Protocol of the Session on November 10, 2005

Das Wort hat der Abgeordnete Rose, CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, mit dem Ihnen vorliegenden Entwurf der Fraktion der CDU des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Thüringer Abwasserabga

bengesetzes soll die Abwasserabgabe für die Einleitung von Niederschlagswasser aus öffentlichen Kanalisationen in ein Gewässer bis zum 31.12.2010 ausgesetzt werden. Die Fraktion der CDU möchte damit ein klares Zeichen setzen. Keine zusätzlichen Belastungen für die Bevölkerung aus der Abwasserabgabe! Wir müssen alle Chancen nutzen, die Grundlagen für die Kalkulation der Abwassertarife zu entrümpeln.

Die Diskussion der letzten Tage und auch hier im Hause gibt uns Recht, auch in diesem Bereich gibt es eine sehr starke Verunsicherung unter der Bevölkerung. Denn die Säulen der Abwasserabgabe sind in der Tat schwer verständlich; sie sind eine Addition von Schmutzwasserabgabe, Niederschlagswasserabgabe und Kleineinleitung von Schmutzwasser. Es ist nun mal einfach so, dass wir eine bundeseinheitliche Regelung haben, und da haben wir eine Kopfpauschale. Diese Kopfpauschale würde in Thüringen 4,29 € betragen. Über diese Summe brauchen wir uns, glaube ich, nicht zu streiten.

Mit der Schaffung der Abwasserabgabe sollte die Gewässerqualität verbessert werden. Die Vergangenheit hat hierbei gezeigt, dass die Abwasserabgabe eine Lenkungsfunktion hatte und auch noch hat. So wurden durch die Erhebung einer Abgabe, die abhängig ist von den festgestellten Schadeneinheiten, in zahlreichen Fällen beispielsweise das Kanalnetz schneller überprüft, Fehlanschlüsse festgestellt und beseitigt sowie Investitionen in die Abwasserreinigung getätigt und so die Wasserqualität immer weiter verbessert. Denn erinnern wir uns an die schmutzigen Schaumberge auf den Flüssen und Seen in den 70er- und 80er-Jahren und sehen wir heute den Zustand unserer Gewässer. Die Niederschlagswasserabgabe, die wir weiter aussetzen wollen, ist ein Faktor für die Höhe der Abwassergebühren, die der Bürger zu tragen hat. Die Gesetzesinitiative unserer Fraktion leistet damit einen Beitrag, die vermeidbare Erhöhung der Abwassergebühren zu verhindern. Nach der derzeitigen Rechtslage ist die Erhebung der Abwasserabgabe für die Einleitung von Niederschlagswasser über eine öffentliche Kanalisation bis zum 31. Dezember 2005 ausgesetzt. Unsere Fraktion sieht speziell aus den nachfolgenden Erwägungen heraus ein Bedürfnis, die Frist bis zum erstmaligen Erheben dieser Abgabe auf den 31. Dezember 2010 zu verlängern. Die Einführung der Niederschlagswasserabgabe für die Einleitung aus öffentlichen Kanalisationen würde bei den kommunalen Aufgabenträgern und damit letztlich bei den Bürgern eine zusätzliche Aufgabenbelastung darstellen, die zum Anlass für eine Gebührenerhöhung genommen werden würde. Da bin ich mir ganz sicher. Ob berechtigt und in welcher Höhe, das überlasse ich Ihrer Fantasie. Obwohl ein großer Teil der Niederschlagswassereinleitung inzwischen den allgemein

anerkannten Regeln der Technik genügt, die eine Abgabenbefreiung mit sich bringt, wird eingeschätzt, dass etwa noch 650.000 Einwohner, und das ist nicht wenig, meine Damen und Herren, von dieser jährlichen Abgabe in Höhe von 4,29 € betroffen wären.

