Meine Damen und Herren, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen Plenarsitzung, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße unsere Gäste auf der Zuschauertribüne und die Vertreterinnen und Vertreter der Medien recht herzlich.
Als Schriftführer hat neben mir Platz genommen die Abgeordnete Wolf. Die Rednerliste führt der Abgeordnete Worm. Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt der Herr Abgeordnete Hauboldt und der Herr Abgeordnete Ohl.
Aufgrund der Dringlichkeit habe ich gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 der Geschäftsordnung Anja Ulbricht von der Zeitung „Die Junge Welt“ für die heutige Sitzung eine Genehmigung für die Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen erteilt.
Wir haben in der gestrigen Plenarsitzung festgelegt, dass wir heute mit dem Tagesordnungspunkt 18 „Initiative für Demokratie und Toleranz gegen Extremismus und Gewalt“ beginnen. Dann folgt der Tagesordnungspunkt 22 „Nachwahl eines Mitglieds der Parlamentarischen Kontrollkommission“ als Punkt 2. Der 3. Punkt, der aufgerufen wird, ist der Tagesordnungspunkt 11 a, b und c - Föderalismusreform - und dann folgt der Tagesordnungspunkt 20 - Verhinderung schädlicher Auswirkungen auf die Thüringer Sparkassen und das Sparkassenwesen in Deutschland - als Punkt 4 und dann werden wir in der normalen Tagesordnung fortfahren.
Initiative für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt Antrag der Fraktionen der CDU, Linkspartei.PDS und SPD - Drucksache 4/1823 -
Es liegen mir keine Wortmeldungen zur Begründung des gemeinsamen Antrags vor. Ich eröffne daher die Aussprache und erteile das Wort der Abgeordneten Lieberknecht, CDU-Fraktion.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich mit einem Blick auf das vergangene
Wochenende beginnen. Am vergangenen Wochenende haben die Wählerinnen und Wähler in drei deutschen Ländern neue Landtage gewählt, auch in unserem Nachbarland Sachsen-Anhalt. Allerdings hat eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler ihr Wahlrecht nicht genutzt, entweder, weil diese Bürgerinnen und Bürgern den Landtagswahlen eine geringere Bedeutung beimessen oder weil die großen Kontroversen vielleicht fehlten oder weil sie das Gefühl hatten, die Wahlen seien ohnehin entschieden. Wie dem auch sei, ich halte diese außerordentlich niedrige Wahlbeteiligung, die niedrigste, die wir im Übrigen bei Landtagswahlen in Deutschland bisher hatten, für ein Problem, denn der Gemütszustand der Menschen in Sachsen-Anhalt könnte etwas unterstreichen, was wir auch in der Debatte um den Thüringen-Monitor schon festgestellt haben in diesem Hause. Aus den Thüringen-Monitoren wissen wir, dass sich nicht wenige Menschen vom demokratischen Verfassungsstaat abgewendet oder sich ihm nie zugewandt haben, und das nach rund 16 Jahren, an deren Anfang ja mal die deutlichen Forderungen nach freien und geheimen Wahlen gestanden haben - wir denken an das Jahr 1989. Dennoch, mit Erleichterung ist allenthalben registriert worden, dass die DVU nicht davon profitieren konnte. Offensichtlich ist das jämmerliche parlamentarische Intermezzo dieser Pseudopartei im Magdeburger Landtag doch nicht vollends vergessen gewesen. Aber niemand kann sagen, wann sich Frustrationen das nächste Mal ein Ventil suchen und Vertreter dieser oder ähnlicher radikaler Parteien auf Abgeordnetenbänken wieder Platz nehmen.
