Protocol of the Session on December 14, 2006

ben. „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ - so formuliert es das Grundgesetz. Deshalb können weder die Erziehung im Kindergarten noch die Gesundheitsvorsorge ohne Einbeziehung der Eltern gelingen. Jede Lösung zum Schutz von Kindern vor Gewalt, die Eltern außer Acht lässt, genügt nicht den fachlichen Standards, wie wir sie auch in den Sozialgesetzbüchern verankert haben. Unabhängig davon sind bundespolitische Beschlüsse im Sinne gesetzlicher Vorgaben zu verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen im frühen Kindesalter bislang jedenfalls nicht ergangen. Folglich kann von einer Beschlusslage in bundespolitischer Diskussion, wie das im Antrag heißt, im Sinne einer Festlegung eines gesetzlich zu beschreitenden Weges nicht die Rede sein. Es bestehen vielmehr noch zahlreiche Unsicherheiten über den rechtlichen Spielraum, über verfassungsrechtliche Fragen hinsichtlich einer verbindlichen Teilnahme. Immerhin am 10. November dieses Jahres haben die Länder Hessen und Saarland einen Entschließungsantrag zur verpflichtenden Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen zur Behandlung in der Sitzung des Bundesrates eingebracht. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, einen entsprechenden Gesetzentwurf einzubringen, mit dem die Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen für alle Kinder im Alter von einem halben bis zu fünfeinhalb Jahren zur Rechtspflicht erhoben wird. Außerdem wird die Bundesregierung aufgefordert, die rechtlichen Grundlagen auch für den Datenaustausch zwischen Melde-, Sozial- und Gesundheitsbehörden der Länder hinsichtlich der persönlichen Daten der Kinder und ihrer Erziehungsberechtigten zu schaffen, soweit dies für die Entwicklung eines Meldewesens für die Überwachung der Teilnahme an solchen verpflichtenden Früherkennungsuntersuchungen erforderlich ist. Die Thüringer Landesregierung unterstützt diese Initiative grundsätzlich und der Antrag wird eventuell bereits in der morgigen Plenarsitzung des Bundesrates behandelt.

Meine Damen und Herren, Kinderschutz beschränkt sich allerdings nicht - das haben verschiedene Redner gesagt - auf verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen. Deshalb verfolgt die Landesregierung auch konsequent das Ziel, entsprechende Schutzmaßnahmen umfassend und wirksam weiterzuentwickeln. Ich denke, wir werden im Rahmen der Debatte zu Tagesordnungspunkt 11 noch ausreichend Gelegenheit haben, hierüber zu debattieren. Unser Ziel ist es, das Kinderschutzsystem Thüringens so fortzuentwickeln, dass Hilfen möglichst früh einsetzen können, Schutz und Förderung für Kinder in schwierigen Lebenssituationen ausgebaut werden und ein soziales Frühwarnsystem entwickelt wird. Es gibt, das muss man dabei allerdings bedenken, keine Garantie für einen absolut sicheren Schutz von Kindern vor Gefährdung und Gewalt. Aber man kann nach den bestmöglichen

Maßnahmen suchen und sie ergreifen, damit Kinder nicht das erleben müssen, was wir in jüngster Vergangenheit immer wieder durch Schlagzeilen erfahren mussten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Ich beende die Aktuelle Stunde und rufe verabredungsgemäß den Tagesordnungspunkt 22 auf

Thüringen in Europa - Chan- cen und Perspektiven Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU und der Antwort der Landesregierung - Drucksachen 4/2029/2291 - auf Antrag der Fraktion der CDU dazu: Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 4/2307 -

Wünscht die Fraktion der CDU das Wort zur Begründung Ihres Beratungsverlangens? Das ist nicht der Fall. Damit eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Kubitzki, Die Linkspartei.PDS.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Beantwortung der Großen Anfrage der CDU-Fraktion zu Thüringen und Europa ist gut platziert. Denn mit diesem Thema wird heute die deutsche Ratspräsidentschaft, die am 01.01.2007 beginnt, auch in diesem Landtag thematisiert. Es gibt allerdings auch schon Positionen der Thüringer Landesregierung zu dieser europäischen deutschen Ratspräsidentschaft, formuliert in einem Umlaufbeschluss der Europaminister vom 7. Juni 2006, wo ganz konkret die Forderungen der Landesregierung dokumentiert sind. Allerdings, Herr Minister, muss ich da die Frage stellen, wer hat Sie zu dieser Position, die auch von der Thüringer Landesregierung vertreten werden wird, weil wir ja zugestimmt haben als Thüringen, ermächtigt? Im Landtag und auch in dem dazugehörigen Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten war jedenfalls dieses Papier kein Thema.

