nicht in den Kram passt, auf die Jahre, in denen Ausspitzelung und Erfassung in aller Munde war. Und Joachim Gauck bezeichnete das in dieser Zeit offen gelegte Wissen über DDR-Sicherheitsbehörden und dieses Wissen der Sicherheitsbehörden als aufgebrochenes Herrschaftswissen. Viele waren sich damals einig, dass es keinen Staat mehr geben dürfte, der seine Akten geheimhält und den Dialog mit den Bürgern verweigert, der Wissen sammelt und Fürsorge vorgibt.
Nie wieder sollte ein Staat derart unkontrolliert in die Rechte der Bürger eingreifen. Aus diesem Grunde sollten einerseits die Bürgerdaten vor dem unverhältnismäßigen Behördenzugriff geschützt werden, andererseits aber erhobene Daten kontrollierbar sein. Thüringen verabschiedete schließlich als erstes ostdeutsches Bundesland ein Landesgesetz für den Datenschutz. Die besondere Sensibilität für die Bürgerdaten und für Transparenz des Herrschaftswissens war aber bereits bei der Verabschiedung des Thüringer Datenschutzgesetzes 1991 wieder verflogen. Es wurde ein Gesetz beschlossen, das sich nur in wenigen Punkten an der datenschutzfreundlichen Praxis anderer Länder orientierte. Änderungsanträge der Opposition wurden ohne Diskussion abgelehnt. Das Thüringer Datenschutzgesetz folgte den schlechtesten Regelungen aus Bundesdatenschutzgesetz und Landesgesetzen bayerischer und baden-württembergischer Provenienz. Positiv war lediglich, dass die Datenschutzbeauftragte an den Landtag angegliedert wurde. Der Datenschutz wurde, so wie auch Herr Staatssekretär vorhin ausgeführt hatte, in Thüringen mit Status eines Verfassungsgrundrechts in Artikel 6 der Landesverfassung explizit festgechrieben.
Danach gibt es nicht nur einen Anspruch auf Schutz der eigenen Daten, sondern es gibt eine Berechtigung des Bürgers, über Preisgabe und Verwendung solcher Daten selbst zu bestimmen. Dazu ist eine Kontrolle durch Benachrichtigungspflichten und Auskunftsrechte über die zur eigenen Person gespeicherten Daten erforderlich. Der Bürger hat damit in Thüringen laut Volkszählungsurteil das Recht zu wissen, wer, was, wann über ihn weiß. Hieraus folgen die Grundsätze der Erhebung bei Betroffenen, die Zweckbindung der erhobenen Daten, das Prinzip der Datensparsamkeit, die Auskunfts- und Benachrichtigungsrechte und nicht zuletzt der materielle Datenschutz. Danach sind diejenigen Stellen, die personenbezogene Daten verarbeiten, verpflichtet, die technischen und organisatorischen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um den Zugang und die Kenntnisnahme durch Unbefugte zu verhindern. Gerade Letzteres ist im Fall des Gerichtsaktenskandals und in dem Fall des Computerverkaufs durch das Fachkrankenhaus nicht erfolgt. Was die Thüringer Ras
terfahndungspraxis angeht, ist mindestens Ersteres fraglich. Ich habe keinen Zweifel, dass der Computerverkauf von Hildburghausen von allen hier im Hause als Datenschutzgau angesehen wird. Man muss nun aber fragen, welche Konsequenzen daraus gezogen werden müssen.
Die Datenschutzbeauftragte Frau Liebaug hat unseres Erachtens zu Recht den Vorschlag gemacht, Computer aus Landeseinrichtungen vom Verkauf auszuschließen, solange Fehler bei der Vernichtung von Daten nicht ausgeschlossen werden können. Aber es muss mehr berücksichtigt werden. Wenn man den Umgang mit Personendaten ernst nimmt, wenn beispielsweise nicht ausgeschlossen werden kann, dass beim Umzug von Justizeinrichtungen Bürgerdaten preisgegeben werden, soll denn der Umzug von Behörden deshalb verboten werden? Ich gebe also Frau Liebaug Recht, die neuen Informationstechnologien datensicher zu machen, ist so gut wie unmöglich. Meistens aber liegt vor dem maschinellen Versagen das menschliche. Angesichts des datengierigen Umgangs des Staates und der gleichzeitigen Einschränkung des hoheitlichen Datenschutzes, angesichts der Diffamierung und Geringschätzung des Datenschutzes und der zahlreichen hoheitlichen Pannen, die kaum einer Rede wert sind, wird ein sensibles Datenschutzbewusstsein der Betroffenen und bei den jeweiligen Datenverwaltern auch nicht gerade gefördert. Gerade in einer Zeit, die sich selbst zum Informationszeitalter erklärt hat, geht mit den neuen Technologien eine wachsende Unkontrollierbarkeit der Datenerhebung und -verarbeitung einher. Mit ihr entstehen neue Gefahren, wie die expandierende informationelle staatliche Kontrolle im Alltag und die Klassifikation, die Manipulation der Menschen als Konsumenten. Dabei ist persönliche Selbstbestimmung nicht nur durch direkten Zwang bedroht, sondern auch durch die lautlose Kontrolle mit Hilfe informationstechnischer Instrumente und durch deren unsichere Handhabung.
