Protocol of the Session on January 25, 2007

Herr Kollege Fiedler, auch Ihnen hilft zuhören ab und zu.

(Heiterkeit und Beifall bei der Linkspar- tei.PDS)

Abgeordneter Carius, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fiedler?

Selbstverständlich.

Herr Kollege Carius, waren Sie zu der letzten Gebietsreform, die dieses Hohe Haus schon durch hatte, eine Gemeindegebietsreform, eine Kreisgebietsreform, schon in diesem Hohen Haus und haben Sie dort mitgewirkt?

Sehr verehrter Herr Kollege Fiedler, natürlich war ich noch nicht in diesem Hohen Hause und deshalb haben wir uns in der Enquetekommission intensiv damit auseinandergesetzt, was die Beweggründe der damaligen Reform waren.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich denke, gerade die EDV-Technik ist heute sehr viel günstiger zu haben und sie ermöglicht gerade heute in einer dezentralen Verwaltungsstruktur auch effiziente Verwaltung zu gestalten. Wir sollten meines Erachtens auch eGovernment nicht nur als Kommunikationsform vom Bürger zu den Behörden begreifen, sondern auch als behördeninterne Kommunikation. Mit anderen Worten, dieses Argument lässt sich heute allein betrachtet eher in sein Gegenteil verkehren.

Lassen Sie mich in dem Zusammenhang auch ein Missverständnis ausräumen, das gelegentlich aufkommt. Hier wird immer verwiesen auf die Finanzverwaltung und e-Government als Zukunftslösung schlechthin dargestellt. Wir sollten uns davon allein aber nicht blenden lassen, denn nicht jede Verwaltung hat Aufgaben wie die Finanzverwaltung. Im Gegenteil, eine ganze Reihe von Verwaltungsaufgaben, etwa mit Überwachungsfunktionen, funktioniert nur vor Ort, das heißt, ohne Ortskenntnis von Mitarbeitern können Sie diese Funktion überhaupt nicht mehr ausführen.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. Ein weiteres Argument der damaligen Diskussion war die Entfernungsschrumpfung durch die Zunahme des Autoverkehrs. Dies ist sicher ein Argument, das am stichhaltigsten ist. Allein es stellt sich für uns ganz aktuell die Frage, gibt es seit 1994 eine erneute Entfernungsschrumpfung? Nun werden Sie sagen, das sei dank unserer neuen Verkehrsachsen der Fall. Doch auch hier darf ich einwenden, dass gerade die heutigen Trassenverläufe auch damals schon berücksichtigt wurden und zudem haben wir diesem Argument mit einem flächenmäßigen Durchschnitt der Landkreise von 902 km² bereits Rechnung getragen. Ich darf darauf hinweisen, dass dies nur unwesentlich unter dem Flächendurchschnitt der Landkreise des bundesrepublikanischen Durchschnitts liegt.

Zum demographischen Wandel: Nach den der Enquetekommission bisher vorliegenden Unterlagen wird für Thüringen eine ähnlich demographische Entwicklung erwartet wie für die übrigen neuen Länder. Daraus könnte man, wie es Teile der Opposition tun, schlussfolgern, dass Thüringen hinsichtlich der Gebietsstrukturen deshalb auch nur mit den ostdeutschen Ländern vergleichbar sei und deren Lösungsansätze blind übernehmen müsse. Doch wenn man sich die demographischen Daten, die für Deutschland insgesamt prognostiziert wurden, anschaut, stellt man unschwer fest, dass auch in den westdeutschen Ländern zwar zeitlich verzögert, aber letztlich eine identische Entwicklung stattfinden wird. Insofern können und müssen wir in Thüringen auch mit westdeutschen Ländern vergleichen und da sind die Ergebnisse durchweg differenzierter zu betrachten. Vor allem sehen wir hier deutlich, dass die Größe einer Gebietskörperschaft nichts über ihre Effizienz aussagt, weder in finanzieller Hinsicht noch im Blick auf die Qualität der Aufgabenerfüllung. Dies möchte ich gern auch näher erläutern.

Nehmen wir nur die Auswertung der Thüringer Kreiszahlen durch das Statistische Landesamt zur Hand. So ist beispielsweise die Steuereinnahmekraft als wichtiges Indiz der Finanzkraft von Kreisen völlig unabhängig von deren Größe und dies macht noch stärker deutlich, wenn Sie diese Gesamtzahlen auf die Einwohner herunterbrechen. Hier haben wir auf der einen Seite die Schlusslichter: das Altenburger Land mit 265 € pro Einwohner, den Unstrut-HainichKreis mit 265 € pro Einwohner und den Kyffhäuserkreis mit 263 € pro Einwohner. Als Spitzenreiter haben wir den Ilm-Kreis mit 379 € pro Einwohner, das Weimarer Land mit 359 € und den Landkreis Sömmerda mit 356 € pro Einwohner - das sind durch die Bank weg unterschiedlich große Kreise.

