Protocol of the Session on October 16, 2003

Ich eröffne die Aussprache mit der ersten Rednerin, Frau Abgeordnete Wildauer.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, vor einem Monat brachten wir den vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung kommunalwahlrechtlicher Bestimmungen in den Thüringer Landtag ein. Die zweite Lesung ist heute, ohne dass eine Auseinandersetzung mit den Auffassungen der PDS in irgendeinem Ausschuss stattfand. Die Kommunalwahlen sind am 27. Juni 2004 und notwendige Veränderungen hätten aus Sicht der PDS schnell auf den Weg gebracht werden können.

(Beifall bei der PDS)

Es wäre wünschenswert gewesen, aber der politische Alltag in Thüringen und im Thüringer Landtag sieht leider etwas anders aus. Er sieht so aus, wie es Herr Huster vorhin bemerkte, kraft ihrer Macht setzt die CDU-Fraktion ab, was ihr nicht passt.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Na, na, na, na.)

Dieser Fakt, der keine Lehrstunde der Demokratie ist, verdeutlicht in mehrerlei Hinsicht die politischen Zustände im Freistaat. Es wird deutlich, dass die CDU intolerant und reformunfähig ist.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Also, das ist eine Beleidigung.)

Erneut wird deutlich, dass die CDU-Fraktion die Arroganz der absoluten Mehrheit im Landtag weiter pflegt.

(Beifall bei der PDS)

Sie, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, sind diskussionsunwillig und es wird deutlich wie selten vorher

(Zwischenruf Abg. Grob, CDU: Sonst säßen wir nicht hier.)

ja, Sie sitzen hier, weil es Ihre Pflicht ist -, dass die absolute Mehrheit im Landtag eigentlich zum Stillstand führt.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, für mich ist erfreulich,

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Frau Dr. Wildauer, schauen Sie mal...)

dass es außerhalb des Landtags Reaktionen auf unseren Gesetzentwurf gibt. Diese zeigen nämlich, dass Veränderungen im Thüringer Kommunalwahlrecht notwendig und wünschenswert sind. Zustimmungen zu Gesetzesänderungen kommen dabei keinesfalls nur von PDS-Angehörigen, selbst CDU-Kreispolitiker, Kommunalpolitiker können nicht verstehen, weshalb die Landes-CDU an einem überholten und bürgerunfreundlichen Kommunalwahlrecht festhält.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Nennen Sie uns Namen!)

Meine Damen und Herren, ich bedaure zutiefst, dass die Kommunalwahlen im nächsten Jahr noch unter den alten Bedingungen stattfinden werden. Damit werden im nächsten Jahr die Wählerstimmen der Bürger eine unterschiedliche Wichtung erhalten, weil die 5-Prozent-Sperrklausel bestehen bleibt. Es bleibt dabei, dass dadurch der Wählerwille verzerrt und politische Vielfalt in den kommunalen Vertretungen begrenzt wird. Gerade diese politische Vielfalt würde eine neue Dynamik in die Kommunalpolitik bringen, eine Dynamik, die beleben würde. Es bleibt dabei, dass Jugendliche erst ab 18 Jahren und nicht schon ab 16 Jahren wählen können.

(Beifall bei der CDU)

16- und 17-Jährige sind für die CDU-Wahl unmündig.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Nein, das sagen sie selber.)

Sie sollen aber in diesem Alter schon entscheiden können, ob sie in Thüringen bleiben oder wegen fehlender Perspektiven auswandern.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das ist wieder was anderes.)

Meine Damen und Herren, wer der Jugend keine Verantwortung zutraut, ihr keine Perspektive bietet, der braucht sich über diese Art der Abstimmung mit den Füßen nicht zu wundern.

(Beifall bei der PDS)

Das hat, das habe ich schon einmal gesagt, mit Topp Thüringen nichts zu tun.

Es bleibt dabei, dass ausländische Mitbürger aus NichtEU-Ländern die Selbstverwaltungsorgane ihrer Kommunen nicht wählen und hierfür auch nicht kandidieren dürfen. Hier verfassungsrechtliche Probleme als Ablehnungsgrund zu benennen, ist der Sache wenig dienlich. Diese ausländischen Mitbürger dürfen Steuern und Sozialabgaben zahlen, aber ein Wahlrecht auf kommunaler Ebene verwehren wir ihnen. Was für eine rückwärts gewandte Politik.

Es bleibt dabei, dass hauptamtliche Bürgermeister und Landräte für die kommunalen Vertretungen kandidieren können und somit ihre Wähler täuschen. Sie stellen sich an die Spitze der Listen, obwohl sie schon gewählt sind. Der Zweck ist klar. Die Bürger geben dem Kommunaloberhaupt ihre Stimme, weil sie glauben, dass sie dem Bürgermeister oder dem Landrat gilt.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das tun sie doch...)

