Protocol of the Session on September 13, 2002

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Sie ken- nen keine Haushaltslage.)

Sie sollten sich einmal mit einer ganzen Reihe von Trägern unterhalten, die immer wieder versuchen, ihre Projekte einzureichen mit dem Zittern darum, ob man überhaupt beginnen kann, dann wieder irgendwelche Mittel abgeschmettert bekommen und eigentlich nicht wissen, wie sie das nächste Projekt machen sollen; die mit geringen Stundenzahlen, die sie bezahlt bekommen, das Doppelte oder Dreifache an Arbeit leisten und das übrigens z.T. seit zehn Jahren und inzwischen auch ein bisschen auf dem Zahnfleisch kriechen. Ich muss sagen, ich bin ziemlich beschämt darüber, dass das Problembewusstsein in diesem Hause so wenig entwickelt ist. Ich habe den Eindruck, man macht es der Opposition zum Vorwurf, dass sie die Probleme benennt.

(Unruhe bei der CDU)

Ich wollte damit eigentlich abschließen, aber ich habe jetzt noch eine Bemerkung zu machen. Herr Seela, Sie haben mich vorhin eigentlich persönlich angegriffen. Sie haben mich vorhin persönlich angegriffen, aber die Zwischenrufe, die von diesen Reihen hier kommen, einschließlich von Ihnen, Herr Seela, oder von Ihnen, Herr Bergemann

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ich war es nicht.)

(Zwischenruf Abg. Bergemann, CDU: Ja, und zu Recht.)

und Herr Bergemann sagt jetzt auch noch "zu Recht" -, die sind unter aller Würde. Das kann ich Ihnen nur sagen.

(Beifall bei der PDS)

Weitere Wortmeldungen sehe ich jetzt nicht. Es wurde aber Fortberatung in den Ausschüssen beantragt, wobei ich sagen muss, nach Geschäftsordnung ist es im entsprechenden Fachausschuss möglich - § 86 Abs. 2. Der entsprechende Fachausschuss wäre dann der Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kunst.

Frau Nitzpon, bitte.

Ich bitte auch noch im Namen meiner Fraktion, dies an den Ausschuss für Bildung und Medien zu überweisen und da nachzufragen, weil die Schul-, Kultur- und Jugendarbeit mit hineinspielt.

Frau Nitzpon, ich habe gerade die Geschäftsordnung zitiert. Da ist es möglich, in den entsprechenden Fachausschuss, das ist Singular, zu überweisen.

(Zwischenruf Abg. Sojka, PDS: Herr Seela machte einen Vorschlag, ich dachte, da geht es auch.)

Nein, das geht leider nicht. Sehen Sie nach, § 86 Abs. 2, daran müssen wir uns schon halten. Der entsprechende Fachausschuss ist der Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Vielleicht können die bildungspolitisch Interessierten ja auch daran teilnehmen.

Wer mit der Fortberatung im Ausschuss - darf ich das jetzt einmal abstimmen - für Wissenschaft, Forschung und Kunst einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Das ist sehr einmütig. Gegenstimmen? Sehe ich nicht. Enthaltungen? Auch nicht. Dann werden wir die weitere Beratung im Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kunst führen. Das Thema bleibt uns also damit erhalten.

Jetzt komme ich zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 20

"Aktuelle Aspekte und Perspektiven der Familienpolitik in Thüringen" Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU und Antwort der Landesregierung - Drucksachen 3/2189/2669 auf Antrag der Fraktion der CDU dazu: Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 3/2679

Wir steigen unmittelbar in die Beratung ein und dann gebe ich dazu das Wort zunächst Frau Abgeordneten Nitzpon, PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich wollte eigentlich gerade sagen, schön, dass beide Minister da sind, weil Herrn Schuster natürlich die Familienpolitik als Wirtschaftsminister auch angeht. Ich hoffe, Sie bleiben im Raum.

(Unruhe bei der CDU)

Ja, ich sage ja, ich hoffe, dass er im Raum bleibt, wenn das so ist, finde ich das doch in Ordnung.

