Protocol of the Session on May 7, 2009

Sie haben vor knapp zwei Jahren auf einem Landesparteitag der CDU versprochen, eine Lösung für die Straßenausbaubeiträge zu liefern.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Nun reden Sie doch mal zum Thema.)

Ich rede zum Thema, Herr Mohring, zum Thema Regierungserklärung und ich benenne die Themen, die offengeblieben sind, für die es keine Lösung gibt, wo wir auf eine Antwort dieser Landesregierung warten. Das Versprechen, für Straßenausbaubeiträge eine Regelung zu finden, die die Konflikte, die wir dort vor Ort haben, auflösen kann, auf diese Rege

lung warten wir bis heute. Auch das wäre Gegenstand einer Regierungserklärung, den Bürgern zu sagen, wie es bei Straßenausbaubeiträgen weitergehen soll. Das sind ja nicht irgendwelche theoretischen Fragen - Abwasserbeiträge oder Straßenausbaubeiträge -, sondern das sind Dinge, die Menschen in den letzten Jahren immer wieder in existenzielle Notsituationen gebracht haben, wo Leute verzweifeln, weil sie nicht klarkommen mit dem Beitragsbescheid, wo sie erwarten, dass eine Regierung an ihrer Seite steht und eine vernünftige Lösung findet. Deshalb, Herr Ministerpräsident, ist es höchste Zeit, dass Sie hier dem Landtag und der Öffentlichkeit sagen, wie Sie in diesen Fragen Lösungen herbeiführen wollen.

(Beifall SPD)

Sie haben nach jahrelangem Druck vonseiten der Oppositionsparteien, aber auch auf Druck aus der Öffentlichkeit angekündigt, zusätzlich Stellen in den Kindergärten zu schaffen und Sie haben angekündigt, es sollen 1.000 Stellen sein bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode. Mal abgesehen davon, dass wir 2.000 Stellen brauchen, um überhaupt erst einmal auf den bundesdeutschen Durchschnitt bei der Betreuungsquote zu kommen, haben Sie bisher nicht wirklich darlegen können, wie die 1.000 Stellen finanziert sein sollen. Die Kommunen haben sich zu Recht beklagt, dass sie befürchten, dass die Finanzierungslast am Ende ihnen zugeschoben wird, denn die Summe, die Sie genannt haben, die die Landesregierung einsetzen will, die reicht je nach Berechnung vielleicht für 200 bis 300 zusätzliche Stellen, aber niemals für 1.000 zusätzliche Stellen. Auch hier bleiben Sie der Öffentlichkeit und denjenigen, die Verantwortung tragen in den Kindergärten, Antworten schuldig. Deshalb kann ich nicht verstehen, dass Sie auf die Forderungen, die wir als SPD erhoben haben, in diesem Plenum eine Regierungserklärung abzugeben, gesagt haben, Sie könnten sich eine Regierungserklärung am Ende, nämlich in der letzten Sitzungswoche im Juni, vorstellen, dann brauchen Sie keine Regierungserklärung mehr zu halten. Es geht ja nicht darum die Vergangenheit noch mal schönzufärben, sondern es geht darum, dass Sie heute sagen, wie Sie die verbleibende Amtszeit nutzen wollen bis zum 30. August, um Probleme in diesem Land zu lösen und Klarheit zu schaffen.

(Beifall SPD)

Wir haben als SPD-Fraktion vor einigen Tagen einen Kindersozialbericht vorgelegt, den wir gemeinsam mit der Friedrich-Schiller-Universität in Jena erarbeitet haben. Dieser Kindersozialbericht macht noch mal sehr eindrücklich die Situation von Familien in Thüringen klar. Wir haben 60.000 Kinder in Thürin

gen, die nach offizieller Definition in strenger Armut leben - 60.000 Kinder. Ihre Sozialministerin hat vor einiger Zeit, nämlich im Mai letzten Jahres, angekündigt, dass sie Maßnahmen gegen die Kinderarmut ergreifen will. Dort war von kostenlosen Angeboten für bedürftige Kinder die Rede, dort war vom Schulessen die Rede. Die Antwort kam vor wenigen Tagen mit einer Kindercard, die nichts anderes ist als ein Sammelheftchen, in dem man Angebote, die ohnehin da sind, abhaken kann. Das ist doch aber keine wirklich vernünftige und wirklich hilfreiche Antwort auf das Problem von Kinderarmut in Thüringen. Da muss sich doch Ihre Regierung mehr einfallen lassen, als ein solches Sammelkärtchen in Umlauf zu bringen, wo man wie bei Nutella dann Pluspunkte einkleben kann.