Der Boden, in dem Extremismus gedeiht, ist oft beschrieben worden. Die Sehnsucht nach einfachen Lösungen für komplexe Probleme, die Suche nach Sündenböcken, die Flucht aus der realen Vielfalt unserer pluralistischen Gesellschaft in eine Scheinwelt, die von Homogenität bestimmt ist. Extremisten bedienen diese Erwartungen und die Versuchung, diesen Menschenfängern, diesen Demagogen zu folgen, kann wachsen, je vielfältiger unsere Gesellschaft in sozialer und kultureller Hinsicht wird, je härter die Zumutungen durch den weltweiten Wettbewerb ausfallen und je schärfer die Verteilungskonflikte auch innerhalb unseres eigenen Landes werden. Es gibt politisch und ideologisch unterschiedliche Formen, in denen die reale Komplexität in Richtung radikaler Vereinfachung versucht wird aufzulösen. Völkischer Nationalismus bis hin zu Rassismus, Antisemitismus sind eine dieser Richtungen, Fundamentalismen der unterschiedlichsten Art mit ihren Wahrheitsansprüchen und Ideologien eine andere. Dazu gehören nicht zuletzt auch politische Religionen bis hin zum Kommunismus mit all seinen Opfern, die auch er zu verantworten hat. Es gibt eine dabei erstaunliche inhaltliche Schnittmenge
zwischen den unterschiedlichen Formen des Extremismus. Wir haben es hier im Parlament bereits auch im Zusammenhang mit dem Thüringen-Monitor erörtert: Diejenigen, die im Thüringen-Monitor unter „rechtsextrem eingestellt“ rubriziert werden, sind jene, für die auch nach dem Thüringen-Monitor eine besondere Affinität zum DDR-Sozialismus festgestellt worden ist. Ihr Ideal scheint der vergangene Mauerstaat Erich Honeckers zu sein. Ich hatte deswegen schon in der damaligen Debatte im vergangenen Jahr nach einer genaueren Analyse der Aussagekraft der präsentierten Erhebungen gefragt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne Zweifel, der Rechtsextremismus steht zurzeit besonders im Zentrum des öffentlichen Interesses. Die NPD versucht Strukturen zu etablieren und die zersplitterte Landschaft der potenziellen Anhänger zu einen. Das Bindemittel ist die offen propagierte Ablehnung des von der NPD so genannten „Systems der Bundesrepublik Deutschland“. Dieses "System", also unsere Gesellschaft, unser Staat wird als Scheindemokratie verunglimpft. In einem zweiten Herbst 1989 - so im Dresdner Landtag von der NPD formuliert - soll ihm politisch das Lebenslicht ausgeblasen werden. Es gibt viele Menschen, zu viele, die sind für solche Parolen ansprechbar. Innerhalb von zwei Jahren ist die Zahl der NPD-Mitglieder von 5.000 auf 6.000 gestiegen. Im gleichen Zeitraum von 2003 bis 2005 hat sich die Anhängerschaft der Neonazis von 3.000 auf 4.100 erhöht. Auch das Ergebnis der Bundestagswahlen gibt uns zu denken. Die NPD gewann in den Bundestagswahlkreisen Thüringens zwischen 2,5 und 4,6 Prozent der Zweitstimmen. Diese Stimmen holt die Partei nicht etwa bei den älteren Wählern, sondern vor allem bei Jungwählern. Ein Effekt, der in den neuen Ländern noch einmal stärker ausgeprägt ist als sonst im Bundesgebiet. Offensichtlich sind die Bemühungen, auch in Thüringen Strukturen zu etablieren und Präsenz zu zeigen, wie jüngst bei der so genannten Kaffeefahrt der NPD durch Süd-WestThüringen oder wie morgen in Arnstadt geplant oder auch durch den Ankauf von Immobilien als Stützpunkte.
Wir haben oft schon auch hier im Haus darüber gesprochen. Auch die Zahlen in der Statistik über politisch motivierte Kriminalität, die künftig ja im Landtag regelmäßig erörtert werden soll, unterstreicht das. Die Zahl der rechtsextremen Delikte ist 2005 um 29 auf 620 Fälle angewachsen. Ohne diese so genannten Propagandadelikte sind es 222 Fälle, darunter 58 fremdenfeindliche und 47 antisemitische Straftaten. Es ist erschreckend und zu verurteilen. Durch jede dieser Straftaten wird die Menschenwürde als Ausgangs- und Ankerpunkt der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verletzt.
