Ein erstes Kontaktgespräch fand am 27.02.1985 in der Wohnung von Frau Leukefeld statt. Sie erklärte sich zur Erteilung von Auskünften zum Pfingsttreffen der Jugend, zu Übersiedlungsantragstellern aus dem VEB Hauswirtschaft Suhl und dem Wohngebiet Aue I bereit. Sie teilte die Namen von drei Antragstellern mit und gab eine Verhaltens- und Persönlichkeitseinschätzung ab. Bei einem vermutete sie Probleme mit seinen zwei Söhnen, bei einer anderen Schwierigkeiten mit Männern. Im zweiten Kontaktgespräch am 18.03.1985 beantwortete Frau Leukefeld einen Fragenkatalog zur Situation der Jugend unter politisch-ideologischen Aspekten. Bei einem weiteren Kontaktgespräch am 10.05.1985 berichtete Frau Leukefeld u.a. über die Situation von zwei Antragstellerfamilien in Zella-Mehlis.
In dem Vorschlag für die Werbung als IKMO vom 03.06.1985 wurden die in der Vorlaufphase von Frau Leukefeld gelieferten Informationen durch ihren Führungsoffizier wie folgt bewertet - ich zitiere: „Durch die Kandidatin wurden hinsichtlich der Absicherung der politisch-gesellschaftlichen Höhepunkte 1. Mai, 8. Mai, Pfingsttreffen der Jugend und internationaler Wettkampf im Schießen wertvolle Informationen bzw. Hinweise gegeben. Mit der Kandidatin wurde auch hinsichtlich der operativen Bearbeitung von Personen legendiert gesprochen. Sie selbst ist verantwortlich für mehrere Bürger, die Antrag auf Übersiedlung in die BRD gestellt haben. Zu diesen Personen brachte sie auch schon Informationen. Diese Bearbeitung der Personen kann nach einer erfolgten Werbung dann wirksamer gestaltet werden. Ebenfalls wurden von der Kandidatin Stimmungen und Meinungen zu aktuellen Problemen erarbeitet.“
Ihre Zuverlässigkeit für die inoffizielle Mitarbeit wurde folgendermaßen begründet: „Sie trat ständig als Agitator der Politik der Partei in Erscheinung. In Bewährungssituationen hat sie durch ihr Verhalten und ihre Einsatzbereitschaft ständig unter Beweis gestellt, dass bei ihr die Einheit von Wort und Tat gegeben ist.“
Am 05.06.1985 schrieb und unterzeichnete Frau Leukefeld eine Verpflichtungserklärung zur freiwilligen inoffiziellen Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei, in der diese Ziele und Aufgaben der Zusammenarbeit unter Hinweis auf strengste Geheimhaltung noch einmal schriftlich niedergelegt wurden. Frau Leukefeld wählte den Decknamen „Sonja“.
Von diesem Zeitpunkt an fanden regelmäßig insgesamt 11 Treffen statt, zuletzt am 29.06.1986, über die zehn Treffberichte des Führungsoffiziers vorliegen. Darüber hinaus lieferte Frau Leukefeld unter ihrem Decknamen sieben handschriftliche Berichte. Am 09.10.1986 hat die Kriminalpolizei die inoffizielle Zusammenarbeit beendet, da Frau Leukefeld eine berufliche Tätigkeit in der SED-Kreisleitung Suhl aufgenommen hatte.
In den Treffen gab Frau Leukefeld ihre Eindrücke und Bewertungen von allgemeinen Stimmungen und Meinungen, insbesondere bei Veranstaltungen in Suhl sowie im Wohngebiet Aue I, weiter. Darüber hinaus gab sie konkrete Personeneinschätzungen. Sie berichtete auch weiterhin über Übersiedlungsantragsteller. Hervorzuheben ist dabei eine handschriftliche detaillierte Personeneinschätzung zu einer weiblichen Person einschließlich Wohnungsskizze vom 24.06.1985. In einem weiteren handschriftlichen Bericht vom 19.08.1985 berichtete und kommentierte Frau Leukefeld zu Personen und Situationen ihres Arbeitsumfeldes. In einem handschriftlichen Bericht vom 11.11.1985 berichtete sie, dass bei einer Faschingsveranstaltung bestimmte Redner in Wort und Erscheinung die führende Rolle der Partei angegriffen hätten. Darin sah sie eine Beleidigung jedes Genossen. Obwohl in einem Aktenvermerk der Kriminalpolizei vom 09.12.1985 wegen der sich abzeichnenden beruflichen Veränderung von Frau Leukefeld festgelegt wurde, die inoffizielle Zusammenarbeit einzustellen, wurde diese zunächst fortgesetzt.