Herr Ministerpräsident, das reicht nicht. Wir brauchen Angebote, die dazu geeignet sind, wirklich Nachteile auszugleichen für Kinder, die in Armut aufwachsen. Das ist ja nicht nur ein finanzielles Problem, sondern wir wissen, dass es Kinder aus armen Familien schwerer haben im Bildungssystem, dass sie oft am Rand stehen und dass wir uns mehr einfallen lassen müssen als bisher, wie wir solche Kinder in die Gesellschaft integrieren und wie wir für Chancengleichheit sorgen.

Ich kann nicht verstehen, dass Vorschläge, die wir gemacht haben, z.B. einen Sozialfonds, aus dem Mittagessen für bedürftige Kinder in Kindergärten und Schulen bezahlt wird, warum die CDU einen solchen Sozialfonds ablehnt. Sie haben damals eine Lösung vorgesehen, einen sogenannten Ehekredit. Dafür haben Sie Geld im Haushalt eingestellt. Es war von vornherein klar, dass dieses Ding nicht funktionieren kann und am Ende mussten Sie es ja auch wieder zurückziehen, das Geld war aber da im Haushalt. Deshalb haben wir vorgeschlagen, lasst uns doch dieses Geld nehmen und einsetzen für einen solchen Sozialfonds. Aber wir sind bei Ihnen auf Ablehnung gestoßen. Ich kann das nicht mehr nachvollziehen - auf der einen Seite die Ankündigung: „Wir wollen etwas tun.“, auf der anderen Seite die Ablehnung konkreter Maßnahmen, um Kinderarmut zu bekämpfen.

(Beifall SPD)

Ich finde, wenn man sich solche Sachen anschaut - Ihr Versprechen bei den Abwasserbeiträgen, Ihr Versprechen bei den Straßenausbaubeiträgen, das Versprechen Ihrer Regierung beim Kampf gegen Kinderarmut -, dann, Herr Ministerpräsident, steht Ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Denn Glaubwürdigkeit entsteht nicht durch Ankündigungen; Glaubwürdigkeit entsteht durch Taten, durch Entscheidungen und wir wollen heute von Ihnen hören, was Sie konkret vorhaben.

(Beifall SPD)

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Ihr kün- digt doch auch nur an. Was macht Ihr denn?)

Thüringen ist Schlusslicht bei den Löhnen, Herr Mohring. Schlusslicht! Das hat auch etwas damit zu tun, dass die Regierung Althaus immer in den letzten Jahren auf eine Billiglohnstrategie gesetzt hat, nach dem Motto: Je niedriger die Löhne, desto besser die Wirtschaftsentwicklung und die Entstehung von Arbeitsplätzen. Ihr Konzept ist aber nicht aufgegangen. Die Wirtschaftsentwicklung ist in Thüringen nicht schneller vorangekommen in den letzten Jahren als in anderen neuen Bundesländern.

(Zwischenruf Reinholz, Minister für Wirt- schaft, Technologie und Arbeit: Wir ha- ben nach Mecklenburg-Vorpommern ge- schaut.)

Wir haben bessere Zahlen bei der Arbeitslosigkeit, das ist richtig. Aber Sie kennen die Gründe genauso gut wie wir. Die haben mit unserer geographischen Lage zu tun und damit, dass viele Menschen in Hessen und in Bayern einen Arbeitsplatz gefunden haben und deshalb die Arbeitslosigkeit niedriger ist als im Schnitt der neuen Bundesländer. Aber die Frage ist doch: Was tun Sie denn selbst, um mehr Dynamik in die wirtschaftliche Entwicklung zu bringen? Was tun Sie denn, um wegzukommen vom Schlusslicht bei den Löhnen in Deutschland? Deshalb sage ich Ihnen ganz konkret, wir brauchen zwei Dinge: Wir müssen einerseits den Gewerkschaften wirklich den Rücken stark machen, denn Gewerkschaften sind es, die Löhne durchsetzen müssen in Tarifauseinandersetzungen.