Argumentative Redlichkeit gebietet allerdings zugleich, auch die andere Seite des politisch motivierten Extremismus und die Kriminalität zur Kenntnis zu nehmen. Die Anzahl linksextremer Delikte hat sich binnen Jahresfrist auf 200 verdreifacht. Auf dieser Seite des politischen Spektrums sind 48 Gewaltstraftaten und 60 Sachbeschädigungen zu registrieren. Wie, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann man nun eine Strategie gegen den Extremismus entwickeln? Es gibt dafür kein einfaches Rezept. Staat und Bürgergesellschaft sind gemeinsam in der Verantwortung. Denn kein demokratischer Verfassungsstaat kann auf Dauer überleben, wenn er nicht von seinen Bürgerinnen und Bürgern gewollt und durch eine entsprechende demokratische Kultur getragen wird. Letztlich entscheidend ist das Vertrauen der Menschen in das politische System. Das ist gewährleistet, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass die politisch lösbaren Probleme auch politisch gelöst werden, dass sich Politik darauf konzentriert. In dieser Hinsicht waren die letzten Jahre nicht unbedingt überzeugend, manchmal war eher das Gegenteil der Fall.
Dazu gehört allerdings auch, zu sagen, was der demokratische Verfassungsstaat kann und was nicht. Hier gibt es viele Missverständnisse. Sie hängen auch damit zusammen, dass Menschen über Jahrzehnte eingeredet worden ist, der Staat werde es schon richten, und zwar nicht allein in der vormaligen DDR, auch im westlichen Teil unseres Landes hat sich im Laufe der Jahre der Focus mancher öffentlicher Debatte immer stärker auf den Staat konzentriert. Es ist gefährlich, wenn die Zustimmung zur Demokratie an sozialen Verheißungen vor allem festgemacht wird. Winston Churchill hat einmal gesagt: "Die Demokratie ist die schlechteste Staatsform, mit Ausnahme aller anderen." Wirklich gesichert ist die Demokratie, wenn sich die Menschen an dieser lakonischen Haltung nicht mehr stören und trotzdem versuchen, diese Staatsform ständig zu verbessern. Alle Institutionen, die politisch wirken und mit politischer Bildung zu tun haben, stehen hier in großer Verantwortung, die Landeszentrale für politische Bildung, Schulen, politische Stiftungen, Gedenkstätten usw. Es ist nicht erforderlich, dies hier im Detail aufzuführen. Es wird eine vielfältige, qualitativ hochwertige Arbeit geleistet, für die ich an dieser Stelle auch einmal ausdrücklich allen, die sich damit beschäftigen und sich ständig darüber Gedanken machen, danken möchte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Vertrauen in das System hängt auch mit dem Vertrauen in seine Repräsentanten zusammen. Das ist auch eine Frage der Selbstbeherrschung und des Verzichts auf Demagogie. Wenn Herr Lafontaine beispielsweise als Abgeordneter des Deutschen Bundestages konkur
rierende Fraktionen schlichtweg als - es ist ein Zitat, ich bitte mir nicht den Ordnungsruf zu geben - "Schweinebande" bezeichnet, wird dem nicht gedient. Wenn er von „Plapperfritzen“ spricht, kommt er begrifflich denen nahe, die die Parlamente in der Weimarer Republik einmal als „Schwatzbuden“ verunglimpften. Wir wissen, wie dies geendet hat. Deshalb ist es gut, dass im gemeinsamen Antrag ein Absatz auch zu uns als Amtsinhabern, als Mandatsträgern steht. Wir sollten uns gegenseitig Respekt erweisen, die Redlichkeit unseres politischen Tuns nicht in Zweifel ziehen und auch keinen Zweifel an unserer Verfassungstreue aufkommen lassen.