In einem weiteren handschriftlichen Bericht vom 03.03.1986 gab Frau Leukefeld eine detaillierte Personeneinschätzung zu einem Kollegen aus ihrem bisherigen Arbeitsumfeld. Ihm bescheinigt diese unter anderem, dass er über einen klaren parteilichen Standpunkt zu politischen Grundfragen verfügt, jedoch noch manchmal Schwierigkeiten in der ideologischen Auseinandersetzung im Alltag, insbesondere in seinem Leitungsbereich hat. Sie berichtete ferner über dessen familiären Hintergrund und seine persönlichen Ziele.
In ihrer Stellungnahme zu den Unterlagen der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen bekannte sich Frau Leukefeld zu ihrer inoffiziellen Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei, Arbeitsgebiet 1. Von den Beziehungen zwischen dem Arbeitsgebiet 1 und dem Ministerium für Staatssicherheit habe sie je
doch nichts gewusst. Sie sehe ihr Verhalten heute sehr kritisch und bedaure es zutiefst. Damals sei ihr nicht bewusst gewesen, dass und wie das MfS gegen Freiheits- und Bürgerrechte verstoßen habe.
Zur Bewertung ihres Verhaltens ist sie der Auffassung, dass die Zeitumstände und ihre persönliche Prägung berücksichtigt werden müssten. Sie habe sich nicht zuletzt aufgrund traumatischer familiärer Erlebnisse mit dem Staats- und Gesellschaftssystem der DDR identifiziert und sei als Stadträtin auch für sicherheitssensible Einrichtungen verantwortlich gewesen. Ihre inoffizielle Zusammenarbeit habe zudem ausschließlich der Absicherung ihrer dienstlichen Aufgaben gedient. Zu welchem Zweck und mit welcher Auswirkung das Arbeitsgebiet 1 und das MfS ihre Informationen verwendet hätten, sei ihr nicht bekannt gewesen und habe sie auch nicht überblicken können. Die von ihr übermittelten Informationen habe das MfS im Übrigen auch auf dem offiziellen Dienstweg erhalten können; man habe aber den „kleinen“ Dienstweg als schnellere und einfachere Möglichkeit bevorzugt. Sie habe nur bekanntes Wissen weitergegeben und niemanden bespitzelt.
Frau Leukefeld räumte ein, dass sie den Wunsch der Kriminalpolizei nach einer inoffiziellen Zusammenarbeit auch habe ablehnen können. Mit Übersiedlungsantragstellern und deren Verfahren habe sie nur insoweit zu tun gehabt, als ihr Patenbetrieb, der VEB Hauswirtschaft, betroffen gewesen sei. Im Übrigen sei sie für Übersiedlungsangelegenheiten nicht zuständig gewesen. Sie habe lediglich gewusst, dass Antragsteller überzeugt werden sollten, dazubleiben. Sie sei eher an den Ursachen für deren Ausreisewünsche und dementsprechender Hilfe interessiert gewesen.
Die inoffizielle Zusammenarbeit habe zudem nur eineinhalb Jahre gedauert, also nur einen geringen Teil ihrer Biografie ausgemacht. Nach der Wende habe sie aktiv an der Offenlegung ihrer Verstrickung mitgewirkt, z.B. 1994 auf entsprechende Fragen innerhalb der PDS und im Jahr 2000 aus Anlass einer Veröffentlichung im „Spiegel“. Zudem habe sie lediglich ihre Personalakte zur Kenntnis erhalten, was drei Jahre gedauert habe. Viele Vorgänge und Einzelheiten aus der Vorgangsakte seien ihr erst im Rahmen des gegenwärtigen Überprüfungsverfahrens wieder in Erinnerung gebracht worden. Frau Leukefeld vertrat die Auffassung, sie sei nicht parlamentsunwürdig, weil sie von ihren Wählern in Kenntnis ihrer Verstrickung direkt in den Landtag gewählt worden sei. Dies sei höher zu bewerten als eine Entscheidung des Überprüfungsgremiums.
