Protocol of the Session on November 23, 2006

Ich glaube schon, der vorliegende Monitor zeigt vor allen Dingen in dreierlei Richtungen Diskussionsbedarf für eine tiefergehende Debatte auf. Das ist einerseits die ganze Situation im Zusammenhang mit Arbeit, die Arbeitsmarktsituation, das sind die gravierenden sozialen Probleme im Land und das sind natürlich die Fragen, die im engen Zusammenhang damit - so würde ich das sehen - die demokratische Entwicklung in Thüringen betreffen. Wenn ich ein Stück Fazit aus dem Vorliegenden ziehen soll, dann heißt das eigentlich, im Monitor wird konstatiert, dass der Staat nur dann die Unterstützung seiner Bürgerinnen und Bürger findet, wenn diese auf seine Problemlösungskompetenz bauen können. Nun, das ist selbstverständlich richtig, aber wir alle wissen auch, dass der Staat kein abstraktes Gebilde ist, er muss sich, wie das im Umgang zwischen Menschen üblich ist, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger erst erarbeiten, er muss sich dieses Vertrauens würdig erweisen. Darauf wird zwar in der Studie nicht näher eingegangen, wo diese Punkte aufgemacht werden, aber ich will ganz deutlich sagen: Ob dieses Vertrauen in das Handeln und die Lösungskompetenz des Staats letzten Endes gestärkt werden kann, das hängt von der Ausgestaltungsmöglichkeit, nämlich von der Politik ab, auch von der Politik, die Mehrheiten in diesem Land und in diesem Hause entwickeln. Hier, denke ich, haben wir auch nach diesem Monitor allen Grund, kritisch über das, was die Landesregierung tut, nachzudenken.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Deshalb überrascht mich bei dem Fazit, das ich eben aus meiner Sicht angedeutet habe, auch nicht einerseits eine gewisse Ambivalenz und andererseits, wenn man auf die letzten Jahre zurückblickt, Kontinuität in dem Bericht. Die Ambivalenz wegen in sich widersprüchlicher Bewertungen des Datenmaterials, aber die Kontinuität in einem Erklärungsmuster, das ich auch dieses Mal wieder ganz stark wiederfinde und das Sie zum Teil auch in Ihrer Regierungserklä

rung bedient haben, Herr Althaus, nämlich, dass die Probleme eigentlich bei den Bürgerinnen und Bürgern liegen. Ich will aber ganz deutlich sagen, die Bürgerinnen und Bürger reflektieren politisches, sie reflektieren staatliches Handeln und der erste Auftrag für uns, gleich ob Regierung oder Opposition, ob Mehrheitsfraktion oder Opposition, ist, uns mit diesen kritischen Bewertungen der Bürger wirklich ehrlich auseinanderzusetzen. Nur dann können wir Antworten finden zu den aufgeworfenen Fragen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Ergebnisse des Monitors zum Thema Arbeitslosigkeit sind nun wahrlich kein Ruhmesblatt für die Mehrheitspolitik und die der Landesregierung. Die Arbeitslosigkeit wird von den Thüringern als das bedeutendste Problem benannt, sie stellt demnach für 85 Prozent der Befragten ein wichtiges Problem dar. Das ist der Höchstwert aller dargestellten Problemfelder. Kaum einer im Land sieht in dieser Situation kein Problem. Gleichzeitig erreicht der Staat in dieser Frage die geringste Kompetenzzuschreibung überhaupt. In der Frage der Bewältigung der Arbeitslosigkeit halten 47 Prozent der Befragten den Staat für nicht kompetent. Nun will ich an dieser Stelle noch mal betonen, es ist in dieser Gesellschaft klar, dass nicht allein durch staatliches Handeln das Problem der Arbeitslosigkeit gelöst werden kann. Es ist aber in dieser demokratischen Gesellschaft, und so verstehen es offensichtlich sehr viele Bürgerinnen und Bürger, auch klar, dass der Staat natürlich herausgefordert ist, die notwendigen Rahmenbedingungen für mehr Arbeitsplätze in unserer Gesellschaft und in diesem Land zu schaffen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Da, glaube ich, hat die Landesregierung einen großen Nachholbedarf. Denn sehen wir uns die Lage an, und da sind wir bei den Ursachen der Bewertungen, ist es doch so, dass eine aktive Arbeitsmarktpolitik, wir haben darüber wiederholt debattiert, in diesem Land im Grunde genommen nicht mehr stattfindet. Es gibt dort drastisch reduzierte Mittel. Es gibt die Einstellung von Förderprogrammen. Es gibt Stagnation, Verweigerung der Weiterentwicklung von Instrumenten, geschweige denn neue Impulse. Diese Tendenzen markieren ja wirklich die dürftige Bilanz der Landesregierung auf diesem Gebiet, meine Damen und Herren. Ich glaube, selbst bei der Bundesregierung bricht sich sozusagen etwas mehr Bahn, die Fragen im Gesamtzusammenhang zu sehen. Herr Tiefensee hat sich am 09.11. im Bundestag zur Bedeutung der Arbeit geäußert. Ich darf an dieser Stelle mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, einmal zitieren: „Wer die Situation“, so Herr Tiefensee, „in den neuen Bundesländern kennt, weiß, es geht nicht nur um die Vermittlung von Arbeit, sondern es geht auch um den