"Das Hauptproblem der Familien in Thüringen liegt sicherlich in der Einkommenssituation. In ganz Deutschland erzielen Familien geringere Pro-Kopf-Einkommen als Kinderlose.... Familien entstehen auch durch die Erziehung und Ausbildung von Kindern Mehrkosten.... Die Geburt eines Kindes ist ein nicht seltener Grund für Sozialhilfebezug." Diese Schlagzeilen sind alles Zitate aus der Antwort der Landesregierung zur Großen Anfrage von Seite 73. Die Lösung des Problems sieht die Thüringer Landesregierung im Ausbau von Kindergeld und Erziehungsgeld zu einem Familiengeld. Der Problemlösungsansatz, meine Damen und Herren, spricht für sich. Ich komme aber am Ende meiner Rede noch einmal darauf zurück.

Aus keiner Antwort der Landesregierung zur aktuellen Situation oder gar zu den Perspektiven der Familienpolitik geht hervor, welches denn eigentlich die Ursachen für eine Jahrzehnte verfehlte Familienpolitik in der Bundesrepublik sind und wo tatsächlich eine Reform der Familienpolitik ansetzen muss.

Meine Damen und Herren, wir hatten heute ja schon einen Punkt zur Situation von Frauen in Thüringen. Frauen sind immer noch die Hauptstütze einer Familie und zu dem angesprochenen Tagesordnungspunkt wurde vielfältigerweise auf die DGB-Studie und auf die verschlechterten Arbeitsund Einkommensbedingungen der Frauen im Freistaat ver

wiesen. Von Geschlechtersolidarität in Thüringen kann also keine Rede sein. Und was sagt der Thüringer Spitzenkandidat der CDU für die anstehende Bundestagswahl, Herr Späth?: "Das Familiengeld muss es ermöglichen, dass die Familie nicht zum Sozialfall wird,

(Beifall Abg. Arenhövel, CDU)

wenn sich einer in der Familie entscheidet, nur für die Kinder da zu sein. Das gehört für mich zur Freiheit." Welche Freiheit meint denn Herr Späth? Weiß Herr Späth, wie viele Frauen in Thüringen arbeitslos und auch langzeitarbeitslos sind und wie viele Kinder gleich mit davon betroffen sind? Weiß Herr Späth, mit welchen Problemen diese Familien belastet sind? Meiner Meinung nach klingt bei Herrn Späth auch unüberhörbar das alte Klischee: Frauen Kinder - Küche. Nur das dritte K fehlt noch. Im Übrigen, wenn in Deutschland mangelnde Religiosität beklagt wird, dann, so meine ich, hat das vor allem mit der fehlenden Werteorientierung in der Gesellschaft zu tun und weniger damit, dass Gott vergessen wird.

Welche Werte außer gnadenloser Ökonomisierung hat dieses Land denn für die junge und nachwachsende Generation? Welche Entscheidungsmöglichkeiten, welche Freiheit haben diese Frauen aufgrund der Tatsache, dass Thüringen ein Niedriglohnland ist, dass in großem Umfang Arbeitsplätze für Frauen fehlen? Es muss versucht werden, die Arbeitgeber, auch die in der Privatwirtschaft, stärker in die Pflicht zu nehmen. Wer von der Arbeitsleistung von Frauen profitiert, ist auch gehalten, zu verbesserten Strukturen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf beizutragen. Der Rückgang der Geburtenzahlen, das Verharren der Geburtendefizite auf einem hohen Niveau widerspiegelt die Verhältnisse in Deutschland eindrucksvoll.

Die Zahl der Neugeborenen je 1.000 Einwohner verringerte sich in Thüringen seit 1990 von elf auf sieben im vergangenen Jahr. Zwischen den Jahren 1991 und 2000 wurden im Freistaat 40 Prozent weniger Kinder geboren als im Jahrzehnt davor. Die DGB-Studie kommt zum Schluss: Um eine den alten Bundesländern adäquate Geburtenrate zu erreichen, müsste die jährliche Geburtenzahl in Thüringen von derzeit knapp 18.000 auf mindestens 24.000 oder 25.000 steigen. Damit wäre selbst die einfache Reproduktion der Bevölkerungszahl noch nicht gewährleistet.

Familienpolitik, meine Damen und Herren, hat seit der Gründung der Bundesrepublik ein Schattendasein geführt. Drei Ausnahmen hat es nur gegeben: 1974 die Einführung des einheitlichen Kindergeldes, 1986 die Einführung von Erziehungsgeld und der Erziehungszeit und 1992 die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz.