Auch hinsichtlich der Gemeindegrößen und deren Aufwendungen für Aufgaben der Kernverwaltung lässt sich der Beweis „größer und größer ist gleich günstiger“ nicht führen, eher im Gegenteil. Selbst wenn wir die kreisfreien Städte trotz gegebener Vergleichbarkeit außen vor lassen, stellt sich das Bild so dar, dass die Verwaltungsstrukturen je Einwohner die kostengünstigsten Verwaltungen haben, in denen weniger als 10.000 Einwohner wohnen und die Kosten ab den Größenordnungen von 10.000 Einwohnern exponentiell ansteigen. Hier ist wahrscheinlich auch der Punkt, meine Damen und Herren, an dem sich auch auf den ersten Blick besondere Bürgernähe eher auszahlt, als man bislang vermutet,

(Beifall bei der CDU)

zumal wir gerade im ländlichen Raum sehr viel Arbeit durch ehrenamtliche Gemeinderäte und Bürgermeister wahrnehmen, denen ich an dieser Stelle auch herzlich danken darf, die in anonymeren Strukturen eher teuer eingekauft werden müssen.

(Beifall bei der CDU)

Ich will damit nicht sagen, meine Damen und Herren, dass alles gut ist, wie es ist, doch eines möchte ich deutlich machen: Wir haben hier ein Pfund, das wir nicht grundlos über Bord werfen sollten. Deshalb sollten und müssen wir, um über an Effizienzkriterien gemessene Mindestgrößen verlässliche Aussagen treffen zu können, noch ein Stück Analysearbeit bewältigen, und das werden wir in den nächsten Monaten auch tun.

(Beifall bei der CDU)

Bei allen Vergleichen ist aber auch zu beachten, dass neben den künftigen Entwicklungen auch aktuelle und historische Gegebenheiten zu betrachten sind. Thüringen war und ist ein kleinteiliges Land, und das macht einen großen Teil seines Charmes aus. Große Strukturen bedeuten demgegenüber einen Verlust an dieser Identität, auch einen Verlust an Bürgernähe und vor allem einen Verlust an Demokratie; Letzteres, meine Damen und Herren, haben übrigens selbst die Vertreter der Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern zu ihrem dortigen Reformvorhaben konstatiert.

Übrigens sollten wir an dieser Stelle nicht vergessen, dass die Aufgabe ganzer Landstriche, wie sie zuweilen von einigen Partei- und Planungsstrategen der PDS ins Feld geführt wird, eben gerade dort Platz schafft, wo wir den Platz nicht brauchen, nämlich Platz für politische Gruppierungen, die besonderes extremistisch sind. Ich denke, hier sehen wir die Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern mit großer Sorge.

(Beifall bei der CDU)

Noch ein paar Worte zur Vergleichbarkeit: Das föderale System Deutschlands ermöglicht es den einzelnen Bundesländern, über ihre politischen Probleme und Prioritäten eigenständig zu entscheiden. Unter diesem Gesichtspunkt sollten wir auch die derzeit überall propagierten Benchmarking-Reporte zwar durchaus in der Arbeit der Enquetekommission berücksichtigen und einbeziehen, aber nicht blind zur Grundlage unseres Handelns machen.

Damit zur Studie, die uns von Prof. Seitz vorgelegt wurde: Hier handelt es sich um eine sehr interessante Studie mit vielen Bemerkungen zu unseren finanzpolitischen Alleinstellungsmerkmalen, so möchte ich sie mal nennen. Bemerkenswert, meine Damen und Herren, am Umgang mit der Studie ist aus meiner Sicht vor allem eines, dass nämlich die Studie, wenn sie überhaupt noch zitiert wird, lediglich in den Partien zitiert wird, in denen sie dem Auftraggeber, der Friedrich-Ebert-Stiftung bzw. auch der SPD, nützlich erscheint.

(Beifall bei der CDU)

So wird - und das werden wir ja sicher heute Nachmittag noch erleben - der Teil zu unserer Kulturfinanzierung nicht nur vom kulturpolitischen Sprecher gar nicht zur Kenntnis genommen, sondern auch durch ihren Fraktionsvorsitzenden konsequent ignoriert.