Sinn des Lebens, um die Würde, um die betroffenen Menschen.“ Ja, ich stimme Herrn Tiefensee zu. Das heißt auch, dass jede Frage in der Debatte über Arbeit, über Arbeitslosigkeit, über Arbeitsmarktpolitik eine Debatte über die Werte in dieser Gesellschaft ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Wenn ich dann natürlich zu der immer mit Arbeitsmarktpolitik verbundenen Wirtschaftspolitik des Landes komme und diese bewerte, so muss ich sagen, der Aussage, die wirtschaftliche Lage in Thüringen sei besser als in den anderen ostdeutschen Ländern, stimmen gerade einmal 9 Prozent völlig zu, weitere 20 Prozent halten das für weitgehend richtig. Also die große Mehrheit der Menschen im Land sieht das nicht so. Da fängt es doch an, was das Realitätsbewusstsein von Parteien - und in dem Fall von der Regierungspartei - betrifft. Das, was da ausgesagt wird, klingt eben ganz anders als die regelmäßigen Jubelmeldungen aus der Staatskanzlei und dem Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Arbeit.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das hat auch etwas zu tun mit Vertrauen in die Aussagen einer Regierung, wenn die Menschen eine ganz andere Erlebniswelt haben, als es vielleicht die geschönte Statistik hervorbringt. 22 Prozent der Jugendlichen schätzen ein, sicher aus Thüringen fortzuziehen, nicht zuletzt wegen der Perspektivlosigkeit, wegen der fehlenden Ausbildung, der fehlenden Arbeitsplätze und fehlenden Ausbildungsplätze. Gerade beim Thema Wirtschaft wird aber auch ein Mangel des Thüringen-Monitors deutlich, den wir, glaube ich, weiter diskutieren müssen. Man hat etliche Mühe aufgewandt, um mit Rückblick auf die DDR und auch unter dem Begriff „DDR-Nostalgie“ verschiedene Dinge zu erläutern. Unter anderem - ich nehme bewusst dieses vielleicht etwas weniger von ideologischen Sichten geprägte Thema - kommt man dann zu einer Umfrage zur Privatisierung. 16 Prozent sind im Land der Auffassung, dass die wichtigsten Bereiche nicht privatisiert, sondern - im Gegenteil - verstaatlicht werden sollen. Es ist nach wichtigen Unternehmen gefragt worden, davon muss man ausgehen. Selbst wenn man das mit Rückgriff auf DDR-Situationen sieht, es geht hier nicht um eine allgemeine Verstaatlichung, die diese 16 Prozent der Bürger fordern. Aber, ich glaube, der Blick in diesem Sinne und an mancher anderen Stelle auf die Zeit vor 1989 ist da noch mitunter angetan, von den Realitäten und Überlegungen der Menschen heute Abstand zu nehmen. Ich will nur Folgendes an dieser Stelle sagen: Wir erleben gegenwärtig, nehmen wir die Energiewirtschaft, ein totales Versagen der privaten Betreiber, was die Netze betrifft, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Da ist es doch nur folgerichtig auch in der Auseinandersetzung mit internationalen Erfahrungen, dass immer mehr Menschen in diesem Land, nicht nur in Thüringen, zu der Überzeugung kommen, dass gerade dieser Bereich nicht für die ausschließlich private Betreibung geeignet ist, sondern, dass in diesem Bereich der Netzbetreibung Verstaatlichung im Interesse der Allgemeinheit und im Übrigen auch der Wirtschaft insgesamt längst angesagt wären.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

