Protocol of the Session on November 21, 2002

Frau Abgeordnete Pelke, gestatten Sie bitte eine Anfrage?

Nein, am Ende bitte. Herr Abgeordneter Emde, an einem Punkt stimme ich Ihnen zu. Wir können nicht den Blick nach Finnland richten und sagen, genau das, was dort funktioniert, muss jetzt auch bei uns funktionieren. Das ist überhaupt nicht die Frage, es geht gar nicht darum, Bildungssysteme übernehmen zu wollen oder eins dem anderen überstülpen zu wollen. Aber es muss doch möglich sein, das eine mit dem anderen zu vergleichen und mal darüber nachzudenken, ob Dinge, die anderenorts gut funktionieren, nicht gegebenenfalls in unser System auch hineinpassen würden.

(Beifall bei der SPD)

Insofern fand ich Ihre herbe Aufregung der Blickrichtung nach Finnland irgendwo etwas übertrieben. Ein letzter Aspekt zu Ihren Ausführungen, Herr Emde: Längeres gemeinsames Lernen wird nicht nur von unterschiedlichen Abgeordneten unterschiedlicher Couleur als wichtig angesehen, sondern auch von vielen Wissenschaftlern. Insofern fände ich es ja in Ordnung

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Es gibt auch andere Wissenschaftler.)

- ja, es gibt auch andere -, wenn man irgendwann mal sagt, wir möchten dieses oder wir möchten es nicht. Aber da muss ich zumindest nicht nur den Blick dorthin richten, wo es funktioniert oder wo es nicht funktioniert, wie an dem Beispiel in Finnland, dann muss ich vielleicht einen Schulversuch, Herr Emde, mal zulassen. Aber Sie wollen es doch gar nicht ernsthaft, wenn Sie schon im Vorhinein Schulversuche für längeres gemeinsames Lernen ablehnen und dann sagen, es funktioniert nicht, wir wollen es nicht.

(Beifall bei der SPD)

Es kann doch nicht das Richtige sein.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Kann sie doch. Dem steht doch nichts im Wege.)

Lassen Sie mich noch einiges zum Kultusminister sagen. Herr Minister, Sie haben hier die Enquetekommission "Erziehung und Bildung" erwähnt. Ich denke, wir alle in diesem Haus sind froh, dass es diese Enquetekommission "Erziehung und Bildung" gibt, dass die Abgeordneten sich dafür bereit erklärt haben, eine zusätzliche Arbeit noch mit auf sich zu nehmen - mit Ihrer Unterstützung, wie Sie eben zugesichert haben - und dass eine Vielzahl von Sachverständigen sich bereit erklärt hat, in dieser Kommission mitzuarbeiten. Ich halte das für gut und ich wünsche mir tatsächlich, dass eine solch offene Diskussion ideologiefrei stattfindet und nicht, dass genau dasselbe wie in anderen Ausschüssen passiert, dass letztendlich kraft der Wassersuppe und der Mehrheit entschieden wird. Das ist nämlich das, was die Arbeit der Enquetekommission ausmacht.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Döring hat bereits schon auf die Art des Umgangs der Mehrheitspartei mit Anträgen der Opposition hingewiesen und er hat auch über die manchmal sehr seltsame Wahrnehmung der CDU gesprochen und ich möchte Ihnen auch noch mal anhand von drei Beispielen verdeutlichen, wie widersprüchlich Sie mit Ihren eigenen Zielsetzungen umgehen. Herr Minister, Sie haben es eben noch einmal ganz deutlich gemacht, Sie plädieren für die Stärkung von Familie und Stärkung der Elternverantwortung. Das haben Sie eben gesagt. Das sehen wir auch so und deshalb haben wir im Bildungsausschuss beantragt, ein Beratungsangebot der Schulen gegenüber den Eltern nicht nur bei der Schullaufbahnberatung, sondern auch in der späteren Phase der beruflichen Orientierung. Wir wollten nicht mehr, als dass die Eltern ein Recht darauf haben, ein Beratungsgespräch zu führen, das nicht etwa die Aufgabe des Arbeitsamts ersetzt, sondern die Eltern darüber informiert, wie Lehrkräfte Stärken und Schwächen des Jugendlichen einschätzen und welche Ziele von Eltern und Schülern gemeinsam mit den Schulen angegangen

werden sollen, zum Beispiel im Bereich von Praktika.

(Zwischenruf Dr. Krapp, Kultusminister: Es gibt auch Beratungslehrer.)