Im ersten Teil der Antwort auf die Große Anfrage wird eingegangen auf Probleme der Osterweiterung der Europäischen Union, besonders auf Thüringen. Da will ich auf einige Widersprüchlichkeiten aufmerksam machen. Es wird in dieser Anfrage die positive Auswirkung der Osterweiterung - es sind zehn neue Staaten hinzugekommen - dokumentiert. Man spricht

dort unter anderem - es sind auch Zahlen genannt - von einer Ausfuhrsteigerung von 2003 auf das Jahr 2004 um 26,7 Prozent. Wörtlich können wir in der Antwort lesen, ich zitiere: „Die Thüringer Wirtschaft profitiert mit vom Nachholbedarf der Beitrittsstaaten, allerdings wächst auch der Konkurrenzdruck untereinander.“ Das ist für mich eine typische einseitige Betrachtungsweise. Es geht bei dieser Antwort nur darum, dass Geld verdient wird, dass Profit erzielt wird, nämlich die Beitrittsstaaten werden schlichtweg nur als Absatzmarkt gesehen. Gleichzeitig, meine Damen und Herren, dienen diese Beitrittsstaaten auch als ein Drohpotenzial. Es wird gedroht mit Konkurrenzdruck, es wird gedroht mit der Gefahr, dass durch Niedriglöhne in diesen Beitrittsstaaten Konzerne und Betriebe und Unternehmen auswandern. Letzten Endes wird damit Druck ausgeübt auf die Arbeitnehmer in unserem Land, indem ihnen gesagt wird, wenn ihr nicht bereit seid für Abbau von Sozialleistungen, wenn ihr nicht bereit seid, niedrige Löhne in Kauf zu nehmen, dann droht die Gefahr aus den neuen Beitrittsländern und der Verlust eurer Arbeitsplätze. Damit wird letzten Endes Druck auf die Tarifpartner bei zukünftigen Lohnverhandlungen ausgeübt.

Meine Damen und Herren, dieser Konkurrenzgedanke zwischen osteuropäischen und deutschen Arbeitnehmern trägt nicht dazu bei, dass in unserer Bevölkerung der europäische Charakter und der europäische Gedanke verankert werden.

Einerseits spricht diese Antwort von den gleichberechtigten Partnern in allen EU-Staaten und auch besonders von den dazugekommenen neuen EU-Staaten, aber gleichzeitig spricht sich die Thüringer Landesregierung auch für die Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit weiterhin aus. Wir wissen, dass diese Arbeitnehmerfreizügigkeit für osteuropäische Staatsbürger, in unserem Land zu arbeiten, am 1. Mai 2009 ausläuft, dass es aber durchaus möglich ist, diese Arbeitnehmerfreizügigkeit um weitere drei Jahre zu verlängern. Wörtlich aus der Antwort - Zitat: „Damit sollen Spannungen vor allem im Niedriglohnsektor verhindert werden.“ Der Satz, meine Damen und Herren, ist sehr interessant. Er ist dahin gehend sehr interessant, dass erstens hier ein Eingeständnis stattfindet, dass wir einen Niedriglohnsektor haben, und ich muss noch einen draufsetzen: Thüringen ist ein Niedriglohnland. Aber diese Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, meine Damen und Herren, löst nicht die Probleme, die wir haben. Es kann eigentlich nur folgenden Weg zur Lösung geben, nämlich die schrittweise Einführung eines europäischen Mindestlohnes, Erarbeitung von Entsenderichtlinien in der Bundesrepublik und nicht nur für das Baugewerbe oder für das Reinigungsgewerbe, sondern wir brauchen in allen Branchen Entsenderichtlinien. Wir brauchen eine Angleichung der

Sozialstandards und - die Antwort der Landesregierung geht auch darauf ein - wir brauchen eine Steuerangleichung. Wir brauchen eine Steuerangleichung auf einem Niveau, die es erlaubt, dass die Aufgaben des Sozialstaats finanziert werden können. Diese Steuerangleichung soll nicht zur Entlastung der Wohlhabenden dienen und zulasten der Arbeitnehmer gehen. Nein, wir wollen eine Steuerangleichung, die Arbeitnehmer entlastet und die es gleichzeitig erlaubt, dass die Aufgaben, die ein Staat hat, erfüllt werden können.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Nur dadurch, durch Mindestlohn, durch Entsenderichtlinien und Angleichung der Sozialstandards, ist es möglich, auch bei unserer Bevölkerung europäische Begeisterung zu erzielen.

