Erinnere ich mich jetzt falsch oder hatten wir das erst vor Kurzem wieder, meine Damen und Herren, bei den Änderungen, die Sie vorgenommen haben? Ich zitiere noch mal: „Mit dem plan- und wahllosen Streichen und Zusammenlegen von Ämtern hinterlässt die Regierung wahrscheinlich eine Spur der Verwüstung im Land.“
Herr Ramelow charakterisierte diese Regierungserklärung - ja, von wegen Kaliber - mit den Worten: „mutlos, kraftlos und planlos“, meine Damen und Herren,
und seit heute lustlos. Fast drei Jahre später, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss man konstatieren, dass man, und so ist die Lage im Land, weitere drei Merkmale hinzufügen kann und muss, um das zu benennen, was Realität geworden ist:
Ahnungslosigkeit, Konzeptionslosigkeit und Gewissenlosigkeit in der Politik, und das kritisieren wir.
Warum ahnungslos? Weil der Realitätsverlust so enorm ist, dass Sie nicht mehr wissen, was in diesem Land geschieht, was die Thüringer Bürgerinnen und Bürger tatsächlich bewegt, meine Damen und Herren, und wo Lösungen notwendig sind.
Konzeptionslos, weil diese Regierung nur dann auf Probleme reagiert, wenn es aufgrund des Gegenwindes gar nicht mehr anders geht. Was dem Stochern im Nebel dann schließlich folgt, ist logischerweise nur Flickschusterei.
Aber auch, meine Damen und Herren, vor allen Dingen gewissenlos, weil Ihre Politik an den Menschen vorbeigeht,
weil Sie sich über die Interessenbedürfnisse und Nöte der Bürgerinnen und Bürger einfach hinwegsetzen und weil - das muss man auch mittlerweile sagen und dafür steht dieses Land auch außerhalb seiner Grenzen - die Versorgung der eigenen Parteiklientel und das Vertuschen der Vetternwirtschaft Vorrang hat, meine Damen und Herren. Diesen Eindruck habe ich ganz deutlich.
Aber abgesehen von Ihrem Bild dieses Landes, wie stellt sich denn die Situation seit 2004, die Entwicklung in der Tat dar? Wir alle wissen, Arbeitsmarktpolitik, Wirtschaftspolitik, Schaffung von Arbeitsplätzen, umgedreht gesprochen natürlich, die hohe Arbeitslosigkeit sind ein erstes und zentrales Bedürfnis der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Aber - und das lässt sich auch nicht mit den Aufschwungzahlen des Jahres 2007 einfach so kaschieren, meine Damen und Herren, zumal ich da noch mal sagen muss, ich habe verschiedentlich Zahlen gesehen, wo die Reduzierung der Arbeitslosigkeit - und das sollten Sie sich mal genauer anschauen, Herr Althaus und die Damen und Herren der Landesregierung - dort, wo die Arbeitslosigkeit bei uns signifikant sinkt, steigen in gleichem Maße die Bedarfsgemeinschaften von Hartz IV fast zahlen
gleich. Was wir im Augenblick unter Rückgang der Arbeitslosigkeit konstatieren könnten, so gut es am Ende durchaus zunächst für den Einzelnen ist, das ist doch der direkte Einstieg in den Billiglohnsektor, den Sie immer präferieren. Sie haben schon von der Gesamtpolitik her an diesem Aufschwung eigentlich keinen Anteil, aber die Wirkungen kann man nicht nur allein Statistik und Zahlen ablesen, sondern da muss man sich auch schon mal ansehen, wo die Sache hingeht.
Die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich in unserem Land zementiert, meine Damen und Herren. Im Juli 2003 gab es 80.165 Langzeitarbeitslose in Thüringen und jetzt sind es über 100.000 - 100.584 Personen, mehr als doppelt so viele erhalten Hartz IV, davon etwa ein Viertel, die einen Arbeitsplatz haben aufgrund der Niedriglohnsituation.
