Protocol of the Session on October 7, 2004

Das Wort hat der Abgeordnete Carius.

Sehr verehrter Herr Kollege Matschie, also ich muss schon sagen, was Sie hier darbieten, ich bin sehr froh und warte darauf, dass wir auch im Wirtschaftsausschuss ein paar Anträge von Ihnen bekommen, die hoffentlich etwas gehaltvoller und auch konstruktiver sind als das, was Sie heute Morgen dringlich auf die Tagesordnung setzen wollten. Wir wissen natürlich, dass wir Probleme im Land haben und die wollen wir ja auch lösen, aber die grundlegenden Probleme, die hat der Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit nicht voll aufgegriffen. Und diese Probleme sind eben, dass wir eine Infrastrukturlücke haben, die 150 Mrd.  ) )    Ländern, die angesichts des wachsenden Verkehrs - 60 Prozent an Wachstum werden beim Güterverkehr bis 2012 erwartet - uns ganz erhebliche Probleme bereiten werden. Die nächsten Probleme sind die Kapitalausstattungen pro Kopf bei 75 Prozent des Westens. Gleiches gilt für die Produktivität. Wir haben eine Exportquote, die insgesamt in den neuen Ländern zwei Fünftel geringer ist als die in den alten. Wir haben eine Steuerkraft, die nicht halb so groß ist, wie die der alten Länder. Das sind doch die entscheidenden Probleme. Da nützt es wenig, nur über eine einzelne Förderkonzeption genau zu debattieren, sondern man muss diese Probleme auch als gesamtdeutsche Probleme begreifen.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Alle Jahre wieder.)

Als gesamtdeutsche Probleme, das heißt für mich vor allen Dingen, dass wir es etwa so machen, wie jetzt der Ministerpräsident das 10-Punkte-Papier vorgestellt hat, gemeinsam mit Minister Reinholz. Wir müssen die Rahmenbedingungen in Deutschland wesentlich verbessern. Es spricht nichts dagegen. In dem Bericht steht das ja auch drin, man müsste näher an die Region herangehen. Da spricht auch nichts dagegen. Dann sollten wir doch die Kompetenzen zurück auf die Länder verlagern. Es gibt seit über einem Jahr einen Antrag von Sachsen-Anhalt im Bundesrat, den wir unterstützt haben als Thü

ringen, wo es darum geht, dass wir den kartellierten und den überregulierten Arbeitsmarkt etwas entregulieren können, indem man eben sagt, nicht nur die neuen Länder, sondern auch alle Länder, die eine Arbeitslosigkeit über 50 Prozent des Durchschnittes in Deutschland haben, die können den Kündigungsschutz beispielsweise selbst regeln. Das sind doch Maßnahmen, mit denen unserem Land wahrscheinlich mehr geholfen ist, als nur über einzelne Förderkonzeptionen zu sprechen. Zum anderen möchte ich Ihnen, Herr Matschie, auch noch einmal sagen, wir haben hier im Landtag in der letzten Periode eine Enquetekommission gehabt, die hat sich sehr wohl mit den einzelnen Förderschwerpunkten und den Instrumentarien befasst. Ich empfehle Ihnen das sehr zur Lektüre und dann können wir gern im Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Arbeit noch einmal darüber debattieren.

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Nicht debattieren - handeln!)

Wir haben vieles davon umgesetzt. Die Landesregierung hat dazu regelmäßig berichtet.

Meine Damen und Herren, zum Abschluss, wir brauchen keine Schönfärberei und wir brauchen auch kein Schlechtreden des Aufbaus Ost. Das ist schon richtig. Aber wir brauchen auch keine Bundesregierung, die, nachdem sie jetzt die ersten Reformschritte eingeleitet hat, in der Hälfte der Periode schon ihre Untätigkeit für die Zukunft für den Rest der Periode ankündigt. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Schubert.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Jahresbericht der Bundesregierung hat 173 Seiten und ich weiß nicht, meine Kollegen von der CDUFraktion, ob Sie die auch wirklich gelesen haben, denn für mich und für uns als SPD-Fraktion ist das eine Bestandsanalyse und gleichzeitig aber auch eine Handlungsebene für mittel- und langfristige Zeitperioden. Dagegen ist das Papier unter der Überschrift: "Was jetzt zu tun ist", in dem die Landesregierung auf vier Seiten eine Konzeption vorlegt, wie das Land besser vorankommen soll, lediglich ein Programm zur Beschränkung von Arbeitsstättenverordnungen, Begrenzung der Unfallversicherung, Einschränkung des Leistungskatalogs der Berufsgenossenschaft und es ergießt sich in polemischen Angriffen auf die Bundesregierung. Wir sollten wirklich mal sehen, was hier im Lande selbst gemacht wor