Zu den einzelnen Sachverhalten trug sie ergänzend vor: Bei der Personeneinschätzung vom 24.06.1985 handele es sich um ihre Mutter. Es sei um die Frage gegangen, ob die Wohnung ihrer Mutter für Treffs benutzt werden konnte. Ihre Mutter sei informiert gewesen. Bei der Personeneinschätzung vom 03.03.1986 handele es sich um ihren damaligen Kollegen Rolfs. Dies sei ihre einzige personenbezogene Einschätzung gewesen, die sie auf Aufforderung ihres Führungsoffiziers geliefert habe. Die Charakterisierung sei bis auf einen Satz nur positiv ausgefallen. Sie habe sich inzwischen bei Herrn Rolfs entschuldigt. Er habe die Einschätzung akzeptiert, es aber abgelehnt, an einer öffentlichen Veranstaltung zu ihrer IM-Tätigkeit teilzunehmen.
Zu dem Bericht vom 11.11.1985 machte Frau Leukefeld geltend, die von ihr gegebenen Informationen hätten den Betroffenen nicht geschadet, da auch andere Zuhörer deren Äußerungen mitgehört hätten. Allerdings seien ihr die Einflussnahmemöglichkeiten von K 1 und MfS auf derartige Veranstaltungen bewusst gewesen und eine solche Einflussnahme sei auch ein Beweggrund für ihre Darstellung gewesen. Frau Leukefeld vertrat die Auffassung, ihre Gespräche und Berichte im Rahmen ihrer inoffiziellen Zusammenarbeit seien inhaltlich mit dem vergleichbar, was heute Journalisten erfragen würden. Sie habe lediglich offen ihre Meinung geäußert.
Ferner nahm Frau Leukefeld Bezug auf die nach ihrer Darstellung bereits im Jahr 2000 abgegebene öffentliche persönliche Erklärung. Darin bringt sie in allgemeiner Form ihr Bedauern und ihre Entschuldigung gegenüber Menschen zum Ausdruck, die durch inoffizielle Tätigkeit und entsprechende Strukturen nicht wieder gut zu machenden Schaden erlitten haben. Sie geht davon aus, „durch den Charakter meiner inoffiziellen Tätigkeit und deren relativ kurze Dauer niemandem unmittelbar geschadet zu haben.“ Ferner macht sie in ihrer Erklärung geltend, als Mitglied des Landtags auf der Grundlage der Thüringer Verfassung und der Gesetze tätig zu sein.
Das Erweiterte Gremium ist bei seiner Entscheidungsfindung von folgenden Rahmenbedingungen und Kriterien für das Überprüfungsverfahren ausgegangen: Das Erweiterte Gremium hat gemäß § 6 Abs. 1 Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz den Auftrag, die von der Bundesbeauftragten übermittelten Unterlagen unter Einbeziehung der mündlichen und schriftlichen Stellungnahmen des betroffenen Abgeordneten und ggf. weiterer ergänzender Unterlagen und Stellungnahmen der Bundesbeauftragten unter Abwägung aller belastenden und entlastenden Umstände daraufhin zu prüfen, ob zur gesicherten Überzeugung der stimmberechtigten Mitglieder feststeht, dass die Abgeordnete wissentlich als hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiterin mit dem
Die Mitglieder sind in ihrer Überzeugungsbildung frei. Zur gesicherten Überzeugung genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen. Die Mitglieder müssen von der Verstrickung der Abgeordneten eine so sichere Überzeugung gewinnen, dass auch angesichts der beschränkten Beweismöglichkeiten vernünftige Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung ausgeschlossen sind.
Kann das Erweiterte Gremium diese sichere Überzeugung nicht erlangen, steht es ihm offen, in den Gründen die Beweislage darzustellen und zu würdigen. Die Beweiswürdigung ist nicht an gesetzliche Beweisregeln gebunden. Insbesondere findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ keine Anwendung, da sich das Überprüfungsverfahren außerhalb des materiellen Strafrechts vollzieht.
