Protocol of the Session on July 12, 2007

Zu einem solchen Neustart gehören frische Ideen, gehören überzeugende Strategien und überzeugende Köpfe. Ich frage mich: Wo sind die eigentlich? In der Regierungserklärung sind sie nicht deutlich geworden.

Herr Althaus, in wenigen Tagen ist Zeugnisausgabe. Welche Noten würden Sie eigentlich Ihren Ministern Gasser und Goebel geben? Das geht doch ganz klar in Richtung „versetzungsgefährdet“, wenn ich das richtig sehe.

(Beifall bei der SPD)

Sie, Herr Innenminister, waren nicht in der Lage, eine Einigung mit den Kommunen hinzubekommen, Sie waren nicht in der Lage, eine Polizeireform vorzulegen, die wenigstens in den eigenen Reihen eine Mehrheit findet. Erst vor wenigen Tagen hat der innenpolitische Sprecher der CDU zum zweiten Mal unter Protest die Parlamentarische Kontrollkommission verlassen, weil dieser Innenminister unfähig ist, eine angemessene Informationspolitik zu machen. Ihre Personalentscheidungen landen regelmäßig vor Gerichten und bessere Bedingungen für Bürgerentscheide haben Sie mit der Begründung abgelehnt, die Bürger im Osten hätten dafür noch nicht die demokratische Reife. Die einzige Sache, die mir einfällt, mit der Sie sich bisher durchgesetzt haben, Herr Innenminister, Sie haben das strikte Rauchverbot in Behörden gekippt, damit Sie zum Rauchen nicht aus dem Büro müssen.

(Beifall bei der SPD)

Ich frage Sie, Herr Althaus: Wann setzen Sie diesen Innenminister eigentlich vor die Tür? Ich frage Sie auch: Wie lange muss dieses Land noch einen Kultusminister ertragen, der sich im Kulturland Thüringen benimmt wie der Elefant im Porzellanladen?

(Beifall bei der SPD)

Statt den reichen Schatz der Kultur zu pflegen, der ihm anvertraut ist, produziert er jede Menge Scherben. Statt die Bedingungen für die frühkindliche Bildung zu verbessern, kürzt er bei den Kindergärten das Geld. Erst knöpft er den Eltern Schulbuchgeld ab, dann wird er von den Gerichten gezwungen, es wieder zurückzuzahlen. Wenn Frau Lieberknecht ihn

nicht gestoppt hätte, hätte er erneut versucht, Schulbuchgeld bei den Eltern einzutreiben.

(Beifall bei der SPD)

Da frage ich Sie, Herr Ministerpräsident: Wie lange soll das Land noch unter der Ignoranz und Tollpatschigkeit dieses Kultusministers leiden?

(Beifall bei der SPD)

Die Liste der Pannen und ungelösten Probleme ist lang, aber - und das gebe ich zu - im Moment hat die Regierung das Glück auf ihrer Seite. Die Konjunktur läuft gut in Deutschland, überall sinkt im Moment die Arbeitslosigkeit, die Steuereinnahmen steigen, allein im nächsten Jahr 700 Mio. € mehr hier in Thüringen und Dieter Althaus kann sein Glück kaum fassen. Noch zu Jahresbeginn hielten Sie, Herr Ministerpräsident, erst für 2012 einen ausgeglichenen Haushalt für möglich. Nun bescheren Ihnen sprudelnde Steuereinnahmen schon in diesem Jahr einen ausgeglichenen Haushalt ganz ohne eigenes Zutun. Die aktuelle Finanzlage ist eben nicht Ihr Erfolg, wie Sie in Ihrer Rede behauptet haben. Als alles schlecht lief, haben Sie sich so weit von der Verantwortung dafür distanziert, dass Ihnen niemand die Verantwortung dafür abnehmen will, wenn es gut läuft.

(Beifall bei der SPD)

Es läuft gut, denn die Wirtschaft hat in den letzten Jahren ihre Wettbewerbsfähigkeit enorm verbessert und Wahrheit bleibt Wahrheit, die Reformen von Gerhard Schröder haben diesen Prozess aktiv unterstützt.

(Unruhe bei der CDU)

Sie müssen in Ihrer Logik bleiben. Als es schlecht lief, haben Sie Gerhard Schröder dafür verantwortlich gemacht.

(Zwischenruf Abg. Grüner, CDU: Erzäh- len Sie doch keine Märchen.)

Aber diese Reformen haben einen Beitrag dazu geleistet, dass es Deutschland wirtschaftlich heute wieder gut geht, dass die Arbeitslosigkeit sinkt und die Wirtschaft brummt.