Die seit 1990 mit Unterstützung des Freistaats getätigten Investitionen in der Abwasserentsorgung haben zu einer deutlichen Reduzierung der Schadstoffbelastung in den Thüringer Gewässern geführt. Es bleibt aber festzustellen, dass sich aus guten Gründen diese Maßnahmen zunächst vorrangig auf die größeren Städte und Gemeinden konzentriert haben. Im ländlichen Raum hingegen dauert dieser Prozess noch an. Das bedeutet, dass in der derzeitigen Situation die Abgabe vor allem von den Gemeinden und Zweckverbänden in dem ländlichen Raum zu tragen wäre. Darüber hinaus, und das hat die Kollegin Becker schon ausführlich erläutert, ergibt sich für den Vollzug der Erhebung der Niederschlagswasserabgabe aus öffentlichen Kanalisationen ein sehr hoher Verwaltungsaufwand, der in keinem Verhältnis zu den aufgrund der vorgenannten Verrechnungsmöglichkeiten erwarteten tatsächlichen Einnahmen steht. Nach wie vor haben auch die Aufgabenträger in den nächsten Jahren vorrangig Investitionen zur Erfüllung der Richtlinien über die Behandlung von kommunalem Abwasser durchzuführen. Aus den genannten Gründen ist eine weitere Aussetzung der Niederschlagswasserabgabe sinnvoll. Die Fraktion der CDU geht davon aus, dass die Abgabenbelastung für die Gemeinden und Zweckverbände infolge des bis dahin erreichten Standes der Abwasserbeseitigung sich dann in einem vertretbaren Rahmen bewegen wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, kehren wir wieder zu dem gesamten Komplex der Abwasserabgabe zurück. Aufgrund der Zweckbindung der Abwasserabgabe halte ich die auf Bundes- und Landesebene gelegentlich aufkommende Diskussion über die generelle Notwendigkeit der Abwasserabgabe und die Möglichkeit ihrer ersatzlosen Aufhebung für völlig verfehlt. Die umweltpolitische Lenkungsfunktion der Abwasserabgabe besteht nach wie vor. Die Abgabe hat u.a. die Funktion, einen Anreiz zu schaffen, verbesserte Abwasseranlagen zu errichten und bestehende Anlagen ordnungsgemäß zu betreiben. Ich glaube, das ist auch ein ganz wichtiger Faktor.

Ein Ausbau der Abwasseranlagen erfolgt durch viele Betreiber gerade vor dem Hintergrund, dass dadurch die zu zahlende Abwasserabgabe reduziert werden kann. Ich denke auch an den Artikel 9 der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie, der sich mit der Deckung der Kosten der Wasserdienstleistung beschäftigt und einer Abschaffung der Abwasserabgabe di

rekt entgegensteht. Wenn es in der Bundesrepublik Deutschland die Abwasserabgabe nicht bereits gäbe, müsste ein vergleichbares Instrument bis zum Jahr 2010 geschaffen werden, denn nicht zuletzt trägt sie dem Verursacherprinzip Rechnung. Das läuft natürlich - das muss man auch deutlich sagen - den Forderungen verschiedener Organisationen und vor allem großer Kommunen entgegen, die die generelle Abschaffung der Abwasserabgabe fordern. Die Diskussion wird so geführt, die Abgabe sei nicht mehr zeitgemäß und habe schon lange keine direkten Auswirkungen mehr auf die Qualität der Abwasserentsorgung.

Wir kennen alle die Situation in den neuen Bundesländern, auch in Thüringen, ich glaube, das stimmt in diesem Fall überhaupt nicht. Hier scheint am realistischsten die Forderung der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall, der DWA, die Abwasserabgabe auf den Prüfstand zu stellen und die Verrechnung der Abgabe mit Investitionen, insbesondere mit Blick auf die notwendige Instandsetzung der Kanalisationen, neu zu gestalten. Für die neuen Bundesländer fordert die DWA, die in § 10 Abs. 5 festgeschriebene Regelung zur Verrechnung über 2005 hinaus zu verlängern. Denn gerade die Kompensationslösung, die heute schon angesprochen wurde, dass bestimmte Gewässerschutzinvestitionen an eine Einleitung mit den Abgaben für andere Einleitungen desselben Abgabepflichtigen in diesem Gebiet verrechnet werden, stellte sich bisher für die Verbände sehr positiv dar.

