Protocol of the Session on September 15, 2005

Die SPD weiß das auch ganz genau, dass wir hier im Land ein Einnahmeproblem haben, das verschuldet wird durch Ihre Genossen in Berlin, und deswegen sage ich es noch mal: Dieser Gesetzentwurf ist nichts anderes als ein populistisches Manöver, Herr Matschie, nichts anderes.

(Beifall bei der CDU)

Zumal - und das muss ich Ihnen jetzt auch mal sagen - andere sozialdemokratisch und auch sozialistisch mitregierte Bundesländer, z.B. MecklenburgVorpommern oder auch Nordrhein-Westfalen, seit Jahren pauschale Beträge zur Lernmittelfreiheit von den Eltern einkassiert haben. In anderen Ländern gibt es ein Bonussystem, dort werden Gutscheine verteilt und diese Gutscheine decken durchweg auch nicht die kompletten Kosten für Lehr- und Lernmittel ab. Unterm Strich sind also die Thüringer Eltern heute nicht besser und nicht schlechter gestellt als anderswo in Deutschland.

(Beifall bei der CDU)

Und eines sei auch noch gesagt: In jedem deutschen Bundesland und so auch in Thüringen gibt es eine soziale Staffelung bei der Erhebung von Bei

trägen. Herr Döring, ich muss Sie noch mal kritisieren.

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Nein!)

Wenn man als Sozialdemokrat selbstverständlich dazu steht, dass es soziale Staffelungen gibt, dann gehört aber auch selbstverständlich die Notwendigkeit des Nachweises von Bedürftigkeit dazu. Dazu sollten Sie am Ende eben auch stehen und das nicht harsch kritisieren. Dem Vorwurf der Bürokratisierung erteile ich ebenfalls eine klare Abfuhr, denn ich denke, einfacher und transparenter, als es die Thüringer Regelung vorsieht, kann man es nicht machen

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Genau!)

(Unruhe bei der SPD)

und kann man auch eine sozialverträgliche Beitragserhebung nicht machen. Wir empfehlen also auch dieses Mal die Ablehnung dieses Gesetzentwurfs.

(Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion der Linkspartei.PDS hat sich Frau Abgeordnete Reimann zu Wort gemeldet.

Verehrte Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, geschäftsordnungsgemäß beschäftigen wir uns heute in zweiter Lesung mit dem SPD-Gesetzentwurf, dem Sie, meine Damen und Herren von der mittleren Fraktion, der CDU, nicht mal vor der Sommerpause eine Behandlung im zuständigen Ausschuss zugestanden haben. Ich gebe meine Hoffnung nicht auf, dass Sie irgendwann mal so viel Demokratie lernen, dass man auch das über sich ergehen lässt, Herr Emde, und qualitativ hochwertig in einem Ausschuss darüber reden kann.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich nehme an, dass es Ihnen auch heute nicht in den Sinn kommt, noch einmal darüber nachzudenken, Sie haben dies ja gerade bestätigt, selbst wenn das Arbeitsgericht Erfurt am 26. Juli dieses Jahres entschieden hatte, dass der Lernmittelbeauftragte einer Schule vorerst nicht verpflichtet ist, die Anordnung des Schulleiters zur Erledigung der im Zusammenhang mit der Lernmittelpauschale stehenden Aufgaben zu befolgen. Nach Meinung eines Gerichts hat das Thüringer Kultusministerium in diesem Punkt seine Weisungsbefugnis überschritten. Stoisch ignorieren Sie auch die eingegangenen 38.000 Widersprüche von den Eltern; im Gegenteil, diese Eltern

werden von Ihnen noch diffamiert, weil angeblich aufgehetzt durch die Opposition.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Na, da ist ja wohl was Wahres dran.)

(Unruhe bei der SPD)

Wenn selbst Schulamtsmitarbeiter sich trauen, gegenüber der Presse von einem „unvermeidlichen Durcheinander“ zu sprechen, da Bücher nicht wie üblich im März, sondern erst im Mai bzw. Juni bestellt werden konnten, lässt Sie das, verehrter Kultusminister Prof. Goebel, wie immer kalt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Es soll ja jetzt noch immer Berufsschulen geben, wo nicht nur wie in jedem Jahr die erwarteten und dringend benötigten Lehrer ausblieben, sondern Unterricht mit Lehrbüchern sowieso die Ausnahme ist. Also werden auch in diesem Jahr alte Klassensätze ausreichen. Die chaotischen Verhältnisse in einzelnen Berufsschulzweigen und -klassen heben hier in Thüringen ja offensichtlich sowieso niemanden mehr an. Die mangelnde Lernmittelsituation ist da noch eines der geringsten Übel. So bleibt uns heute als Linksfraktion lediglich, die Fakten zu nennen und den Elfenbeinturm versuchen wachzurütteln, damit auch keiner von Ihnen im Mittelblock sagen kann, er hätte es nicht gewusst. Die gesellschaftlichen Auswirkungen werden nicht unmittelbar jetzt messbar sein, aber spätestens in zehn Jahren werden die vergessenen Kinder selbst Eltern sein und wir beklagen dann die Zunahme von so genannten bildungsfernen Schichten.

