Protocol of the Session on January 28, 2005

(Beifall bei der CDU)

weil die verantwortliche Politik langfristige Kategorien genauso denken muss wie das, was kurzfristig von Gestaltungsbedeutung ist. Wir wollen die soziale Gerechtigkeit sichern und die Eigenverantwortung stärken. Das lässt sich nicht durch Sonntagsreden bewerkstelligen, sondern durch das Handeln in diesem Sinn. Auch Parteitagsbeschlüsse werden nichts an der Wirklichkeit in Deutschland ändern. Deshalb: Was Thüringen angeht, haben wir die ersten Entscheidungen in dieser Legislaturperiode gefällt. Erste Schritte sind getan und weitere Schritte werden folgen. Wir werden weiter darauf drängen, dass nicht Berliner Reformmüdigkeit, sondern Reformfreude auf der Tagesordnung steht. Nur wenn wir entscheiden, werden wir auch die Veränderung nach der Entscheidung gemeinsam erleben und gestalten können. Aber wir werden das tun, was wir tun können und was wir auch tun müssen. Wir nutzen damit die Chancen Thüringens und die Grundlagen sind gut gelegt und die Perspektive ist klar: Thüringen - stark in der Mitte Deutschlands und Europas, attraktiv für alle Generationen, traditionsbewusst, aber eben auch modern. Unser besonderer Einsatz für Familie, Mittelstand und Bildung, Wissenschaft und Forschung bringt Innovationen voran und bringt uns damit auf dem Weg in die Zukunft weiter voran. Eine lebendige, gelebte Demokratie ist dafür wesentlich, um erfolgreich zu bleiben. Diese Studie macht deutlich, dass wir erfolgreich mit der Demokratie auf dem Weg sind. Ich bitte Sie um Unterstützung, dass wir diesen Weg auch weitergehen.

(Beifall bei der CDU)

Ich eröffne die Aussprache zur Regierungserklärung. Das Wort hat Herr Abgeordneter Ramelow von der PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Althaus, meine sehr geehrten Damen und Herren, am gestrigen Tag

hat an diesem Pult Ernst Cramer eine Rede gehalten, der ich nur aus tiefstem Herzen zustimmen kann und nach Gesprächen in der Fraktion der PDS habe ich festgestellt, dass viele meiner Kolleginnen und Kollegen es ähnlich so sehen. Die Ausgangspositionierung des gestrigen Tages in der Rede von Herrn Cramer war, das Besondere an der deutschen Verantwortung herauszustellen, nichts zu verschweigen. Eine Geste der Versöhnung durchzog die gesamte Rede, indem er immer wieder deutlich gemacht hat, dass Opfer nicht benutzt werden dürfen, um sie politisch zu instrumentalisieren und dass wir zusammenstehen müssen, dass nicht andere - nämlich Demokratiefeinde - Opfer benutzen, um eine Umdeutung deutscher Verantwortung vorzunehmen.

Insoweit ist der Ausgangspunkt des heutigen Tages eben auch der Ausgangspunkt parlamentarischer Kultur des Umgangs miteinander und da ist die Entwicklung der letzten Tage im Nachbarbundesland alarmierend. Da sind die NPD-Vertreter eingezogen und haben mittlerweile eine wissenschaftliche Bastion aufgebaut, indem sie alles an geistigem Potenzial in ihrer Landtagsfraktion zusammengezogen haben, was früher in diesen Kreisen nicht einmal miteinander geredet hat. Der Schulterschluss, von dem wir reden und den wir uns betrachten müssen und den Sie, Herr Ministerpräsident, auch angesprochen haben, dieser Schulterschluss wurde in Thüringen vollzogen. Er wurde in Leinefelde vollzogen. Dort hat man das Wort geprägt von der nationalen Front von rechts, von der Volksfront von rechts, die man neu formiert. Dort wird deutlich, dass ganz andere Formen in einen deutschen Landtag eingezogen sind. Es ist eben nicht mehr die DVU von Sachsen-Anhalt, die halbgewalkt und mehr im Alkohol oder mehr mit Geld beschäftigt war, sich gegenseitig die Füße wegzuhauen und dann die Wählerinnen und Wähler gesagt haben, damit wollen wir nichts mehr zu tun haben und haben sie abgewählt. Das ist eine völlig andere Kategorie, mit der wir uns auseinander zu setzen haben. Deswegen stimme ich Ernst Cramer ausdrücklich zu. Wir müssen gemeinsam darüber nachdenken und dafür sorgen, dass wir die Unterschiedlichkeit unserer politischen Konzepte, von denen wir jeweils ausgehen und für die der Wähler uns ein Mandat gegeben hat, kulturvoll miteinander ausstreiten und man sich auch gegenseitig sagen muss, dass man andere Vorstellungen hat. Man sollte sich nicht wechselseitig unterstellen, dass man eigentlich gar kein Demokrat sei.