Das Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz verlangt nicht die Aufklärung der einzelnen in den Treff- oder IM-Berichten enthaltenen Sachverhalte und nicht den Nachweis einer konkreten Schädigung aufgrund eines rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens. Die Bundesbeauftragte hat in ihrem Schreiben vom 19.01.2006 ausdrücklich darauf hingewiesen - ich zitiere: „... dass in vielen Fällen anhand der Stasiunterlagen nicht genau nachvollziehbar ist, inwieweit die Informationslieferung des IM X an das MfS konkret gerade zur Maßnahme gegen den Betroffenen Y beigetragen hat. Die Anlage und Führung der Akten des MfS erfolgte nach deren damaligen operativen Interessen. Diese sind mit heutigen Dokumentationsinteressen im Sinne der Aufklärung nicht identisch. Zudem galt innerhalb des MfS das Prinzip möglichst umfassender Konspiration. Dies führte dazu, dass mündlich wie schriftlich nur die Informationen weitergegeben bzw. aufgezeichnet wurden, die für den jeweiligen Zweck und den entsprechend zuständigen Mitarbeiter von Interesse waren. Entscheidend ist, dass in der hoch entwickelten arbeitsteiligen Organisation des Staatssicherheitsdienstes jedem IM eine bestimmte Funktion zugewiesen wurde. Erst das Zusammenwirken vieler hauptamtlicher wie inoffizieller MfS-Mitarbeiter hat die oft tief greifenden repressiven Wirkungen erzielen können, denen viele Bürgerinnen und Bürger ausgesetzt waren. Oft konnten und sollten IM auch gar nicht wissen, für welche operativen Ziele und Zusammenhänge die von ihnen gelieferten Informationen gebraucht wurden. Bei entsprechender Nutzung konnten also auch an sich harmlose Informationen eine erhebliche repressive Wirkung entfalten.“
ten und persönlicher Schuld des Abgeordneten, sondern der parlamentarischen Selbstreinigung zur Erhaltung des Vertrauens der Öffentlichkeit in das Parlament und seiner Mitglieder.
Festgestellt werden soll aufgrund einer politisch parlamentarischen Bewertung, ob ein Abgeordneter sich durch sein persönlich zurechenbares Verhalten gleichsam moralisch disqualifiziert hat, als Vertreter des ganzen Wahlvolkes - nicht nur seiner Wähler - ein repräsentatives Mandat wahrzunehmen. Außer der politischen Öffentlichkeitswirkung durch Bekanntgabe des Überprüfungsergebnisses gibt es insbesondere nach der Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 25.02.2000 keine Sanktionen gegenüber dem Abgeordneten. Diese institutionelle Zielrichtung des Überprüfungsverfahrens rechtfertigt die Beschränkung der gesetzlich zugelassenen Beweismittel auf die Unterlagen der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen sowie die Stellungnahmen des betroffenen Abgeordneten. Zwar ist das Verfahren der Abgeordnetenüberprüfung einschließlich der politischen Feststellung der Parlamentsunwürdigkeit ein Eingriff in den verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten, der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat aber in seiner Entscheidung vom 18.07.1997 ein parlamentarisches Überprüfungsverfahren, das zur Feststellung der politischen Parlamentsunwürdigkeit führt, für verfassungsrechtlich zulässig erklärt, sofern die verfahrensrechtliche Ausgestaltung der verfahrensrechtlichen Stellung des Abgeordneten ausreichend Rechnung trägt. Dies ist durch das anschließend verabschiedete zeitlich befristete Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz und vorliegend zusätzlich durch die Verfahrensordnung geschehen.
In seiner Entscheidung vom 25.02.2000 hat der Thüringer Verfassungsgerichtshof lediglich den Entzug des Abgeordnetenmandats ohne verfassungsänderndes Gesetz für unzulässig erklärt, sich jedoch erneut ausdrücklich dazu bekannt, dass die frühere Tätigkeit eines Parlamentariers für das MfS diesem die Legitimität nehmen könne, Abgeordneter zu sein. Diese Prämisse hat das Bundesverfassungsgericht mit dem Ausnahmefall des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie in den neuen Ländern der Bundesrepublik begründet. Es hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Ministerium für Staatssicherheit ein zentraler Bestandteil des totalitären Machtapparats der DDR gewesen sei. Es habe als Instrument der politischen Kontrolle und Unterdrückung der gesamten Bevölkerung fungiert und insbesondere dazu gedient, politisch anders Denkende oder Ausreisewillige zu überwachen, abzuschrecken und auszuschalten. Diese Tätigkeit des MfS habe auf eine Verletzung der Freiheitsrechte gezielt, die für eine Demokratie konstituierend seien. Die Bespitzelung der Bevölkerung sei ihrer Natur nach darauf
Bei besonderen Verdachtsmomenten gegen gewählte Abgeordnete könne das Parlament davon ausgehen, dass das Vertrauen in das Repräsentationsorgan in besonderer Weise gestört sei, wenn ihm Repräsentanten angehörten, bei denen der Verdacht bestehe, dass sie in der beschriebenen Weise eine Diktatur unterstützt und Freiheitsrechte der Bürger verletzt hätten. Der Schutz des betroffenen Abgeordneten müsse dadurch gewährleistet werden, dass ihm nicht nur rechtliches Gehör gewährt, sondern auch gestattet werde, aktiv an der Herstellung des Beweisergebnisses mitzuwirken. Die abschließende Entscheidung müsse der Eigenart des gewählten Verfahrens sowie den zugelassenen Beweismitteln Rechnung tragen. Das Verfahren müsse Regelungen enthalten, die eine korrekte Wiedergabe des Umfangs der Ermittlungen gewährleistet (Bundesver- fassungsgericht 94, 351, 368, 369). Dem verfahrensrechtlichen Schutz des betroffenen Abgeordneten diene insbesondere auch, dass grundlegende Entscheidungen mit einer Mehrheit von zwei Dritteln getroffen werden müssten. Hierdurch werde sichergestellt, dass alle den Abgeordneten belastenden Verfahrensschritte und Feststellungen nur mit einer Mehrheit getroffen werden könnten, die in der Regel eine Fraktion übergreife und auch die Opposition einbeziehe (Bundesverfassungsgericht 94, 351, 371).