Ein anderes Beispiel, das auch ein Stück weit die Zwiespältigkeit Ihrer Politik aufzeigt: Die Zugangsbedingungen haben sich für diejenigen Unternehmen und die Bedingungen überhaupt, welche 50-Jährige und Ältere einstellen wollen, wesentlich verschlechtert, und zwar deshalb verschlechtert, weil Lohnkostenzuschüsse sowie die Dauer und Höhe der Bezuschussung von Ihnen reduziert wurden. Und im gleichen Augenblick stellen Sie sich hin und jubeln über die Rente mit 67, wie sie von der Bundesregierung auf den Weg gebracht ist, meine Damen und Herren, das ist doch ein direkter Widerspruch. In diesem Land fällt es immer schwerer, älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen Arbeitsplatz zu vermitteln und wir feiern sozusagen die Rente mit 67.
Ich hatte es erwähnt, wir haben die Situation, dass Langzeiterwerbslose in Hartz IV abgeschoben werden, die Qualifizierungsmaßnahmen sind in diesen Bereichen aufgrund fehlender Kofinanzierung des Landes immer weiter herabgesogen worden. Im Bund bereitgestellte Fördermittel zur aktiven Arbeitsmarktpolitik werden durch die Politik dieser Landesregierung überhaupt nicht ausgeschöpft. Im Jahre 2005 sind 113 Mio. € - das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen - 113 Mio. € aus dem SGB II und weitere 44 Mio. € aus dem SGB III nicht in Anspruch genommen worden, meine Damen und Herren. Tatsache ist längst geworden, dass sich das Land aus der Arbeitsmarktförderung fast völlig zurückgezogen hat. Die Gründe dafür dürften lediglich ideologischer Natur sein. Insofern ist es ja nicht so, dass es keine Alternativen für Thüringen gibt. Wir haben wiederholt gefordert, die Bündelung von Arbeitsmarktmitteln für versicherungspflichtige Beschäftigung in diesem Land zu entwickeln. Wir haben weiterhin darauf verwiesen, dass es eine erweiterte Arbeitsmarktförderung erneut in diesem Land geben muss. Insofern will ich ganz deutlich sagen, Sie haben das bisher alles immer in den Wind geschlagen
Wir haben einen Jugendarbeitslosenanteil von 10 Prozent aller Arbeitslosen, die unter 25 Jahre sind, davon wiederum 50 Prozent Hartz-IV-Empfänger. Natürlich gibt es eine berechtigte Debatte um demographische Entwicklung, es gibt auch eine berechtigte Debatte um Abwanderung aus diesem Land, besonders von jungen Menschen, besonders von jungen Frauen, wir kennen das alles. Aber, ich sage Ihnen ganz deutlich, man kann über vernünftige sogenannte Rückholprogramme reden und wir sollten sie miteinander debattieren. Auch wir stehen für solche Varianten.
Andererseits muss ich sagen, wenn nicht in diesem Land etwas für Arbeitsmarktpolitik getan wird, wenn in diesem Land kleine und mittlere Unternehmen nicht unterstützt werden, die ja als Einzige im Prinzip Arbeitsplätze schaffen, dann wird dieser Prozess weitergehen, dann werden wir ihn nicht aufhalten. Die Landesregierung tut bis dato dazu nichts.
Das betrifft genauso die Fragen der Wirtschaftsförderung. Auch hier wurden dem Land in erheblichem Maße Fördermittel aus der GA vorenthalten, betroffen sind vor allem kleine und mittelständische Unternehmen. Wo, meine Damen und Herren, bleibt denn Ihre Politik auf diesem Gebiet, die Sie immer verkünden, aber nie realisieren?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ja nicht so, dass nur die Opposition im Thüringer Landtag oder Die LINKE diese Feststellungen treffen. Dass wir mit dieser Bewertung nicht allein sind, untermauert eine externe Bundesländer-RankingStudie des Instituts der deutschen Wirtschaft Consult GmbH in Köln. Da ist völlig klar, im Jahr 2006 zum Beispiel - wir kommen zur Einkommensituation - ist das Bruttoeinkommen der Arbeitnehmer in Thüringen das niedrigste aller Bundesländer, meine Damen und Herren. Das sage ich Ihnen, Herr Althaus und der Landesregierung und der CDU-Mehrheit, geben Sie doch endlich Ihre Behauptung oder Illusion - ich weiß gar nicht was es mehr ist - auf, dass Billiglöhne und niedrige Löhne Arbeitsplätze schaffen. Was wir in diesem Land brauchen, ist ein Mindestlohn, meine Damen und Herren!