In diesem Sinne ist auch völlig klar, dass solche Debatten auf der Grundlage des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland geführt werden. Ich will das nicht alles ausführlich anführen. Wir kennen das aus anderen Diskussionen. Ich will nur ganz einfach an dieser Stelle auch mit Blick auf andere Positionen deutlich machen: Wer sich heute über die Verstaatlichung bestimmter Industrien und Bereiche Gedanken macht, der hat überhaupt nicht von vornherein das Bild aus der Zeit vor 1989 in diesem Land vor Augen. Legen Sie doch das mal unvoreingenommen beiseite, wenn es um solche Fragen geht.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrte Gäste, im sozialen Bereich, insbesondere bei den Themen Rente, Gesundheit und Familie steht der Monitor mit seinen Aussagen, abgesehen von einigen wenigen Differenzierungen, auch in der Kontinuität seiner Aussagen der vorangegangenen Jahre, insbesondere aber des Jahres 2005. Seine Interpretation läuft auf weniger Staat und mehr Eigenverantwortung hinaus. Das wird vor allem deutlich, wenn es um die sozialen Sicherungssysteme wie Rente oder Gesundheit geht. Der Unterschied wird allerdings, denke ich, sogar in den Überschriften und in der Gliederung deutlich. 2005 ist der Abschnitt mit „Einstellungen zum Umbau des Sozialstaats“ unterschrieben. Heute findet sich unter dem Abschnitt „Wahrnehmungen und Positionen zu gesellschaftlichen Herausforderungen“ der Unterpunkt „Umbau des Sozialstaats“. Genau diese feine Differenzierung weist nach meiner Meinung darauf hin, dass diese Bundesrepublik Deutschland dabei ist, den Sozialstaat aufzugeben. Folgerichtig sprechen die Autoren im Weiteren dann auch immerzu vom Wohlfahrtsstaat. Ja, ich will in diesem Zusammenhang sagen, das ist eine wichtige Debatte.

Der Jenaer Soziologe Klaus Dörre hält diese Debatte für eine außerordentlich wichtige. Er bringt sie mit der sogenannten Unterschichtendebatte in der Bundesrepublik zusammen. Er sagt, eine solche Debatte ist längst überfällig. Mit seinen Untersuchungen kommt er zu dem Ergebnis, dass das Lebensgefühl in

Deutschland immer mehr von diesen sozialen Prekaritäten geprägt ist. Der Thüringen-Monitor bestätigt insofern die Sicht von Dörre in seinem Studienergebnis. Schlagkräftiger Beweis für den Umbau des Sozialstaats und für seinen Charakter in Form eines Abbaus ist ja gerade gegenwärtig die große Gesundheitsreform der Bundesregierung. Erstmals - und das bemerken Menschen - das zeigt auch der Monitor in diesem Land - in der Geschichte der Bundesrepublik wird mit einer Reform hier zugleich ein Systembruch begangen, dessen gesellschaftliche Dimension sich eigentlich im Augenblick nur erahnen lässt. Begründet wird diese Reform wie auch die „Sicherung der Rente“ mit dem demographischen Faktor.

Ich will nicht leugnen, dass sich aus den prognostizierten demographischen Entwicklungen für die Bundesrepublik für Thüringen eine ganze Reihe erheblicher Probleme ergeben, denen wir uns stellen und annehmen müssen. Aber dennoch, ich finde auch hier wieder die Bewertung eher als Totschlagsargument, nämlich dass ausschließlich aus diesen demographischen Entwicklungen heraus die vorliegende Reform begründet und entwickelt werden soll und immer wieder darauf abgehoben wird. So richtig das ist, meine Damen und Herren, aber wer - und auch das hat mit Erfahrungswelt und Glaubwürdigkeit zu tun - gibt uns denn das Recht, auszublenden, dass es in diesem Land - worauf man sich ja an anderer Stelle oft beruft - insgesamt wirtschaftliches Wachstum gibt, dass es in diesem Land eine hohe und stetig steigende Arbeitsproduktivität gibt und dass wir seit Jahren eine Verteilungssituation des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben in diesem Land beobachten können.