Mit § 10 Abs. 3 bis 5 Abwasserabgabengesetz wurden nicht zuletzt auf Anregung Thüringens in den neuen Bundesländern bis zum 31. Dezember 2005 großzügige Regelungen zur Verrechnung geschuldeter Abwasserabgaben mit getätigten Investitionen für Abwasseranlagen geschaffen. Dem folgt der Antrag der CDU in Drucksache 4/1317 mit dem Entschließungsantrag, die finanzielle Entlastung der Bürger durch die konsequente Ausnutzung der Verrechnungsmöglichkeiten nach § 10 Abs. 4 Abwasserabgabengesetz, der besagt, dass neue Abwassereinleitungen mit der Schmutzwasserabgabe verrechnet werden, zu sichern. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.01.2004 zu § 10 Abs. 4 Abwasserabgabengesetz lässt erweiterte Verrechnungsmöglichkeiten für Einleitungen bestehender Abwasserbehandlungsanlagen, an die zugeführt wird, zu. Vorhabensträger und Verwaltung sind gefordert, diese erweiterten Spielräume zur Entlastung der Bürger zu nutzen. Seitens der Fraktion der CDU wird die Landesregierung zu dem Entschließungsantrag gebeten, zu gegebener Zeit Bericht zu erstatten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir beantragen den Gesetzentwurf an den Ausschuss für Naturschutz und Umwelt und den Ausschuss für Justiz,

Bundes- und Europaangelegenheiten, federführend an den Ausschuss für Naturschutz und Umwelt zu überweisen und den Entschließungsantrag nur an den Ausschuss für Naturschutz und Umwelt zu überweisen.

Ich möchte meine Rede mit einem Zitat von Demosthenes beenden: „Auch Quellen und Brunnen versiegen, wenn man zu oft und zu viel aus ihnen schöpft.“ Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen von Abgeordneten vor. Doch, der Herr Minister Sklenar möchte jetzt noch das Wort ergreifen. Ich erteile ihm das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Landesregierung nehme ich zum Entwurf wie folgt Stellung:

Gegen den Gesetzentwurf bestehen keine Einwände. Seit In-Kraft-Treten des Thüringer Abwassergesetzes im Jahr 1993 sah dessen § 21 vor, dass die Einleitung von Niederschlagswasser aus öffentlichen Kanalisationen in ein Gewässer abgabefrei bleibt. Die Befristung war, wie bereits gesagt, bis zum 31.12.1995 erst einmal geregelt. Wir haben danach noch zweimal eine Veränderung in dieser Richtung vorgenommen. Nunmehr wollen wir eine dritte Veränderung vornehmen. Die Gründe für die mehrfache Verlängerung sind auch noch 2005 gültig, also das, was ich damals gesagt habe, gilt auch heute noch. Obwohl sich der Stand der Abwasserbeseitigung in Thüringen deutlich verbessert hat, besteht gerade im ländlichen Raum nach wie vor noch ein großer Nachholbedarf und ein größeres Defizit, die nur nach und nach abgebaut werden können. Hier würde die Erhebung der Niederschlagswasserabgabe Aufgabenträger und Bürger belasten, die zum Teil aufgrund fehlender finanzieller und administrativer Leistungsfähigkeit nicht in der Lage sind, kurzfristig ihre Abwasserbehandlung auf den Stand der Technik zu bringen und so die Belastung aus der Niederschlagswasserabgabe zu senken.

Die Absicht des Abwasserabgabengesetzes, insbesondere die Niederschlagswasserabgabe in die Abwasserbehandlung zu investieren, geht hier ins Leere. Insoweit ist eine weitere Aussetzung der Abgabe sinnvoll und rechtlich vertretbar. Was den Entschließungsantrag betrifft, nur so viel: Die Landesregierung wird das Urteil des Bundesverwal

tungsgerichts voll inhaltlich in die Verwaltungspraxis der zuständigen Behörden umsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Es liegt aber auch an den Aufgabenträgern, die abwassertechnischen Investitionen so durchzuführen, dass die bestehenden Verrechnungsmöglichkeiten voll ausgeschöpft werden können. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren Abgeordneten, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit schließe ich die Aussprache und wir kommen zur Abstimmung über die Überweisung an die Ausschüsse. Es wurde beantragt, den Gesetzentwurf an den Innenausschuss, an den Ausschuss für Naturschutz und Umwelt und an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten zu überweisen.