In der Antwort auf die Anfrage ist dann ein breiter Raum für die europäische Förderpolitik vorgesehen und eingenommen. Unter anderem beginnt ja auch ab 1. Januar die neue Förderperiode 2007 bis 2013. Es wird dort richtig dargestellt, jawohl, Thüringen erhält gegenüber der alten Förderperiode weniger Mittel. Statt bisher 2,4 Mrd. € sind es nur noch 1,89 Mrd. €. Es wird damit begründet, dass mehr Staaten zur Europäischen Union hinzugekommen sind. Wenn man aber mal die Rechnung richtig aufmacht, so liegt die Ursache unter anderem auch darin, dass der Europäische Haushalt, verabschiedet im Europäischen Parlament, der Frage der Zunahme der Mitgliedstaaten in der EU nicht Rechnung trägt. Ich habe mal die Rechnung gemacht, indem ich berücksichtigt habe, dass wir jetzt 27 EU-Staaten sind, da wir ja alle wissen, dass ab 1. Januar 2007 sowohl Bulgarien als auch Rumänien noch Mitgliedstaaten in der EU werden. Da müssten wir - hätten wir das alte Niveau der Förderperiode - jetzt für die neue Förderperiode EUweit insgesamt 351 Mrd. € haben, wenn ich die alte Berechnungsgrundlage der alten Förderperiode zugrunde gelegt hätte. Wir haben aber nur 308 Mrd. € zur Verfügung. Das sind 12,3 Prozent insgesamt weniger, als das in der letzten Förderperiode war. Das ist für mich unverständlich, wenn Staaten hinzukommen, wie ich dann noch diese Fördermittel im EUParlament bzw. in der Europäischen Union senken kann.

(Zwischenruf Abg. Carius, CDU: Wie wollen Sie es denn machen? Sie wollen wohl die Druckmaschine anwerfen?)

Nun geht die Ratspräsidentschaft ja im Januar los und Bundeskanzlerin Merkel wird dort für ein halbes Jahr mit der Bundesregierung den Ton in Europa angeben. Sie hat sich natürlich große Ziele gestellt, u.a. auch den europäischen Diskussionsprozess über einen Verfassungsvertrag wieder in Gang

zu setzen.

Dazu hat die Thüringer Landesregierung natürlich auch eine Position. In dem Papier der Europaminister heißt es nämlich - ich zitiere: „Die Länder bekräftigen ihre Unterstützung des Europäischen Verfassungsvertrags. Im Hinblick auf die Diskussion um Modifikation des Verfassungsvertrags bleibt aus Sicht der Länder vorrangiges Ziel, die rechtliche und politische Substanz des vorliegenden Vertrags zu bewahren und zugleich ein öffentlich sichtbares Zeichen zu setzen, das die zunehmende Skepsis vieler EU-Bürger aufgreift und angemessen würdigt.“

Den Befürwortern eines neoliberalen Europas und einer neoliberalen Verfassung in Europa sitzt jetzt noch der Schreck tief in den Gliedern, als sie erfahren haben, dass in Frankreich und in den Niederlanden der Verfassungsvertragsentwurf durch Volksabstimmung abgelehnt wurde. Es herrschte Bestürzung und es herrschte Ratlosigkeit. Man erfand aber ein tolles Wort dafür, nämlich wir traten ein in eine Phase der Reflexion. Für mich ist eine Phase der Sprachlosigkeit eingetreten nach dem Referendum in Frankreich und in den Niederlanden. Wie kann es sein, dass die Bevölkerung von zwei EU-Staaten diesen Vertragsentwurf ablehnt? Das ist die große Frage. Die Landesregierung hat eine schnelle Antwort: Es lag an innerpolitischen Problemen in Frankreich und in den Niederlanden. Ist das wirklich so? Mehr als 70 Prozent der Wahlberechtigten in Frankreich haben an dieser Volksabstimmung zu diesem Verfassungsentwurf teilgenommen. Davon stimmten 54,9 Prozent mit Nein. Die Wahlbeteiligung war rund 70 Prozent. Zur Europawahl 2004 haben in Frankreich nur 42,8 Prozent der Wahlbeteiligten an dieser Wahl teilgenommen. Die Volksabstimmung zur EU-Verfassung war also nicht Ausdruck eines Desinteresses zu Fragen von Europa, sondern Ausdruck des Willens, so ein Europa wollen wir nicht haben. Es war auch keine Unkenntnis über den Verfassungstext. Mehrere Umfragen belegen, dass die Ablehnung bei denen höher lag, die den Verfassungstext gelesen hatten. Die Behauptung, es wurde also aus innenpolitischen Gründen abgelehnt, die ist damit ad absurdum geführt. 46 Prozent der Befragten einer repräsentativen Umfrage des zweiten französischen Fernsehens am 29. Mai haben gesagt, der Vertragsentwurf verschärft die Arbeitslosigkeit in Frankreich und schränkt die Arbeitnehmerrechte, z.B. das Streikrecht, auch das Recht des politischen Streiks, in Frankreich ein. Die Franzosen haben es sich nicht gefallen lassen, dass ihre Verhältnisse in Frankreich eingeschränkt werden und dass sie dort Auflagen bekommen, die diese Rechte, die sie hart erkämpft haben, beeinträchtigen. Sie wussten auch, die Kompetenz für Wirtschaft liegt in Brüssel und das ist eben kein innenpolitisches Problem, sondern das ist ein europäisches Problem.