(Beifall SPD)

Da kam aber von der CDU in den letzten Jahre eher Kontraproduktives mit Vorschlägen wie betriebliche Bündnisse für Arbeit, die den Gewerkschaften bei Lohnauseinandersetzungen das Rückgrat gebrochen hätten und ihnen eben nicht die Möglichkeit gegeben hätten, ein höheres Lohnniveau durchzusetzen. Oder Ihre Kommentare bei jeder Lohnforderung, die von den Gewerkschaften aufgemacht wird: Die Löhne steigen zu sehr, die Arbeitsplätze sind in Gefahr. Nein, die Löhne sind nicht zu sehr gestiegen, sie sind zu wenig gestiegen in Thüringen und die Kehrseite dieser Entwicklung heißt Abwanderung aus diesem Land, die sich in den letzten Jahren wieder verstärkt hat. Wer Menschen hier halten will, der muss dafür sorgen, dass in Thüringen anständige Löhne gezahlt werden, und ich warte auf eine Antwort von Ihnen, wie Sie das tun wollen.

(Beifall SPD)

Wir haben vorgeschlagen, weil wir wissen, dass die Gewerkschaften in verschiedenen Bereichen gar nicht mehr die Kraft in der Tarifauseinandersetzung haben, weil der Organisationsgrad nicht da ist, entsprechende Löhne durchzusetzen. Deshalb gibt es Bereiche, da werden Leute mit 3,40 € oder 3,50 € pro Stunde nach Hause geschickt. Das wissen Sie so gut wie ich; die Statistiken kann sich jeder holen. Wir haben gesagt, wir wollen das nicht länger akzeptieren. Das ist auch nicht angemessen, wenn Menschen so behandelt werden. Wer Vollzeit arbeitet, der muss auch von seiner Hände Arbeit am Ende leben können und muss nicht darauf angewiesen sein, zum Amt zu gehen und zusätzlich staatliche Stütze zu beantragen. Deshalb ist es vernünftig, wenn wir sagen, wir brauchen einen Mindestlohn, der garantiert, dass eine bestimmte Lohngrenze nicht unterschritten wird. Die meisten europäischen Länder haben solche Regelungen eingeführt - in unterschiedlicher Qualität, gar keine Frage. Aber wenn wir in Nachbarländer schauen wie Frankreich, wie die Niederlande, dann haben wir heute dort Mindestlöhne, die sich im Bereich von 8 € bewegen. Warum ist das eigentlich in Deutschland nicht möglich, dass wir uns gemeinsam daran machen, Mindestlöhne durchzusetzen und dafür zu sorgen, dass Menschen mit ihrer Hände Arbeit sich selbst den Lebensunterhalt verdienen können.

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, DIE LINKE: Was war im Bundestag mit dem Antrag, Herr Matschie?)

Was war im Bundestag mit dem Antrag? Ich kann verstehen, wenn Bürger so fragen. Wenn eine Abgeordnete so fragt, dann kann ich nur sagen, es ist eine sehr naive Frage, Frau Kollegin, es ist eine sehr naive Frage, denn

(Beifall SPD)

Sie wissen genauso gut wie ich, dass Koalitionen nur funktionieren, wenn man miteinander eine Vereinbarung schließt -

(Zwischenruf Abg. Buse, DIE LINKE: Da brauchen Sie doch nicht solche Reden zu halten.)

nun warten Sie doch erst mal ab, Herr Kollege -, nicht nur über das, was man inhaltlich gemeinsam tun will, sondern in jedem Koalitionsvertrag steht auch - auch in dem, den die Linkspartei in Berlin mit der SPD abgeschlossen hat -, dass die Koalitionspartner nicht gegeneinander abstimmen und nur Dinge gemeinsam in die jeweiligen Parlamente einbringen. Das gehört zur Stabilität, die in der Demo

kratie notwendig ist, wenn Koalitionen gebildet werden. Deshalb ist Ihre Frage schlicht und einfach naiv, Frau Kollegin.