den ist. Herr Kollege Matschie hatte ja vorhin schon davon angefangen, ich möchte es noch etwas im Detail darlegen.

Sehen wir uns doch mal den Bereich Wirtschaft an. Es ist schon etwas gesagt worden zu dem Thema GA-Mittel, wie das Land der Wirtschaft die Mittel vorenthalten hat. Aber genauso lehnt das Land die Unterstützung zur Schaffung von regionalen Clustern ab, denn auf eine Anfrage des Kollegen Pidde hat das Land geäußert, dass dazu keine Mittel vorgesehen sind. Oder eigenkapitalähnliche Förderprogramme, die der Bund anbietet, sind der Landesregierung überhaupt gar nicht bekannt.

Lassen Sie mich das noch etwas im Detail erläutern. Ziel der Bundesregierung ist es, in Ostdeutschland vermehrt Cluster zu schaffen und zu stärken. Eine Fördermittelbereitstellung zur Gründung von regionalen Clustern, wie ich gerade gesagt habe, geht aus der Anfrage 1010 meines Kollegen Dr. Pidde hervor, dass das Land die Förderung dieser Cluster nicht unterstützen will. Das InnoRegioprojekt der Bundesregierung hat die Landesregierung eh ignoriert. In den Jahren 2001 bis 2003 konnten die neuen Länder mit Berlin zusammen GA-Bewilligungen im Umfang von 5,2 Mrd.  )  >9 halt für 2004 stehen Ostdeutschland 57 Mio. & 3 )) Thüringen hat durch seine Nichtausschöpfung der Barmittel der Thüringer Wirtschaft im vergangenen Jahr 93 Mio.  31 ))  vorenthalten. In diesem Jahr gehen wir aufgrund der Haushaltssperre davon aus, dass es mindestens 15 Prozent plus x sind. Viele Unternehmen leiden unter chronischer Eigenkapitalschwäche. Das ist ebenfalls bekannt. Dem will die Landesregierung mit dem Programm "Thüringen Kapital" begegnen. Es ist aber schon erstaunlich, wenn auf meine Anfrage an die Landesregierung der Minister für Wirtschaft, Technologie und Arbeit verdeutlicht, dass ihm vergleichbare Programme der KfW-Mittelstandsbank, die viel günstigere Konditionen bietet, gar nicht bekannt sind. Trotz knapper Haushaltskassen verstetigt die Bundesregierung ihre Ausgaben bei den Verkehrsprojekten auf hohem Niveau. Leider konnten wir in der Regierungserklärung von Ministerpräsident Althaus zur Verkehrskonzeption des Freistaats Thüringen überhaupt nichts hören. Wir werden dazu morgen bei unserem Antrag Gelegenheit haben, dazu zu reden. Ein Landesstraßenbauprogramm lässt längst auf sich warten. Es gäbe noch eine ganze Reihe von Themen, die wir hier in dem Zusammenhang erläutern sollten. Ich denke, dass das Gesamtthema als Aktuelle Stunde abzuhandeln, viel zu kurz greift, deshalb kann ich nur noch einmal wiederholen, dass die SPDFraktion eine Aussprache zu dem Thema in der nächsten Landtagssitzung anstreben wird. Danke.