Wir alle wissen, wie wichtig eine möglichst frühzeitige berufliche Orientierung ist, auch das sagt die Wirtschaft immer in aller Deutlichkeit, und wie wichtig die Unterstützung von Eltern und deren Einbeziehung ist. Also, wir wollten nichts anderes, als im Schulgesetz neben dem Recht zur Schullaufbahnberatung auch ein Recht auf Beratung zur beruflichen Orientierung verankern, was Elternrecht stärkt. Klingt völlig plausibel, Sie haben es eben noch einmal untersetzt. Fakt ist, die Mehrheitsfraktion hat es abgelehnt. So sieht eben Ihre Stärkung von Elternverantwortung und Unterstützung von Familien aus, wenn es darum geht, dass es eine zusätzliche Aktivität für die Schule bedeutet. Sie, Herr Minister, haben eben von Öffnung der Schule und der Kooperation mit der Jugendhilfe gesprochen. Nur ein Satz noch einmal in die Richtung Schuljugendarbeit: Ich wäre Ihnen schon sehr dankbar, Herr Minister, wenn Sie mal Schuljugendarbeit definieren würden. Das haben Sie ja bislang noch nicht gemacht.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Das, was der Finanzminister in der Haushaltsberatung dazu definiert hat, das kann es nicht sein. Ich hoffe auch, dass Sie das irgendwie vernommen haben. Dieser kleine Ausschnitt, bei aller Wertschätzung der Unterstützung des Sports, dass Schuljugendarbeit Finanzierung von Übungsleitern bedeutet, das, glaube ich, kann nur ein Teil davon sein. Bitte definieren Sie also einmal das, was Sie eigentlich damit wollen.

(Zwischenruf Dr. Krapp, Kultusminister: Das macht die Schulkonferenz.)

Sie sprechen von Öffnung der Schule, von Kooperation mit der Jugendhilfe, das ist auch unsere Auffassung. Es ist sehr bemerkenswert, Herr Minister, dass in der Novellierung des Schulgesetzes der Begriff "Jugendhilfe" überhaupt an einigen Stellen auftaucht, das war nicht immer so, das ist schon mal sehr gut. Aber wenn es denn dann ernst wird, dann wird die Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe wieder allein vom Willen des Schulleiters abhängen, denn wir beantragten im Bildungsausschuss, dass dort, wo sich Projekte der Schulsozialarbeit in Schulen befinden, deren Recht auf beratende Teilnahme an Klassen- und Lehrerkonferenzen festgeschrieben wird - beratend und nicht mitbestimmend, wohlgemerkt. Wir wollten also diejenigen mit einbeziehen, die sich besonders, das hatten Sie selber angesprochen, um benachteiligte Schüler kümmern, die Elternarbeit leisten und die viel über den Hintergrund von Schülern wissen, die also dazu beitragen, Integrationsschwierigkeiten zu beseitigen und Familien zu unterstützen. Aber nein, auch dieser Antrag wurde abgelehnt.

(Zwischenruf Dr. Krapp, Kultusminister: Die sind doch Teil der Schulkonferenz.)

Sie wissen ganz genau, dass eine Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Schule auf gleicher Augenhöhe vorhanden sein muss, anders geht es nicht und es kann nicht sein, dass dann ein Schulleiter diese Zusammenarbeit gewährt oder nicht, also hätten Sie doch ohne Probleme unserem Antrag zustimmen können.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt komme ich noch einmal zu dem, was Herr Schwäblein hier ausgeführt hat - Herr Schwäblein, das ist ein Thema, wo es eigentlich wehtut - es geht nämlich um die Frage der Schulpflicht für Asylbewerberkinder. Sie, Herr Schwäblein, da bin ich Ihnen eigentlich dankbar, haben ja genau die Gesetzeslücke aufgelistet. Sie haben genau gezeigt, woran es hängt.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Letztendlich haben Sie genau unterstützt, was die Oppositionspartei gesagt hat. Wissen Sie, wie lange solche Verfahren ab und an dauern können? Wissen Sie, dass die Bringepflicht zur Integration auch beinhaltet, dass sich das Gegenüber für Integration öffnet? Sehen Sie das auch so? Sie wissen ganz genau, wenn es denn darum geht, dass Schulpflicht für Asylbewerberkinder nicht definiert ist, gerade auch in der Zeit eines noch laufenden Verfahrens, und dann diese Schulpflicht, wenn sie nicht festgeschrieben wird, auch nicht angenommen wird. Dafür wollten wir ein Signal setzen. Wissen Sie auch, dass das insbesondere Mädchen trifft? Wissen Sie eigentlich, was Sie mit dieser Art von politischer Zielsetzung tun? Sie tragen Ihre politischen Überlegungen auf dem Rücken von Kindern aus.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Ich halte das für ein ganz großes Problem. Wie gesagt, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie sehr deutlich beschrieben haben, wo die Lücke eigentlich liegt und insofern hätte ich mir schon gewünscht, dass Sie diese Schulpflicht dann auch so deutlich im Schulgesetz festschreiben, mit all dem, was hier vorher ausgeführt worden ist. Was ich bei Ihnen nun überhaupt nicht verstehe, ist, dass Sie sich in diesem Fall nicht einmal den Rat der beiden Kirchen eingeholt haben. Ich bin den beiden Kirchen sehr dankbar, dass Sie sich hier dezidiert geäußert haben. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten sich hier den Rat eingeholt nicht nur eingeholt, sondern Sie hätten auch darauf gehört.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Lassen Sie mich zusammenfassen: Familienunterstützung, stärkere Elternverantwortung, Öffnung der Schule, Kooperation mit Jugendhilfe, Integration von Flüchtlingen, immer dann, meine Damen und Herren, wenn es konkret wird und wenn man dann alte Pfade mal ein bisschen er