Überall beobachtet man eine zunehmende Datenflut im Bereich der öffentlichen Erhebung, die Erstellung von Konsum- und Kommunikationsprofilen sowie von sozialen und ökonomischen Rastern, die in privaten und öffentlichen Datenbanken erstellt und zusammengefügt werden, die Auswertung der bei immer mehr alltäglichen Handlungen anfallenden Datenschatten, die die Menschen schließlich zu Informationsmustern reduzieren. Dem muss ein verbesserter materieller Datenschutz und eine erweiterte Kontrolle entgegengestellt und das Datenschutzbewusstsein gefördert werden.
Nun wissen wir aber, dass wir hier von der Thüringer Landesregierung nicht viel erwarten können. Sie hat bei der Umsetzung der EU-Datenschutzrichtlinie im September 2001 mit der Regelung zur Auftragsdatenverarbeitung bereits dafür gesorgt, dass eine Information an die Landesdatenschutzbeauftragte nicht mehr zwingend erforder
lich ist und die Datenverarbeitung aus ihrem Kontrollauftrag herausfällt. Noch vor kurzem hat sie das Informationsfreiheitsgesetz der SPD-Fraktion für gefährlich und entbehrlich erklärt. Ein Gesetz, dass das individuelle Auskunftsrecht über personenbezogene Daten, ein Recht auf Informationen über den öffentlichen Daten- und Planungsstand zur Seite stellt, das die Kommunikations- und Partizipationsfähigkeit des Bürgers ermöglicht. Öffentliche Akten, auch im Sicherheitsbereich, sind Teil unserer Geschichte. Das galt nicht nur 1989. Geheimnisse gelten unserer Landesregierung nur für den Staat, nicht aber für den Einzelnen. So liest sich auch die vorgelegte Novelle für das Polizei- und Sicherheitsrechtsänderungsgesetz. Die Eingriffsrechte und Bereiche gegenüber dem Bürger werden massiv vergrößert, die Auskunftsrechte allerdings eingeschränkt. Wir meinen, Informationszugänge und Transparenz müssen auch im Sicherheitsbereich gelten, denn das Vertrauen in die Sicherheitsorgane hängt maßgeblich auch von deren Transparenz und Kontrollierbarkeit ab.
Meine Damen und Herren, noch eines, ich habe es eigentlich schon gesagt: An die Stelle der weiteren Einschränkung des Datenschutzes und des Aufkunftsrechts muss der Ausbau des materiellen Datenschutzrechts treten, das dem Bürger zu Hause und am Arbeitsplatz signalisiert, dass Datenschutz ein hohes Gut ist. Wenn heute hier zweimal festgestellt worden ist, dass Verantwortliche für die Fehlleistungen in Hildburghausen entlassen worden sind, dass in Zukunft die Vernichtung der Hardware vorgenommen wird und dass alle Vorschriften eigentlich eingehalten worden sind, dann erhebt sich natürlich die Frage, eingehalten im Sinne systematisch eingehalten, dass nur persönliche Verfehlungen vorliegen, dann erhebt sich die Frage, ob die strukturellen, d.h. die systematischen Konsequenzen ausreichen oder ob die strukturellen systematischen Bedingungen nicht doch geändert, d.h. verschärft werden müssen.
Was die Rasterfahndung angeht, handelt es sich um eine ganz andere Angelegenheit. Es ist immer wieder auffällig, wer sich im Sinne der Unschuldsvermutung und informationeller Selbstbestimmung gegen die zunehmende Kreativität der Innenbehörden im Bereich der Vorfeldverdachtschöpfung ausspricht, bekommt schnell den folgenden Beruhigungssatz zu hören: "Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu befürchten, denn schließlich leben wir in einem demokratischen Rechtsstaat." Wir gehen davon aus, dass die Offenheit der Bürger untereinander sich von der Offenherzigkeit den Sicherheitsbehörden gegenüber nicht nur in Bezug auf die Machtfrage unterscheidet, sondern dass der Unterschied auch in der Fähigkeit besteht, konkret zu kontextualisieren. Der Nachbar kennt den Kontext der Lebensäußerung seines Nachbarn, der Staat aber bewahrt personenbezogene Daten und damit das Persönliche in Datenbanken auf, die Individualität ausblendend, in Datenbanken also, in denen dieser Kontext fehlt und ein neuer schnell fälschlicherweise konstruiert ist.