Diesen Mindestlohn brauchen wir vor allen Dingen auch deshalb, um bei Menschen das Einkommen zu schaffen, dass über die Binnennachfrage gerade auch die Arbeit von Handwerk, von Gewerbetreibenden, von kleinen Unternehmungen letzten Endes gestützt werden kann. Das ist nicht nur eine Frage der Löhne, dass sie konkurrenzfähig sind, es ist
Meine Damen und Herren, mich wundert natürlich nicht, dass unsere Landesregierung sich damit nicht so weit befassen kann. Sie hat meiner Meinung nach ganz offensichtlich andere Baustellen zu bearbeiten und zu verantworten als Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik. Den Vogel schießt momentan nämlich dabei die Flughafenaffäre hier in Erfurt ab. Ich muss Sie schon einmal fragen: Mit welchem Recht verzichtet die Landesregierung auf die Rückforderung mutmaßlich erschlichener Fördermillionen, meine Damen und Herren?
offensichtlich um die Misswirtschaft durch die Landesregierung oder mindestens die von der Landesregierung gebilligte Misswirtschaft zu vertuschen.
Im Bereich der Sozialpolitik scheint mir die Landesregierung nach dem Vorbild der berühmten drei Affen zu agieren - nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.
Meine Damen und Herren, wir haben das in diesem Haus wiederholt debattiert, sämtliche finanziellen Auswirkungen der Hartz-IV-Gesetzgebung haben Sie so beurteilt, dass wir uns hier nicht darüber unterhalten müssen, dass wir nichts daraus ableiten müssen. Sie haben mit der Kommunalisierung der Sozialhilfe im Jahr 2004 die Landesregierung jeglicher politischer Verantwortung aus ihrer Sicht enthoben. Da muss ich auch noch mal deutlich sagen, da hilft dann auch nicht die Debatte über das Bürgergeld, Herr Ministerpräsident.
Wenn man nun etwas genauer hinter die Kulissen dieser Diskussionen schaut, dann ist klar, dass dieses Bürgergeld weit unter den Auszahlungsbeträgen von Hartz IV liegen wird und dass dies ja heute schon nicht existenzsichernd ist, das gilt doch als gegeben. Den Menschen vorzugaukeln, dass das eine gute Alternative sei, wenn man noch dazu, zumindest indirekt, alle weiteren sozialen Sicherungssysteme auf dem Altar der Neoliberalisierung für diese Menschen opfern will, dann kann das keine zukunftsfähige Politik für dieses Land Thüringen sein.
Im Übrigen muss ich mal sagen, uns werfen Sie ganz gern immer mal vor, dass wir hier Bundespolitik in dem Saal betreiben. Ich bin der Meinung, Bundes- und Landespolitik hängen eng zusammen. Das gestatte ich auch Ihnen. Aber dann wissen Sie doch auch, dass diese Idee letzten Endes nur mit einer Bundesinitiative gelöst werden kann. Da sage ich Ihnen mal, da können Sie auf noch X CDU-Parteitagen darüber beraten und dazu Positionen erarbeiten, wenn - und das ist mir so bekannt - diese Idee noch nicht mal in die Grundsatzdokumente Ihrer Bundespartei Eingang findet. Was ist denn dann diese ganze Debatte wert, muss ich an der Stelle fragen? Da sage ich auch mal, wenn wir jetzt mal eine Arbeitsgruppe bilden, weiß ich nicht, ob das nach dem alten Motto geht: Wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann bilde ich einen Arbeitskreis. Da gibt es Erfahrungen, aber nicht besonders gute.