Nach der Wahl verzichten diese auf die Mandatsannahme und die Stimmen fallen der eigenen Liste zu, so dass die eigene Mehrheitsfraktion gesichert ist. Während Sie, Herr Fiedler, in der ersten Lesung behaupteten, dass unser Gesetzentwurf zur Verunsicherung führen würde - das haben Sie gesagt -, behaupten wir, dass Sie mit der Aufrechterhaltung der Scheinkandidaturen die Menschen nicht nur verunsichern, sondern sie bewusst täuschen.

(Beifall bei der PDS)

Wir meinen, dass hier der Bürger das Vertrauen in Demokratie verliert.

(Beifall bei der PDS)

Mit der Ablehnung des Gesetzentwurfs bleibt es dabei, dass die kommunalen Wahlbeamten länger im Amt sind als die Vertretungen.

Es bleibt dabei, dass die Verwendung von Wahlumschlägen bei der Mehrheitswahl das Wahlverfahren verkomplizieren, und damit Gerichtsverfahren wie im Fall Arnstadt provoziert werden. Kurios, muss ich schon sagen, finde ich eigentlich nur, dass wir unter Tagesordnungspunkt, ich glaube, 11 b beschließen werden, genau diese Verwendung der Wahlumschläge bei den Landtagswahlen wegfallen zu lassen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Oh, oh...)

Es bleibt dabei, dass für kommunale Wahlbeamte zusätzliche Wahlausschlussgründe bestehen, die für Landtagsabgeordnete und kommunale Mandatsträger nicht mehr gelten. Es bleibt dabei, dass unklare Regelungen zur Verwendung von Wappen und Hoheitszeichen zu Wahlzwecken bleiben. Es bleibt dabei, dass unklar ist, ob und wie in den kommunalen Amtsblättern Wahlwerbung gemacht werden darf.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Natürlich, das sage ich Ihnen gleich noch mal.)

Meine Damen und Herren, allein diese Aufzählung macht den Änderungsbedarf des Thüringer Kommunalwahlgesetzes, dem sich die CDU verweigert, sichtbar. Aber sachliche Gründe, meine Damen und Herren, für diese Verweigerung können Sie eigentlich kaum nennen. Meinem CDU-Abgeordneten-Kollegen Fiedler bin ich deshalb recht dankbar, dass er in der ersten Lesung sehr offen die Beweggründe für die Blockadehaltung dargelegt hat. Sie haben sie benannt, Herr Fiedler. Sie haben gesagt, die CDU will keine Veränderungen - wortwörtlich. Dies ist ja sehr deutlich, spricht für sich und bedarf meines Erachtens keiner weiteren Bewertung. Diese Ehrlichkeit ist zu begrüßen und deshalb nochmals Danke, Kollege Fiedler, damit können wir arbeiten.

Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Schemmel hat in der ersten Lesung am Beispiel der 5-Prozent-Klausel eindrucksvoll dargelegt, dass es hier sachlich begründeten Änderungsbedarf gibt und diese Sperrklausel aufgehoben werden muss. Schade nur, dass sich die SPD zu den anderen PDS-Vorschlägen nicht geäußert hat. Insofern bleiben hier die SPD-Positionen unklar. Nun hat ja bekanntlich der SPD-Landesvorsitzende erklärt, dass die SPD nach der nächsten Landtagswahl lieber als Juniorpartner der CDU eine Landesregierung bilden will, anstatt mit der PDS. Wenn ich das Wahlergebnis von der Bürgermeisterwahl in Artern heranziehe, dann hat die PDS immerhin 53 Prozent, die CDU 39 Prozent und die SPD 7 Prozent erreicht. Dies allerdings zum Maßstab der Landtagswahl zu nehmen, das wäre unfair. Ich sage, das

Landtagswahlergebnis wird mit Sicherheit anders ausfallen. Aber ich frage Sie, Herr Schemmel, ob Sie tatsächlich mit dieser CDU das Kommunalwahlrecht ändern wollen und auch Chancen dafür sehen? Eine CDU/SPDKoalition gab es ja bereits schon fünf Jahre in Thüringen, ohne dass die 5-Prozent-Sperrklausel aufgehoben worden ist. In Mecklenburg-Vorpommern haben zwischenzeitlich SPD und PDS diese Sperrklausel aufgehoben. Zumindest sollte das nachdenklich stimmen.

Meine Damen und Herren, es wäre sicher auch notwendig, etwas näher einzugehen auf das, was der Innenstaatssekretär, Herr Scherer, in der ersten Lesung gesagt hat. Dies würde ich auch tun, wenn denn in diesem Hause eine tatsächliche Streitkultur um die besten Argumente und die sinnvollsten Lösungen bestehen würde. Diese Streitkultur kann ich aber nicht einmal in Ansätzen erkennen. Wir begegnen vielmehr hier der Machtarroganz, die jegliche sachliche Diskussion unmöglich macht.

