherung nicht nach dem Teilkaskoprinzip.

Des Weiteren, als Drittes, wir brauchen eine Überwindung des starren Pflegestufenmodells und auch der sogenannten Leistungskomplexe, wie wir sie jetzt hier kennenlernen, wo genau festgeschrieben ist, was in welchem Leistungskomplex gemacht wird. Aber diese Leistungskomplexe richten sich nach der Bürokratie, wie es am besten abrechenbar ist, aber nicht nach den Bedürfnissen, wie sie derjenige hat, der sie in Anspruch nimmt. Also brauchen wir unbedingt mehr Flexibilität und auch die jetzt vorge

legten Eckpunkte tragen dem nicht Rechnung. Bei der Begutachtung für die Pflegestufen muss auch das Prinzip der Teilhabe wieder berücksichtigt werden. Da fällt mir gleich am Rande noch etwas ein, auch ein Prinzip in Thüringen oder ein Problem, Herr Minister, ich kann da manchmal nicht lachen: Die Wartezeit für eine Begutachtung eines Pflegebedürftigen, also Antrag gestellt, Einstufung in die Pflegestufe, dauert in diesem Land sechs Monate. Sechs Monate weiß derjenige nicht oder wissen die Angehörigen nicht, ob ich nun anspruchsberechtigt in Bezug auf Pflegeleistungen bin bzw. welche bekomme. Wenn ich jetzt schon Pflegeleistungen in Anspruch nehme, kann das möglich sein, dass ich die nach sechs Monaten aus meiner eigenen Tasche bezahle. Oder bekomme ich die vergütet? Auch das trägt sechs Monate nicht zu einem Leben bei, was wieder Teilhabe ermöglicht, weil der nämlich erst einmal bis zu seiner Begutachtung das Minimale in Anspruch nimmt, damit er nicht so viel aus seiner Tasche bezahlen muss.

Vierter Punkt, den wir fordern, ist die Leistungsdynamisierung. Dem kommen die Eckpunkte nach, aber, ich sage es hier auch an dieser Stelle, 12 Jahre zu spät.

Fünftens fordern wir die Prävention, das heißt also, wir brauchen Prävention, auch wenn wir vom Alter sprechen, dass nämlich auch die Aktivierung im Alter nicht zu Pflege führt. Hier sind aber, glaube ich, nicht die Pflegeversicherungen gefragt, hier sind die Krankenkassen zum Beispiel gefragt, also auch da muss es Zusammenwirken geben.

Sechstens müssen strukturelle Mängel in der stationären Versorgung beseitigt werden. Eckpunkte dafür könnten sein und diese sollten in Heimgesetzen verankert werden, deshalb brauchen wir auch in Thüringen ein modernisiertes Heimgesetz und deshalb unterstützen wir auch den Antrag der SPD, wenn er natürlich auch bestimmte Probleme wie Pflegeassistenz und dergleichen noch außer Acht lässt, aber wir brauchen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten noch stärker für Betroffene und die Heimbeiräte müssen gestärkt werden. Die Personalsituation in den stationären Einrichtungen muss verbessert werden; zumindest möchten wir auch ein Signal von der Landesregierung haben, dass dieser Fachkräfteschlüssel von 50 Prozent weiterhin erhalten bleibt, und das ist unserer Auffassung nach schon eine minimale Untergrenze, 50 Prozent, aber die soll wenigstens bleiben.

(Beifall DIE LINKE)

Siebentens erwarten wir mehr Leistungen für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf und dass diese gesetzlich verankert werden kann. Das, was jetzt in den Eckpunkten steht, Pflegeurlaub und Freistellun

gen, um die Pflege zu organisieren, das hat aber unserer Auffassung nach sehr wenig zu tun mit Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Klar, es gibt die Wahlfreiheit und die soll es auch geben. Pflege ich meinen Angehörigen zu Hause selbst, da muss das auch von der Gesellschaft anerkannt werden, richtig, aber genauso muss der Angehörige die Möglichkeit haben, ich möchte meinen Beruf weiter ausüben und möchte aber meinen zu pflegenden Angehörigen in guten Händen wissen, damit ich meinen Beruf ausüben kann. Da widerspricht wieder das Teilkaskoprinzip der gegenwärtigen Pflegeversicherung.

Achtens brauchen wir mehr Unterstützungsangebote für Angehörige und Ehrenamtliche in der Befähigung.