(Beifall bei der SPD)

Gibt es weitere Wortmeldungen von Seiten der Abgeordneten? Das ist nicht der Fall. Dann Frau Ministerin Diezel, bitte.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Länder, Minister Manfred Stolpe, hat am 22. September 2004 den Jahresbericht 2004 zum Stand der deutschen Einheit vorgelegt. Damit kommt die Bundesregierung einem Beschluss des Bundestages aus dem Jahr 2000 nach, wonach sie ausführlich über die Aktivitäten zur Förderung des Aufbaus in den neuen Ländern zu berichten hat. Auf gut 170 Seiten stellt die Bundesregierung ihre Bemühungen im Aufbau Ost dar. Sie bekennt sich zur Halbzeit von Solidarpakt I und II zu den Zielen der Stärkung der inneren Einheit und der Angleichung der Lebensverhältnisse. Auch stellt die Bundesregierung in ihrem Bericht die zentrale Frage, die alle Menschen in Ost und West bewegt: Wie kann mehr Beschäftigung und mehr Wachstum realisiert werden? Zum Glück gibt die Bundesregierung auch gleich die Antwort auf diese brennende Frage: Festhalten an den eingeleiteten Reformen sowie eine wirksame zielgerichtete Gestaltung der Förder- und Unterstützungsmaßnahmen. Darunter ist eine Umorientierung der Strukturpolitik in den neuen Ländern zu verstehen, die sich noch stärker als bisher an die differenzierte Wirtschaftsstruktur in den neuen Ländern richtet. Inhaltlich geht es um die Förderung von zwischenbetrieblichen Kooperationen, Unternehmensnetzwerken, die Herausbildung von Branchenschwerpunkten und die Unterstützung von innovativen Kompetenzfeldern. Auch die ländlichen peripheren Räume, die von erheblichen Strukturdefiziten gerade in den neuen Ländern gekennzeichnet sind, hat die Bundesregierung angeblich im Blick. Für sie sind regionale Profile herauszuarbeiten und deren Stärken zu fördern. Im Übrigen werden die ländlichen Räume auf das Ausstrahlen der zentralen Regionen verwiesen. Herr Matschie, Sie haben sich im vergangenen Jahr, auch schon in diesem Jahr auch in die Richtung geäußert - die Leuchttürme. So weit die theoretischen Ausführungen der Bundesregierung zum Aufbau Ost.

Die Praxis, meine sehr verehrten Damen und Herren, sieht allerdings anders aus. Im Bericht findet sich wiederum kein Wort zur Ausgestaltung des Korbes II des Solidarpakts II. Hier geht es um die Zusage der Bundesregierung aus dem Jahr 2001, mit dem Solidarpakt II ab dem Jahr 2005 bis zum Jahr 2019 insgesamt 51,1 Mrd.  32  !!)% nalen Leistungen in den neuen Ländern einzusetzen. Trotz mehrfacher Aufforderungen durch alle

Ministerpräsidenten der neuen Länder weigert sich die Bundesregierung bis jetzt, konkret zu sagen, welche Mittel und in welchem Jahr zur Verfügung gestellt werden. Es wäre gerade jetzt in Zeiten knapper Kassen und bei großen Problemen im Aufbau Ost wichtig zu wissen, wie die Bundesregierung ihr Versprechen mit 51,1 Mrd.    ) &  % schen in den neuen Ländern brauchen diese Lebensperspektive, um uns gemeinsam aus unserer anhaltenden Wirtschaftskrise in ganz Deutschland herauszuführen. Es nützen also keine theoretischen Ausführungen im Bericht, sondern gefragt sind konkrete Umsetzungen. In weniger als drei Monaten beginnt die Laufzeit des Solidarpakts II. Wir brauchen also jetzt dringend in allen neuen Ländern Planungssicherheit.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat im Bericht zum Stand der deutschen Einheit vor allen Dingen die haushälterischen Mittel nachvollzogen. Es ist eine willkürliche Zusammenfassung von unterschiedlichen Berichtszeiträumen und unterschiedlichen Vergleichbarkeiten. Es ist nicht möglich, eine regionalisierte Betrachtung durchzuführen. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich für uns? Meine beiden Kollegen aus der CDU-Fraktion sind darauf eingegangen und auch auf das Programm des Ministerpräsidenten und des Wirtschaftsministers, die 10 Punkte für den AufbauOst. Wir bitten die Bundesregierung ganz konkret darzustellen, wie sie ihr Versprechen umsetzen wird und wie sie theoretischen Konzepten konkrete Leistungen folgen lassen will. Die Menschen brauchen Perspektiven vor Ort. Abwanderung ist keine Antwort. Deswegen unser 10-Punkte-Programm.