(Beifall SPD)

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, DIE LINKE: Ich werde Sie nach der Wahl noch einmal fragen.)

Zum Zweiten will ich auch deutlich machen, die SPD hat in verschiedenen Branchen Mindestlöhne durchgesetzt, zum Teil gegen den anfänglichen Widerstand der Union in der Koalition, aber am Ende in einer gemeinsamen Entscheidung, sonst wären wir heute nicht so weit. Es gibt heute Millionen von Menschen, die davon profitieren, dass die SPD in der Koalition in Berlin über das Entsendegesetz solche Mindestlöhne durchgesetzt hat.

(Beifall SPD)

Viele Menschen fragen sich heute nicht nur: Wie kommen wir durch die Krise? Indem wir Unternehmen helfen, die Liquiditätsengpässe haben, indem wir versuchen, über Kurzarbeiterregelungen Menschen in den Betrieben zu halten. Das ist alles notwendig in der Krise. Aber die Frage ist doch auch: Wo ist eigentlich der Weg heraus, wo muss die Entwicklung hingehen? Ich habe in dieser Woche die Gelegenheit gehabt, mit Wirtschaftsvertretern über diese Frage zu diskutieren. Dort wird das sehr intensiv miteinander diskutiert. Eins ist klar, wir kommen aus dieser Krise nur heraus, wenn wir die Frage beantworten können: Welche Trends bestimmen denn die Zukunft? Da gibt es Trends, die heute schon deutlich absehbar sind, nämlich ein Trend, dass wir in Zukunft eine Industriegesellschaft brauchen, die deutlich weniger Ressourcen verbraucht, die deutlich weniger Energie verbraucht, die von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energien umsteigt. Das sind die Zukunftsmärkte. Wenn wir über Opel reden, reden wir doch nicht nur darüber, wie man aktuell durch die Krise kommt und die Opelstandorte erhält, sondern wir reden natürlich auch darüber: Was kann eine Zukunftsstrategie sein? Wie kann das Automobil der Zukunft aussehen? Was kann man politisch tun, um solche Entwicklungen zu flankieren? Denn eins ist doch auch klar, das ist doch keine Entwicklung, die einzelne Unternehmen allein in Gang setzen und bestimmen können.

Wir feiern heute zu Recht eine äußerst positive Entwicklung der Solarindustrie in Thüringen, die in den vergangenen Jahren eine Menge Arbeitsplätze geschaffen hat, die eine hohe Wachstumsdynamik hat, wo ständig neu investiert wird. Aber das hat doch auch Voraussetzungen gehabt. Da stand doch auch eine politische Entscheidung am Beginn dieser Ent

wicklung, nämlich die Entscheidung über das Erneuerbare-Energien-Gesetz, die damals die Regierung Schröder durchgesetzt hat. Dieses Erneuerbare-Energien-Gesetz hat diese Entwicklung in Gang gebracht, hat Schwung hineingebracht, hat Nachfrage geschaffen und einen Markt aufgebaut. Heute profitieren wir davon. Deshalb ist es wichtig, dass wir auch heute die Frage stellen: Wo soll die Entwicklung morgen hingehen? Welche politischen Rahmenbedingungen müssen wir dafür setzen, dass Unternehmen diese Entwicklung in Gang setzen können, dass sie die Märkte von morgen besetzen können?

Das sind die Antworten, die von einem Regierungschef verlangt werden, in der Krise Wege aufzuzeigen, sich gemeinsam mit der Industrie, mit den Gewerkschaften, mit Wissenschaftlern hinzusetzen und zu sagen, was können wir tun, um neue Wege einzuschlagen. Ich habe da bisher nichts gehört.