Kurz darauf der nächste Schreck: 61,6 Prozent der Niederländer haben ebenfalls mit Nein gestimmt. Nun war Schluss mit lustig, vor allem für diejenigen, die diesen Verfassungsentwurf in Europa durchpeitschen wollten. Wie froh, muss ich heute sagen, konnte die damalige deutsche Bundesregierung sein. Zum Glück wurde hier das Volk nicht gefragt, sondern die repräsentative Demokratie des Bundestages hat für das Volk entschieden und die Bundesregierung konnte sich diesen Diskussionsprozess hier in diesem Land ersparen. Aber die Bundeskanzlerin mit Übernahme der deutschen Ratspräsidentschaft wird diesen Diskussionsprozess, ob sie das will oder nicht, führen müssen. Das Votum in Frankreich und in den Niederlanden hat gezeigt, ohne Sozialstaatlichkeit, meine Damen und Herren, ist in Europa keine Wirtschaft zu machen, jedenfalls nicht mit Zustimmung der europäischen Völker. In der Verfassung fehlt eine eindeutige Sozialcarta. Das haben die Franzosen erkannt und deshalb auch ihre Ablehnung zum Ausdruck gebracht.

Jetzt ergibt sich nun die Frage, wie soll es weitergehen. Die Landesregierung lehnt bisher eine Änderung des europäischen Verfassungsentwurfs ab. Das ist jedenfalls deutlich in der Antwort zur Großen Anfrage nachzulesen. Anhand einiger Politikfelder will ich jetzt einmal darlegen, wie ich es nicht schaffe, dass ich hier unter unserer Bevölkerung auch eine Begeisterung für Europa erzielen kann. Nehmen wir die Wirtschaftpolitik. Die Lissabon-Strategie spielt auch in der Antwort auf die Große Anfrage eine große Rolle. Das Ziel der Lissabon-Strategie war im Frühjahr 2007 verkündet worden, nämlich die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen.

(Zwischenruf aus dem Hause: Frühjahr 2000.)

Im Frühjahr 2000, richtig. Jetzt schätzt die Landesregierung ein, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde. Das propagierte Wirtschaftswachstum in dieser Strategie von durchschnittlich jährlich 3 Prozent wurde in den ersten fünf Jahren nicht annähernd erreicht. Stattdessen waren es nur 1,7 Prozent. Der Abstand zu den USA war nicht geringer, sondern größer geworden, von einem Überholen kann keine Rede sein. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sollten auf 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes steigen, sie blieben aber nur bei 2 Prozent. Verfehlt wurden ebenso die Ziele zum Abbau der Arbeitslosigkeit wie zur Erhöhung der Gesamtbeschäftigungsquote, insbesondere der Frauenbeschäftigungsquote. Aber die Landesregierung sagt in ihrer Antwort, wir machen weiter so, im Gegenteil, die Lissabon-Strategie soll neu belebt werden. Das Scheitern dieser Strategie hat wesentliche Ursachen in der prinzipiel

len Ausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Europäischen Union auf einen ordnungspolitischen Marktradikalismus und die Reduzierung staatlicher Wirtschafts- und Finanzpolitik auf Gewährleistung von Preisstabilität und eine restriktive Haushaltspolitik. Dann auch in der Großen Anfrage genannt - nehmen wir die Dienstleistungsrichtlinie, da habe ich einen interessanten Satz in der Antwort der Landesregierung gefunden. Die Landesregierung schreibt: „Erst die Zukunft wird zeigen, ob damit das Herkunftslandprinzip tatsächlich aufgehoben worden ist und inwieweit es durch Auslegung und Rechtsprechung erneut in dem ursprünglichen Sinn wieder greifen kann.“ Der Satz hat mich doch sehr überrascht, wobei ich sagen muss, Herr Minister, die Thüringer Landesregierung hatte zu dieser Dienstleistungsrichtlinie schon immer Bedenken gehabt und eine kritische Haltung im Gegensatz zur Mehrheitsfraktion hier, im Gegensatz zur SPD-Fraktion. Als ich damals auf diese Gefahren hingewiesen habe, dass das Herkunftsland nicht beseitigt ist, wurde ich in diesem Haus noch sehr beschimpft und krummer Hund genannt. Jetzt sagt die Landesregierung selbst, dass es noch nicht klar ist, ob dieses Herkunftslandprinzip beseitigt ist oder ob nicht künftig der Europäische Gerichtshof diesbezügliche Entscheidungen für die Zukunft treffen wird.