Meine sehr geehrten Damen und Herren und Herr Abgeordneter Matschie, Sie sind noch einmal auf die Fortschrittsberichte eingegangen. Sie werden einen Antrag stellen. Ich bin sehr gespannt auf die Diskussion. Interessant ist ja bei den Zahlen, die jetzt veröffentlicht sind, dass Thüringen mit 76,7 Prozent die Mittel adäquat der Vorgaben eingesetzt haben soll, aber die Bundesländer unter langjähriger Führung der SPD nur um die 50 Prozent liegen. Sicherlich sind 76,7 Prozent keine 100 Prozent wie in Sachsen, aber es sind immerhin 76,7 Prozent und keine 50 Prozent. Und dann möchte ich Ihnen noch sagen, wenn es um die Einsetzung der Mittel geht: Im Bericht der Bundesregierung ist sehr ausführlich der kulturelle Teil dargestellt. Die Bundesregierung hat uns unsere Leistungen für die Kommunen im Kommunalen Finanzausgleich für Museen, für Theater - so genannte 6-er Titel - nicht mit angerechnet bei den Leistungen für Kommunen und zum Ausgleich für finanzschwache Kommunen der neuen Länder. Es wäre vielleicht auch angebracht, dass sich nicht nur der Bund mit seinen Leistungen für Kunst und Kultur in den neuen Ländern beweihräu

chert, sondern dass er auch anerkennt, wenn ein Land wie Thüringen sich für Kunst und Kultur im Kommunalen Finanzausgleich einsetzt.

(Beifall bei der CDU)

Frau Diezel, Sie müssen zum Ende kommen, die Redezeit ist zu Ende.

Ja. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, der Bericht ist sicherlich notwendig gewesen, denn es ist eine Berichtspflicht des Bundestages gewesen. Andererseits sind die Inhalte so, dass sie nicht unmittelbar umsetzbar sind und auch nicht den Weg in die Zukunft weisen. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Es hat sich zusätzlich der Abgeordnete Ramelow gemeldet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben ein wenig gezögert als PDS-Fraktion, uns an einem Tag wie dem heutigen zu einem solchen Thema zu Wort zu melden.

(Beifall bei der PDS)

Die Aktuelle Stunde ausgeschrieben, von der CDU beantragt, wollten wir erst einmal wissen, um was geht es da überhaupt? Wer soll da eigentlich zu was berichten? Wir sind dann aber tapfer hier geblieben, sind zahlenmäßig sogar mehr als die CDU. Die CDU scheint sich gar nicht dafür zu interessieren, was sie selbst auf die Tagesordnung gesetzt hat. Und so ist die Kontinuität der Diskussion, so kann man sie hier feststellen. Man hat fast das Gefühl, es geht nach dem alten Strickmuster - bei uns ist alles Klasse und Rotgrün macht alles falsch. Was das Ganze allerdings mit Aufbau Ost zu tun hat, weiß ich nicht genau. Alles das, Frau Diezel, was Sie eben gesagt haben, könnte man maßstabsgerecht übertragen auf das, was wir in Thüringen erleben. Die letzte Regierungserklärung unseres Ministerpräsidenten würde ich genauso qualifizieren wie das, was Sie gerade zum Bericht gemacht haben. Wahllos zusammengestellt, einige Erfolge nach vorn getan, ein bisschen Kritik eingeräumt und den Rest weggelassen. Das, was Sie bei anderen kritisieren, sollten Sie dann als Maßstab für die Arbeit hier im Landtag genauso an den Tag legen.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, wenn wir denn wirklich reden wollten, und da gebe ich Kollegen Matschie ausdrücklich Recht, wenn wir wirklich über den Stand der deutschen Einheit reden wollten, und ich halte es für dringend notwendig, dann sollten wir uns auch die notwendige Zeit und die notwendige Sachlichkeit angedeihen lassen und nicht einfach irgendetwas nehmen und sagen, wir führen jetzt einmal den Stolpe vor mit seinem Jahresbericht. Als wenn man in der Aktuellen Stunde in Fünf-Minuten-Beiträgen ausargumentieren kann, was wir im Moment als Riss in Deutschland eigentlich erleben, wo die Mauer in den Köpfen wieder wächst und wo Ressentiments in West und Ost geschürt werden und wo man erleben kann, dass man dem Ossi an sich wieder die Faulheit in die Schuhe schiebt und andere Sachen.