Wer dem Extremismus die Grundlage entziehen will, der darf keinen Bogen um die Themen machen, die den Menschen auf den Nägeln brennen. Denn sonst geben andere die Antworten. Nach Jahrzehnten wird nun zum Beispiel endlich die Frage nach der Integration von ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern in angemessener Form gestellt, nachdem man etwa in Frankreich gesehen hat, dass soziale, kulturelle und religiöse Konflikte sich unheilvoll verbinden können. Das war in Zeiten des real existierenden ideologischen Multikulturalismus ein Tabu. Der merkwürdige Versuch einer Schule, die Selbstverpflichtung auf Deutsch als Verkehrssprache im Schulgelände zu untersagen, war letztlich so ein letztes Echo auf diese zum Glück vergangenen Zeiten. Schließlich ist es eine Aufgabe der Volksparteien, die politischen Ränder zur Mitte hin zu integrieren. Kluge Politiker waren sich dessen stets bewusst. Wer Leute ausgrenzt und stigmatisiert, die man bei nüchterner Betrachtung mitnehmen könnte, weil sie eben keine Extremisten sind, der erweist der Demokratie einen Bärendienst. Manche Debatten in Deutschland werden so geführt, dass man nur noch die Wahl hat „zwischen Political Correctness und Rechtsextremismus“, wie der SPD-Politiker Hans Ahbe kürzlich einmal bemerkte. Diese Wahl sei, so fügte er wörtlich hinzu, ziemlich - und jetzt sage ich es - „besch...eiden“. Er hatte Recht. Erforderlich sind deshalb eindeutige Maßstäbe. Schutzgut ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung. In den Verfassungen, in den Verfassungsschutzgesetzen und dem Strafgesetzbuch sind die Grenzen markiert. Wer sie überschreitet, muss ohne Ansehen seiner Überzeugung mit unserer Gegenwehr rechnen, ohne Ansehen des politischen Standortes, das heißt Rechtsextremisten wie Linksextremisten. Linksextremisten können keine politische Legitimität daraus ableiten, dass sie gegen Rechtsextremisten kämpfen, sondern das ist der Extremismus, den wir ausdrücklich verurteilen.
Wenn dieses Thema nämlich anders angegangen wird, machen wir nicht zuletzt Rechtsextremisten zu Märtyrern und erleichtern ihren Führern nur das politische Geschäft. Deshalb haben wir immer gesagt, wir bekämpfen den Rechtsextremismus nicht, weil er rechts ist, sondern weil er extremistisch ist. Es kommt auf den antiextremistischen, antitotalitären Grundkonsens an. Darauf baut auch der gemeinsame Antrag auf.
Zur begrifflichen Klarheit gehört auch der Umgang mit dem Begriff „rechts“. Der Chefredakteur der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“, Ulrich Reitz, schreibt vor einigen Jahren in einem Kommentar - so wörtlich: "Rechts und rechtsradikal bauen nicht aufeinander auf, sondern sind Gegensätze. Wer aus rechtsradikal rechts ableitet, begeht einen intellektuell plumpen Bluff. Rechtsradikal und linksradikal stehen näher beieinander als rechts und rechtsradikal. Links und rechts sind sich näher als ihre jeweils radikalen und extremistischen Varianten, denn Rechte und Linke sind keine lärmenden antibürgerlichen Revoluzzer, sondern Systemweiterentwickler.", soweit Ulrich Reitz. Deshalb wird die CDU auch nicht unter der Überschrift "Parteiübergreifend gegen Rechts" gegen Rechtsextremismus kämpfen, sondern auf sprachliche Genauigkeit achten.