Es gibt zwar in Deutschland eine Vielzahl von Regelungen, die die Familien betreffen. Sie sind aber nicht nur nicht übersehbar, sie werden auch der Familie als dem wichtigsten Leistungsträger der Gesellschaft nicht gerecht. Diese Unüberschaubarkeit der Regelungen von Familien

förderung sollte dringend, so meinen wir, durch eine Neuordnung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern geregelt werden. Die Fortsetzung der Kleinstaaterei in Deutschland aus dem 19. Jahrhundert geht an der Realität vorbei. Für die Bündelung von Regelungen für die Familie wäre ein Familiengesetzbuch sinnvoll und gerade für die Betroffenen auch überschaubar.

Es gab im Übrigen Ende der 70er-, Anfang der 80erJahre in der Bundesrepublik Überlegungen, ein Familiengesetzbuch zu schaffen, aber mit der CDU-FDP-Regierung wurde dieses Projekt beerdigt. Mittlerweile, meine Damen und Herren, gibt es für solch ein Familiengesetzbuch ein erfolgreiches Vorbild, ich denke, das ist das Sozialgesetzbuch. Im Übrigen hat die föderale Schweiz eine Anstoßfinanzierung für familienergänzende Betreuungsplätze initiiert und damit weitsichtige Investitionen in Kinder statt in kinderlose Ehen vorgenommen. Die Abschaffung des Ehegattensplittings, ich hatte das heute schon einmal angesprochen, sollte deshalb ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Die Steuerprivilegierung von Ehemännern ist nämlich in Europa einzigartig.

Ich hatte eigentlich gedacht, Herr Schuster bleibt hier, weil ihn das Thema interessiert, aber wenn er hier vorn in der ersten Reihe mit Herrn Kretschmer schwatzt, dann nützt das dem hohen Haus eigentlich auch nichts.

(Zwischenruf Abg. Wetzel, CDU: Das kann Ihnen doch wohl gleich sein.)

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn Familien in Thüringen eine Zukunft haben sollen, dann brauchen wir eben Arbeits- und Ausbildungsplätze. Thüringen braucht die einst vom Ministerpräsidenten dieser Landesregierung versprochenen 100.000 Arbeitsplätze oder mehr. Und doch, wie sieht es in der Realität aus? Ich möchte die Antworten der Landesregierung auf die Große Anfrage an der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Thüringen messen. Die Wiedereingliederung allein Erziehender in den Arbeitsmarkt werde durch Landesarbeitsmarktprogramme gefördert. Doch, meine Damen und Herren, die Landesregierung hat genau diese Programme seit ihrem Amtsantritt von 322 Mio. auf 228 Mio.  + 

Als eine Möglichkeit der Wiedereingliederung werden SAM und ABM genannt. Erinnert sich diese Landesregierung nicht daran, dass sie in den letzten Jahren deren Zahlen von 63.000 auf 26.000 dramatisch heruntergefahren hat? Da ist es egal, Herr Seela, ob es in dem Ländervergleich vielleicht noch die höchste Summe ist. Gekürzt ist gekürzt und die Kürzungen haben dann wieder Auswirkungen auf die Familien in Thüringen.

Völlig unverständlich, meine Damen und Herren, ist mir, wenn als Instrument zur Eingliederung allein Erziehender in den Arbeitsmarkt das Programm "50 PLUS" genannt wird. Wie viele allein Erziehende mit Kindern im betreuenden Alter gibt es denn in dieser Altersklasse? Die Landes

regierung behauptet, sie setze sich dafür ein, dass ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Von diesem Einsatz ist in der Wirklichkeit nicht viel zu spüren, im Gegenteil. Seit Amtsantritt der CDU-Alleinregierung sank die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 844.000 auf 778.000.

Noch ein Beispiel für Ihre Schönfärberei in diesen Antworten möchte ich Ihnen nennen. Man spricht sich für familienfreundliche Arbeitszeiten aus, aber im letzten Jahr hat die Landesregierung die Moderatorenrolle zwischen den Tarifpartnern abgelehnt, als sich die PDS in einem Antrag für Überstundenabbau und Arbeitszeitreduzierung eingesetzt hat. Damit, meine Damen und Herren, wären familienfreundliche Arbeitszeiten zustande gekommen, aber die Landesregierung und die CDU-Fraktion haben jegliche Mitarbeit verweigert.

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Was, das ist aber...)