Oder die Frage - und auch das beschäftigt viele in Unternehmen, aber auch in den Kammern, in den Verbänden: Können wir eigentlich so weitermachen, alles an Wirtschaftsentwicklung irgendwie zu fördern oder müssen wir nicht stärker die Frage stellen, wo sind die dynamischsten Branchen in Thüringen bei zurückgehenden Steuereinnahmen, bei zurückgehenden Zuweisungen aus dem Europäischen Strukturfonds, aus dem Solidarpakt? Was sind die Schwerpunkte der Entwicklung in Thüringen? Wie sorgen wir dafür, dass die dynamischsten Branchen noch mehr Drive bekommen? Wie sorgen wir dafür, dass genau diese Branchen auch die Fachkräfte haben, die sie brauchen?

Ich bin beim Cluster „Solarvalley“ gewesen. Die sagen, wir müssen bis 2011 - und das ist nicht viel Zeit - 5.000 zusätzliche Fachkräfte ausbilden. Dann muss natürlich die Frage beantwortet werden: Wie bekommen wir das hin, wie bekommen wir genügend junge Leute in diese Berufe, in solche Studienrichtungen? Was kann Politik dazu tun, um solche Entwicklungen zu unterstützen?

Ich weiß, dass da einiges auf dem Weg ist. Das will ich auch überhaupt nicht bestreiten. Ich weiß, dass es ein Ausbildungszentrum gibt, was sich speziell um diese Frage kümmert, aber es reicht noch nicht. Wir müssen hier mehr Schwung in die Entwicklung bringen, weil die Größenordnung 5.000 zusätzlich, die auszubilden sind, das wissen auch Sie, Herr Reinholz, mit dieser Maßnahme, die wir bisher auf dem Weg haben, so gar nicht umzusetzen ist. Wir brauchen weitere Schritte. Deshalb haben wir vorgeschlagen, lasst uns gemeinsam mit Wirtschaft, mit Wissenschaft einen Zukunftsatlas für Thüringen aufstellen, der aufzeigt, wo sind die Entwicklungswege, wo sind die dynamischsten Bran

chen, wo lohnt es sich zu investieren, wo können wir jungen Leuten Mut machen, entsprechende Ausbildungen oder Studienrichtungen einzuschlagen.

Wenn wir in solche Entwicklungen investieren wollen, wenn wir darüber nachdenken, wie wir mehr für Bildung tun können, für die Kindergärten, für die Schulen, dann müssen wir auf der anderen Seite aber auch die Frage stellen: Wo sollen solche zusätzlichen Mittel herkommen? Da kommen wir an der Frage Strukturveränderungen nicht vorbei. Wir haben heute gerade über einen Gemeindezusammenschluss diskutiert - die erste Landgemeinde, hurra. Ich sage ganz ehrlich, mir geht das zu langsam. Wir reden jetzt seit 2004 über eine Verwaltungs- und Gebietsreform. Wir haben eine Enquetekommission dazu eingerichtet mit dem Ziel, Vorschläge dafür zu machen, wie das gehen kann. Das Land Thüringen hat in dieser Legislaturperiode bereits 80.000 Einwohner verloren und das ist eine Entwicklung, die sich weiter fortsetzt, das ist ein ganzer Landkreis. Das ist doch jedem sofort augenscheinlich, da braucht man nicht mal Mathematiker zu sein, dass, wenn es immer weniger Einwohner gibt und die Strukturen gleich bleiben, die Menschen immer höhere Verwaltungslasten bezahlen müssen. Deshalb ist es doch vernünftig, darüber zu reden, wie wir die Landesverwaltungsstruktur schlanker machen können, wie wir mehr Aufgaben auf die kommunale Ebene bringen können, welche Größe kommunale Ebenen dann haben müssen, um diese Aufgaben sinnvoll zu erfüllen. Und es wird auch nicht nur in der SPD diskutiert. Ich weiß auch von Kollegen aus der CDU, die in der Kommunalpolitik Verantwortung tragen, dass sie sagen, ja, selbstverständlich wissen wir, dass es eine Gemeindegebietsreform braucht. Selbstverständlich wissen wir, dass die Kreisstrukturen so, wie wir sie heute haben, nicht auf Dauer zu halten sind, sondern dass dafür Veränderungen notwendig sind. Warum öffnen Sie sich nicht solchen Debatten? Die sind notwendig für das Land. Wir müssen doch dafür sorgen, dass wir effizientere Strukturen bekommen, dass wir Geld einsparen können an dieser Stelle, damit wir in die Kindergärten investieren können, damit wir in die Schulen investieren können, damit wir in eine Wirtschaftsentwicklung investieren können, die dafür sorgt, dass am Ende Thüringen dynamisch ist, dass zusätzliche Arbeitsplätze hier entstehen können.