Wir stimmen als Erstes über die Überweisung des Gesetzantrags an den Ausschuss für Naturschutz und Umwelt ab. Wer ist für die Überweisung des Gesetzantrags an den Ausschuss für Naturschutz und Umwelt, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Wer ist gegen die Überweisung? Wer enthält sich der Stimme? Damit ist die Überweisung einstimmig beschlossen worden.

Wir kommen zur Überweisung des Gesetzantrags an den Innenausschuss. Wer ist für die Überweisung an den Innenausschuss, den bitte ich um das Handzeichen? Wer ist gegen die Überweisung des Gesetzantrags an den Innenausschuss? Wer enthält sich der Stimme? Damit ist der Überweisung des Antrags an den Innenausschuss nicht stattgegeben worden.

Wir kommen zur Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten. Wer ist für die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten, den bitte ich um das Handzeichen. Wer ist gegen die Überweisung? Wer enthält sich der Stimme? Damit ist einstimmig die Überweisung des Gesetzantrags an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten angenommen worden.

Wir kommen zur Abstimmung über die Federführung. Wer für die Federführung des Ausschusses für Naturschutz und Umwelt ist, den bitte ich um das Handzeichen. Wer ist gegen die Federführung? Wer enthält sich der Stimme? Damit ist einstimmig die Federführung des Ausschusses für Naturschutz und Umwelt bestätigt worden.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU. Es ist beantragt worden, ihn im Ausschuss für Naturschutz und Umwelt zu behandeln. Wer ist für die Überweisung des Entschließungsantrags an den Ausschuss für Naturschutz und Umwelt, den bitte ich um das Handzeichen. Wer ist dagegen? Wer enthält sich der Stimme? Damit ist der Entschließungsantrag einstimmig an den Ausschuss für Naturschutz und Umwelt überwiesen worden und kann dort beraten werden.

Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt ab und rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf

Thüringer Gesetz zum Ausbau der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene Gesetzentwurf der Fraktionen der Linkspartei.PDS und SPD - Drucksache 4/1320 - ERSTE BERATUNG

Wünscht eine der Fraktionen der Linkspartei.PDS oder SPD das Wort zur Begründung? Das ist nicht der Fall. Damit eröffne ich die Aussprache und erteile als Erstes das Wort dem Abgeordneten Hahnemann von der Linkspartei.PDS.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, sehr geehrte Gäste - nicht viele Gäste, aber dafür sehr kompetente -, vor zwei Jahren haben wir die Verfassungsänderung zur Erleichterung von Bürgerantrag, Volksbegehren und Volksentscheid in Thüringen und das zugehörige neue Verfahrensgesetz verabschiedet. Die Erleichterung der Einflussnahme auf politische Entscheidungen für Bürgerinnen und Bürger nannten Redner aller Fraktionen eine Sternstunde der Demokratie und des Parlaments. Damals haben wir im Konsens die direkte Demokratie für das Land erleichtert: Quoren gesenkt, Fristen verlängert, Informationsrechte gestärkt und einiges mehr. Das Thüringer Gesetz zu Bürgerantrag, Volksbegehren und Volksentscheid kann heute als Vorbild für andere Bundesländer gelten.

Vergleicht man nun damit die Regelungen auf kommunaler Ebene, dann werden Defizite bei der direkten Demokratie deutlich. Deshalb war es nur folgerichtig, dass das Bündnis „Mehr Demokratie in Thüringen“ im Herbst 2003 Eckpunkte für eine Reform von Bürgerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid beschloss. Danach würden durchgesetzte Verbesserungen auch auf die kommunale Ebene übertragen. Bei seinen Vorschlägen knüpfte das Bündnis auch an langjährige Erfahrungen aus Bayern an. Dort hat sich die direkte Demokratie auf kommu

naler Ebene vorteilhaft entwickelt. Von 1995 bis 2005 gab es in Bayern auf kommunaler Ebene 1.371 Bürgerbegehren und 835 Bürgerentscheide. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es in Bayern direkte Demokratie auch in den Landkreisen gibt. In Thüringen hatten wir in den Jahren 2003 und 2004 lediglich zehn Bürgerbegehren, wie wir wissen. Davon kam es in drei Fällen zum Bürgerentscheid. Verglichen mit den bayrischen Verhältnissen, ist das nicht einmal ein Zehntel. Auch das macht den Reformbedarf eindrücklich deutlich.