(Beifall Abg. Becker, SPD)

Und wir werden wesentlich mehr öffentliches Geld brauchen, um Schäden zu reparieren, die durch kurzfristiges Sparen an der falschen Stelle heute am Entstehen sind.

(Beifall Abg. Becker, SPD)

Die Fraktion der Linkspartei.PDS fordert eine tatsächliche Entlastung von Familien statt weiterer Belastungen durch Landesmittelkürzungen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Einschränkung der Lernmittelfreiheit widerspricht der notwendigen Reform des Bildungssystems, Bildung als Investition zu betrachten und in allen Bereichen zu entbürokratisieren. Was Sie tun, ist das Gegenteil davon, was Sie noch vor einem Jahr auf den Plakaten stehen hatten. Warum eigentlich sollen die Thüringer der CDU jetzt Glauben schenken? War

ten wir es ab. Die Aufhebung der Lernmittelfreiheit ist nur ein Teil der Kürzungen im Bildungsbereich, die von den Eltern zu kompensieren sind oder eben nicht mehr kompensiert werden können. Ich erinnere an den in 2005 gestrichenen Zuschuss zur Schulspeisung, die Reduzierung der Schuljugendarbeit, Einschnitte bei den Musik- und Kunstschulen und anderes. Völlig realitätsfern ist das Ansinnen des Kultusministeriums - das, was Sie, Herr Emde, jetzt gerade wiederholt haben -, die Schulen anzuhalten, durch eine Verringerung der Kosten für Arbeitsmaterialien die Belastung der Eltern erträglich zu gestalten und bei 25 bzw. 50 € zu deckeln. Diese Forderung von Ihnen ist nicht durchsetzbar und die gängige Praxis an den Schulen ist eine andere.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Die Leid Tragenden sind die Kinder, diejenigen, die dann eben keine vernünftigen Arbeitsmaterialien mitbringen - ich als Mathe-Lehrer weiß, wovon ich spreche: Dreiecke, Zirkel, Schablonen vom Lehrer borgen oder eben Ausreden erfinden -, die bei Theaterbesuchen, Ausflügen oder Klassenfahrten plötzlich wegen Krankheit fehlen und den Nachschlag beim Mittagessen vom Freund bekommen, falls sie der Aufsicht führende Lehrer nicht vorher des Raumes verwiesen hat. Kinderarmut nimmt zu und wird einfach totgeschwiegen. Ja, Bücher sind für einige Kinder bereits Luxus. Die Lehrbücher sind oft die einzigen Bücher, die in der Familie überhaupt vorhanden sind. Hier in Erfurt ist jedes dritte Kind arm und die wenigsten …

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Dann kriegen sie sie doch umsonst!)

Hören Sie doch mal zu Ende zu, Herr Emde, schimpfen Sie nicht so rum. Dann versuchen Sie doch mal, den Zusammenhang zu verstehen. Mir geht es doch nicht darum, dass die Kinder das Buch bekommen. Das ist ja wohl logisch, dass sie das Buch bekommen, aber dass sie dazu in der Schule zeigen müssen, dass sie sozusagen bedürftig genug sind, das Buch zu bekommen, das ist doch ein Skandal.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Das muss doch jeder machen, der in Deutschland Sozialleistungen kriegt.)

Hier in Erfurt ist jedes dritte Kind arm, jedes dritte Kind muss seinen Bescheid zeigen und die wenigsten anderen Kinder sind reich. Es wäre endlich an der Zeit, wenigstens die Kinder in Kita und Schule gleich zu behandeln und damit einer tatsächlichen Chancengerechtigkeit näher zu kommen. Den Eltern Gebühren für Schulgelder abzuverlangen und

die Schulen aufzufordern, wie Sie das wieder eben getan haben, an notwendigen Arbeitsmaterialien zu sparen, das ist doch nun wirklich nicht mit einer Bildungspolitik vereinbar, wie sie nach PISA notwendig wäre.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Dieselbe Praxis gilt in Mecklenburg-Vorpommern, wo die PDS regiert, schon seit Jahren.)

Ja, haben wir nun den Bildungsföderalismus oder haben wir ihn nicht, Herr Emde? Dann müssen wir ein paar andere Indikatoren noch miteinander vergleichen und deswegen wäre es günstig gewesen, im Ausschuss darüber zu reden. Ich stimme Ihnen ja völlig zu, dass wir viel mehr darüber reden müssten. Im Übrigen wäre das auch ein konkreter Schritt hin zu mehr Unterrichtsqualität in allen Schulformen, da Lehrer sich wieder auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren könnten, statt den finanziellen Verhältnissen ihrer Zöglinge nachzuspüren. Statt den Pädagogen Zeit und Raum zu geben für ihr wirkliches Kerngeschäft, die Gestaltung eines qualitativ hochwertigen, alle Schüler fördernden Unterrichts, werden die Lehrer immer mehr mit Aufgaben konfrontiert, die nun gar nichts mehr mit Unterrichtsgestaltung zu tun haben. Und wenn wir beim Stichwort Qualität sind, fällt mir sofort des Ministers Hauptziel „eigenverantwortliche Schule“ ein. Wie ernst ist denn das nun gemeint?