(Zwischenruf Abg. Grob, CDU)

Ich habe es gerade... Sie können doch schreien in der Mitte. Ich habe es in Nordrhein-Westfalen im Wahlkampf erlebt und ich fand es sehr unangenehm, in welcher Form man wirklich wieder den Menschen hier in den hiesigen Ländern an die Ehre geht und man bemerkt es nicht einmal. Man redet über Geld und mogelt weg, wie das ganze Geld, das hier hereingeflossen ist, eben auch in andere Taschen in Deutschland wieder herausgeflossen ist. Bei manchen Sachen muss man sich ja fragen, welchen Sinn hat das eigentlich gehabt, dass hier solche geschlossenen Immobilienfonds ihre Bauten hingestellt haben, die heute als leere hohle Vögel herumstehen. Darüber lohnt es sich wirklich in der Tat einmal etwas gründlicher zu reden, dass der Osten eben nicht nur eine Abschreibezone ist für reiche Investoren, die sich vor Steuerzahlung drücken wollen, sondern dass wir einen ehrlichen, fairen Aufbau Ost brauchen und dass der Aufbau Ost als Nachbau West einfach gescheitert ist, dass wir einfach anfangen sollten, dann einen eigenen Weg zu gehen. Und da gebe ich Herrn Köhler Recht. Ich gebe ihm in vielen Punkten seiner Rede vom Sonntag nicht Recht, aber in dem Teil, wo er sagt, man sollte doch den neuen Ländern dann Gelegenheit geben, eigene Wege zu gehen, dann sage ich: Recht hat der Mann. Und da sage ich auch, der Punkt 6 im 10-PunktePapier von Herrn Reinholz und Herrn Ministerpräsidenten beschreibt das auch. Aber als Herr Niels Lund Chrestensen für die Industrie- und Handelskammer das ganz konkret für Thüringen und ein Bekenntnis der Landesregierung für eine Sonderzone nach EU-Recht erwartet hat, ist er abgestraft worden, ist er als Kritikaster abgetan worden. Man hat nicht einmal die Anmeldung für die Sonderzone gemacht, wobei ich den Begriff "Sonderzone" immer sehr unglücklich finde, auch wenn ich weiß, dass

nach EU-Recht dieses Reglement so genannt wird. Mir wäre es lieber, wir würden das Land Thüringen als Innovationszone deklarieren und als Innovationszone dann nicht einzelne Dinge, Herr Kollege Carius, dann hire and fire, den Kündigungsschutz, den schmeißen wir weg, aber den Rest, da machen wir dann einmal so weiter wie bisher. Nein, da sage ich, lassen Sie uns doch das an Bürokratieabbau wirklich betreiben, wofür wir hier verantwortlich sind, hier im hohen Haus: Umgestaltung der Verwaltung, dann wäre das ein Bekenntnis zum systematischen Umbau der Thüringer Verwaltung zur Zweistufigkeit. Das wäre ein echter Innovationsbeitrag, um neue Wege in Thüringen zu gehen, bei denen sich dann die Altbundesländer daran messen lassen können.

Meine Damen und Herren, was ich in der Tat bei Herrn Stolpe nicht vermisse, weil da gehört es, glaube ich, nicht hinein in seinen Bericht, aber wenigstens als Merkmal, wenn wir über unsere eigenen Verhältnisse reden - 53 Menschen verlassen jeden Tag dieses Land. 40 Arbeitsplätze gehen jeden Tag in diesem Land verloren. Das sollten wir immer vor Augen und vor Ohren haben, wenn wir darüber diskutieren, wie der Aufbau Ost angestellt und angeschoben werden müsste. Deshalb bräuchten wir wirklich eine ehrliche Diskussion, eine intensivere Diskussion, aber nicht eine Aktuelle Stunde, die zum 7. Oktober gemacht wird, um einmal nur die anderen vorzuführen. Ich denke, an solchen unguten Tugenden sollte man sich kein Vorbild nehmen. Diese Aktuelle Stunde war ein schlechter Beitrag. Lassen Sie uns gemeinsam reden über einen Aufbruch Ost, aber dann mit der notwendigen Zeit, damit man alle Argumente wägen und werten kann, damit wir 1.000 gute Gründe schaffen,

Herr Abgeordneter Ramelow, Ihre Redezeit ist zu Ende.

dass Menschen hier in Thüringen bleiben und nicht abwandern. Von dem Schöngerede und Dummgerede haben die Menschen jedenfalls nichts.