(Beifall bei der PDS)

Wenn wir in diesem Sinne dem Schulterschluss von rechts einen Schulterschluss der Demokraten entgegenstellen, wäre das ein guter Auftakt zur Entwicklung vom gestrigen Tage. Deswegen beziehe ich mich ausdrücklich auf das, was Ernst Cramer gesagt

hat, auch mit seinen kritischen Bemerkungen auf die Entwicklung nach 1945, in dem, was dann die Deutsche Demokratische Republik wurde. Da hat er sehr deutliche Worte gewählt. Auch die müssen wir akzeptieren und respektieren und auf uns wirken lassen. Auch wir als PDS müssen sie auf uns wirken lassen.

(Zwischenruf Abg. Jaschke, CDU: Gerade ihr!)

Ja, da ist diese Selbstzufriedenheit mit dem Zuruf. Gerade wir. Wir sollten genau von dieser Geste aufpassen, dass wir uns dort nicht gegenseitig die Füße wieder weghauen, indem wir sagen: Die einen sind die besseren Demokraten als die anderen.

(Beifall bei der PDS)

Entweder sind wir gemeinsam Demokraten und trennen uns ganz klar von denen ab, die Nationalsozialismus umdeuten wollen, die die Leichenberge von Auschwitz und Buchenwald wegleugnen wollen, indem sie andere Mengen von Toten dagegenstellen und dann versuchen zu relativieren. Genau da hat Ernst Cramer gestern die richtigen Worte gefunden und, ich denke, die sollten wir zum Ausgangspunkt unseres gemeinsamen Verantwortungskanons machen. Ich akzeptiere diese Worte. Ich sage, ich war aber dafür, dass wir sie wechselseitig akzeptieren sollten. Wenn ich mir aktuell in den Internetseiten die Aufrufe zum 13. Februar in Dresden anschaue und zu dem, was die NPD versucht, im Dresdner Landtag jetzt zu veranstalten, indem man den angloamerikanischen - so der Terminus technicus, mit dem da jetzt argumentiert wird - Bombenterror mit dem Begriff „Holocaust“ belegt, dann sage ich, das ist genau der Versuch - nein, das ist die Provokation, um zu sagen, diese Opfer werden gegen die anderen Opfer ausgespielt mit dem einzigen Ziel, die industrielle Vernichtung von Menschen kleinzureden. Das ist das Einzigartige an dem, was an deutscher Verantwortung und an deutscher Schuld von uns gemeinsam getragen werden muss. Ich glaube, ausgehend davon sollten wir doch sehr sorgsam auch mit dem umgehen, was nach 1933 bis 1945 und im Verhältnis dazu von 1945 und später stattgefunden hat.

Insoweit, Herr Ministerpräsident, teile ich sicher nicht Ihre Auffassung, wenn Sie sagen, die Diktaturerfahrung der DDR muss man auf die Art und Weise interpretieren, wie Sie es getan haben. Ich teile das nicht. Ich teile die Bewertung des Monitors, aber ich habe ein wenig das Gefühl, dass Sie es sich so herauslegen, dass zum Schluss der Eindruck entsteht, als die Menschen alle die Freiheit aufgeben wollten, um eine Gleichheit zu erreichen. Da kann ich nur sagen: Ich lese die Studie anders und die

Bewertungskriterien, die dort angewendet worden sind. Wenn der Begriff "Gleichheit" benutzt wird, dann wird klar gesagt, gleiche Chancen. Das ist was anderes als Gleichmacherei.

