Protocol of the Session on July 12, 2007

Da kann ich doch nicht sagen, dass ist leistungsgerecht, was hier an Auslese betrieben wird. Im Gegenteil, hier liegen Leistungsreserven brach, weil Kinder in Sackgassen geschickt werden,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

anstatt Offenheit im Bildungssystem vorzufinden.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Deshalb sagen wir, wir wollen, dass Kinder nicht nach der 4. Klasse getrennt werden, dass sie länger gemeinsam lernen können, dass es später zur Entscheidung kommt, welchen Schulabschluss ein Kind macht, wenn besser absehbar ist, wie leistungsfähig ein Kind ist. Warum sind es denn integrative Schulsysteme wie die in Finnland beispielsweise, die an der Weltspitze stehen? Warum schaffen es denn solche Schulsysteme, weit mehr Schülerinnen und Schüler zum Abitur zu bringen, als dass das deutsche Schulsystem schafft? Können wir denn damit zufrieden sein, dass so viele Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen, oder müssen wir nicht alle Anstrengungen unternehmen, dass mehr Kinder und Jugendliche in diesem Bildungssystem eine Chance haben, einen Schulabschluss zu schaffen?

(Beifall bei der SPD)

Ich habe die IHK und ihre Initiative angesprochen, sehr bewusst. Sie haben gesagt, dass sei eine gemeinsame Initiative. In dem IHK-Papier hört sich das nicht so an. Ich will Ihnen nur ganz kurz noch zitieren. Da steht zum Beispiel: „Ungeachtet zweifellos vorhandener Bemühungen der Thüringer Landesregierung auf dem Gebiet von Schule und Bildung, ungeachtet auch sichtbarer Resultate dieser Bemühungen,“ - die bestreiten auch wir nicht - „auch in unserem Freistaat besteht dringender schulpolitischer Handlungsbedarf.“

(Beifall bei der SPD)

Dann wird am Schluss dieses Papiers gesagt: „Wir fordern deshalb die Landesregierung auf, gemeinsam mit allen in das Bildungssystem eingebundenen Kräften ein gemeinsames Zukunftsprogramm ‚Bildung’ zu entwickeln und bis 2010 umzusetzen.“ Das hört sich nicht so an, als wenn Sie sich schon mit der IHK einig wären. Ich kann es jedenfalls nicht so lesen.

(Beifall bei der SPD)

Das, was inhaltlich da drin steht, ist auch längst nicht Bestandteil Ihrer Bildungspolitik.

Zum Schluss noch etwas zur Frage der Mindestlöhne und dem Wirken des Marktes: Auf dem Arbeitsmarkt bilden sich Löhne auch dann, wenn es nicht nur allein um die Frage geht, wie hoch eine Leistung bezahlt werden kann, sondern auch um die Frage geht, wie hoch denn das Potenzial arbeitsloser Arbeitskräfte ist, weil das auch darüber entscheidet, welche Durchsetzungskraft Gewerkschaften

haben. Da spielt auch die Frage eine Rolle: Wie gut können denn bestimmte Bereiche überhaupt noch von Gewerkschaften organisiert werden, um Lohnforderungen durchzusetzen, um erfolgreiche Lohnverhandlungen zu führen? Es ist eben nicht so einfach, wie sich Lieschen Müller das vorstellt, da ist die Leistung, da ist der Preis und am Morgen kommt das wunderbar zusammen und damit ergibt sich auch die Lohnfindung. Es sind mehr Komponenten, die hier eine Rolle spielen. Deshalb gibt es Bereiche in Thüringen, da werden Löhne von 3,50 € oder 4,00 € gezahlt. Das hat nichts damit zu tun, dass für diese Leistungen nicht auch ein höherer Preis verlangt werden könnte. Das hat nur damit etwas zu tun, dass niemand dort höhere Löhne durchsetzen kann.

(Unruhe bei der CDU)

Weil niemand von solchen Löhnen wirklich leben kann, Herr Kollege, deshalb sagen wir, hier hat der Staat eine gewisse Schutzpflicht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb reden wir über einen gesetzlichen Mindestlohn.