Es gibt eine Reihe weiterer, liegengebliebener Probleme; der Innenminister weiß das. Die Frage, wie soll einmal die Polizei in den nächsten Jahren strukturiert sein, ist nach wie vor unbeantwortet. Sie haben eine ganze Legislaturperiode damit zugebracht, über eine Polizeistrukturreform zu diskutieren. Sie haben uns ausführlich erklärt, warum die notwendig ist. Am Ende ist ein Innenminister darüber zurückgetreten; Sie haben es nicht hinbekommen. Herr

Ministerpräsident, dieser Landtag kann doch erwarten, die Öffentlichkeit kann doch erwarten, dass Sie etwas dazu sagen, wie Sie sich das vorstellen, welche Lösungen Sie anstreben. Sie können das doch nicht einfach in der Luft hängen lassen, Sie kennen die Verunsicherung vor Ort bei der Polizei.

Wenn man sich die bisherige Regierungsbilanz anschaut, dann kommt man zu dem Ergebnis, es hat eine ganze Reihe von Fehlentscheidungen gegeben. Ich erinnere an die Abschaffung des Blindengeldes, ich erinnere an die Streichung der Zuschüsse für das Schulessen, ich erinnere an den Versuch, den Eltern Geld für die Schulbücher abzunehmen, ich erinnere an die gescheiterte Abwasserbeitragsreform, ich erinnere an OPTOPOL - viele, viele ungelöste Probleme, Fehlentscheidungen, Dinge, die liegengeblieben sind.

Deshalb, die Regierungsbilanz Ihrer Regierung ist schlecht, Herr Ministerpräsident. Mein Fazit Ihrer Amtszeit lautet: Sie haben das Erbe von Bernhard Vogel verspielt.

(Beifall SPD)

Sie haben es nicht verstanden, mit diesem Erbe zu wuchern, mehr daraus zu machen. Sie haben auf die Frage, ob Sie einen Moment hatten, an dem Sie darüber nachgedacht haben, ob Sie ins Amt zurückkehren nach dem Unfall, mehrfach gesagt: Es gab keinen einzigen Moment, in dem Sie darüber nachgedacht haben. Herr Ministerpräsident, ich gestehe ganz ehrlich, mich hat das sehr nachdenklich gemacht und so wie ich weiß, viele andere Menschen auch. Wenn man durch einen solchen Unfall geht und zu keinem Moment die Frage stellt, bin ich selbst dieser Verantwortung noch gewachsen, oder die Frage stellt, kann ich Verantwortung für so viele andere Menschen dann noch übernehmen, unabhängig von der Entscheidung, zu der ich dann komme, aber die Frage zu stellen in einer solchen Situation, halte ich persönlich für das Natürlichste der Welt. Die Frage nicht zu stellen, halte ich für etwas, was mich zumindest sehr nachdenklich macht, was Verantwortlichkeit angeht. Man kann, wenn man die Frage stellt, zu dem Ergebnis kommen, ja, ich kann das, ich will diese Verantwortung tragen. Sie haben sich ja für die Rückkehr ins Amt entschieden. Das respektiere ich, gar keine Frage. Aber die Frage nicht gestellt zu haben, macht mich und viele Menschen in Thüringen nachdenklich.

Ich will Ihnen zum Schluss deutlich sagen: Sie haben in den letzten Tagen immer wieder deutlich gemacht, Sie sind fit fürs Amt, Ihr gesundheitlicher Zustand ist gut, Sie können die Arbeit bewältigen. Ich sage Ihnen heute: Fitnesswerte allein reichen nicht aus, ich möchte von Ihnen hören, was Sie

politisch tun wollen, um dieses Land gut durch die Krise zu führen.

(Beifall SPD)