Ein weiteres Politikfeld, mit dem die europäischen Völker nicht einverstanden sind, ist die zunehmende Militarisierung der Europäischen Union. Die EU hat seit dem Vertrag von Maastricht den verhängnisvollen Weg einer immer stärkeren Militarisierung beschritten. Sie wird neben und unter der Regie der Lage zu einer Militärmacht ausgebaut, die überall auf der Welt mit und ohne Zustimmung des Sicherheitsrates der UNO bewaffnete Einsätze zum Schutz vorgeblicher europäischer Interessen vornehmen und durchführen kann. Dazu ist auch vorgesehen, dass hochgerüstete mobile europäische Kampfverbände aufgebaut werden sollen. Der Kurs der Militarisierung sollte im EU-Verfassungsvertrag festgeschrieben werden. In seinem Artikel 1/41 begründet dieser die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern, und schafft die Grundlage zur Errichtung einer europäischen Verteidigungsagentur. Weiterhin sieht der Artikel 3/309 Missionen außerhalb der EU vor, die Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage sowie eine Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet vorsehen. Man muss dazu sagen, auch wenn dieser europäische Verfassungsvertrag bisher noch nicht beschlossen wurde, die europäische Verteidigungsagentur hat ihre Arbeit aufgenommen. Für Rüstungs- und militarisierte Weltraumforschung soll bis 2013 doppelt soviel Geld ausgegeben werden, insgesamt

1,6 Mrd. €, wie für die Forschungsförderung erneuerbarer Energien.

Ich komme zu einem nächsten europäischen Politikfeld, nämlich der Energiepolitik. Die Liberalisierung der europäischen Energiemärkte hat weder zu mehr Wettbewerb noch zu sinkenden Energiepreisen geführt. Stattdessen setzte eine nationale und grenzüberschreitende Fusionswelle ein, die zu einer weiteren Vermachtung der ohnehin stark monopolisierten Märkte geführt hat. Jeder Bürger merkt es durch diese Konzentration, dass die Energiepreise nicht sinken, sondern im Gegenteil ansteigen. Das kann nicht europäische Energiepolitik im Sinne der europäischen Völker sein. Im Grünbuch zur Energie empfiehlt die EU-Kommission eine transparente und objektive Debatte über die künftige Bedeutung der Atomtechnologie und würdigt sie als größte weitgehend CO2-freie Energiequelle, obwohl die Nukleartechnik einen Betrieb unbeherrschbarer Risiken für Mensch und Umwelt birgt und die Entsorgungsfrage hochradioaktiver Stoffe ungelöst ist. Am 25.07.2006 beschloss der Rat der Europäischen Union, die Mittel für die Atomforschung auf 2,7 Mrd. € zu verdoppeln. Das Europäische Parlament verfügte dabei wie im gesamten Bereich des Euro-Atomvertrags über keinerlei Mitentscheidungsrecht. Das ist eine Energiepolitik, die nicht in die Zukunft gerichtet ist.

Zu einigen Fragen der Demokratie in Europa, meine Damen und Herren: Der größte Teil der Gesetze - manche sagen bis zu 80 Prozent aller Entscheidungen, die wir im Bundestag, in den Landesparlamenten oder in den Kommunen treffen - betreffen die Umsetzung europäischen Rechts. Deshalb - wir erleben das in diesem Hohen Haus auch, wenn es um bestimmte Anträge geht - wird lapidar gesagt, das ist EU-Recht, Antrag durchwinken, wir können sowieso nicht dagegen tun. Dabei sollten wir aber wissen, dieses EU-Recht wird vom Europäischen Rat, in dem die Staatsoberhäupter der europäischen Länder Mitglied sind, bzw. von der Kommission, bestimmt. Beide Einrichtungen, sowohl der Rat als auch die Kommission, sind nicht wirklich demokratisch gewählt. Gewählt in der EU ist das Europäische Parlament, aber dieses Europäische Parlament hat keine tatsächliche gesetzgebende Gewalt. Hier, sagen wir, müssen in einem neuen EU-Verfassungsvertrag gravierende Änderungen beschlossen werden. Wir beschließen Gesetze in unserem Land, die von einer nicht gewählten Ebene der EU kommen und das, meine Damen und Herren, kann es nicht sein. Deshalb müssen die Befugnisse des Europäischen Parlaments erhöht werden und gleichzeitig muss das Mitspracherecht der Länder, auch der Bundesländer, erhöht werden, wenn es um europäische Entscheidungen geht. Darauf ist in der Antwort der Landesregierung eingegangen worden und das könnte auch unsere Unterstützung finden. Wir sagen allerdings mit

