Protocol of the Session on March 15, 2002

Stehen wir hier am Beginn einer verhängnisvollen Entwicklung, so gibt es im anderen Verantwortungsbereich der Ministerin eine Entwicklung, die genauso Sorgen macht. Ich rede über die Situation der Theater und Orchester im Freistaat Thüringen, die Ihnen, Herr Ministerpräsident, kein Wort wert waren. Viel zu spät, Frau Ministerin, haben Sie das Gespräch mit den Theatern und Orchestern gesucht und so erhielten Sie von den Weimarer und Erfurter Stadträten - übrigens auch von denen, die wie Sie CDU-Mitglied sind - die Quittung.

(Beifall bei der SPD)

Und jetzt ziehen Sie sich vergnatzt und trotzig auf eine Zuschauerposition zu dem zurück, was in Weimar und Erfurt passieren soll. Nichts da von Ärmel hochkrempeln, nichts mehr von gestalten. Sie sind mit Ihrem kulturpolitischen Konzept für Thüringen gescheitert und die Gefahr ist groß, dass nach Erfurt und Weimar z.B. in Eisenach, Altenburg und Nordhausen Ähnliches geschieht.

(Beifall bei der SPD)

Haben Sie das schon nicht auf die Reihe gebracht, so haben Sie zumindest in Ihrem Haushalt für einen weiteren Steinbruch gesorgt. Ich spreche von der permanenten Abschmelzung der Landesmittel für Denkmalschutz und Denkmalpflege. Ernüchternd auch die Ergebnisse Ihrer angestrebten Kooperation zwischen Wirtschafts- und Kunstministerium. Da parallel dazu die ABM- und SAM-Stellen nicht im ausreichenden Maß fortgeführt werden, wird es in absehbarer Zeit im Bereich der Breitenkultur zu keinen Ver

besserungen kommen; der Nachtragshaushalt kann dem Bereich Breiten- und Soziokultur sogar den Todesstoß versetzen. Meine Damen und Herren, eine Stiftung "Breitenkultur" haben Sie nie gewollt. Die dann von Ihnen installierte Kulturstiftung ist ein Phantom ohne praktisch fördernde Auswirkung. Dies alles - gepaart mit der finanziellen Notlage vieler Kommunen - führt zu einem ständigen Abbau der kulturellen Leistungsbereitschaft.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das Jahr 2001 war das Jahr des Ehrenamts. Es war insofern ein Erfolg für das Ehrenamt, weil in unzähligen Veranstaltungen der Wert des Ehrenamts betont wurde.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Genau.)

Und der Hoffnung bin ich, so ist das Ehrenamt im Ansehen der Bevölkerung weiter gestiegen. Ernüchternd bleibt jedoch, was darüber hinaus passiert ist. Seit über zwei Jahren redet der verantwortliche Sozialminister in Thüringen von einer Stiftung "Ehrenamt". Bisher sind wir bei einer Stiftung angekommen mit einem Grundstockvermögen von 50.000  " % ren, von diesen Zinsen kann man bestenfalls die Telefonkosten von einem Dutzend Vereine und Verbände bezahlen.

(Beifall bei der SPD)

Auch im Nachtragshaushalt finden wir keine weiteren Mittel eingestellt und so bleibt die Hoffnung auf eine Spielbank. Dass wir kein entsprechendes Spielbankgesetz haben, interessiert in dieser Landesregierung niemanden; aber wenn wir erst das Gesetz haben und wenn wir dann die Spielbank haben, dann wird das Geld förmlich in Strömen in dieses Ehrenamt fließen und ich schätze einmal, so unmittelbar nach der nächsten Landtagswahl, wenn Sie vorher den Thüringer Bürgern in der Zweitauflage versprochen haben, eine entsprechende Stiftung "Ehrenamt" zu installieren. Einem solide durchfinanzierten Vorschlag der SPD-Landtagsfraktion, in dem es darum ging, die ehrenamtliche Tätigkeit im Bereich der Jugendarbeit zumindest teilweise zu entschädigen, war Ihnen Ihre Zustimmung nicht wert.