Denn es gibt Menschen, die sich als Demokraten rechts der Mitte einordnen auf einer Skala von 1 - ganz links - bis 10 - ganz rechts - und die meisten von uns haben das in der vergangenen Legislatur auch ausgeführt. Für das Jenaer Institut für Politikwissenschaften haben zum Beispiel die Abgeordneten meiner Fraktion sich im Durchschnitt bei 6,3 eingeordnet. Nach den Regeln der Mathematik lagen einige darüber und andere darunter. Und Abgeordnete schätzen sich als Demokraten nicht aus einer Laune heraus einfach so ein, sondern es ist mir schon wichtig zu erklären, was das heißt, genauso wie im linken Spektrum auch nachgedacht wird, was heißt es, links zu sein, und auch Debatten geführt werden. Zum Beispiel bezeichnen sich Menschen als rechts, weil sie Freiheit regelmäßig mit Begriffen wie „Verantwortung“ und „Ordnung“ mitdenken. Menschen, die misstrauisch sind gegenüber Selbstverwirklichung, wenn Pflicht- und Akzeptanzwerte damit gleich mit entsorgt werden sollen. Menschen, die wissen, dass die fundamentale Gleichheit aller Menschen vor Gott und den Gesetzen die reale, soziale und kulturelle Differenz nicht völlig aufheben kann, die wissen, dass alles gleichgültig wird, wenn alles gleichgültig sein soll. Ich denke zum Beispiel an die Debatten, die wir auch über Ehe und Familie zu führen haben. Menschen, die Toleranz nicht mit
Indifferenz verwechseln und deshalb wissen, dass Toleranz einen eigenen Standort voraussetzt, die davon überzeugt sind, dass Menschen Institutionen, Regeln, Autorität, Hierarchien brauchen, um ihre Gesellschaft sinnvoll organisieren zu können. Menschen, die das Alte erst dann durch Neues ersetzen, wenn sie überzeugt davon sind, dass das Neue besser ist, die verändern, um dauerhaft zu gewährleisten. Menschen, die wissen, dass es ohne Zukunft keine Herkunft gibt, die deshalb Tradition, Heimat und Brauchtum hochhalten. Menschen, die zwischen dem Staatsvolk und der Bevölkerung unterscheiden, wie es nicht zuletzt auch Debatte am Reichstagsgebäude im Bundestag gewesen ist. Und schließlich Menschen, die unter der deutschen Teilung gelitten haben und an einem modernen Nationalstaat als vorrangigem politischen Bezugsrahmen festhalten. Das alles, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Leute, die sich selber wahrscheinlich wahlweise als konservativ, rechtskonservativ, als rechts bezeichnen würden, die das nur selber oft gar nicht beschreiben, weil es eben allzu oft in unsäglicher Weise diffamiert wurde.
Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle auch noch einmal einen Blick auf den Ausgangspunkt unserer nun fast einjährigen Diskussion seit April 2005 zurückwerfen: Wir haben seinerzeit dafür gestimmt, den Antrag der SPDFraktion in der Drucksache 4/811 an den Ausschuss zu überweisen, denn das Thema war und ist uns wichtig, das haben wir damals auch begründet.
Unser Abgeordneter, Kollege Christian Köckert, hat seinerzeit die Grundlagen skizziert, auf denen aus unserer Sicht eine zielführende Debatte möglich schien und dann auch geführt worden ist. Er stellte bereits damals den antiextremistischen Grundkonsens auf der Basis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung als die Gesprächsgrundlage heraus und zog daraus Folgerungen für die politische Auseinandersetzung. Das war jedoch nicht der einzige angesprochene Gesichtspunkt. Kollege Köckert problematisierte genauso den Ansatz im damaligen Antrag, zur Isolierung und gesellschaftlichen Ächtung nicht allein rechtsextremer Organisationen, sondern auch von Personen beizutragen.
Ohne das an dieser Stelle noch einmal vertiefen zu wollen, haben gerade die Anhörung und die Diskussion über die Anhörung im Ausschuss, denke ich, besonders unter pädagogischen Gesichtspunkten diese Bedenken bestätigt. Wir legten schließlich Wert auf eine klare Unterscheidung zwischen den Auf