Diese Fragen müssen doch als Indikatoren für eine zukünftige Reformierung unserer sozialen Systeme selbstverständlich einbezogen werden, wenn es auch nur ein Quäntchen von Gerechtigkeit in diesen Fragen geben soll. Wir müssen sie der demographischen Debatte unbedingt hinzufügen und dürfen uns dieser nicht verweigern. Wenn ich bei den Fragen der Umverteilung bin, dann will ich auch hier noch einmal darauf aufmerksam machen, dass natürlich viele Menschen mit ihrer Einkommenssituation in diesem Land ganz schwer zurechtkommen können. Thüringen hat die niedrigsten Einkommen im Vergleich aller neuen Bundesländer. Dieses niedrige Einkommen ist aber nicht einfach nur die schon bedauernswerte unmittelbare Situation der Betroffenen, es hat doch zwangsläufig Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme in diesem Land, meine Damen und Herren. Ich meine, mit dem folgenden Beispiel wird die Polarisierung in der Gesellschaft dann endgültig offensichtlich. Wir haben jetzt die Einbeziehung der ALG-II-Empfänger in die gesetzliche Rentenversicherung. Es ist richtig, und das wird auch immer gern hervorgehoben, dadurch gewinnen die

Leistungsempfänger zwar Ansprüche auf Leistungen, aber damit wird das völlig ad absurdum gestellt. Bei einem Rentenanspruch müsste ein Arbeitslosengeld-II-Empfänger, meine Damen und Herren, auch wenn die Zahl ungeheuerlich ist, ich muss sie hier nennen, 200 Jahre Beiträge auf dem gleichen Niveau zahlen. Denken Sie denn, dass nicht auch viele Menschen im Lande das ausrechnen können? Denken Sie denn nicht daran, dass man Ihnen die Demagogie dieser Behauptung, dass das zum Beispiel eine gute Lösung wäre, abnimmt, meine Damen und Herren? Das ist doch nicht der Fall.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das hat etwas damit zu tun, wie Menschen über ihre Situation in diesem Land nachdenken.

Neben diesen Problemen ist natürlich die Frage der Abwanderung vor allem junger und gut ausgebildeter Menschen, darunter im bekannten Maße ja vor allen Dingen auch vieler Frauen, in die alten Bundesländer als ein zentrales Problem zu nennen. Sie ist eine Folge der hohen Sockelarbeitslosigkeit und der damit verbundenen Perspektivlosigkeit. Mit abnehmender Bevölkerungszahl werden natürlich auch wieder die Fragen der Pro-Kopf-Verschuldung, aber auch wiederum die Fragen der Einzahlung hier an Ort und Stelle in die sozialen Systeme usw. in eine Problemlage gestellt, die wir nicht übersehen können. Ja, es ist richtig, wir brauchen dafür vor allen Dingen auch wirtschaftliche Entwicklung. Aber ich sage auch, wir brauchen dazu eindeutig eine eigenständige Arbeitsmarktpolitik des Landes und andere Rahmenbedingungen als wir sie gegenwärtig hier vorfinden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch ein Zeichen der Situation ist ja, dass weniger als die Hälfte der Einwohner Thüringens - der Anteil der Erwerbstätigen liegt bei etwa 43 Prozent - für den eigenen Unterhalt gegenwärtig aufkommen können. Daraus resultieren natürlich viele weitergehende Fragen zur Lebensplanung und zur Entwicklungsperspektive, die Menschen sehen. Wenn der Thüringen-Monitor feststellt, dass mit zunehmender Wirkung der beschlossenen Reformprojekte der Agenda 2010 62 Prozent der Thüringer den Eindruck haben, dass sie sich selbst als Verlierer dieser Reform ansehen müssen, dann ist natürlich völlig klar, dass sie diese Bewertungen auch als Frage und Gradmesser für ihre Position zu Politik, zu unseren demokratischen Institutionen mit einbringen und dass sie nicht förderlich sind für Ihr Bild auf diese Art und Weise, ja, auch das sehe ich genauso, nicht dass die Demokratie in ihrem Grundwesen in Frage gestellt wird, aber dass die Art und Weise, wie Demokratie in diesem Land funktioniert, sehr kritisch betrachtet wird. Wir haben natürlich dabei immer wieder auch die Frage der Darstellung von Politik, ihrer öffentlichen Wirkung. Aber ich muss