Ein Wort zu den so genannten Schulkonten. Da wurde ja nun eine handwerklich völlig stümperhafte Verfahrensweise an den Tag gelegt. Wenn jemand ein Konto anlegen will, ist die erste Frage: Privat- oder Geschäftskonto? Da die Thüringer Schulen eben keine juristische Personen im Sinne des BGB sind, können sie auch keine Geschäftskonten anlegen. So muss ein netter Brief des Ministers zur Vorlage bei der Bank reichen, damit der Schulleiter ein zusätzliches Privatkonto führen kann. Wer haftet eigentlich dafür? Und muss dieser das bei seiner Steuererklärung mit angeben? Da ist etwas mit heißer Nadel gestrickt und nicht bis zu Ende gedacht.

Unsere Fraktion versteht unter einer eigenverantwortlichen Schule etwas völlig anderes und zum Einsparen von Landesmitteln im Ressort Bildung eignet sich unsere Variante auch nicht. Deutschland gehört zu den reichsten Ländern dieser Erde. Deswegen werden wir eines immer wieder wiederholen: Gebühren für Bildung sind ungebührlich. Die Lernmittelpauschale gehört abgeschafft und dann muss auch keiner unfreiwillig einem Institut beitreten und schon Kinder in Fallgruppen fallen lassen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Döring, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, jeder von uns kennt die Darstellung der drei Affen, von denen sich der eine die Ohren, der andere die Augen und der Dritte den Mund zuhält. Im hinduistischbuddhistischen Glauben sind sie ein Sinnbild für die Maxime, nichts Unangenehmes zu hören, zu sehen oder auszusprechen. Wenn ich an die erste Lesung unseres Gesetzentwurfs zurückdenke und den Redebeitrag des Kollegen Emde rekapituliere, habe ich den Eindruck, dass diese Affengruppe von der CDU zu einem neuen Wappentier der Thüringer Bildungspolitik auserkoren worden ist. Eine ernsthafte Auseinandersetzung, meine Damen und Herren, der Mehrheitsfraktion und der Landesregierung mit unserem Gesetzentwurf hat nämlich nicht stattgefunden.

Meine Damen und Herren, CDU und Kultusministerium haben vielmehr argumentiert, dass man noch nie etwas von Problemen mit der Lernmittelpauschale gehört oder selbst bemerkt habe und dass man schon gar nicht darüber sprechen wolle. Ein gutes Beispiel dafür ist ja der Redebeitrag des Kollegen Emde. Er hat in der ersten Lesung erklärt, als Vater schulpflichtiger Kinder habe er selbst Elternabende besucht und da sei ihm nie etwas Nachteiliges über das neue Büchergeld zu Ohren gekommen. Lieber Kollege Emde, es mag ja sein, dass dies bei den zwei oder drei Elternabenden, die Sie besucht haben, tatsächlich der Fall gewesen ist, aber das schafft doch nicht die 38.000 - ich wiederhole: 38.000 - Widersprüche von Eltern gegen die Erhebung der Landespauschale aus der Welt. Der Rechtsfrieden an den Thüringer Schulen ist durch die Einführung gestört worden und das ist für mich eine Tatsache. Davor kann man doch nicht einfach die Augen und Ohren verschließen und so tun, als sei überhaupt nichts geschehen.

Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur empfehlen, das Gespräch mit Eltern und Lehrern zu suchen. Dann werden Sie erfahren, welch eine Unruhe gerade auch bei der Lehrerschaft seit der Einführung der Lernmittelpauschale an den Schulen herrscht.

Der Kollege Emde hat dann weiter ausgeführt, er könne gar keine ernsthaften juristischen Bedenken gegen die Erhebung, Vereinnahmung und Verwaltung des neuen Büchergeldes sehen, da wir in unserem Gesetzentwurf diesen Rechtszweifel nicht als unseren eigenen benannt hätten, sondern geschrieben haben, die juristischen Bedenken würden von

verschiedener Seite angeführt. Also, lieber Kollege Emde, was soll ich denn zu einer solchen merkwürdigen Logik sagen. Die Realität existiert bei Ihnen also offenbar nur, wenn man sie sich nicht ausdrücklich zu Eigen macht. Das ist für mich auch so ein Modell, der von mir genannten drei Affen per excellence.

Meine Damen und Herren, scheinbar haben Sie, Kollege Emde, zu viel Schopenhauer gelesen und erklären sich die Welt nur noch als Wille und Vorstellung.

(Zwischenruf aus dem Hause)