(Beifall bei der PDS)

Nicht alle sollen gleich sein, welch ein Unsinn. Aber gleiche Chancen wäre, auch den Schwächeren in der Gesellschaft einen Zugang zu Emanzipation und Partizipation in der Gesellschaft zu ermöglichen. Das Thema "Behindertengleichstellungsgesetz" hatten wir gestern. Da haben wir gemeinsam die Verantwortung, dass wir diese gleichen Chancen den Menschen in der Gesellschaft geben, die nicht behindert sind, sondern die gehindert sind, an der Gesellschaft gleichberechtigt teilzunehmen. Das ist für mich Gleichheit im Sinne von gleichen Chancen und nicht Gleichmacherei.

Freiheit, Herr Ministerpräsident, ist beantwortet worden mit "frei sein von sozialer Not" und ist beantwortet worden mit "selbst verantwortlich sein". Aber diese Freiheitsdefinition des Monitors hat noch einen anderen Wert, auf den wir alle gemeinsam hier in dem Saal stolz sein sollten, nämlich, wenn über 90 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer sagen, mehr direkte Demokratie ist ein wichtiges Element, das für uns nicht hoch genug einzuschätzen ist.

(Beifall bei der PDS)

Dieser Wert war noch vor einigen Jahren völlig anders und dieser Wert hat sich in Thüringen positiv herausentwickelt und ich sage, dafür tragen wir gemeinsam die Verantwortung. Die Kampagne "Mehr direkte Demokratie" und den Umgang, den zum Schluss, bei allem Streit, den wir miteinander im hohen Haus hatten, aber am Schluss haben wir gemeinsam die Verfassung geändert und die Bevölkerung nimmt es offenkundig als positives Signal auf. Über 90 Prozent sagen, mehr direktdemokratische Elemente sind das, was wir gut finden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, da kann ich nur sagen, darauf sollten wir stolz sein, dass ein Markenzeichen von Thüringen nach 1990 eine neue Erfahrung aus der DDR kommend und trotzdem in Abgrenzung zu dem, was an Erfahrungen in Westdeutschland da ist, ist hier etwas völlig Neues gewachsen, an dem wir alle teilgehabt haben. Dieser Wachstumsprozess nach 1990, auf den wir gemeinsam auch hingearbeitet haben, sollte uns stolz machen und von daher sage ich heute, lassen Sie uns weiterarbeiten genau an mehr direktdemokratischen Elementen, weil das ein Anteil ist, wo Menschen auch Verantwortung übernehmen wollen und übernehmen werden. Um es aktuell-politisch zu sagen: Ich würde mir wünschen, wenn die Bundesre

publik Deutschland insgesamt mit ihren demokratischen Parteien die Kraft und den Mut hätte, die EU-Verfassung von der Bevölkerung abstimmen zu lassen.

(Beifall bei der PDS)

Das wäre ein direktdemokratisches Element, bei dem das Wichtigste, was in Europa zurzeit passiert, von der Bevölkerung mit verankert auf den Weg gebracht wird. Insoweit, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir auch mehr Mut haben, den Menschen die Verantwortung zu übertragen. So ein bisschen höre ich immer heraus, dass man ihnen auf der einen Seite soziale Leistungen nehmen will, aber die Verantwortung zum Selbstgestalten, die will man ihnen nicht geben, wenn es um die Emanzipation und Partizipation in der Gesellschaft geht.

(Beifall bei der PDS)

Deswegen lassen Sie mich anmerken, Herr Ministerpräsident: Die drei Begriffe "lastengerechter Umbau", "Vollkaskomentalität" und "Planungssicherheit der Menschen", das waren so drei Elemente, die Sie aus dem Monitor aufgegriffen haben. Sie haben es in Bezug auf die befragten Menschen gesagt und die Hoffnung ausgesprochen, dass politisch dort mehr gestaltet werden muss, dass zum Beispiel der Vollkaskomentalität entgegengewirkt wird, indem mehr Eigenverantwortung übernommen wird. Ich vergleiche das - und ich gestatte mir das -, ich vergleiche das einmal mit der Bevölkerungsgruppe, die wir die Unternehmer und die Unternehmen nennen. Gilt das bitte für die genauso? Planungssicherheit der Unternehmen ist das, was Sie in den Mittelpunkt Ihrer Politik stellen, und ich sage, Recht haben Sie. Aber Planungssicherheit für Menschen müssen wir doch auch in den Mittelpunkt stellen.