Die wissentliche Zusammenarbeit ergibt sich in der Regel aus dem bewussten und gewollten Übermitteln von Informationen an Mitarbeiter des MfS. Inoffizielle Mitarbeiter sind nach der Legaldefinition des § 6 Abs. 4 Nr. 2 des Stasiunterlagengesetzes Personen, die sich wissentlich und willentlich zur Lieferung von Informationen an den Staatssicherheitsdienst bereit erklärt haben, ohne dass sie dazu offiziell berechtigt oder verpflichtet waren. Diese Bereitschaftserklärung kann schriftlich, mündlich oder durch konkludentes Handeln erfolgen. Konkludentes Handeln sieht die BStU dann als gegeben an, wenn faktische Informationen an das MfS geliefert worden sind. Häufig sei solches schon in der Phase des IM-Vorlaufs geschehen.
Für die Einstufung als IM sei es unerheblich, welche Motive die Personen zur Informationsübermittlung bewogen hätten oder unter welchen konkreten Bedingungen die Aufnahme der Zusammenarbeit mit dem MfS zustande gekommen sei. Auch komme es nicht darauf an, welchen Umfang und welche thematischen Bezüge die dem MfS gelieferten Informationen hatten oder ob der Informant sich selbst als inoffizieller Mitarbeiter angesehen habe. Für die konkrete Einschätzung der Tätigkeit einer Person sei die förmliche Zuordnung zu bestimmten Kategorien nur ein Aspekt unter mehreren. Entscheidend für
die Beurteilung sei immer die jeweilige Aktenlage im Einzelfall. Das ist das Schreiben der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen vom 19.01.2006 auf Seite 4 und 5.
Die Parlamentsunwürdigkeit ist ein ausfüllungsbedürftiger, unbestimmter Rechtsbegriff. Sie ist in § 1 Abs. 1 Satz 3 Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz in einem Regelbeispiel dahin gehend umschrieben, dass sie in der Regel, also nicht ausschließlich, anzunehmen ist, wenn der Abgeordnete nachhaltig und zum Schaden anderer Bürger für das MfS tätig gewesen ist. In dem Überprüfungsverfahren der Abgeordneten Beck hat das Erweiterte Gremium des Thüringer Landtags das Regelbeispiel als erfüllt angesehen, wenn es durch konspirative Zusammenarbeit und heimliche Speicherung persönlicher Daten zu einem, auch nach dem in der DDR geltenden Recht, verbotenen Eingriff in die Privat- und Intimsphäre kam, die durch Artikel 17 der Internationalen Konvention über zivile und politische Rechte auch in der DDR vor willkürlichen Eingriffen des Staates geschützt war. Das ist Drucksache 2/3581, Seite 11. Hier liege ein Schaden für den betroffenen Bürger jedenfalls dann vor, wenn durch die konspirative Zusammenarbeit mit dem MfS Eingriffe in den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts erfolgten, in denen staatliche Eingriffe generell verboten sind. Unabhängig von der Erfüllung des Regelbeispiels hat das Erweiterte Gremium im Überprüfungsverfahren der Abgeordneten Beck eine Parlamentsunwürdigkeit auch dann angenommen, wenn eine nachhaltige Beeinträchtigung der demokratischen Vertrauenswürdigkeit des Abgeordneten und der Legitimation des Landtags festgestellt werden kann. Wer mit dem MfS in konspirativer Weise wissentlich zusammengearbeitet habe und in nicht nur unerheblichem Umfang über eine längere Zeit Treffs wahrgenommen und Berichte gefertigt habe, dem fehle es an demokratischer Vertrauenswürdigkeit vor dem Volk und damit an einer Grundvoraussetzung für die Wahrnehmung eines demokratisch repräsentativen Mandats (Drucksache 2/3581, Seite 13). In einer repräsentativen Demokratie müssten die Bürger darauf vertrauen können, dass seine Repräsentanten nur für und im Interesse des Volkes sowie in Verantwortung vor dem Volk ihr Mandat ausüben und ihr politisches Handeln am Gemeinwohl ausrichten.
Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat sich zu den Kriterien der Parlamentsunwürdigkeit nur insoweit geäußert, dass bei der Verwertung der Erkenntnisse der zeitliche Abstand zu einer früheren Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst Berücksichtigung finden müsse (Thüringer Verfassungsgericht vom 18.10.1997, Thüringer Verordnungsblatt 1998, Sei- te 17). Dazu hat das Erweiterte Gremium im Überprüfungsverfahren der Abgeordneten Beck die Re
gelungen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst herangezogen und die zeitlichen Anforderungen umso strenger angesetzt, je bedeutender die öffentliche Funktion des überprüften Amtsträgers ist. Die obersten Bundesgerichte beziehen die Berücksichtigung des Zeitfaktors regelmäßig auf einen Zeitraum, der 20 Jahre vor dem Beitritt liegt.
Ein weiteres Kriterium zur Beurteilung der Parlamentsunwürdigkeit ist die demokratische Bewährung in der Zeit seit der Wende. Als solche hat das Erweiterte Gremium im Überprüfungsverfahren der Abgeordneten Beck nur ein solches Verhalten gelten lassen, bei dem eine deutliche, überzeugende Distanz und Abkehr von früheren Einstellungen und Taten gegeben sei (Drucksache 2/3581, Seite 14). Im Übrigen sind die Umstände der Beendigung der IM-Tätigkeit ebenso als Kriterium heranzuziehen wie die Freiwilligkeit der Zusammenarbeit und die Motivation. Dabei ist der Umstand zu berücksichtigen, dass nach der Richtlinie Nummer 1/79 des Ministerrats der DDR für die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern die Zusammenarbeit stets freiwillig zu sein hatte und abgelehnt werden konnte. Eine nachträgliche Ablehnung der Zusammenarbeit war ein ausdrücklicher Grund für eine Beendigung des IM-Einsatzes, wie in der Richtlinie auf Seite 36 festgelegt.
Unter Zugrundelegung dieser Ihnen eben eröffneten Maßstäbe steht zur gesicherten Überzeugung aller stimmberechtigten Mitglieder des Erweiterten Gremiums zunächst fest, dass die Abgeordnete Leukefeld wissentlich als inoffizielle Mitarbeiterin mit der Kriminalpolizei, Arbeitsgebiet 1 zusammengearbeitet hat. Dies ergibt sich eindeutig aus den Unterlagen der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen. Frau Leukefeld bekennt dies auch. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 Stasiüberprüfungsgesetz gelten die Vorschriften des Gesetzes über Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes für inoffizielle Mitarbeiter des Arbeitsgebiets 1 der Kriminalpolizei der Volkspolizei entsprechend. Die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen hat hierzu mitgeteilt, dass das Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei aufgrund einer teilweisen Übereinstimmung von Aufgabenstellung und Arbeitsmethoden eng mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet hat, wobei dem Staatssicherheitsdienst die Führungsrolle zukam. Für den gesetzgeberischen Überprüfungszweck ist daher die inoffizielle Zusammenarbeit mit dem Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei gleichbedeutend mit einer Zusammenarbeit mit dem MfS und von dem Überprüfungstatbestand des Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes mit umfasst.