weitern will, dann gibt es bei Ihnen nur Ablehnung, Ablehnung begründet mit Floskeln. Ich hätte mir, den Schülern, den Eltern und den Lehrern in diesem Land bei dieser Gesetzgebung einen anderen, einen offenen Umgang und das Aufnehmen von Anregungen Ihrerseits gewünscht. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Herr Professor Goebel signalisiert, dass er noch eine Frage stellen wollte und Sie hatten gesagt, Sie antworten. Bitte schön, Frau Abgeordnete Pelke und Herr Abgeordneter Goebel.

Frau Abgeordnete Pelke, Sie haben der Landesregierung unterstellt, dass sie kein Interesse an einer integrativen Beschulung habe. Haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, dass es schon in § 1 des geltenden Förderschulgesetzes ein Integrationsgebot gibt? Haben Sie die Zahlen überhört, die hier Frau Abgeordnete Zitzmann in ihrem Bericht genannt hat, dass sich die integrative Beschulung im Falle von Behinderten in den letzten vier Jahren an den Grundschulen versechsfacht und an den Regelschulen verneunfacht hat? Wünschen Sie sich eine noch schnellere Steigerung?

Haben Sie mir nicht zugehört, Herr Kollege, ich habe darauf verwiesen, dass aus der Anhörung hervorgegangen ist, dass die Integration behinderter Kinder im Schulgesetz festgeschrieben werden soll, dass das eine Forderung aus der Anhörung war, u.a. des paritätischen Wohlfahrsverbandes. Genau darum ging es.

(Beifall bei der SPD)

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Das steht doch im Schulgesetz drin.)

(Unruhe bei der CDU)

Also, entweder Sie führen die Debatte weiter, indem einer sich an das Rednerpult stellt und der andere fragt, oder wir beenden das.

Für die CDU-Fraktion hat sich der Abgeordnete Wehner zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, kein Bereich wie Bildung oder Schule steht

in so breitem Interesse der Öffentlichkeit und damit ist natürlich auch klar, dass auch das Schulgesetz auf ein sehr großes Interesse stößt. Die Schule hat nun mal jeder mit mehr oder weniger Erfolg durchlaufen und jeder hat natürlich auch dadurch ein besonderes Verhältnis zur Schule.

(Beifall bei der CDU)

Ich denke, wir sollten bei unserer Schulgesetzgebung erst mal darauf achten, dass wir grundsätzliche Werte nicht infrage stellen. Gerade bei diesen grundsätzlichen Werten habe ich so meine Probleme, wenn seitens der Opposition hier ganz starke Strukturveränderungen gefordert werden, wenn eine Bildungsdebatte hier vom Zaun gebrochen wird, die impliziert, dass kein Bereich so dringend Veränderungen notwendig hätte wie die Schule. Ein Bild, dass der arme wissensdurstige Schüler in schlecht ausgerüsteten Schulen zu schlecht ausgebildeten Lehrern, die nach völlig veralteten Lehrplänen in völlig veralteten Methoden unterrichten - das ist nicht Thüringer Schule und das können Sie erzählen, das nimmt Ihnen draußen niemand ab, so ist die Schule nicht.

(Beifall bei der CDU)

Erziehung zu werten, bedeutet für mich auch, dass man die Debatte, die über Bildungspolitik geführt wurde, beispielsweise auch schon von den Achtundsechzigern auch noch mal nachträglich bewerten muss. Auch damals wurde gefordert, da gab es die tollsten Sprüche, die Bildungspolitik völlig umzukehren. Dort, wo die Achtundsechziger heute maßgeblich Verantwortung tragen, wo stehen diese Länder in der PISA-Studie, wo stehen diese Länder in der Bildungspolitik?

(Beifall bei der CDU)

Dort, wo konservative Werte bewahrt wurden, dort sind wir in der Bildungspolitik weiter vorn.

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD)

Herr Döring, Sie können hier rumkreischen wie Sie wollen, Sie beschäftigen sich seit 12 Jahren mit Bildungspolitik und in diesen 12 Jahren, Herr Döring, hat Sie doch niemand im Land überhaupt nur annähernd zur Kenntnis genommen.

(Beifall bei der CDU)

Das findet doch überhaupt nicht statt.