Zur Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, meine Damen und Herren, das hatte ich heute auch schon einmal gesagt, brauchen wir in Thüringen ein Infrastrukturinvestitionsprogramm, brauchen wir stärkere Unterstützung für kleinere und mittlere Unternehmen und die Förderung gemeinwohlorientierter Arbeit im Non-ProfitBereich. Das Familiengeld wird nicht den Ausgleich bieten für wachsende Anforderungen an Mobilität und Flexibilität im Berufsleben. Notwendig ist eine regionale Strukturförderung. Unsere Fraktion hat dazu mehrfach Vorschläge unterbreitet. Herr Minister Schuster, gestern haben Sie bei dem Tagesordnungspunkt "Arbeitsmarktpolitik stärken und Arbeitslosigkeit bekämpfen" eins verwechselt: Wir wollen nicht an dem Symptom herumdoktern, wir wollen die Ursachen bekämpfen, doch Sie haben die Ursachen noch nicht einmal erkannt.

(Zwischenrufe aus der CDU-Fraktion: Arbeitsmarkt...)

Meine Damen und Herren, Familie braucht strukturelle und individuelle Förderung. Dazu gehören natürlich auch die Kindertagesstätten. Für die PDS-Fraktion grenzt es bereits an Heuchelei, wenn Sie immer wieder von dem flächendeckenden Netz von Betreuungseinrichtungen im Lande Thüringen sprechen, das durch Sie und Ihre Fraktion angeblich geschaffen wurde. Ich spreche nicht ab, dass ein gutes Angebot an Betreuungseinrichtungen in Thüringen vorhanden ist, aber dies resultiert natürlich auch aus den Jahren vor 1990.

(Unruhe bei der CDU)

Natürlich, die alten Bundesländer müssen ja erst so etwas aufbauen. Sie haben aber dort gekürzt. Nicht mitgehen kann ich auch mit der Behauptung, dass der Bedarf in Thüringen in Bezug auf Krippenplätze in Kindertageseinrichtungen gedeckt sei. Sie müssen doch selbst wissen, dass

vor allem Krippenplätze bei weitem nicht mehr dem geforderten Bedarf gerecht werden. Die Kommunen greifen schon in die Trickkiste, um eine Steuerung bei der Vergabe der Plätze nach Kriterien wie Ausbildung, allein erziehend oder Studium zu erreichen.

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: SGB VIII.)

Einfach nur der Wunsch allein, sein Kind vielleicht mit sechs Monaten oder einem Jahr in einer Krippe betreuen zu lassen, reicht bei weitem nicht aus. Das Ganze reicht bis dahin, dass eine junge Mutter, die sich für einen Arbeitsplatz bewirbt, eine Bescheinigung vorlegen muss, dass ihr Kind in einer Tagesstätte untergebracht wird. Diese Bescheinigung erhält sie allerdings oft nur, wenn sie der Kindertagesstätte gegenüber wieder nachweisen kann, dass sie einen Arbeitsplatz hat. Hier geht es nicht darum, ob sie sich vielleicht nur beworben hat für einen Arbeitsplatz. Nur dann, wenn sie wirklich ihr Kind mit zweieinhalb Jahren in diese Kindertagesstätte bringen kann, dann ist dieses Recht auch wirklich realisiert. Die Katze beißt sich allerdings oft dabei in den Schwanz und Ihre Lobhudelei von der hervorragenden Betreuungsform in Thüringen bröckelt. Gleichzeitig wird natürlich Bedarf auch mit aufgrund der Gebühren reguliert. Weltfremd finde ich die Antwort zu den durchschnittlichen Betriebskosten für Eltern. Sie sprechen von 75 bis 90  0 / cher wäre es gewesen, wenn ein Vergleich zu den Betriebskosten in den Jahren vor 2000 und jetzt vorgenommen würde, denn beim genauen Hinsehen gab es mit der Novelle des Kindertagesstättengesetzes innerhalb des Haushaltsbegleitgesetzes Kostenerhöhungen von bis zu 40 Prozent für die Eltern.

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Ach, das stimmt doch nicht.)

In Eisenberg müssen Eltern jetzt 100   4  Triptis und Unterweiden 80  (&    von der Hand weisen, das sind Fakten. Mit den Kosten für das Mittagessen geht oft das gesamte Kindergeld für die Betreuung der Kinder drauf.