Soweit Frau Leukefeld sich darauf beruft, sie habe von der engen Zusammenarbeit zwischen der Kriminalpolizei und dem Ministerium für Staatssicherheit in diesem Bereich und der Verwendung der von
ihr gelieferten Informationen für Zwecke des MfS nichts gewusst, ist das Erweiterte Gremium der Auffassung, dass Frau Leukefeld hätte wissen müssen und können, dass ihre der K 1 gegebenen Informationen entsprechend dem Sicherheitssystem der DDR auch über rein kriminalpolizeiliche Aufgaben hinaus weitergeleitet werden und Verwendung finden würden. Eine genaue Kenntnis der Verwendung der gelieferten Informationen ist für die Einstufung der Zusammenarbeit nicht ausschlaggebend. Darauf hat die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen in ihrer Stellungnahme zur Arbeitsweise der Sicherheitsorgane ausdrücklich hingewiesen. Aus den Unterlagen der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen und den hierzu von Frau Leukefeld gegebenen Erläuterungen ergibt sich, dass sie über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren heimlich und regelmäßig Informationen und Bewertungen weitergegeben hat, die nicht nur abstrakt Stimmungen in der Bevölkerung und bestimmte Veranstaltungen betrafen, sondern persönliche Überzeugungen, Einstellungen, Verhaltensweisen und das Wohn- und Arbeitsumfeld einzelner Personen wiedergaben und bewerteten. Besonders deutlich belegen dies die Personeneinschätzungen vom 24.06.1985 und vom 03.03.1986. Die Details der weitergegebenen Informationen stellen einen Eingriff in den Schutzbereich des Artikels 17 des Internationalen Pakts über zivile und politische Rechte dar, der auch in der DDR geltendes Recht war. Danach darf niemand willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, in seine Familie, seine Wohnung, seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre oder seines Rufes ausgesetzt werden.
Im Hinblick auf den Bericht vom 24.06.1985 beruft sich Frau Leukefeld darauf, sie habe ihre Mutter über den Bericht informiert und dieser sei nur zu dem Zweck angefertigt worden, um die Wohnung ihrer Mutter für Treffs zu nutzen. Sofern sich dies so verhalten hat, was vom Erweiterten Gremium aufgrund der beschränkten Beweismittel nicht aufgeklärt werden kann, wären dies Umstände, die zugunsten von Frau Leukefeld entlastend wirken.
Soweit Frau Leukefeld im Hinblick auf den Bericht vom 03.03.1986 geltend macht, sie habe über ihren Arbeitskollegen bis auf einen Satz nur Positives berichtet, vermag dies den Eingriff in den Schutzbereich des Artikels 17 hingegen nicht zu mildern, auch wenn ihre Informationen die berufliche Entwicklung des Betroffenen möglicherweise nicht beeinträchtigt haben. Bereits in der heimlichen Weitergabe von Einschätzungen hinter dem Rücken des Betroffenen, die von ihm nicht beeinflusst werden können und zu denen er nicht Stellung nehmen kann, liegt ein Nachteil und damit aus Sicht des Betroffenen, die bei der Bewertung der inoffiziellen Zusammenarbeit nicht außer Acht gelassen werden darf,
ein Schaden vor. Dies wird im vorliegenden Sachverhalt auch durch das nachträgliche Verhalten des Opfers unterstrichen, das nach Aussage von Frau Leukefeld nur die Einschätzung als solche akzeptierte. Darin kann keine nachträgliche Billigung der heimlichen Weitergabe persönlicher Informationen an die Kriminalpolizei und den darin liegenden Akt des Vertrauensbruchs gesehen werden.
Auch die Weitergabe von Informationen zu Übersiedlungsantragstellern muss als Verstoß gegen Artikel 17 IPZPR bewertet werden. In dem Kontaktgespräch am 27.02.1985 gab Frau Leukefeld Namen und personenbezogene Einschätzungen zu drei Antragstellern weiter, die für die Betroffenen ungünstig waren und für die Kriminalpolizei bzw. das MfS als Ansatzpunkte im Rahmen der Rückdrängungskonzeptionen dienen konnten. Diese Eignung der Informationen reicht aufgrund der Struktur und Arbeitsweise des Systems der inoffiziellen Mitarbeiter aus, um die Schädlichkeit des Handelns zu begründen. Frau Leukefeld hat im Übrigen selbst gesagt, dass sie wusste, dass Antragsteller überzeugt werden sollten „dazubleiben“, somit seitens der staatlichen und gesellschaftlichen Organe alle zu diesem Zweck erforderlichen Maßnahmen ergriffen wurden, welche ihr wiederum als Mitarbeiterin im Staatsapparat bekannt waren.