Meine Damen und Herren, wenn wir jetzt hier sprechen von Qualität in der Pflege und Kontrollen, dann müssen wir uns darüber klar werden, dass nur Einrichtungen kontrolliert werden, sowohl ambulante Einrichtungen als auch stationäre Einrichtungen. Keiner weiß: Wie ist die Pflegesituation von zu Pflegenden, die durch Familienangehörige betreut werden? Damit will ich jetzt nicht sagen, dass die schlecht pflegen, das stimmt überhaupt nicht. Die pflegen die Angehörigen sehr aufopferungsvoll, die Masse. Aber das Problem ist, sie brauchen auch Befähigungen dazu. Das beginnt schon bei Handgriffen, das geht weiter über Erkenntnisse über das Wundliegen usw. Jetzt könnten Sie mir antworten, Herr Minister, dafür gibt es ja Pflegekurse und dafür gibt es Geld - stimmt. Aber wenn es keinen Pflegebericht gibt vonseiten der Landesregierung, dann können Sie auch nicht wissen, wie z.B. diese Pflegekurse genutzt werden. Die werden nämlich kaum genutzt. Angebote gibt es, aber diese Pflegekurse werden kaum genutzt. Da muss man sich mal überlegen, warum das so ist. Zumindest muss man das mal analysieren, warum das so ist.

Wenn gefordert wird, dass die Heime oder die anderen ambulanten Einrichtungen unaufgefordert, unangemeldet kontrolliert werden, ist nichts dagegen einzuwenden, aber wir brauchen auch Beratung und Kontrolle derjenigen Pflegebedürftigen, die durch Angehörige gepflegt werden. Vor allem das Wort „Kontrolle“ möchte ich aber wirklich mehr als Beratung und Befähigung verstehen. Dazu muss es Angebote geben. Es könnte mir wieder geantwortet werden, dafür gibt es ja die sogenannten Pflegekontrollbesuche, die durch Pflegedienste organisiert werden. Also, welcher Pflegedienst, meine Damen und Herren, kontrolliert jemanden, der häuslich von Angehörigen gepflegt wird, und stellt Mängel fest, dokumentiert sie und schickt die noch weg zur Pflegekasse, wenn das mal sein zukünftiger Patient sein könnte, den er eventuell mal haben möchte, und er hat ihn vorher schlecht behandelt? Das macht keiner.

Eine nächste Forderung ist, die Situation derjenigen zu verbessern - dazu hatte ich was gesagt -, die beruflich in der Pflege stehen. Dazu hatte ich Punkte genannt, wie das zu geschehen hat oder geschehen könnte.

Als zehnte Forderung, und das sollten wir nicht vergessen: Pflege schafft Arbeitsplätze. Wenn wir mehr Geld für die Pflege ausgeben, wenn wir die Deckelbeträge erhöhen, wenn wir die Leistungsvergütung erhöhen, sind auch Einrichtungen in der Lage, mehr Leute einzustellen, um nämlich ihren jetzigen Personalbestand zu entlasten. Das sind aber wieder sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Diese sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse stärken in letzter Instanz wieder unsere Pflegekassen, weil da nämlich eingezahlt wird.

Ein letzter Punkt unserer Forderungen ist folgender: Natürlich könnte man uns nun wieder vorwerfen: Wie wollt ihr denn das alles bezahlen? Ähnlich sind unsere Vorstellungen zur Reformierung der gesetzlichen Krankenversicherungen. Wir müssen eine Bürgerversicherung schaffen auch in der Pflege, wo nämlich alle in diese Pflegeversicherung einzahlen. Da höre ich nun von unserem Minister hier: Dazu brauchen wir nicht weiter im Land Thüringen reden. Dazu brauchen wir keinen runden Tisch, weil ja alles in Ordnung ist. Aber wo, wenn nicht an so einem runden Tisch, kann gerade über die praktischen Probleme, die ich hier genannt habe, gesprochen werden, nämlich durch die Akteure, die in den Pflegeprozess, die in der Pflege eingebunden sind. Da meine ich nicht nur die Leistungsanbieter, da meine ich nicht nur die Kostenträger, da meine ich auch die Interessenvertreter der zu Pflegenden, Verbände und auch Angehörige. Übrigens, der runde Tisch der Pflege ist keine grundsätzliche Erfindung von uns. Diesen runden Tisch gibt es seit 2003 auf der Bundesebene. Auf Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gibt es diesen runden Tisch mit mehreren Arbeitsgruppen, so zum Beispiel die Arbeitsgruppe 4. Diese Arbeitsgruppe 4 hat nämlich eine „Charta der Rechte und Hilfe der pflegebedürftigen Menschen“ erarbeitet. Und das soll in Thüringen nicht möglich sein? Vor allem geht es ja darum, Herr Minister, auch wenn wir heute einschätzen können, die Pflege in Thüringen ist gut, aber es gibt Probleme in der Pflege und die Probleme sollen an so einem Tisch durch die, die mit der Pflege verbunden sind, die daran beteiligt sind, geklärt werden.

(Zwischenruf Abg. Panse, CDU)

Ich kann auch noch länger machen, Herr Panse, weil, die Pflege ist nämlich ein Problem und die Pflege ist eine Wissenschaft und das kann ich nicht in