Das erfolgreiche Modell, nach dem die Oppositionsfraktionen als „parlamentarischer Arm“ des Bündnisses „Mehr Demokratie“ fungieren, bot sich auch für die Bündnisvorschläge zu direkter Demokratie in den Kommunen an. Der vorliegende Gesetzentwurf wurde von den beiden Oppositionsfraktionen in enger Zusammenarbeit mit dem Bündnis erarbeitet. Das ist gut so, denn diese Initiative ist getragen von 21 Organisationen - von der Arbeitsloseninitiative über die Gewerkschaften und Parteien bis zum Landesjugendring. Das ist das breiteste Bündnis, das je in Thüringen aktiv war.

Zur Vorbereitung des gemeinsamen Gesetzentwurfs fanden aber nicht nur Beratungen der Träger statt. Im Juli dieses Jahres führten die beiden Oppositionsfraktionen mit Unterstützung des Bündnisses ein Symposium durch, bei dem die Eckpunkte und Änderungsvorschläge mit ausgewiesenen Spezialisten diskutiert wurden. Etwa 120 Fachleute und interessierte Bürgerinnen und Bürger nahmen an der Fachtagung im Thüringer Landtag teil. Dabei herrschte ein Grundtenor: Auch in Thüringen sollte in Angriff genommen werden, was in Bayern schon seit zehn Jahren erfolgreich praktiziert wird. Von vielen Teilnehmern wurde angemahnt, sich deutlich an den bayerischen Regelungen zu orientieren. Die Ergebnisse dieser Veranstaltung wurden im Bündnis eingehend diskutiert. Beschlossen wurde, dass auch auf das bayrische Modell zurückgegriffen werden soll. Allerdings wurde es als ebenso wichtig erachtet, die positiven Änderungen für die Thüringer Landesebene in Gemeinden und Kreisen wirksam werden zu lassen. Auch diese Thüringer - ich nenne es mal - „Eigengewächse“ sind fundiert und gut durchdacht, auch wenn ihnen noch im Vergleich zu Bayern die langjährige Erprobung in der Praxis fehlt. Es ist eher ein Vorteil, wenn direkte Demokratie auf den verschiedenen staatlichen Ebenen synchronisiert ist, also ist der vorliegende Gesetzentwurf eine abgewogene thüringisch-bayerische Mischung.

Meine Damen und Herren, zu den Gründen: Gerade auf der kommunalen Ebene fanden der stärkste Rückgang bei der Wahlbeteiligung und ein auffälliges Sinken des Engagements von Menschen in Parteien statt. Auch hier werden zunehmende Par

tei-, Politik- und Politikerverdrossenheit beklagt. Trotzdem kann man in vielen Orten eine durchaus lebhafte öffentliche, sozusagen informelle Diskussion unter Bürgern erleben, wenn ein Vorhaben in der Gemeinde oder im Kreis ansteht und z.B. strittig ist. Bürgerinnen und Bürger wollen nämlich nicht nur Köpfe wählen, sondern an Sachentscheidungen mitwirken. Sie müssen ja auch mit den Auswirkungen dieser Entscheidungen leben und die Auswirkungen dieser Entscheidungen nicht selten auch bezahlen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Repräsentative und direkte Demokratie sind ja eben keine Gegensätze, sondern, wie auch der bayerische Innenminister Beckstein kürzlich öffentlich bekannt hat, sie ergänzen sich in sehr sinnvoller Weise. Parteien können sich an Bürgerbegehren beteiligen und Gemeinderäte und Kreistage können umstrittene Beschlüsse den Bürgern auch als Referendum zur letzten Entscheidung vorlegen. Dies alles steht ihnen frei. Wie in vielen anderen Bundesländern sieht der vorliegende Gesetzentwurf ein solches Referendum oder Ratsbegehren auch für Thüringen vor. Die Rückbindung von Entscheidungen übrigens stärkt die Akzeptanz der repräsentativen Strukturen bei den Bürgern. Um einen verantwortungsvollen Umgang damit zu gewährleisten, müssen nach unserem Entwurf zwei Drittel der Mitglieder des Gremiums einem solchen Verfahren zustimmen.