Meine Damen und Herren, doch nun zum kommunalen Teil: Herr Seitz stellt hier richtig fest, dass wir auf kommunaler Ebene noch erhebliche Konsolidierungsanstrengungen unternehmen müssen, und er empfiehlt vor allem aus landespolitischer Perspektive eine Übergabe von Personal an die Kommunen, die dann größer werden müssten. Er rechnet dann mit einer Effizienzrendite zugunsten des Landes von rund 20 Prozent, die sich aber erst in 30 Jahren zeigt, was die Frage aufwirft, natürlich wie valide diese Schätzungen innerhalb dieser 30 Jahre wirklich sind.

Meine Damen und Herren, wir sind uns darin einig, dass wir dem Ziel verpflichtet sind, die Minderungen der Administrationskosten zu erreichen auf der einen Seite, um in anderen Politikfeldern damit mehr gestalten zu können. Doch lassen Sie mich auch da Ross und Reiter klar benennen. Wenn wir das erreichen wollen, müssen wir langfristig noch mehr Personal abbauen. Ich bestreite zwar nicht, dass dies grundsätzlich möglich sei, die Frage ist aber, ob man es in den gegenwärtigen Strukturen sozialverträglich sehr viel besser kann. Übrigens sagt gerade Prof. Seitz, dass das Zusammenwerfen von Verwaltungen allein überhaupt nichts bringe. Deshalb hier ganz klar die Frage an die Opposition: Wie viel Personal gedenken Sie hier und heute sofort zu entlassen?

Dankbar wäre ich Ihnen natürlich auch, wenn Sie uns Gedanken zur rechtlichen Umsetzbarkeit dieser Forderung auch darbringen würden.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Es geht doch nicht um Entlassungen. Das ist ein bisschen zu einfach.)

(Beifall bei der CDU)

Im Übrigen, meine Damen und Herren, darf ich auch noch mal auf die methodischen Bedenken gegenüber der Seitz-Studie aufmerksam machen. Nicht, dass Sie die Ergebnisse völlig obsolet macht, aber wenn Sie nur Kostenvergleiche nehmen und die Aufgabenseite als Kostenursache völlig vernachlässigen, dann sage ich Ihnen, dann ist das allenfalls eine Annäherung an die Wahrheit. Denn ich persönlich - und das sage ich sicher auch für meine Fraktion - habe große Zweifel daran, dass sich Effizienzrenditen von 20 Prozent für den Freistaat erreichen lassen, zumal wenn wir unsere jüngste verfassungsrechtliche Rechtsprechung zum Kommunalen Finanzausgleich ernst nehmen.

Nun gut, skeptisch macht mich aber besonders, dass Herr Prof. Seitz auf Nachfrage deutlich gemacht hat, dass er selbst hinsichtlich der Anwendbarkeit seiner Methode auf Thüringen Bedenken hatte. Hier möchte ich nur mit der Bemerkung von unserem Sachverständigen, Herrn Backhaus, entgegnen, das ist sicher schade für seine Methode, muss aber nicht traurig für den Freistaat sein.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, insgesamt drängt sich mir der Gedanke auf, dass wir die Reform allein deshalb machen sollten, weil sie innovativ ist. Aber wenn wir so handelten, gingen wir fehl, denn das wäre die Reform um der Reform willen. Allein aus diesem Grunde, etwa weil etwas gerade en vogue ist oder dem Zeitgeist entspricht, sollte man sich nicht an der grundgesetzlich gesicherten kommunalen Selbstverwaltung vergreifen, sondern hier bedarf es überragender Gründe des Gemeinwohls, und dies übrigens auch aus verfassungsrechtlicher Sicht.

Ich stelle nicht generell in Abrede, dass es solche Gründe geben kann, aber die müssen gründlich abgewogen werden. Schließlich gibt es Gründe kommunaler Demokratie, die Sie ja sonst an anderer Stelle sehr gern bemühen, die schwerwiegend dagegen sprechen. Wer statt jetzt rund 1.000 Mandatsträgern nur noch 300 Mandatsträger in vier Großkreisen möchte, der mindert nicht nur die Anzahl der Mitglieder von Vertretungen sowie deren bislang echt hohe Ansprechbarkeit, sondern er stellt auch ganz andere Anforderungen an deren Professiona

lität. Ob dies dann kostengünstiger ist, da habe ich leichte Zweifel; jedenfalls ist es nicht bürgerfreundlicher,