(Beifall bei der SPD)

Auch der Subventionsabbau - von der CDU damals im Bundestag heftig bekämpft, ich denke nur an die Auseinandersetzungen über die Eigenheimzulage - sorgt mittlerweile für immer stärker wachsende Steuereinnahmen. Die Landesregierung kann jetzt die Früchte ernten, die andere gesät haben - das sei

ihr gegönnt. Aber es reicht eben nicht, die Mehreinnahmen einzustreichen, hier und da ein bisschen mehr zu verteilen und ansonsten alles beim Alten zu belassen. Viele Strukturprobleme im Freistaat sind nach wie vor ungelöst. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung auch keine Lösungen heute präsentiert. Trotz sinkender Einwohnerzahlen steigen die Ausgaben der Landesregierung in den nächsten Jahren kräftig an. Im Jahr 2009 sollen 250 Mio. € mehr ausgegeben werden als in diesem Jahr. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Natürlich hat das nichts mit den Kommunal-, Landes- und Europawahlen zu tun. Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, hier werden - wie schon so oft - wieder einmal Wahlgeschenke verteilt.

(Beifall bei der SPD)

Hinterher kommt dann wieder das böse Erwachen. Dann ist „ach, oh Schreck“ kein Geld mehr in der Kasse und die Bürger müssen doppelt und dreifach dafür bezahlen, was die CDU an Wahlgeschenken verteilt hat.

(Beifall bei der SPD)

1 Mrd. € müssen die Thüringer Steuerzahler allein für das letzte Wahlgeschenk von Dieter Althaus aufbringen und obendrein noch mit höheren Wasserpreisen dafür bezahlen.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage es ganz deutlich: Thüringen braucht keine neuen Wahlgeschenke, Thüringen braucht einen neuen Aufbruch, Thüringen braucht frische Ideen und braucht Tatkraft.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb sage ich: Lassen Sie uns den Schwung der guten Konjunktur nutzen, um das Land fit zu machen für die nächsten Jahre. Wo liegen die entscheidenden Herausforderungen für die kommenden Jahre? Zuallererst: Thüringen braucht Fachkräfte für einen dauerhaften Aufschwung. Nur dort, wo es genügend gut ausgebildete Menschen gibt, werden Unternehmen wachsen, werden sich Firmen ansiedeln, in Erweiterungen investieren. Von guter Wirtschaftsentwicklung, das wissen wir alle, hängen unsere Handlungsspielräume auch in den anderen Feldern der Thüringer Politik ab. Nach den zuletzt vorgestellten Ergebnissen des IAB-Betriebspanels von 2006 ist das Fachkräfteangebot der zweitwichtigste Standortfaktor für Unternehmen, gleich nach der Nähe zu den Kunden. Sie haben dieser Kernfrage der Wirtschaftsentwicklung, Herr Ministerpräsident, ganze fünf Sätze gewidmet. Wie sieht es in Thüringen mit dieser Fach

kräftesituation aus? Die IHK Erfurt spricht in einem Strategiepapier für Thüringen von bis zu 130.000 fehlenden Fach- und Führungskräften bis 2013. Wenn man sich das vor Augen führt, dann weiß man ganz genau, hier, genau an dieser Stelle, ist der Flaschenhals für die zukünftige Wirtschaftsentwicklung. Hier entscheidet sich, ob Thüringen den Aufstieg schafft oder den Anschluss verliert.

(Beifall bei der SPD)

Auf dieses strategische Feld muss eine Landesregierung alle Anstrengungen konzentrieren und dazu gehört, die Frage noch einmal zu stellen: Wie gut ist unser Bildungssystem? Reicht die Qualität aus? Wie können wir Nachwuchs nach Thüringen bringen? Wie gut sind die Verdienstmöglichkeiten? Was macht unser Land darüber hinaus anziehend, Stichwort Familienfreundlichkeit, Stichwort Kultur? Die IHK Erfurt fordert als eine entscheidende Antwort auf die Fachkräftelücke ein Thüringer Zukunftsprogramm Bildung und darin heißt es in der Einleitung: „In unserem Freistaat besteht dringender schulpolitischer Handlungsbedarf.“ Ich frage Sie, Herr Ministerpräsident: Wo ist die Antwort der Landesregierung in diesem Bereich? Statt die frühkindliche Bildung zu stärken, wie es auch aus der Wirtschaft gefordert wird, wird bei den Kindergärten gekürzt. Das ist doch nicht die richtige Antwort. Statt eine Schulstrukturreform auf den Weg zu bringen, wie sie nicht nur seit Langem von Bildungsexperten, sondern auch von der IHK gefordert wird, beißt sich die Landesregierung am Bestehenden fest und verliert sich in Einzelmaßnahmen. So, werte Kolleginnen und Kollegen, kann es in Thüringen nicht weitergehen.