(Beifall bei der PDS)

Dann akzeptieren Sie doch, dass Planungssicherheit nicht ein negativer Wert ist, sondern ein positiver Wert ist. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass Planungssicherheit auch für Individuen in dieser Gesellschaft gilt. Da ist eben der junge Mensch, der einen Ausbildungsplatz sucht und nach dem großen Engagement, was in Thüringen ja stattfindet für Ausbildung, dem danach aber die zweite Schwelle zum Eintritt ins Berufsleben verwehrt wird, weil der Zugang in den Arbeitsmarkt einfach nicht richtig funktioniert. Dort müssen wir für Planungssicherheit sorgen. Dort müssen wir auch verantwortlich sagen, ja, lastengerechter Umbau unserer Gesellschaft heißt auch, über Gerechtigkeit zu reden und Gerechtigkeit heißt eben auch Steuergerechtigkeit und nicht einfach nur das Hineingreifen in die Sozialleistun

gen. Das heißt eben auch, bei Gesundheitsreformen auch einmal das heiße Eisen der Pharmaindustrie anzufassen. Das heißt dann auch, sich mal genau mit Medikamentenlisten auseinander zu setzen - entweder mit Positivlisten oder mit Negativlisten, wo man sagt, das wird dann nicht mehr aus der Gemeinschaftskasse aller bezahlt. Das ist nicht unser Landtagsthema, das weiß ich. Aber ich will einfach sagen, wenn wir über Gerechtigkeit reden, dann müssen wir eben auch über Steuergerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit an der Stelle reden, wo sich ganze gesellschaftliche Gruppen aus der Verantwortung komplett herausgemogelt haben. Ich darf Sie, Herr Ministerpräsident, daran erinnern, Ihre Kritik an der Körperschaftssteuerreform der Bundesregierung war an der Stelle immer sehr präzise. Dann akzeptieren Sie auch, dass ich einfordere, dass Steueraufkommen in dieser Gesellschaft auch so anwachsen müssen, damit die Lasten des gesamten Staates auch von denen getragen werden, die auch ihre Unternehmen in diesem Land platziert haben. Dann sage ich, an der Stelle lasse ich es auch einem einzelnen Unternehmer nicht mehr durchgehen, wenn er versucht den Staat zu erpressen und sagt: Wenn ihr das Erbschaftssteuerrecht nicht ändert, dann verlasse ich diesen Staat. Wenn ein Unternehmer so mit diesem Staat umgeht, nenne ich das auch eine zu kritisierende Entäußerung, über die wir reden sollten. Aber dieses alles muss doch akzeptiert sein, dass wir es aus dem parlamentarischen Blick und aus dem Blick der Parteien im demokratischen Spektrum unterschiedlich bewerten können, dass wir unterschiedlich darüber reden können, deswegen sind wir doch nicht die Feinde der Demokratie. An der Stelle haben wir unterschiedliche Konzepte

(Beifall bei der PDS)

und aus den unterschiedlichen Konzepten und mit diesen unterschiedlichen Konzepten wollen wir Menschen motivieren, zur Wahl zu gehen oder sich bei Volksabstimmungen zu beteiligen. Das muss doch unsere Aufgabenstellung sein und da muss unsere oberste Zielstellung aller, die hier im Saal versammelt sind, doch sein, mehr Menschen zur Wahl zu motivieren, damit sie Entscheidungen treffen und nicht zu Hause bleiben, wenn Wahlen sind, und dann andere kommen und diese Lücke ausnutzen, hineingehen, uminterpretieren.