diesen kritischen Bemerkungen, dass wir nicht gegen Europa sind, meine Damen und Herren, wir sind für ein Europa, wir wollen aber ein friedliches, ein soziales und ein ökologisches Europa.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Wir wollen, dass die deutsche Ratspräsidentschaft eine neue, demokratisch aufgestellte verfassungsgebende Versammlung einberuft. Wir wollen einen Verfassungsvertrag, in dem folgende Schwerpunkte enthalten sind: Europa braucht eine Sozialcharta und braucht eine Sozialversicherungspflichtigkeit für wirtschaftliches Tun. Wir wollen eine Sozialcharta, in der jeder Europäer die gleichen Chancen hat, am Leben teilzunehmen. Wir wollen eine Grundrechtecharta, in der vor allem die Arbeitnehmerrechte gestärkt werden, wo auch solche Fragen wie Mindestlöhne beinhaltet sind und festgezurrt werden. Wir wollen eine Stärkung der Demokratie in Europa. Dazu sind allerdings in dem jetzigen Verfassungsentwurf, das müssen wir an dieser Stelle sagen, schon gute Elemente drin und, meine Damen und Herren der CDU, wenn diese Elemente des Verfassungsvertrags beschlossen werden und greifen, dann brauchen wir uns hier über Volksbegehren und Volksentscheide nicht mehr zu unterhalten, dann sind sie nämlich europäisches Recht und müssen durchgeführt werden. Aber wir wollen auch die Erweiterung der Demokratie hinsichtlich der Entscheidungsbefugnis des Europäischen Parlaments und wir wollen mehr Mitspracherecht der Länderparlamente. Wir sind für eine nachhaltige Wirtschafts- und Energiepolitik in Europa. Dazu bedarf es Zielprogramme für Beschäftigung, Zielprogramme für ökologischen Umbau und eine Ergänzung der Wirtschafts- und Währungsunion durch eine Sozialunion und wir wollen Europa als eine Friedensmacht. Wir wollen Konfliktprävention mit friedlichen Mitteln und wir wollen vor allem Frieden schaffen durch eine gleichberechtigte internationale Kooperation und dass Europa auch die Staaten der Dritten Welt, die Staaten in Afrika, die Staaten in Südamerika nicht nur als Rohstoffquellen betrachtet, die Ressourcen dieser Länder nach Europa holt, dort die Fertigprodukte herstellt und dann zu teueren Preisen wieder in diesen Ländern verkauft. Wir wollen, dass diese Länder über ihre Ressourcen selbst bestimmen, diese auch verarbeiten und dann nach Europa verkaufen können. Das ist das Wesentliche, was wir wollen, wir wollen diese Verfassungsdiskussion mit den Menschen diskutieren und die Menschen dabei einbeziehen und wir wollen, dass an einem Tag in allen europäischen Ländern durch eine Volksabstimmung über eine europäische Verfassung abgestimmt wird. Das ist Mitsprache für alle Europäer. Wie notwendig das ist, beweist eine Studie, veröffentlicht in der Friedrich-Ebert-Stiftung und erarbeitet von Daniel Fuß von der Universität Bremen. Er hat im Ergebnis dieser Studie mit dem Titel „Jugend und europäische

Identität“ mehrere Thesen nach Auswertung von Befragungen von Jugendlichen aufgestellt und eine These lautet, ich darf zitieren: „Damit sich langfristig ein stabiles europäisches Gemeinschaftsgefühl herausbilden kann, muss Europa für die Menschen auch persönlich erfahrbar werden. Dazu gehört eine aktive Einbeziehung in die Diskussion über Vor- und Nachteile eines geeinten Europas. Noch wird Europa von vielen jungen Menschen als diffuses Gebilde wahrgenommen, das irgendwo in Brüssel eine Entscheidung trifft. Dass es anders gehen kann, haben die kontroversen Auseinandersetzungen bei der Einführung des Euro gezeigt. Eine offene Diskussion über die zukünftige Verfassung Europas könnte ebenfalls das gemeinschaftliche Bewusstsein der Bürger schärfen.“ Eine letzte These aus seiner Arbeit lautet: „Um diese Vielfalt auch erfahren und wertschätzen zu können, bedarf es vor allem eines persönlichen Kontaktes zu Menschen aus anderen Ländern. Voraussetzung dafür ist die Überwindung von Sprachbarrieren sowie die frühe Förderung von Auslandsaufenthalten. Hier kommt der Schule eine zentrale Rolle zu. Zum einen gilt es, das Interesse der Schüler für Europa zu wecken.“ Dazu nimmt auch die Landesregierung Stellung und ich finde es richtig. Es sind noch Reserven drin, dass die Programme „Erasmus“ und auch „Leonardo“ weiter auch an Thüringer Hochschulen und Universitäten ausgebaut werden, um dort den Studentenaustausch zu forcieren. Was wir nicht wollen, das ist, meine Damen und Herren, dass sich die Jugend Europas auf Kriegsschauplätzen überall auf dieser Welt kennenlernt. Das kann nicht europäische Begegnung sein.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Zum Abschluss, meine Damen und Herren der Landesregierung, fordern wir Sie auf, unterstützen Sie die deutsche Ratspräsidentschaft durch Initiativen im Bundesrat, durch Initiativen unseres Landtags, dass Europa auf einen Weg des Friedens und der Chancengleichheit für alle Europäer kommt. Es soll keine Jubelratspräsidentschaft werden, sondern die europäischen Völker sollen geeint werden und dazu steht die Bundeskanzlerin vor einer großen Herausforderung.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das Wort hat der Abgeordnete Höhn, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! „Eine Zukunft Europas ohne soziale Gerechtigkeit ist mit den Bürgern Europas nicht zu realisieren.“ Dieser Satz