(Beifall bei der CDU)

ganz zu schweigen davon, dass der maßgebliche Einwand der höheren Effizienz wahrscheinlich auch mit milderen Mitteln erreicht werden kann. Ich möchte hier nur darauf hinweisen, dass wir den Bereich der interkommunalen Zusammenarbeit noch nicht hinreichend untersucht haben. Ich will Ihnen auch ein Beispiel sagen, wie innerhalb der bestehenden Strukturen gespart werden kann. Allein der Landkreis Sömmerda hat in den vergangenen Jahren bei einem Bevölkerungsschwund von 10 Prozent rund 20 Prozent des Personals eingespart. Das heißt, hier haben wir durchaus Potenziale, die wir auch nutzen sollten, ohne gleich alles über Bord zu jagen und in die Luft zu jagen.

So weit nur einige inhaltliche Anmerkungen zur Erarbeitung des Zwischenberichts und zu unserer Vorgehensweise. Festzustellen bleibt, dass mit der Verabschiedung des Zwischenberichts und der noch ausstehenden Anhörung anderer Bundesländer zu deren Verwaltungs- und Gebietsreformen auf diesem Gebiet der wesentliche Teil der Analysephase abgeschlossen sein wird. Durch die Erarbeitung von Thesenpapieren haben die Fraktionen einen ersten Schritt für die zweite Phase der Arbeit der Enquetekommission getan. Diese Thesen und die Schlussfolgerungen aus den Materialien, die auch in den nächsten Wochen und Monaten noch kommen, müssen wir auswerten und letztlich in Empfehlungen unserer Kommission einfließen lassen.

Ich glaube, die Verabschiedung des abschließenden Zeitplans mit den Stimmen der CDU- und SPDFraktion sowie einer entschiedenen Enthaltung der Linkspartei.PDS-Fraktion bietet einen verlässlichen Rahmen für die weitere Strukturierung der Arbeit der Kommission. Die Analysephase soll danach in diesem Jahr abgeschlossen werden und in die zweite Phase - Formulierung der Aussagen und Empfehlungen - münden. Wir haben noch ein ganzes Stück Arbeit vor uns und werden diese gründlich und sorgfältig abarbeiten, denn die CDU-Fraktion steht für zukunftsfähige Kommunen, für Kommunen mit Gestaltungskraft, aber auch für eine effiziente und bürgerfreundliche Verwaltung. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Hauboldt, Die Linkspartei.PDS.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, fast nichts ist in Thüringen so beständig und so kontinuierlich wie die Beratungsfolge zum Thema „Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform“ hier im Thüringer Landtag.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Und kommunale Selbstverwaltung.)

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Du warst doch damals gar nicht dabei.)

(Heiterkeit bei der SPD)

Es reicht aber aus, Herr Gentzel, so lange ich hier bin, mit stetiger Beharrlichkeit - es ist ja auch in Ordnung - dieses Thema immer wieder zu bedienen. Das will ich gar nicht im Negativen benennen.

Allein diese Feststellung - das unterstreicht auch die Wichtigkeit der kommunalen Vertreter hier in diesem Haus - zeigt doch, meine Damen und Herren, welche Brisanz dieses Thema hat und welche Brisanz drinsteckt. Was mir eigentlich noch wichtiger erscheint, ist ja auch die zunehmende Notwendigkeit, die erkannt wird, vielleicht nicht in den Ausführungen von Herrn Kollegen Carius, aber an anderer Stelle wird das erkannt, hier auch eine politische Weichenstellung für eine entsprechende Reform vorzunehmen. Die Kollegen der SPD-Fraktion haben mit Sicherheit - ich unterstelle einmal - in bester Absicht die Bildung der Enquetekommission „Zukunftsfähige Verwaltungs-, Gemeindegebiets- und Kreisgebietsstrukturen in Thüringen und Neuordnung der Aufgabenverteilung zwischen Land und Kommunen - Auftrag, Zusammensetzung und Beratungsverlauf" - so heißt ja die Enquetekommission im vollen Umfang - im Sommer 2005 eingefordert. Der Ansatz war - das ist meine persönliche Interpretation - abseits der großen politischen Gefechtslage mit externem Sachverstand auf sachlicher Basis und durch umfangreiche Aufgabenkritik und Datenanalyse, Wege aufzuzeigen, welche dem Land Thüringen aus einem zweifellos vorhandenen Reformstau heraushelfen.

Herr Carius, Sie haben darauf aufmerksam gemacht, dass der Wille nach gemeinsamen Lösungen sehr unterschiedlich ausgeprägt sei. Ich will vielleicht im Einzelnen nachher noch einmal auf diesen Vorwurf eingehen.