(Beifall bei der SPD)

Dann höre ich immer wieder die Horrorgeschichte: Das zerstört Arbeitsplätze. Ich habe das schon mal gesagt: Es mag ja das eine oder andere wirtschaftstheoretische Konstrukt dafür sprechen, dass das Arbeitsplätze zerstört, aber ich orientiere mich in solchen Fragen lieber an den praktischen Erfahrungen. Die praktischen Erfahrungen sehen anders aus. Es gibt genügend Beispiele von Ländern, die trotz Mindestlöhnen eine höhere Beschäftigung haben als Deutschland sie hat und die bei der Einführung von Mindestlöhnen nicht Arbeitsplätze verloren haben, sondern wachsende Beschäftigung gehabt haben, weil die unteren Lohnbereiche stabilisiert worden sind, weil Einkommen stabilisiert worden sind und weil Einkommen eben nicht nur ein Kostenfaktor sind, sondern auch ein Faktor in der wirtschaftlichen Konjunktur, weil sie nämlich Konsumnachfrage bedeuten und damit auch wieder Wirtschaftskraft bedeuten, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb bleiben wir dabei: Für eine soziale Entwicklung in Thüringen, für faire Löhne in Thüringen ist auch eine gesetzliche Mindestlohnregelung notwendig. Wir werden uns wieder sprechen in der Frage, das prophezeie ich Ihnen; denn der Staat wird es gar nicht bezahlen können, wenn die Unternehmen die Löhne immer weiter nach unten drücken und Sie von der Vorstellung ausgehen, der Staat legt das, was fehlt, dann obendrauf. Aber es ist ja auch nicht der Staat; es sind die Steuerzahler, die das Geld aufbringen müssen, was Sie da obendrauf legen

wollen. Was passiert denn, wenn in der Europäischen Union in wenigen Jahren der Arbeitsmarkt vollständig offen ist und Arbeitnehmer, die wesentlich niedrigere Lebenshaltungskosten haben als wir, ihre Arbeitskraft hier in Thüringen anbieten? Wie wollen Sie denn das ohne eine Regelung über Mindestlöhne noch in den Griff bekommen? Ich habe hier kein vernünftiges Argument dazu gehört. Deshalb sage ich: Wir wollen, dass Thüringen sozial bleibt. Wir wollen, dass faire Löhne in diesem Land gezahlt werden, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihr Auskommen haben. Wir glauben, dass das Thüringen stärker macht. Deshalb kämpfen wir in diesem Land für neue Mehrheiten. Sie haben abgewirtschaftet.

(Beifall bei der SPD)

Herr Matschie, lassen Sie noch eine Nachfrage des Abgeordneten Bergemann zu? Das ist nicht der Fall. Dann hat jetzt das Wort Herr Abgeordneter Hausold, Linkspartei.PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, für Ihre zweite Rede galt aus meiner Sicht - sehen Sie es mir nach -: Wiederholung ist nicht immer die Mutter der Weisheit.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich will hier auf einige Akzente noch mal eingehen an dieser Stelle. Mein Kollege Matschie hat gerade mit der Frage der Mindestlöhne geschlossen. Sie haben sich redlich bemüht in Ihrer Rede heute Vormittag, einen Teil der erfolgreichen Ansiedlungen im Land Thüringen wirtschaftlicherseits darzulegen. Ich will auch deutlich sagen, das ignorieren wir natürlich nicht. Aber insgesamt muss man trotzdem hervorheben - ich betone das hier noch mal -, was z.B. gegenwärtig bei der erfreulichen, zunächst mal erfreulichen Senkung der Arbeitslosenzahlen in unserem Land der Fall ist, ist haargenau die Frage, dass im gleichen Maße, wie diese Arbeitslosigkeit sinkt, die Bedarfsgemeinschaften bei Hartz IV steigen. Dieser Aufschwung geht in den Billiglohn, Herr Ministerpräsident, sehen Sie es doch endlich ein!

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Dann haben wir die Entwicklung, die mein Vorredner hier gerade noch mal geschildert hat. Auch die Frage der Ansiedlungen, die es gegeben hat, belegen doch nun wohl eins: Flächendeckend und durchgreifend ist dort keine positive Entwicklung, noch lange nicht. Wir haben in diesem Land - das haben Sie heute früh und auch in Ihrer zweiten Rede mit keinem Wort

erwähnt - eine sich verfestigende Massenarbeitslosigkeit von weit über 100.000 Menschen in diesem Land. Diese Problematik, die Sie eben nicht erwähnt haben, zeigt, dass Sie die Lebenssituation dieser Menschen, und zwar genau in Ihrem Auslesesinne, einfach ignorieren. Das ist keine Position.