gaben des Staates und der Bürger und Zivilgesellschaft. Es widerspricht aus guten Gründen unserer demokratischen Verfassungstradition, den Staat zur Kopfstelle breiter zivilgesellschaftlicher Aktionen zu machen - wogegen und wofür auch immer. Gesellschaft und Staat muss man gedanklich und praktisch unterscheiden. Die Gesellschaft ist gekennzeichnet durch Freiheit, der Staat durch Notwendigkeit. Auch der noch so gute Zweck sollte uns nicht dazu verleiten, diese Unterscheidung aufzugeben. Das ist nicht überall gleich verstanden worden und mag uns gegenwärtig auch nicht so wichtig erscheinen. Deswegen - und manchmal ist ja auch ein Blick in die Geschichte hilfreich - gestatten Sie mir auch hier eine kurze Erinnerung: Zivilgesellschaft war insbesondere im ehemaligen Ostblock ein Begriff, den Dissidenten ins Gespräch brachten, um damit einen autonomen Raum gegenüber den Staaten, den damals sozialistischen Staaten und ihren allmächtigen Staatsparteien zu beschreiben und zu behaupten, gegenüber Staaten und Parteien, deren größtes Ziel es war, eben diese Gesellschaft völliger Kontrolle zu unterwerfen. Freuen wir uns darüber, dass unter den Bedingungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung dieser Zustand überwunden ist. Auch vergessen wir nicht, dass nach aller historischen Erfahrung nichts dafür spricht, dass das in Ewigkeit so bleiben muss. Eine lebendige, vielgestaltige, eigenständige Bürger- und Zivilgesellschaft kann im Fall der Fälle nicht hoch genug eingeschätzt werden für Bewahrung der Demokratie und ihre Verteidigung. Lassen Sie mich das, liebe Kolleginnen und Kollegen, am Beispiel des Vereinswesens illustrieren, was sich in diesem Punkt durch dieses Vorverständnis, auch durch die Folge der Anträge, die wir hatten, geändert hat. Im Ursprungsantrag wurde die Landesregierung aufgefordert, aktiv mit Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften, Sport- und Feuerwehrvereinen zusammenzuarbeiten, bis hin zur gemeinsamen Formulierung von Mustersatzungen und dem Knüpfen der Netzwerke. Wir haben gesagt: Ja, diese Punkte sind wichtig, aber im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Generalmobilmachung sozusagen mit der Landesregierung als Kopf und Koordinationsstelle gerät das ganze Vorhaben auf eine schiefe Bahn. Die intensive Befassung mit dieser Materie im Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit hatte auch in dieser Hinsicht die Auffassung meiner Fraktion bestätigt. Nach dem zwischenzeitlich gemeinsamen Antrag zwischen CDU und SPD, der dann aus bekannten Gründen nicht zum Zug gekommen ist, hatten wir uns in unserem Antrag auf die staatliche Seite konzentriert und das formuliert, was man von der Landesregierung zu Recht erwarten kann. Im neuen, jetzt von allen drei Fraktionen getragenen Antrag ist nun der gesellschaftliche Teil weiter konkretisiert worden, allerdings so, dass eine Eigenständigkeit schon in der Gestaltung deutlich herausgestellt wird. So finden Sie jetzt die Idee der Mustersatzung als Angebot im
ersten Teil unter Punkt 1 und im zweiten Teil wird den Vereinen unter Punkt 3 anheim gestellt, dieses Angebot zu nutzen. Ich denke, das ist eine klare Zuordnung. Dabei ist nichts verloren gegangen, sondern jeder weiß, welchen Part er genau zu leisten hat. Die Vereine werden in ihrer Eigenständigkeit ernst genommen, indem sie auf ihre eigenen verfassungsrechtlichen Verpflichtungen verwiesen werden. Und es wird ihnen zugetraut und zugleich anvertraut, selbst zu entscheiden, wie sie mit Mitgliedern umgehen, die eine extremistische Schlagseite haben.
Ergänzend will ich auf Punkte hinweisen, die auf Betreiben meiner Fraktion im Laufe der Diskussion eingebracht worden sind. Es ist dies etwa die regelmäßige Beratung des Verfassungsschutzberichts und des Berichts zur politisch motivierten Kriminalität. In dem Thema, das dann insgesamt zur Kenntnis genommen wird, wird ebenfalls der antiextremistische Ansatz deutlich. Es ist letztlich auch eine Stärkung der kommunalen Ebene, die wir noch einmal verdeutlicht haben, indem wir auch die Präventionsräte deutlicher thematisiert haben.
Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen auch noch zum weiteren Umgang mit diesem Antrag etwas sagen. Ich finde, der Antrag ist eine solide Basis für unsere weitere Arbeit. Die fast ein Jahr währende Diskussion hat sich im Ergebnis gelohnt. Der Antrag formuliert Maßstäbe und er setzt einen Handlungsrahmen. Diese Maßstäbe werden wir gegenüber Extremisten geltend machen und natürlich auch gegen uns selbst gelten lassen müssen. Das Thema bleibt auf der Tagesordnung, schon weil konkrete Handlungsaufträge an die Landesregierung formuliert und mit Fristen versehen werden. Der Thüringen-Monitor, der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, die Debatte über den Verfassungsschutzbericht und die politisch motivierte Kriminalität bleiben Eckpunkte parlamentarischer Beschäftigung mit dem Extremismus bzw. werden es. Die Landesstelle für Gewaltprävention erhält konkrete Handlungsaufträge, die gerade der kommunalen Ebene helfen werden, denn dort entscheidet sich letztlich die Auseinandersetzung mit dem politischen Extremismus und mit politisch motivierter Gewalt. Überall, wo die freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage gestellt wird, wo die Menschenwürde infrage steht, sind wir aufgerufen, einzugreifen. Dieser Maßstab gilt unbeschadet der jeweiligen politischen Begründungszusammenhänge. Politiker aller Parteien werden mit den Bürgerinnen und Bürgern schon morgen in Arnstadt der NPD entgegentreten, wie in vielen anderen Fällen zuvor auch, wo Bürgerinnen und Bürger im Geiste bunter Vielfalt gegen braune Einfalt sich versammelt haben. Sehr bewusst haben wir auch den Satz in die Begründung geschrieben: Der Beitrag der Zivilgesellschaft in der Auseinandersetzung mit dem Extremis
mus wird umso glaubwürdiger sein, je unzweifelhafter es ist, dass seine Träger selbst auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Es ist bekannt, dass manche Gruppen der autonomen Antifa in diesem Sinne nicht unbedingt ein Teil der Lösung, sondern ein Teil des Problems im Kampf gegen den Extremismus sind.
Es reicht, den Verfassungsschutz zu konsultieren oder auf diversen Internetseiten zu surfen, um dies zu erkennen. Auch diesbezüglich wird der Antrag natürlich eine Nagelprobe sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich meine, es ist im Sinne von Demokratie und Freiheit, die Gemeinsamkeiten zu suchen, wo sie möglich sind. Und so, wie wir sie hier formuliert haben, sind sie für meine Fraktion und mich in vollem Umfang zustimmungsfähig. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und werbe um Zustimmung für den vorliegenden Antrag. Danke.
Frau Präsidentin, meine verehrten Damen und Herren, verehrte Gäste, wir finden uns heute in einer Situation zurück, die dem Thema der Auseinandersetzung besonders mit dem Rechtsextremismus als aktuelle Bedrohung unserer Demokratie sowie von extremistischen Positionen insbesondere vorurteilsbegründeter Gewalt und Fremdenfeindlichkeit ein ganzes Stück gerechter wird. In einer Situation nämlich, die diese Auseinandersetzung in einem gemeinsamen Antrag der drei Fraktionen widerspiegelt. Dies war das Anliegen meiner Fraktion, der Fraktion der Linkspartei.PDS, bereits im Vorfeld der vergangenen Plenartagung. Was vorliegt, meine Damen und Herren, ist ein Kompromiss, wie das in dieser Konstellation nicht anders sein kann. Ich will dabei nicht verhehlen, dass natürlich in einzelnen Fragen unterschiedliche Positionen und Herangehensweisen durchaus weiterbestehen werden. Der Antrag ist aus unserer Sicht auch so zu verstehen, dass er versucht, ein Maß in der Bewertung der aktuellen Dinge zu finden und dabei unter anderem nicht eine vereinfachte Gleichsetzung zwischen Rechts und Links - in diesen Anführungszeichen, wie es meine Vorrednerin gesagt hat, zwischen der aktuellen Bedrohung des Rechtsextremismus und linksextremistischen Positionen - ausführt.
Meine Fraktion stimmt dem vorliegenden Antrag „Initiative für Demokratie und Toleranz gegen Extremismus und Gewalt“ zu, wobei ich hier vor allem auf einen Umstand hinweisen möchte. Die Nagelprobe auf den heutigen Antrag beginnt unmittelbar nach der Beschlussfassung. Wir müssen in allererster Linie diesen Antrag als ein Stück Handlungsoption für uns gemeinsam verstehen und dabei aus den aktuellen Gründen vor allem gegen den Rechtsextremismus. Arnstadt, der Aufmarsch von Neonazis morgen, das bürgerschaftliche, das antifaschistische Engagement dagegen und unsere gemeinsame Beteiligung belegen ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Notwendigkeit dazu fast auf den Tag genau. Der Antrag sichert die Anerkenntnis und die Unterstützung gerade des zivilgesellschaftlichen Engagements zu und dies gehört zu seinen großen Vorteilen, die auch wir mit eingebracht und unterstützt haben. Dies braucht nach unserer Auffassung unsere ganz besondere Aufmerksamkeit.