Sie haben in den zurückliegenden Jahren alles dafür getan, das soziale Renommee dieses Landes und der Landespolitik schwer zu beschädigen, meine Damen und Herren, allein wenn ich an die Debatte um das Blindengeld im Rahmen der Behindertenpolitik insgesamt denke. Sie haben das zunächst mal mit Ihrer Abschaffung nur zweieinhalb Jahre als Ihre Sparbüchse für Ihre Landesregierung betrachtet und auf dem Rücken der Betroffenen gehandhabt. Ich will jetzt nicht noch mal aufzählen, wie die leidvolle Geschichte ist. Dann sind Sie wieder auf die Proteste eingegangen und haben nun eine halbe Lösung darunter angeboten, aus meiner Sicht mit einer gewissen gnädigen Haltung.
Ich muss Ihnen mal sagen, es ist immer wieder das gleiche politische Prinzip: Erst wird ein Entschluss gefasst, der die schlechteste und oft sogar die NullVariante vorzieht, dann rudert man ein kleines Stück zurück, entscheidet sich wieder etwas anders und meint dann, dass man die Sache gerichtet hat und die Öffentlichkeit damit mit Augenauswischerei von den tatsächlichen Prämissen Ihrer Politik ablenken kann. Aber glauben Sie mir, die Mehrheit der Menschen in diesem Land nimmt Ihnen das schon lange nicht mehr ab.
Familienpolitik: Wir haben hier erlebt, welche Debatten wir in der Öffentlichkeit hatten. Sie haben sich darüber hinweggesetzt. Sie haben damit sachliche Entscheidungen getroffen, die einfach nicht gut sind für dieses Land. Jeder weiß, wie wichtig frühkindliche Bildung heute geworden ist. Wir wissen dank der Monitore, dass eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Falle eine institutionale För
derung vorziehen würde, eine Förderung, die Qualitätsgewinn in Kindertagesstätten, die einen vernünftigen Personalschlüssel, ein vernünftiges pädagogisches Arbeiten dort ermöglichen würde. Sie sind in die andere Richtung gegangen. Sie sagen, wer unserem Familienbild von Ehe und Familie folgt, der wird durch das Thüringer Erziehungsgeld belohnt. Sie übersehen dabei auch oder reden nicht darüber, dass mit der Beseitigung des Landeserziehungsgelds auch hier schon wieder eine soziale Auswahl getroffen wurde, weil nämlich dort vor allen Dingen denjenigen Geld entzogen wird, die geringe Einkommen haben. Es geht doch noch um etwas ganz anderes. Sie verfolgen die Politik eines antiquierten Familienbilds, meine Damen und Herren.
Ein modernes Familienbild in der heutigen Gesellschaft geht davon aus, dass eine Familie dort ist, wo Menschen zusammenleben, wo Kinder sind, wo pflegebedürftige Menschen einbezogen sind und wo eben nicht allein der Trauschein entscheidet, wie die Förderung aussieht, meine Damen und Herren.
Im Übrigen wissen wir doch in der modernen Gesellschaft auch, dass die Situation so ist, dass es immer schwieriger ist und schwieriger wird, Familie und Beruf miteinander zu verbinden, und das besonders für Frauen, dass also lange Zeiten des Aussetzens von beruflicher Tätigkeit für den Einstieg ganz schwierig sind, dass es hohe zeitliche Anforderungen in diesen Fragen gibt. Alle diese Dinge haben letzten Endes damit zu tun, ob es gute inhaltliche, qualitative und natürlich auch zugängliche Kinderbetreuung geben kann. Das haben Sie zumindest behindert mit Ihrer Politik. Sie wussten dann den Weg nicht anders, nachdem es ein Volksbegehren gibt, als vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Glauben Sie mir, dem Land tun Sie keinen Gefallen mit dieser Vorgehensweise.