stammt von Martin Schulz, dem Vorsitzenden der Sozialistischen und Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, von letzter Woche auf einer Tagung. Meine Damen und Herren, dieser Satz ist doch wirklich kennzeichnend für die momentan herrschende Situation unter den Bürgerinnen und Bürgern Europas. Man kann ja nicht verkennen, dass diese Situation geprägt ist von einer gewissen Unsicherheit, ja man kann auch sagen von gewissen Ängsten, was die europäische Zukunft für die Bürgerinnen und Bürger alles bringen wird. Aber eins muss man doch ganz deutlich sagen, das Engagement Europas für soziale Gerechtigkeit ist im Vergleich mit allen anderen Regionen und Kontinenten dieser Welt ohne Gleichen. Wir, meine Damen und Herren, sind der einzige Kontinent, auf dem soziale Gerechtigkeit und Wettbewerbsfähigkeit als Ziele verfolgt werden, die sich gegenseitig unterstützen, anstatt sich gegenseitig zu beeinträchtigen. Diese Allianz zwischen sozialem und wirtschaftlichem Fortschrift muss ganz einfach im Herzen Europas verankert bleiben, denn es gibt in dieser globalen Gesellschaft viel zu gewinnen, wenn wir auf die richtige Weise modernisieren und unsere Gesellschaften auf das 21. Jahrhundert vorbereiten, aber auch - das muss man auch ganz deutlich sagen - viel zu verlieren, wenn wir dies nicht tun.

Meine Damen und Herren, ein neues Europa zeichnet sich ab, ein erweitertes Europa, ich komme noch darauf zu sprechen, ein durch neue Technologien und neues Wissen verändertes Europa, in dem die Menschen - Gott sei Dank, muss man sagen - länger und hoffentlich auch gesünder leben. Aber, und das ist ebenfalls eine Tatsache, es ist ein Europa mit Millionen von Menschen, die in Arbeitslosigkeit, sozialer Ausgrenzung, Armut und großer Ungewissheit über die Zukunft leben. Es gibt Stimmen, und die sind nach wie vor nicht verstummt, dass Europa sich aufgrund des unerbittlichen Drucks der Globalisierung seine Wohlfahrtsstaaten angeblich nicht mehr leisten könne, dass der Wohlfahrtsstaat in Zukunft abgebaut werde und die Rolle der Regierungen sich auf die Verhütung der schlimmsten Formen von Armut zu beschränken habe. Sie argumentieren auch, dass die Gesellschaften miteinander über die Festlegung beispielsweise der niedrigsten Steuersätze wetteifern sollten, dass der Hauptzweck der Europäischen Union sein sollte, den freien Handel und die Wettbewerbsfähigkeit und nur das zu fördern. Aber, meine Damen und Herren, zumindest die Sozialdemokraten Europas wissen, dass es einen anderen Weg gibt, nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis. Wir nehmen uns deshalb ausdrücklich vor, dass die Europäische Union nicht auf den Wettbewerb zwischen Staaten oder einen Marktplatz für soziales Dumping reduziert wird. Die Sozialdemokraten Europas lehnen eine solch kurzsichtige Betrachtungsweise von Wirtschaft und Gesellschaft und De

mokratie entschieden ab. Ein neues soziales Europa, das muss unser Anspruch sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa und seine Mitgliedstaaten, wir brauchen eine bessere Sozialpolitik und nicht weniger Sozialpolitik, um die Herausforderungen anzugehen, vor denen wir heute stehen. Für uns liegt die Zukunft darin, die richtige Art von Reformen anzustreben. Wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, nachhaltige Umweltverträglichkeit - ein ganz wichtiger Aspekt - und soziale Gerechtigkeit müssen sich nicht gegenseitig ausschließen, sie müssen sich unterstützen. Das ist unser Ziel. Unser Ansatz bedeutet, dass europäische Fragen niemals getrennt von nationalen Fragen behandelt werden können. Über einen viel zu langen Zeitraum haben wir in Europa in unterschiedlichen Kategorien gedacht und gehandelt, als ob wir voneinander isoliert bestanden hätten. Unsere Vorstellung ist es, in allen vier Stützpfeilern der Demokratie gemeinsam gleichzeitig zu handeln; auf der lokalen Ebene, auf der regionalen Ebene - damit ist natürlich auch Thüringen betroffen -, auf der nationalen sowie europäischen Ebene. Wir sind entschlossen, genau diese Prinzipien in einer gemeinsamen Richtung zu verfolgen. Die Grundsatzidee ist, dass diese Richtung der Reformentscheidungen auf Zusammenarbeit beruhen muss. Das heißt, ein neues soziales Europa muss uns allen, wirklich uns allen, ein gemeinsames Anliegen sein; ein gemeinsames Anliegen übrigens auch, das über unsere eigenen Parteien hinausgeht und andere progressive Kräfte in Politik, in Gewerkschaften, in sozial verantwortlichen Unternehmen, Zivilgesellschaften, nationalen Regierungen und der Europäischen Union mit einbezieht.