(Beifall bei der PDS)

Es gibt keine weiteren Wortmeldungen.

Wir kommen zum zweiten Teil der Aktuellen Stunde

b) auf Antrag der Fraktion der PDS zum Thema: "Ausbildungsplatzdefizit in Thüringen zum Beginn des Ausbildungsjahres" Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 4/176

Zu Wort hat sich die Abgeordnete Hennig, PDSFraktion, gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich stelle mich vor: Susanne Hennig, Frau der PDS-Fraktion. Es ist schade, dass Herr Fiedler nicht da ist. Er würde feststellen, dass diese Aktuelle Stunde unter das Thema fällt "Alle Jahre wieder", aber auch aus genau dem Grund, dass sich seit vielen, vielen Jahren an der Ausbildungsplatzsituation in Thüringen nichts ändert. Wir sind auf dem geringsten Stand, was betriebliche Ausbildungsplätze angeht, angekommen seit der Wiedervereinigung. Werte Abgeordnete, jetzt kann man darüber diskutieren, trotz Ausbildungspakt oder eben weil wir einen Ausbildungspakt haben, haben wir doch so viele betriebliche Ausbildungsplätze. Ich will der Wirtschaft gar nicht absprechen, dass sie sich bemüht hat, Ausbildungsplätze zu schaffen. Ich bin mir auch sicher, bis zum Ende des Jahres wird der Ausbildungspakt eingehalten. Aber liebe Kollegen, haben Sie einmal darüber nachgedacht, wenn die Kammern z.B. 15.000 Unternehmen ansprechen und 700 Unternehmen bilden neu aus, wie es um die Ausbildungsmotivation und das Bewusstsein von Verantwortung bei den Unternehmen steht? Ich glaube, nicht sehr gut. Die Kammern haben entgegen der Bundesagentur für Arbeit einen Aufwärtstrend der betrieblichen Ausbildungsplätze gemeldet. Das heißt in meinen Augen, dass die bei der Bundesagentur gemeldeten Plätze vom öffentlichen Dienst, aus der Landwirtschaft, aus freien Berufen doch durchaus ursächlich sein müssen für den Rückgang der Ausbildungsplatzstellen.

(Beifall bei der PDS)

Ich sage hier ganz deutlich, gerade für den öffentlichen Dienst ist es nicht zu dulden.

Sehr geehrte Abgeordnete, wir haben derzeit 1.470 Menschen, die sich um einen Ausbildungsplatz beworben haben und keinen bekommen haben. Gerade einmal 47 Prozent derjenigen, die einen neuen Ausbildungsplatz bekommen haben, werden betrieb

lich ausgebildet. Mal ernsthaft, ich möchte wissen, wer von Ihnen noch glaubt, dass wir ein System der dualen Berufsausbildung haben, wenn 53 Prozent nicht in Betrieben ausgebildet werden. Wäre ich jetzt Vertreterin neoliberaler Ideen, würde ich einfach mal vorschlagen, wir entlasten die arme Wirtschaft und geben die Verantwortung für Ausbildung ganz in die Hände des Staates. Aber ich bin keine Vertreterin neoliberaler Ideen und deswegen fordere ich ganz einfach, dass wir das System der dualen Berufsausbildung auch ernst nehmen.

(Beifall bei der PDS)

Die Landesregierung hat vor der Sommerpause mit dem Ausbildungspakt bzw. mit der Zusage zum Ausbildungspakt eine Wahlkampfaktion gestartet, die für unsere jungen Menschen in Thüringen nicht von Erfolg gekrönt war. Wir haben natürlich wahrscheinlich bis zum Ende des Jahres so viele Ausbildungsplätze, wie vereinbart worden ist, aber auch nur, weil Status quo vereinbart worden ist und nicht, wie vom Bundesverfassungsgericht 1980 beschlossen, dass 112 Prozent Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen müssen, damit freie Wahl für einen Ausbildungsplatz besteht.