Die Erfahrungen aus anderen Ländern, meine Damen und Herren, zeigen im Übrigen: Gibt es Möglichkeiten wirksamer direkter Demokratie, dann achten Gemeinderäte und Kreistage schon im Vorfeld einer Entscheidung stärker auf die Bürgermeinung und den Bürgerwillen. Auch dieser hinlänglich bekannte Nebeneffekt stärkt letztlich die repräsentative Demokratie. Politikverdrossenheit fußt vor allem auf einer Erfahrung: „Wir können sowieso nichts ändern.“ Einwohnerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid bieten also Rahmenbedingungen, in denen sich Diskussionen zu Sachthemen entfalten können, und die Bürgerinnen und Bürger können nicht nur diskutieren, nein, sie können auch noch Einfluss auf die Entscheidungen nehmen. Die Erfahrung, die eigenen Lebens-, Wohn- und Arbeitsbedingungen selbst gestalten zu können, das ist das beste Mittel gegen Politikverdrossenheit, meine Damen und Herren. Und die Erfahrung des Gestaltens ist das beste Mittel, um den Identifikationswillen und das Identifikationsvermögen der Menschen mit öffentlichen Angelegenheiten zu stärken. Direkte Demokratie zeigt den Bürgerinnen und Bürgern, öffentliche Angelegenheiten sind nicht Sache eines abstrakten Staates, es sind ihre eigenen Angelegenheiten. Das stärkt auch das Verantwortungsgefühl der Bürger. Also ist es auch nicht verwunderlich, dass der baye

rische Innenminister Beckstein in einer Festrede zum Jubiläum von „Mehr Demokratie“ zu zehn Jahren Bürgerentscheid in Bayern sagte: „Bürgerbegehren und Bürgerentscheide sind Ausdruck aktiver Mitwirkung von Bürgerinnen und Bürgern in unserer Gesellschaft, in unseren Kommunen und im politischen Leben. Sie sind damit ein bedeutender Aspekt der aktiven Bürgergesellschaft.“ Direkte Demokratie ist nach seiner Auffassung auch ein wirksames Korrektiv gegen die „Gesellschaft der Ichlinge“. Aber Politik sei im Gegenzug dazu verpflichtet, wirksame Rahmenbedingungen für solches bürgerschaftliches Engagement zu schaffen, fordert Beckstein. So begrüßt er, dass es nur wenige Themenausschlüsse in Bayern gibt, und er fordert eine weitere Senkung der Quoren, die ohnehin in Bayern schon niedrig sind.

Der von uns, von den beiden Fraktionen vorgelegte Gesetzentwurf senkt z.B. die Quoren. In Gemeinden soll gelten: Für den Einwohnerantrag ist grundsätzlich 1 Prozent mit einer Kappungsgrenze von 300 Unterschriften vorgesehen, für Bürgerbegehren werden nun einheitlich 7 Prozent bei maximal 7.000 Unterschriften verlangt, für den Bürgerentscheid werden die Zustimmungsquoren in drei Stufen von 20 Prozent bei bis zu 10.000 Bürgern, von 15 Prozent bei bis zu 50.000 Bürgern und von 10 Prozent bei mehr als 50.000 Bürgern gestaffelt. Für Landkreise soll gelten: beim Einwohnerantrag 1 Prozent, aber höchstens 1.000 Unterschriften, beim Bürgerbegehren ein Unterstützungsquorum von 7 Prozent und eine Kappungsgrenze von 10.000 Unterschriften, beim Bürgerentscheid ein Zustimmungsquorum von 10 Prozent.