Auch der Bericht vom 11.11.1985, den Frau Leukefeld über die auf einer Faschingsveranstaltung gehaltenen Büttenreden geliefert hat, enthält, entgegen der Auffassung von Frau Leukefeld, nicht lediglich offene Meinungsäußerungen über öffentliche Reden, sondern negative Bewertungen zu bestimmten Personen. Frau Leukefeld hat diese Bewertungen in dem Bewusstsein und der Absicht an die K 1 geliefert, dass die Staatsorgane Maßnahmen gegen derartige Äußerungen ergreifen sollten. Die entsprechenden Einflussmöglichkeiten kannte sie.
In ihren mündlichen Stellungnahmen hat Frau Leukefeld erläutert, dass sie diese Dinge damals „ziemlich ernst“ genommen und vorgeschlagen habe, den Parteieinfluss zu erhöhen, um solche Äußerungen künftig zu verhindern.
Auch wenn ihr Bericht für die Betroffenen keine unmittelbaren schädlichen Folgen gehabt haben sollte - was das Erweiterte Gremium nicht aufklären kann - und Frau Leukefeld möglicherweise nicht die einzige inoffizielle Informantin der Staatsorgane war, bot der Bericht nach Ziel und Inhalt Ansatzpunkte für Maßnahmen gegen die Betroffenen.
Entlastend kann der Umstand berücksichtigt werden, dass die Gesamtzeit der inoffiziellen Zusammenarbeit nur eineinhalb Jahre betrug. Sie war andererseits jedoch regelmäßig, intensiv und freiwillig.
Die inoffizielle Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei beendete Frau Leukefeld nicht aus gewonnener Einsicht oder Distanzierung, sondern sie wurde von der Kriminalpolizei eingestellt, weil Frau Leukefeld eine Parteifunktion übernahm.
Soweit Frau Leukefeld sich darauf beruft, dass sie nur Informationen geliefert habe, die sich auf ihren dienstlichen Aufgabenbereich bezogen und die die Kriminalpolizei bzw. das MfS auch auf dem offiziellen Dienstweg im Rahmen unbestritten vorhandener offener Kontakte hätte erlangen können, vermag sie dies zur Überzeugung der Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder des Erweiterten Gremiums ebenfalls nicht durchgreifend zu entlasten. Zumindest ein Teil der von Frau Leukefeld abgegebenen personenbezogenen Einschätzungen betraf keine Information, die sie im Rahmen ihrer dienstlichen Aufgaben und Befugnisse gewonnen hatte bzw. verwenden durfte. Zudem fand die inoffizielle Tätigkeit für die Kriminalpolizei auf einer völlig anderen - auch rechtlich unterschiedlichen - Grundlage statt und diente anderen Zwecken als die offizielle administrative Tätigkeit. Eine inoffizielle Zusammenarbeit gehörte nicht zu den dienstlichen Verpflichtungen eines Stadtrats. Dementsprechend hat Frau Leukefeld auch gesagt, sie sei die Zusammenarbeit freiwillig eingegangen und habe sich auch dagegen entscheiden können.
Sofern Treffs im Dienstzimmer von Frau Leukefeld stattfanden, diente das lediglich der Legendierung, um den konspirativen Charakter der Zusammenarbeit zu verschleiern. Diese Heimlichkeit der Zusammenarbeit, von der niemand etwas wissen durfte, war für die Zusammenarbeit konstitutiv. Inhaltlich dienten die von ihr gelieferten Informationen eigenen operativen Zielen der Kriminalpolizei bzw. des MfS und wurden zu anderen, weitergehenden und nicht zu kontrollierenden Maßnahmen gegenüber den Betroffenen genutzt als solche Maßnahmen, mit denen Frau Leukefeld im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Stadträtin zuständigkeitshalber zu tun hatte.
Zur Entlastung von Frau Leukefeld kann auch nicht der seitherige Zeitablauf herangezogen werden. Die inoffizielle Zusammenarbeit endete erst drei Jahre vor der Wende und liegt insgesamt noch keine 20 Jahre zurück, selbst unter Berücksichtigung der Zeit nach der Wende. Damit sind die von der Verfassungsrechtsprechung herangezogenen Mindestzeiträume noch nicht erfüllt.
Zugunsten von Frau Leukefeld ist zu berücksichtigen, dass sie sich nach der Wende zu ihrer inoffiziellen Tätigkeit bekannt und diese bedauert bzw. sich hierfür entschuldigt hat. Allerdings hat sie nicht von sich aus, sondern erst im Rahmen einer Bewerbung um eine kommunale Tätigkeit 1994 parteiintern und