Dann haben Sie, genau übrigens wie Ihre Kollegin, die Fraktionsvorsitzende Frau Lieberknecht, ja zunächst mal konstatiert, dass wir immer gern über Weltpolitik reden und ich das gerne tue. Das gebe ich zu, weil Thüringen auf dieser Erde und in dieser Welt liegt und man kann das nicht freistellen. Sie haben das dann auch recht ausführlich getan. Ich komme gern noch einmal auf Ihre Bemerkung zurück, dass Sie hier gesagt haben: „Steuerpolitik machen wir hier im Wesentlichen nicht im Land.“ Richtig, da kann ich zustimmen. Dann sage ich Ihnen aber auch noch mal deutlich, Sie haben im Bundesrat keinerlei Initiative unternommen - ganz im Gegenteil - die Steuerpolitik zu kritisieren, die dort im Augenblick durchgesetzt wurde, nämlich eine Steuerpolitik, die in erster Linie - auch das sage ich erneut - die großen Konzerne und Banken und Unternehmen in diesem Land unterstützt und eben nicht den Mittelstand, das Handwerk und die kleinen Unternehmen in Thüringen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das ergibt sich schon allein aus unserer Struktur. Im gleichen Zuge verlangen Sie dann - und das ist im Wesentlichen so geblieben, wenn Sie es auch etwas relativiert haben - über Ihren Kommunalen Finanzausgleich, dass die Kommunen die Hebesätze für die Gewerbesteuer anheben sollen. So wird im Durchschnitt die Situation sein.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

(Zwischenruf Abg. Wehner, CDU: Wer erzählt denn den Unsinn?)

Sie machen eine doppelt kritische Politik gegenüber dem Mittelstand und Gewerbe in diesem Land.

(Unruhe bei der CDU)

Machen Sie!

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

(Zwischenruf Abg. Wehner, CDU: Lügen, Lügen, Lügen.)

Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion und Herr Ministerpräsident, ich kann mich natürlich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass Sie hier ein Stück weit mit einer gewissen Besorgnis und

Angst debattieren. Denn, Frau Lieberknecht, ich habe Sie über weite Strecken Ihrer Rede so verstanden, dass Sie für die zukünftige Zeit einen Koalitionspartner suchen.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Lügner.)

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

(Unruhe bei der CDU)

So ganz sicher scheinen Sie sich doch nicht zu sein, ob die Bürgerinnen und Bürger Ihre Politik wirklich noch als Erfolgskurs empfinden können. Sie haben doch offensichtlich große Zweifel in diesem Zusammenhang.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Sie ver- stehen es nicht.)

Da will ich noch einmal zurückkommen auf diese Frage der Auslese. Ja, Herr Ministerpräsident, in sehr dankenswerter Weise haben Sie vor der Öffentlichkeit dieses Landes noch einmal in aller Offenheit Ihr Konzept erläutert. Sie haben fast wörtlich - denke ich - auch gesagt, dass sich im Zuge dieser Politik auch eine soziale Auslese vollzieht. Da sage ich ganz deutlich, diese Politik in den genannten Bereichen lehnen wir konsequent ab.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Wir sagen, die Stärke einer Gesellschaft realisiert sich sowohl aus Leistungsbereitschaft, sowohl aus besonderer Leistungsfähigkeit und deren Förderung. Aber die Stärke der Gesellschaft kann sich insgesamt nur entwickeln, wenn alle Mitglieder dieser Gesellschaft - und insbesondere auch die Schwachen - Chancengleichheit haben, und dafür steht Politik in Verantwortung, Rahmenbedingungen zu schaffen. Das ist Ihre Aufgabe, die Sie aus meiner Sicht nicht erfüllen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Was uns betrifft, so habe ich die Positionen wiederholt genannt. Ich will auch mal sagen, die Fragen der Verwaltungsmodernisierung und der Gebietsreform, die Sie ja auch noch mal angesprochen haben, wo Sie Ihre Behördenstrukturreform - ich nenne es ungern so, das gebe ich ja zu, weil die sich wirklich chaotisch vollzieht, und dafür haben wir auch heute wieder viele Beispiele gehört. Das haben Sie noch einmal deutlich gemacht. Sie haben auch versucht, deutlich zu machen, wo Ihre Präferenzen bei Größe und Kleinteiligkeit liegen. Nun sage ich, Gemeinden und Landkreise in diesem Land sind kleinteiliger als das Land, das ist wohl selbstverständlich. Aber gerade um der Kleinteiligkeit Vorteile zu verschaffen,

kommt es nicht darauf an, jede Kreisgrenze zu verteidigen, sondern darauf, im Land Größe und Mut zu zeigen, diese Problematik strukturell auch anzugehen. Das machen Sie genau nicht. Das haben wir hier heute wieder erlebt.