Jetzt sage ich, ja, in Sachsen passiert etwas, was uns nicht unberührt lassen sollte. Die NPD dort - und da teile ich die Auffassung - sollten wir nicht in eine Verbotsdiskussion hineinziehen. Ich widerspreche da auch Kolleginnen und Kollegen meiner eigenen Partei, die aus der Situation in Sachsen im Moment sagen, das wäre doch gut, wenn wir von den gehaltenen Reden mal ableiten könnten, ob sie nicht jetzt verboten werden könnten. Nein, ich glaube, die

Reden müssen gehalten werden. Ich glaube, wir müssen es gemeinsam aushalten. Wir sollten dann nicht schweigend wegsehen und wir sollten auch nicht sagen, das, was da geredet worden ist, muss verboten werden, weil es uns nicht gefällt und weil wir wissen, dass es falsch ist, sondern wir müssen aktiv dafür sorgen, wie wir diesen verfehlten Entwicklungen und diesen verfehlten Umdeutungen gemeinsam entgegentreten und dann sagen, wir lassen nicht zu, dass diese Kräfte in unserer Gesellschaft die Demokratie kaputtmachen. An dem Ansatz sollten wir zusammenwirken.

Herr Ministerpräsident, wenn Sie sagen, das Verbotsverfahren der NPD ist falsch und wir können uns kein zweites erlauben, ich will es wenigstens gesagt haben: Die V-Leute aus Thüringen waren nicht ganz unschuldig an dem, was beim ersten Verbotsverfahren eine Rolle gespielt hat.

(Beifall bei der PDS)

Ich darf darauf hinweisen, dass das Verfassungsgericht dieses auch in der mündlichen Ausführung gesagt hat. Ich kann nicht akzeptieren - da widerspreche ich ausdrücklich Herrn Schily immer mit dem Verweis auf die Verfassungsrichter -, das Desaster dem Gericht anzulasten. Das Desaster haben die zu verantworten, die es erst angestrebt haben und dann anschließend dem Gericht gegenüber die Karten nicht auf den Tisch gelegt haben. Und als die Karten auf dem Tisch waren, haben die Richter - zu Recht, wie ich finde - gesagt: Wir können nicht unterscheiden, was sind die gehaltenen Reden der Nazis und was sind die gehaltenen Reden von vom Staat bezahlten V-Leuten. Ich denke, an dieser Stelle werten wir die NPD leider auf und wir sollten ihnen entgegentreten. Insoweit hat Herr Cramer gestern noch mal für uns alle in Erinnerung gerufen: Die NSDAP hatte fünf Jahre vor 1933 einen nicht mal nennenswerten Wahlerfolg. Es sollte uns also nicht beruhigen, dass die Prozente von 0,8 auf 1,2 in Thüringen gestiegen sind - nur gestiegen sind. Nein, meine Damen und Herren, wenn die den Schulterschluss machen und morgen antreten würden, deren Ziel heißt es, im Bundestagswahlkampf in den Deutschen Bundestag einzuziehen. Dem können wir nur entgegentreten, wenn wir mit den Menschen vor Ort reden und sagen, was für ein Gedankengut hinter dem steckt, was sich da entäußert und entpuppt. Insoweit sollten wir die Reden oder die Internet-Seiten zum Anlass nehmen, das in die Bevölkerung zu tragen. Meine Damen und Herren, wir sollten den Menschen helfen, den jungen Menschen, den Lehrern, den Erziehern, überall dort, wo am Stammtisch darüber geredet wird, wir sollten ihnen helfen zu dechiffrieren, was dort eigentlich formuliert wird. Das braune Netz wird enger geknüpft. Wir sollten uns nicht in einer falschen Sicherheit in Thüringen wiegen,

das braune Netz wird auch in Thüringen enger geknüpft, selbst wenn es nicht an den Zahlen der Mitglieder der NPD zu messen ist. Das braune Netz, das sich flächendeckend in Thüringen ausbreitet, ist ein Graswurzelnetz, und dem können wir nur vor Ort gemeinsam widerständig entgegentreten und die Ablehnung eben nicht - und da gebe ich Ihnen Recht schweigend formulieren. Die muss aktiv formuliert werden durch praktisches Handeln.