deutlich sagen, wenn Marketinganstrengungen in den Mittelpunkt gestellt werden, um sozusagen die Segnungen der Regierungspolitik im Bereich der Familie deutlich zu machen, wenn man nach dem Maßstab gehen will, wir müssen das alles nur besser erklären, damit die Menschen in diesem Land das verstehen, meine Damen und Herren, dann werden Sie dadurch die Autorität von Politik und demokratischen Institutionen schon gar nicht stärken. An der Stelle will ich auch einmal ganz deutlich sagen: Diese Art und Weise, man muss es den Menschen nur endlich einmal richtig nahe bringen, dass sie es verstehen, die kommt mir dann allerdings so vor, als hätte ich sie vor 1989 auch schon öfters gehört.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Situation der Familie ist heute geprägt von einem Wandel der Gesellschaft und von den Veränderungen in der Kindheit und in der Jugendphase. Familie hat mittlerweile eine Vielfalt von Lebensformen entwickelt und diese Vielfalt zeigt sich vor allem auch in einer wachsenden Zahl alleinerziehender Eltern, vorrangig alleinerziehender Mütter. Dieser Anteil hat sich in den zurückliegenden Jahren in Thüringen auf mehr als 115.000 erhöht, während die Anzahl der Familien um 70.000 zurückgegangen ist. Waren Kinder früher - und ich denke, das muss uns mehr als nur zum Nachdenken bringen - Teil der biografischen Sicherheit und Teil der sozialen Integration, werden sie heute von vielen als Risiko wahrgenommen, was sich nicht zuletzt in einer auf hohem Niveau verharrenden rückläufigen Geburtenrate zeigt. Wirtschaftliche Risiken, die sich vor allem in der Arbeitslosigkeit und damit zunehmend in einer Verbindung von Armut mit Familie und Kindern zeigen, sowie der Wertewandel der Gesellschaft haben den Familienalltag nachhaltig verändert. Mit den Brüchen in der Erwerbsbiografie fehlt die Sicherheit im Berufsleben und damit auch die materielle Sicherheit. Dies erschwert nicht nur eine verbindliche Lebensplanung. Deshalb überrascht die Aussage des Monitors nicht, und das will ich hier noch mal hervorheben, dass für Familien strukturelle Verbesserungen, also auch die Nutzung öffentlicher Einrichtungen zur Kinderbetreuung, mit großem Prozentsatz gewünscht werden. Sie sind genauso wichtig - und hängen ja auch damit zusammen - wie das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Herr Ministerpräsident, Sie haben sich auf positive Bewertungen im Zusammenhang mit dem Erziehungsgeld berufen. Einerseits muss ich Ihnen sagen: Was bleibt vielen auch anderes übrig, als es positiv anzunehmen. Aber andererseits sage ich Ihnen auch ganz ehrlich: Offensichtlich ist es mindestens genauso wichtig, gute Betreuungsstrukturen zu haben. In dem Punkt wird Ihre Politik mit Ihrer Familienoffensive weiterhin von ganz vielen Menschen im Lande, das sagt auch der Monitor, abgelehnt und kritisiert.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Diskutieren wir doch mal darüber. Ich habe nicht unbedingt ein Problem, dass es zu viel Konsens in der Gesellschaft geben könnte. Politischer Meinungsstreit ist wichtig und der ist voranzustellen, aber Menschen wünschen sich natürlich auch Lösungen. Die sind oft nur im Konsens zu erreichen und, Sie haben am Ende Ihrer Rede selbst darauf hingewiesen - nicht von vornherein jeden Vorschlag der anderen Seite immer gleich ganz kritisch und ablehnend unter die Lupe zu nehmen. Ich bin ja ein kleines Stück bereit, das auch für die Oppositionspartei in Anspruch zu nehmen, aber eine viel größere Rate der Abarbeitung hat dabei Ihre Mehrheitsfraktion und Ihre Landesregierung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich bin an der Stelle noch mal bei der Debatte zum solidarischen Bürgergeld. Sie haben es ja nun sogar mit sozialer Grundsicherung verbunden in Ihrer Regierungserklärung. Das ist ein interessanter Aspekt. Ich sage Ihnen, zur Debatte darüber sind wir auch weiter bereit. Aber wir sind lange nicht an dem Punkt, wo wir mit Ihnen auf der gleichen Linie sind oder im gleichen Boot sitzen. Ich muss das hier noch mal ausführen: Ihre Überlegung zur Grundsicherung - ja. Aber wenn Sie die abkoppeln wollen, Herr Althaus, von einer normal notwendigen Arbeitsmarktpolitik, wenn Sie die abkoppeln wollen von weiteren Beteiligungsrechten der Menschen auch in diesen Bereichen und von den sozialen Sicherungssystemen insgesamt, dann muss ich allerdings sagen, da werden wir den Streit entschieden weiterführen können, denn was wir nicht wollen, ist, dass Menschen nur die Wahl haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz zu erhalten oder von wohlfahrtsstaatlichen Almosen zu leben. Das ist keine Perspektive für die Demokratie in diesem Land.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie bewerten wir die Ausführungen zur Demokratie im Thüringen-Monitor? Der diesjährige Monitor belegt erneut, dass die Forderung nach mehr Demokratie weder unzeitgemäß noch erfüllt ist, meine Damen und Herren. Trotz geringfügiger Zustimmungssteigerungen sind weiterhin weniger als die Hälfte der Thüringer damit zufrieden, wie die Demokratie, ich sagte das bereits, in der Praxis funktioniert. Im Zentrum der Kritik der Bürger stehen die Parteien. Wir sollten uns das alle gut auf der Zunge zergehen lassen. Offensichtliche Gründe für diesen Befund werden im Monitor nicht weiter ausgeführt, aber dabei liegen sie meiner Meinung nach auf der Hand. Im ersten Teil der Untersuchung wird festgestellt: Die Zahl der Menschen, die das System als ungerecht