Meine Damen und Herren, die EU ist ja doch wirklich mehr als nur ein Marktplatz. Die EU ist ein unabdinglicher Bestandteil des neuen sozialen Europa. Sie hilft den Regionen und damit auch Thüringen, zusammen mehr zu erreichen als sie es allein vermocht hätten. Aber wir sind weit davon entfernt, das muss man an dieser Stelle wirklich auch kritisch anmerken, dieses Potenzial schon ausgeschöpft zu haben. Es gibt nämlich weit mehr Vorteile, die die europäische Zusammenarbeit und die Solidarität in das Leben unserer Menschen bringen könnte.

In dieser neuen Wirtschaft kann unser neues soziales Europa schrittweise verwirklicht werden, wenn wir weiterhin auf einer ausgewogenen Basis aufbauen. Die besteht aus Wettbewerb, der stimuliert, auf Zusammenarbeit, die stärkt und Solidarität, die vereint. Diese drei Säulen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind gleichrangig und verstärken sich gegenseitig. Das sind unsere Mittel, um den erweiterten Binnenmarkt in Richtung eines nachhaltigen und auch - sagen wir - intelligenten, umweltbewussten Wachstums zu rüsten und durch eine bessere Zusammenarbeit

zwischen den Staaten zu gewährleisten.

Meine Damen und Herren, nach diesen etwas allgemeinen Ausführungen zur Zukunft Europas, die mir aber wirklich ein Bedürfnis waren hier darlegen zu dürfen, lassen Sie mich noch einige Ausführungen machen. Ich möchte es auf drei Bereiche/Komplexe beschränken, die auch in der Großen Anfrage der CDU eine wesentliche Rolle gespielt haben, und komme damit gleichzeitig auch auf einige Problemfelder zu sprechen, die uns in den letzten Wochen und Monaten, ja sogar Jahren beschäftigt haben und möglicherweise auch noch beschäftigen werden.

Erstes Stichwort, die Erweiterung Europas, der Europäischen Union: Mit ihr sind viele Erwartungen verbunden, ich sagte es am Anfang, aber auch Ängste und Sorgen. Es gibt positive Erwartungen in Bezug auf die Märkte, aber auch negative in Bezug auf einen sozialen Dumpingwettbewerb. Auch die Größe der EU spielt dabei eine Rolle. Aber, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten die Erweiterung als wirklich einzigartige Chance begreifen für Europa. Deshalb ist auch die Option dieser sogenannten privilegierten Partnerschaft mit der Türkei und quasi die Einführung von neuen Beitrittsbedingungen durchaus mit Vorsicht zu genießen. Ich glaube wirklich ehrlichen Herzens, bei allen Problemen, die ein Beitritt der Türkei in die EU in Bezug auf Demokratie, in Bezug auf Gleichbehandlung von Mann und Frau, auch den Umgang mit Minderheiten mit sich bringen würde, das ist mir durchaus bewusst, ich glaube aber dennoch, für Europa ist es eine Chance, nämlich eine Chance auf eine Brücke zum Islam, auf die die Welt so dringend angewiesen ist. Wer, wenn nicht die Türkei, sollte diese Rolle ausfüllen?

Am Vorabend des Beitritts von Rumänien und Bulgarien blicken wir weiter in die Zukunft Europas und begleiten die durchaus vorhandenen Fortschritte dieser Kandidatenländer. Selbst in der viel kritisierten Türkei sind diese Fortschritte zu verzeichnen, allerdings noch lange nicht dort, wie wir uns das selbst wünschen. An dieser Stelle seien auch noch Kroatien und die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien zu nennen. Wir begrüßen die Anstrengungen dieser Länder, betonen aber zugleich, und das muss ihnen auch ganz deutlich gesagt werden und das ist ihnen zum Glück auch von der Kommission deutlich gesagt worden, dass es keine Abstriche an den sogenannten Kopenhagener Kriterien geben darf. Denn - es ist vorhin in der Rede von Kollegen Kubitzki schon zum Ausdruck gekommen - wir wissen auch, dass der Vertrag von Nizza in seiner damals beschlossenen Form keine geeignete Grundlage für künftige Erweiterungen darstellt. Wir müssen daher alle Staats- und Regierungschefs an ihre Pflicht erinnern, diesen im Moment in der Stagnation befind

lichen Verfassungsprozess bis zu den nächsten Europawahlen abzuschließen, weil es sich negativ auswirkt auf die Beitrittsverhandlungen.

Da komme ich auf den zweiten Komplex, ich habe es erwähnt, der Verfassungsgebungsprozess, der sogenannte Verfassungsvertrag: Man muss ganz offen sagen, ob diese Verfassung jemals in der vorliegenden Form in Kraft treten wird, ist nicht so ganz sicher. Aber eines, meine Damen und Herren, ist sicher: Europa braucht diese neue Verfassung, um überhaupt arbeitsfähig zu bleiben. In einer EU der „27“ ab 1. Januar gelten nach wie vor Entscheidungsregeln im Miteinander der Staaten, wie in der Europäischen Union der „6“, also bei der Gründung der Staaten.