(Beifall bei der PDS)

Es ist schon interessant, wenn man dann solche Dinge - wie aktuell - liest, "29.01. Schleusingen - Kampagnenkundgebung und Fackelmarsch gegen Repression", "13.02. Dresden - Gedenkmarsch für die Opfer des alliierten Bombenterrors", "26.03. Schleusingen - Kampagnendemonstration Meinungsfreiheit statt Repression" oder Überschriften wie "Eisenach, Gera - Und wieder Montagsdemos mit nationaler Beteiligung", oder "Ein Angriff", wo der Bürgermeister von Eisenach vorgestellt wird, oder eine Formulierung wie "Schleusingen machen wir zur Frontstadt". Da müssen wir einfach lernen, gemeinsam Mittel zu entwickeln, Werkzeuge zu entwickeln, wie wir den Menschen am Ort des Geschehens Mut machen, sich einzumischen, nicht wegzugucken, und dazu brauchen wir alle. Dazu brauchen wir die Kirchengemeinde, dazu brauchen wir die Feuerwehr, dazu brauchen wir den Fußballverein, dazu brauchen wir alle in dem Gemeinwesen vor Ort, die sagen, mit solchen Leuten, mit solch einem Gedankengut wollen wir nichts zu tun haben. Es ist schon zur Kenntnis zu nehmen und wir sollten uns ein wenig auch besorgt zeigen: Fretterode, dort kauft Thorsten Heise ein Gebäude, nistet sich ein, und wir müssen aufpassen, dass die Umwelt drumherum nicht anfängt, schweigend wegzuschauen. Fretterode ist ein Knotenpunkt dieses Netzwerks.

In Pößneck kauft im Dezember 2003 Jürgen Rieger das ehemalige Schützenhaus. Jena-Lobeda; das braune Zentrum in Thüringen ist die Gaststätte "Zum Löwen". Dort leben dann Neonazis wie Ralf Wohlleben und Andre Kapke. Hier finden Schulungsveranstaltungen mit Horst Mahler statt.

Jena - das Gründerzeithaus "Wilhelmsburg", das entsprechend vermietet wird.

Apolda - es gibt erste Hinweise, dass dort in der Bahnhofsstraße ein Haus gerade aufgekauft worden ist. In Sonneberg kauft der Rechtsextremist Ricky Nixdorf ein Fabrikgelände bzw. mietet sich dort ein, um entsprechende Veranstaltungen in den Sonyhallen vorzunehmen.

In Schleusingen - die deutsche Schule, die als Ausgangspunkt für all diese Aktivitäten gemacht wird.

Das sind nur einzelne Punkte des Netzwerks, die ich benenne, die langsam geknüpft werden. Und von jedem dieser Knotenpunkte geht langsam in konzentrischen Kreisen etwas aus. Man muss dafür sorgen, dass wir hier im Freistaat Thüringen nicht nur sagen, die KooStG, die dafür zuständig ist, soll sich da engagieren - nein, wir müssen noch mehr tun. Wir müssen Prävention so organisieren, dass der Bürgermeister, der sich in der Situation, wenn da eine Anmeldung kommt, überfordert sieht, rechtzeitig jemanden an einer Hotline hat, der ihn berät, wie man geschickt, gezielt und intensiv mit zivilgesellschaftlichem Engagement und mit den möglichen rechtlichen Mitteln solche Entwicklungen stoppen kann. Und, meine Damen und Herren, wir müssen natürlich der Landeszentrale für politische Bildung die notwendigen Mittel geben und mit den dort aufbereiteten Büchern und der Fachliteratur, wo dann auch über solche Dinge wie Lonsdale und andere Sachen, wo die normalen Eltern gar nicht wissen, was das eigentlich bedeutet, was ihr Kind anhat, Aufklärung schaffen und man muss sagen, es gibt mittlerweile Chiffren, mit denen ein nationaler Gedankenkonsens dokumentiert werden soll und anders Denkende - und da sind eben auch Demokraten gemeint - dort rausgemobbt werden sollen aus solchen Gegenden. Das heißt, wir müssen dem Stammtisch und dieser Lufthoheit über den Stammtischen den Boden entziehen. Dafür werbe ich, dass wir an den Stellen eben nicht sagen, da schauen wir weg, sondern - der Kollege Dittes hat es mal hier am Rednerpult gesagt - dass man nicht nur den Aufstand der Anständigen braucht, sondern wir brauchen auch das aktive Handeln der Zuständigen. Ich will es ergänzen und sagen, wir brauchen den Schulterschluss der Zuständigen mit dem Aufstand der Anständigen.