(Beifall bei der SPD)

Handeln will die Landesregierung jetzt bei den Hochschulen. Sie sollen in den kommenden Jahren deutlich besser ausgestattet werden. Das begrüße ich ganz ausdrücklich, das ist eine wichtige, eine richtige Anstrengung. Das hilft uns, Herr Ministerpräsident, junge Leute zum Studium nach Thüringen zu locken, und deshalb haben Sie alle unsere Unterstützung bei diesem Schritt. Doch auch hier wird man letztendlich das Gefühl nicht los, dass hinter dieser Mittelaufstockung nicht wirklich ein strategischer Ansatz steckt, denn noch vor wenigen Monaten wurden die Hochschulen mit Kürzungsplänen der Landesregierung konfrontiert und es gingen Listen durch die Hochschulen, welche Fachbereiche möglicherweise wegfallen oder geschlossen werden sollen. Wir brauchen aber in der Bildungspolitik eine langfristig tragfähige Strategie, und zwar vom Kindergarten über die Schule, Berufsschule und Hochschule bis hin zur Weiterbildung. Nur die Regionen mit den besten Bildungssystemen werden sich im Wettbewerb einer globalen Wissensgesellschaft behaupten

können und wir wollen dabei sein, werte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb hat die IHK Erfurt recht, wenn sie fordert, ich zitiere: „Dazu braucht unser Land nicht immer wieder neue Einzelmaßnahmen, sondern ein Programm, das für die zukunftsorientierte Entwicklung von Bildung und Erziehung einen allumfassenden Rahmen absteckt.“

(Beifall bei der SPD)

Die inhaltlichen Forderungen, die da aus der Thüringer Wirtschaft kommen, decken sich mit den Vorstellungen der SPD: Verbesserung der Erzieherinnenausbildung, Stärkung der Grundschule, Verbleib der Horte in der Landesverantwortung, längeres gemeinsames Lernen in einem sozial-integrativ organisierten Schulsystem, bessere individuelle Förderung, Stärkung der pädagogischen Kompetenz in der Lehrerausbildung. Ich könnte diese Liste fortsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden deshalb, wenn wir regieren, gemeinsam mit allen, die im Bildungssystem Verantwortung tragen, mit den Eltern und der Wirtschaft, ein Zukunftsprogramm „Thüringer Bildung“ auf den Weg bringen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen bis 2020 Thüringen zum Bildungsland Nummer 1 in Deutschland machen.

(Beifall bei der SPD)

Darüber hinaus wollen wir ein Fachkräftemonitoring aufbauen gemeinsam mit der Wirtschaft, mit Bildungsträgern, mit der Wissenschaft, ein Fachkräftemonitoring, was uns hilft, Engpässe frühzeitig zu erkennen, darauf zu reagieren und ausreichend zeitig auch gegenzusteuern. Die Niedriglohnstrategie, die die Landesregierung über viele Jahre verfolgt hat, verschärft momentan das Fachkräfteproblem, denn ein entscheidender Faktor, um gute Köpfe hier im Land zu halten, das wissen Sie so gut wie ich, ist der Lohn. Deshalb brauchen wir auch in Thüringen stabile konkurrenzfähige Löhne. Noch sind wir beim Lohnniveau Schlusslicht in Deutschland; das ist kein Grund zum Jubeln, Herr Ministerpräsident. Ordentliche Löhne, das ist die Sache der Tarifpartner, ja, aber auch die Landesregierung ist in der Lage, die richtigen Signale und Impulse zu setzen. Ein Vergabegesetz zur Stärkung tarifgebundener Unternehmen wäre ein richtiges Signal gewesen. Ihre Ablehnung dieses Gesetzes gestern war ein strategischer Fehler und muss auch so benannt werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich kann Ihnen nur sagen, wachen Sie auf, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, Thüringen braucht höhere Löhne, wenn es Fachkräfte halten will. Dafür können wir gemeinsam auch etwas tun.

(Beifall bei der SPD)

Jeden Tag packen 123 Menschen zwischen Harz und Thüringer Wald die Koffer und wandern ab. Die meisten, weil sie keinen oder eben keinen ausreichend gut bezahlten Job finden. Herr Ministerpräsident, Sie sprechen sich in einer solchen Situation jetzt für eine stärkere Zuwanderung ausländischer Fachkräfte aus. Glauben Sie wirklich, dass das für Thüringen zurzeit der richtige Weg ist? Muss uns nicht alles daran gelegen sein, zuerst einmal die eigenen Potenziale besser zu nutzen, bevor wir ausländische Fachkräfte hier ins Land holen wollen? Ich kann Ihre Strategie nicht nachvollziehen bei dieser Abwanderung, die wir derzeit noch haben, bei der Arbeitslosigkeit, die wir derzeit noch in Thüringen haben.

(Beifall bei der SPD)