Es ist kein Zufall, dass Spitzenpolitiker der CSU für weit reichende und wirksame direkte Demokratie in Gemeinden und Kreisen eintreten und sogar weitere Verbesserungen fordern. Direkte Demokratie richtet sich auf Sachthemen, auf Debatten und Entscheidungen über meistens konkrete Projekte. Diese Sachbezogenheit der direkten Demokratie hat nach allen Erfahrungen und Untersuchungen deutliche Auswirkungen, und zwar positive Auswirkungen auf den Verlauf und auf den Inhalt der Diskussionen und auch auf die Entscheidungsfindung. Positionen werden sachlicher gegeneinander abgewogen; nicht Parteiegoismus, Machtverliebtheit oder Emotionen geben den Ausschlag, sondern das Argumentative überwiegt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es aus Bayern oder Ländern wie der Schweiz oder den USA viele Beispiele für sehr vernünftige und sogar kosteneffiziente Entscheidungen auf dem Wege der direkten Demokratie gibt. Bürgerinnen und Bürger, meine Damen und Herren, können verantwortungsvoll Entscheidungen für ihre Gemeinden und Kreise, sprich für ihre eigenen Angelegenheiten treffen. Nicht selten sind solche Entscheidungen sogar politisch und wirtschaftlich sinnvoller als

die Beschlüsse der gewählten Gremien. Ich möchte hier nur an den spektakulären Bürgerentscheid in Kulmbach in Franken erinnern, mit dem Bürgerinnen und Bürger ein aberwitziges Cross-BorderLeasing-Projekt verhindert haben.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ein Grund für hohes Qualitätsniveau der direkten Demokratie besonders auf kommunaler Ebene ist, dass Sachverstand und Fachwissen vieler Bürgerinnen und Bürger direkt einfließen können. Das ist ein enormer Gewinn für die Gesellschaft. Die viel beschworenen Missbrauchsgefahren sind, so zeigen die Erfahrungen in Bayern, aber nicht nur in Bayern, nur ein phantastisches Schreckgespenst, das machtverliebte Politiker regelmäßig an die Wand malen. Sie sind keine Realität. Direkte Demokratie ist also alles andere als z.B. ein Standortnachteil. Sie eröffnet viel eher in politischen Konfliktsituationen weitere Verhandlungsspielräume und versachlicht Diskussionen. Direkte Demokratie in der Kommune sorgt am Ende für mündige und engagierte Bürger. Auch darauf hat Herr Innenminister Beckstein von der CSU in der oben zitierten Rede ausdrücklich hingewiesen. Will man das also, dann muss man auch den Negativkatalog kürzen. Nach unserem Entwurf sollen in Zukunft direkte Entscheidungen über Satzungen oder Bebauungspläne durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheid möglich sein. Auch über die Höhe von Abgaben sollen die Bürger entscheiden können. Allerdings müssen sie dann gleichzeitig einen Kostendeckungsvorschlag vorlegen. Hier ein Blick nach Bayern: Circa 22 Prozent der Bürgerbegehren zwischen 1995 und 2005 betrafen Bauleitplanungen, weitere 20 Prozent Verkehrsprojekte und 3 Prozent betrafen Gebühren und Abgaben. Es geht also, meine Damen und Herren.

Sinnvoller und verantwortungsvoller Umgang mit direkter Demokratie und optimale Entscheidungsfindung verlangen aber zugleich, dass Bürgerinnen und Bürger angemessen über ihre Beteiligungsmöglichkeiten und über die zur Entscheidung stehenden Sachthemen informiert sind. Also sieht der vorgelegte Gesetzentwurf eine Beratungspflicht des Landesverwaltungsamts vor, Vertrauenspersonen bekommen in den Gemeinderats- und Kreistagssitzungen zum Bürgerbegehren Anwesenheits- und Rederecht und vor einem Bürgerentscheid müssen von einer Gemeinde oder dem Landkreis Informationsmaterialen an alle Stimmberechtigten versandt werden. Dabei können die Antragsteller eines Bürgerbegehrens Chancengleichheit gegenüber der Verwaltung beanspruchen. Sie können also ebenso wie die Verwaltung ihre Stellungnahmen zur Sache veröffentlichen. Die Formulierungen für diese Vorschriften sind größtenteils dem geltenden Thüringer Gesetz über Bürgerantrag, Volksbegehren und