(Beifall bei der PDS)

Der Ausgangspunkt, der in Weimar immer wieder von den Bürgerinnen und Bürgern gesetzt worden ist und der in Leinefelde weitergegeben worden ist, der in Schleusingen jetzt zurzeit anfängt Platz zu greifen, den brauchen wir aber auch in Pößneck dann braucht man in Pößneck eben auch Unterstützung, frühzeitige Information - und den brauchen wir an jedem Ort, wo sich so etwas entwickelt oder wo diese möglicherweise als Durchreisende herkommen und anfangen, sich einzunisten. Deswegen lassen Sie uns gemeinsam widerständig sein und dafür sorgen, dass dieses Widerständige tatsächlich auch Platz greift. Das ist für mich jedenfalls die Botschaft von gestern, die uns Ernst Cramer ins Stammbuch geschrieben hat.

Ich will eine weitere Anmerkung machen, wo ich sage, wir können gern über die DDR und die Entwicklung der DDR debattieren, über all das, was

an Opfern geschehen ist, über all das, was an Menschenrechtsverletzung immer weiter Platz gegriffen hat. Aber den Monitor darauf zu reduzieren, dass die Menschen falsche Freiheits- und Gleichheitsbegriffe denken würden, weil sie Diktaturerfahrungen sozialisiert haben, heißt doch, die Menschen in eine Ecke zu stellen, in der sie sich möglicherweise wiederum verletzt fühlen. Von daher sage ich mal, DDRgelebte Erfahrung hat doch auch Elemente, bei denen man sagen muss: Wäre es nicht lohnenswert, über das eine oder andere einfach schlicht in ganz Deutschland positiv zu reden? Nicht, um damit die DDR in ein besseres Licht zu setzen, aber die Frage, Sie haben es gesagt, POS-Abschluss - da muss ich dann als Wessi einen Moment nachdenken und überlegen, was damit gemeint ist.

(Beifall bei der PDS)

Aber offenkundig gab es doch einen Schulabschluss in der DDR, bei dem man sagen kann, es scheint ja ein bestimmtes Bildungsniveau gegeben zu haben, das man als positiv bewerten muss. Damit meine ich nicht die Ideologie von Margot Honecker, sondern ich meine das gegliederte Schulsystem der DDR, über das man insoweit reden sollte, dass man sagt, welche Elemente davon wären denn diskussionswürdig, und nicht nur, wenn die Industrie- und Handelskammer von Südthüringen sagt, Polytechnik fehlt heute unseren Schülerinnen und Schülern. Dann lassen Sie uns doch mal in ganz Deutschland über Polytechnik reden und bei der Gesundheitsreform lassen Sie uns doch mal über Polikliniken reden. Das sind doch Lebenserfahrungen aus der DDR. Das ist doch nicht die ostalgische Verklärung einer rückwärts gewandten Blickrichtung. An der Stelle sage ich, ja, die PDS-Wähler haben es entsprechend hoch honoriert, aber an der Stelle steht auch unsere Verantwortung, diese Wählerinnen und Wähler mitzunehmen in die Demokratie und sie nicht links am Wegesrand liegen zu lassen oder möglicherweise rechts am Wegesrand. Denn manches, was die Nazis ausnutzen, ist eben auch eine Begriffsverwirrung zwischen dem, bei dem wir aufpassen müssen, dass nicht die eine Diktatur mit der anderen Diktatur verwechselt, vermengt und damit gleichgemacht wird, weil dazwischen auch die Leichenberge von Auschwitz liegen und die fabrikmäßige Ermordung von anders Denkenden oder einem anderen Leben angehörige Menschen.