empfinden, ist auf drei Viertel der Befragten angewachsen. 42 Prozent beschreiben ihre soziale Situation als schlecht, 80 Prozent sehen sich als Reformverlierer und eine gleiche Zahl sieht in der Arbeitslosigkeit die dringendste gesellschaftliche Herausforderung.

Die Menschen fragen doch zu Recht nach denjenigen, die für diese Entwicklung Verantwortung tragen, meine Damen und Herren. Diese Situation ist doch nicht vom Himmel gefallen. Wen, wenn nicht die Regierungen und die Parteien sollen denn die Menschen für die zunehmende Spaltung der Gesellschaft, für den Abriss der sozialen Sicherungssysteme, für die Ignoranz gegenüber den Sorgen der Bevölkerung verantwortlich machen, wenn nicht die offizielle Politik und die Parteien? Die neoliberale Ideologie verfängt dabei nicht, wie gewünscht, indem einfach das ewige Lied vom Schicksal, das in der eigenen und allein in der eigenen Hand liegt, nicht gesungen wird. Die Bevölkerung weiß ganz genau, welchen Anteil herrschende Politik und Machtdenken der Parteien am Zustand der Gesellschaft haben, meine Damen und Herren.

Ich will es hier noch einmal etwas deutlicher sagen, weil ich diese Debatte seit Jahren beobachte. Wir haben als Parteien - und ich sage da ganz bewusst „wir“ - einen grundgesetzlichen Auftrag, der heißt, dass wir an der politischen Willensbildung im Staat und in der Gesellschaft mitwirken sollen. Ich denke, das ist nicht nur eine Sollpflicht, das ist eine Verpflichtung. Aber überlegen wir einmal, meine Damen und Herren, wie das Bild bei der Bevölkerung ist. Wenn bei jedem Antrag der Opposition klar ist, dass er die Ablehnung der Mehrheit finden wird, selbst Anträge, die dann manchmal umgewandelt als Mehrheitsanträge in dieses Haus zurückkommen, dann muss er sich doch letztendlich sagen, was im Land insgesamt debattiert wird, das spielt offensichtlich bei ganz vielen Parteien oder auch in parlamentarischen Gremien überhaupt keine Rolle in der Diskussion. An diesem Punkt, meine Damen und Herren, stehen wir in der Gefahr, dass die Parteien - und ich denke, wir sind sogar längst dort - nicht eigentlich an der Willensbildung mitwirken, sondern dass sie diese ständig aus ihrem eigenen Gusto als Ersatzhandlung für die Bevölkerung, nur selbst ohne Rückkopplung, vornehmen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das ist eine Gefährdung des Ansehens unserer Demokratie, meine Damen und Herren.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: So ein Quatsch.)

Ja, wir könnten darüber diskutieren, Frau Groß. Das war das Angebot, deshalb reden wir doch miteinander - kulturvoll.