(Beifall bei der PDS)

Unsere Forderungen, meine Damen und Herren, sind nicht neu, aber trotzdem aktuell. Manchmal braucht man Geduld, bevor sich fortschrittliches Denken durchsetzt. Wir haben diese Geduld und auch das Durchhaltevermögen.

(Beifall bei der PDS)

Entgegen der Auffassung von Herrn Scherer finden wir uns mit den Mehrheitsverhältnissen und dem politischen Alltag im Landtag nicht ab, sondern wir wollen hier Veränderungen. Der Wunsch von Herrn Fiedler, dass die PDS zu einer Splitterpartei wie die F.D.P. werden möge, das, Herr Fiedler, ist doch wohl das Produkt einer totalen Selbstüberschätzung.

Die PDS steht für mehr Demokratie auch hinsichtlich der Ausgestaltung des Kommunalrechts. Meine Damen und Herren, die CDU-Mehrheit vergibt sich heute wieder eine Chance, die so schnell nicht wiederkommen wird. Mit einem neuen und modernen Kommunalwahlrecht hätte der Landtag ein wichtiges Signal aussenden können, z.B. ein Signal für die Bürger, dass die Wahrnehmung ihres Wahlrechts am 27. Juni 2004 gewollt ist. Da das Signal ausbleibt, werden viele Bürger bewusst der Kommunalwahl fernbleiben, u.a. auch wegen der 5-Prozent-Sperrklausel, vielleicht auch wegen der Scheinkandidaturen. Unsere Fraktion stimmt das traurig. Sie, verehrte Abgeordnete der CDU-Fraktion, sollte es nachdenklich stimmen.

(Beifall bei der PDS)

Herr Abgeordneter Fiedler, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Frau Dr. Wildauer, wir haben doch nun schon viele Jahre zusammengearbeitet, ich konnte bisher nicht erkennen, dass wir uns nicht sachlich, fachlich über die entsprechenden Dinge auseinander gesetzt haben. Ich verweise noch einmal auf diese kommunalrechtlichen Vorschriften, die Sie als "Sammelsurium" eingebracht haben. Gegen die Weisheit der SPD haben wir damals gesagt, wir wollen das im Ausschuss ausgiebig behandeln und haben es auch behandelt und mussten leider feststellen, es war unausgegoren. Damit Sie mir nicht gleich wieder den Vorwurf machen, wir wollen ja gar nicht darüber reden, verweise ich zu Recht auf das, was Sie in Ihrer Rede festgestellt haben: Wir wollen bei einigen Punkten ganz klar nicht, dass das so geändert wird - ich habe das in der ersten Lesung gesagt -, z.B. das Wahlrecht auf 16 Jahre herunterzusetzen, nicht, weil wir den jungen Leuten das nicht zutrauen, sondern weil einfach selbst sehr, sehr viele der jungen Leute, wenn Sie mit Ihnen in den Gesprächen sind, sagen, sie fühlen sich noch gar nicht dazu in der Lage und wollen das nicht. Da gibt es die Shell-Studie und viele Dinge, die das ganz klar darlegen. Oder das Ausländerwahlrecht nur für EU-Bürger usw. Ich könnte das durchdeklinieren, weil wir das alles schon ausgiebig besprochen haben. Ich halte auch nichts von Ihren immer wieder vorgebrachten Argumenten der Scheinkandidatur, trauen Sie doch dem Wähler so viel zu, dass er sich genau informiert, genau weiß, was lost ist. Insbesondere in der Kommunalpolitik, da weiß doch nun wirklich jeder, wer ist der Landrat, wer ist der Bürgermeister, wer ist das und jenes. Also das können Sie doch dem Wähler nicht unterstellen. Ich gehe davon aus, dass wir eine gute Wahlbeteiligung haben werden, und dass das vernünftig über die Bühne geht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, außerdem, Frau Dr. Wildauer, ist ja nun der Gesetzentwurf wirklich überfällig und überflüssig. Sie wissen, wann die neuen Kommunalwahlen sein werden, ich sage mal: "Springer läuft", es wird sich nichts mehr ändern. Bleiben Sie bei Ihrer Geduld, vielleicht schaffen Sie es irgendwann einmal, dass Sie wieder die Möglichkeit haben, dass wir dort einiges ändern. Ich habe Ihnen das beim letzten Mal schon gesagt, fachlich, technisch, ob jetzt mit Briefumschlägen - wir könnten viele Dinge durchdeklinieren, die zu ändern sind. Da gibt es einiges, was zu machen ist, auch das haben wir gesagt, das muss sofort im nächsten Jahr geändert werden, dass auch das dann mit einfließen kann. Aber es ist zu spät und wir lehnen Ihren Gesetzentwurf ganz klar ab.