Meine Damen und Herren, angesichts der Urteile in anderen Bundesländern muss angenommen werden, dass auch in Thüringen die Rasterfahndung unzulässig ist, dass erhobene Daten vernichtet werden müssen und weiter übermittelte Daten zurückzufordern sind. Auf diese Frage, Herr Staatssekretär, sind Sie eine Antwort schuldig geblieben. In einem Nebensatz erklärt das Oberlandesgericht Frankfurt am Main, wieso es gegen alle Gefahreneinschätzungen aus einer politischen Drucksituation heraus zur Verfügung der Rasterfahndung gekommen ist. Das macht deutlich, dass der fehlende Richtervorbehalt in Thüringen zu einer Rasterfahndung führt, der nicht einmal unabhängige rechtsstaatliche Abwägungen vorausgegangen sind.
Die richterliche Prüfungskompetenz, die, wie die nachträglichen gerichtlichen Überprüfungen zeigen, auch kein Allheilmittel ist, wird in Thüringen noch immer als Hindernis der Polizeiarbeit empfunden. In Thüringen soll die Rasterfahnung nun nach Willen der Landesregierung gar zum polizeilichen Standardinstrument werden. Eine Maßnahme, die trotz ihrer hohen bürgerrechtlichen
(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Das ist doch Quatsch, wir haben die Rasterfahndung bis jetzt nur einmal gehabt.)
Kosten für Tausende Unverdächtige entgegen anders lautender Äußerungen noch keinen Erfolg im Bereich der Terrorismusbekämpfung erbrachte.
Meine Damen und Herren, wir haben im Innenausschuss eine Anhörung gehabt das Polizeirechts- und Sicherheitsrechtsänderungsgesetz betreffend. Wir haben im Anschluss an diese Innenausschussanhörung als Fraktion eine eigene Anhörung durchgeführt. Im Rahmen dieser Anhörung hat Professor Martin Kutscha von der Berliner Fachhochschule für Staats- und Verwaltungsrecht darauf hingewiesen, dass die Rasterfahndung aus dem Arsenal des Ausnahmezustands stammt. Auch der hessische Datenschützer Spiros Simitis hat angesichts der Sicherheitspakete bundes- wie landesweit bei der Thüringer Feierstunde "10 Jahre Datenschutz" gemahnt, dass das Verhältnis des Ausnahmezustands zum Normkriterium für einen demokratischen Rechtsstand bleibe. Nicht der Ausnahmezustand dürfe die Norm definieren, sondern die rechtsstaatliche Norm müsse festlegen, wie im Ausnahmezustand zu verfahren ist.
Ja, Herr Abgeordneter, dann hätte ich eine Eigenschaft geteilt, insbesondere auch mit Ihnen, das ist aber nicht das Problem. Das Problem an der ganzen Sache ist, dass wir Fragen gestellt haben und auf die Fragen, die wir insbesondere zur Rasterfahndung gehabt haben, keine Antwort bekommen haben.
Ich erinnere Sie z.B. an solche Fragen, wie die eben noch einmal wiederholte: Ist die Rasterfahndung in Thüringen eigentlich rechtmäßig gewesen? Es gibt Urteile anderer Bundesländer, sie sind schon genannt worden - Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen -, wo festgestellt worden ist, die Rasterfahndung ist unrechtmäßig.
Wo sind denn Ihre Antworten geblieben auf die Fragen nach der Gegebenheit gegenwärtiger Gefahr. Selbst die Bundesregierung ist zu dem Ergebnis gekommen, dass eine solche Gefahr nicht gegeben ist. Wir hatten die Frage gestellt, welche Folgen die Datenerhebung gehabt hat. Welche Folgen hat die Datenerhebung gehabt bei den Leuten, wo die Daten erhoben worden sind? Wir hatten die Frage gestellt: Läuft die Rasterfahndung noch, welche Dauer hat sie gehabt, welches ist der Stand momentan? Alle diese Fragen sind nicht beantwortet worden. Und da regen Sie sich auf, dass ich Sie komplex auf das Problem des Umgangs mit Datenschutz und Rasterfahdung hinzuweisen suche. Danke schön.
Mir liegt jetzt keine weitere Wortmeldung mehr vor, ich gehe davon aus, dass die Aussprache damit beendet ist. Es gibt einen Antrag der SPD-Fraktion zur Weiterberatung dieses Berichts im Innenausschuss. Das werden wir jetzt abstimmen. Wer für die Weiterberatung des Berichts ist, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? Bei einigen Stimmenthaltungen ist dem Antrag auf Fortsetzung des Berichts im Innenausschuss zugestimmt worden.
Jetzt komme ich zum Abschluss noch zu der Feststellung, ob dem Berichtsersuchen Genüge getan worden ist. Erhebt sich Widerspruch? Frau Abgeordnete Nitzpon.
Dann werden wir das abstimmen. So frage ich die Abgeordneten: Ist dem Berichtsersuchen Genüge getan worden, dann bitte ich um das Handzeichen? Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? Bei einer Anzahl von Gegenstimmen und wenigen Stimmenthaltungen ist der Erfüllung des Berichtsersuchens mit Mehrheit entsprochen worden. Jetzt ist es ganz exakt.
Ich beende den Tagesordnungspunkt 9 und weise noch einmal auf den parlamentarischen Abend, der jetzt eigentlich beginnen soll, hin. Wir sehen uns morgen früh um 9.00 Uhr wieder.