Diese Einschätzung der Bürgerinnen und Bürger hat nun wahrlich nichts mit Obrigkeitsdenken und Versorgungsmentalitäten hauptsächlich als DDR-Relikt zu tun. Die bundesweite Studie der Friedrich-EbertStiftung zum Präkariat kommt zu einem ganz ähnlichen Befund. 56 Prozent der Befragten meinen dort für die ganze Republik, egal welche Partei man wählt, ändern tut sich doch nichts. 68 Prozent kamen zu der Auffassung, Politiker kümmern sich zu wenig um die Sorgen der Menschen. Die Skepsis gegenüber den Trägern der repräsentativen Demokratie ist in Ost und West gleichermaßen verankert. Konsequenzen aus dieser zunehmenden Abwanderung von den Parteien werden allerdings kaum gezogen, stattdessen übt sich die Politik oft sogar in Bürgerschelte. Haben Politiker bei den Bürgern keine Mehrheit oder folgen die Menschen ihren Vorstellungen nicht, so wird nicht die Politik verändert, sondern es wird, wie gesagt, nach einer neuen Marketing-Strategie gerufen. Den Grundsatz „Geld statt Betreuung“, den wir zum Beispiel immer wieder an Ihrer Familienpolitik kritisieren, der ist im Land weit umstritten, der war im Vorfeld der demokratischen Entscheidungen umstritten, aber Sie haben als Regierung und als Mehrheitsfraktion an die Öffentlichkeit kein Signal der Debatte, sondern bisher immer nur wieder ein Signal des „Weiter so und durch mit der Angelegenheit“ ausgesendet. Das ist genau die falsche Politik, wenn es um das Ansehen von Parteien und demokratischen Institutionen geht.

Ich will sagen: Jede Partei hat sich das ein Stück weit anzunehmen, aber ich will auch für meine Partei deutlich sagen, wir - nicht zuletzt auch aus den Wendeerfahrungen, die durchaus nicht alle aus uns selbst kamen, sondern die wir aus der Öffentlichkeit sehr lautstark und sehr deutlich mitgeteilt bekamen und wir darüber debattieren mussten und wir uns verändern mussten - treten seit langer Zeit für eine offene parteipolitische Arbeit, für mehr direkte Demokratie in diesem Land und mehr Bürgerbeteiligungsmöglichkeiten ein. Wir treten dafür ein, dass man als Partei mit uns im Dialog sein kann und nicht wie in früheren Zeiten wir als Partei die Ausgeber der entsprechend richtigen Losungen sind. Ich glaube, ein Stück weit davon, meine Damen und Herren von der CDU, können Sie durchaus für die weitere politische Arbeit aufnehmen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Demokratie als Idee genießt, wie gesagt, bei vielen Menschen ein ungebrochen hohes Ansehen und eine fest verankerte Akzeptanz. Wir haben es mit

der Möglichkeit einer lebendigen Demokratie in der Hand, diese weiter zu stärken. Das müssen wir auch tun bei der Auseinandersetzung mit der rechtsextremistischen Gefahr - und die ist erheblich.

Der Monitor 2006 konstatiert eine Abnahme rechtsextremer Einstellungen in der Thüringer Bevölkerung. Das ist erfreulich, kann aber keine Entwarnung sein, denn der Monitor sagt auch, der Rückgang rechtsextremer Einstellungen geht ausschließlich auf die rechtsextreme Peripherie zurück, während der innere Kreis der Überzeugten stabil bleibt. Genau diese ideologisch gefestigten Anhänger eines neofaschistischen Weltbildes sind die Herausforderung, vor der wir stehen. Sie stützen mit ihrer noch stillen Zustimmung die wachsenden rechtsextremen Aktivitäten im Freistaat und bilden ein potenzielles Wählerreservoir für künftige Bestrebungen der extremen Rechten, in die Parlamente einzuziehen.

Beides sollte Gegenstand staatlicher wie zivilgesellschaftlicher Intervention sein. Rechtsextreme Einstellungen und Handlungen gleichermaßen in den Fokus zu nehmen, bedeutet eine Abkehr von der zyklischen Betroffenheit nach für die Rechtsextremen erfolgreichen Wahlgängen und eine Hinwendung zur langfristigen und nachhaltigen Auseinandersetzung. Erste Einsichten in dieser Richtung scheint es mit der Projektfinanzierung für die mobile Beratung in Thüringen zu geben. Mit dem Blick auf 2009 heißt das aber auch: Schluss mit der nur konjunkturellen Auseinandersetzung mit dem Neofaschismus und Schluss mit dem Anderen-und-sich-selbst-in-die-Tasche-lügen, meine Damen und Herren.