Deshalb auch möchte ich im Folgenden auf einige Fragen hier noch einmal besonders eingehen. Wir müssen uns, meine Damen und Herren, unbedingt um Konzepte und Vorschläge, die dem Vormarsch des Rechtsextremismus und des Neonazismus in den Bereichen der Jugend und der Alltagskultur begegnen können, bemühen. Dabei ist es - und das stützen die vorliegenden Berichte, das stützt auch der Monitor - im Augenblick so, dass besonders der vorpolitische Raum gegenwärtig dabei einen Schwerpunkt bildet, gewissermaßen einen zentralen strategischen Ort darstellt. Wir schlagen in diesem Zusammenhang nicht nur eine verstärkte Aufklärung, etwa über entsprechende Freizeitangebote, Kleidung, etc. vor, sondern auch den Ausbau demokratischer und toleranter Angebote im Bereich der Jugend- und Alltagskultur und dort vor allen Dingen, wo diese gegenwärtig aus verschiedenen Sichten heraus nicht mehr existieren. Dies auch zu beraten, wird eine der Nagelproben sein. Wir benötigen, meine Damen und Herren, Strategien nicht nur gegen rechtsextreme Handlungen, also sagen wir die Mitgliedschaft in entsprechenden Organisationen, Bezug nehmend auf Wahlverhalten, auf rassistische Gewalttaten, sondern auch gegen wachsende rechtsextreme Einstellungen. Für diese Fragen, die der jährliche Monitor aufwirft, bleibt weiterhin viel zu tun. Neben dem gewalttätigen Rechtsextremismus gibt es auch den scheinbar intelligenten, den stillen Rechtsextremismus.
Meine Damen und Herren, wir werden unserer Verantwortung in Gänze nur dann gerecht werden, wenn wir konstatieren, dass auch die Mitte dieser Gesellschaft vor solchen Einstellungen nicht etwa von Vornherein immun und ausgenommen ist.
Ich denke, deshalb bedürfen diese Facetten besonderer Aufmerksamkeit. In diesem Zusammenhang sehen wir auch eine der Aufgaben eines Beirats, der entsprechende Konzepte entwickeln soll. Wir benötigen, meine Damen und Herren, eine qualifiziertere Arbeit staatlicher Stellen gegen den Rechtsextremismus. Dies machen - das will ich hier durchaus noch einmal sagen - die Pleiten und Pannen der Vergangenheit, oft mangelnde Information, nicht rechtzeitige Weitergabe von Informationen zwischen Verfassungsschutz und Polizei und anderen Behörden, das ganz V-Mann-Desaster und andere doch deutlich. Wir fordern deshalb noch einmal einen transparenten und adäquaten Umgang mit Informationen zu diesen Fragen. Das betrifft natürlich auch die Information des Parlaments und die Auseinandersetzung mit diesen Fragen hier, unter anderem auch im Zusammenhang mit parlamentarischen Anfragen.
Wir müssen uns, meine Damen und Herren, zusammensetzen für eine Anerkennung der Projekte Mobile Beratungen gegen Rechtsextremismus für Demokratie (MOBIT), der Opferberatung THO und Netzwerkstellen und auch über eine entsprechende Förderung in Zukunft erneut sprechen. Das betrifft besonders auch die künftige finanzielle Unterstützung, meine Damen und Herren. Dies scheint uns auch deshalb besonders wichtig, weil Thüringen - und das sollten wir schon noch einmal überlegen - das einzige Bundesland ist, das diese Projekte gegenwärtig nicht kofinanziert. Dabei leistet doch nun gerade MOBIT zum Beispiel im Bereich der Fortbildung von Pädagogen eine qualitativ sehr gute Arbeit, was ja ganz im Sinne dieses Antrags ist, meine Damen und Herren.