(Beifall bei der SPD)

Mehr Glück, relativ gesehen, hatte die SPD mit ihrem Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit in Thüringen. Natürlich haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU, diese Initiative der SPD erst einmal abgelehnt; aber als Sie dann beim besten Willen den immensen Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit nicht mehr übersehen konnten, versuchten Sie, mit einem Programm namens "JET" die Initiative der SPD-Landtagsfraktion aufzunehmen und gegenzusteuern.

Der Familienpolitik ging es in den letzten zweieinhalb Jahren ähnlich wie dem Ehrenamt: viele Blumen, wolkenreiche Worte. Aber was ist denn wirklich Erwähnenswertes in diesem Ministerium passiert? Nichts. Der Begriff "Familienpolitik" wurde zwar ausdrücklich in den Titel des Ministeriums eingefügt, aber Sie, Herr Dr. Vogel, wiegeln das schon ab. Bei Ihnen heißt das: Das ist keine Aufgabe, die Thüringen allein bewältigen könnte

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Das ist richtig.)

- warten Sie doch einmal ab -, das ist eine bundespolitische Aufgabe.

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Das ist immer so, ganz genau.)

Ich zitiere dazu dpa vom 01.03. dieses Jahres: "Kanzlerkandidat Edmund Stoiber hat Erwartungen gedämpft, die Union würde nach einem Wahlsieg die Förderung von Familien stark erhöhen."

(Zwischenruf Abg. Dr. Botz, SPD: Hört, hört!)

Im Haushaltsbegleitgesetz 2001/2002 kürzt das Land seine Mittel für die Kindertagesstätten und öffnet so dort Tür und Tor zur Gebührenerhöhung. Auch beim Sachkostenzuschuss wurde gestrichen und bei den Zuschüssen für die Gemeinden für das Fachpersonal in den Kindertagesstätten. Das Ergebnis ist, dass die Kommunen die Gruppen in den Kindertagesstätten auf die maximal zulässige Stärke auffüllen. Ob das eine Verbesserung der Kinderbetreuung ist oder ob das im Hinblick auf die Ergebnisse der PISA-Studie das richtige Signal ist, das bleibt zumindest abzuwarten.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Den Begriff "gewaltfreie Erziehung" kennt diese Landesregierung überhaupt nicht. Für die bessere Vereinbarung von Beruf und Familie sind von der Landesregierung keine Signale ausgegangen; nein, sie möchte, dass der gesetzliche Anspruch auf Teilzeit wieder aufgehoben wird.

(Beifall bei der SPD)

(Zwischenruf Abg. Vopel, CDU: Weil es Einstellungen behindert.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Thema "Wasser" war ein wesentlicher Schwerpunkt in den letzten zweieinhalb Jahren und er wird es wohl auch bleiben, ob im Bereich Wasser/Abwasser oder beim Fernwasser. Im Bereich Fernwasser betreibt diese Landesregierung eine Politik der Geheimniskrämerei. Schon mehrmals haben wir uns hier in diesem Haus über wesentliche Eckdaten unterhalten, die man braucht, um die angestrebte Fusion der Talsperrenverwaltung mit den Fernwasser

zweckverbänden realistisch einschätzen zu können, ohne zufrieden stellende Antwort von Ihrer Seite. Selbst Ihr Oberbürgermeister Kummer sagt: Ohne aussagekräftige Unterlagen kann man nicht verhandeln.

(Beifall bei der SPD)

Dass im Bereich Wasser/Abwasser die Strategie, die Strukturen der Zweckverbände effektiv zu gestalten, fortgesetzt wurde, ist richtig. Dass das Zinshilfeprogramm abgeschafft wurde, war falsch. Dass Sie dann unseren Vorschlag abgelehnt haben, wenigstens die Ausfallkosten für die Gemeinden aus den zinslosen Stundungsregelungen, z.B. für Industriebrachen und Kleingärten, zu decken, das war schon unverschämt, genauso wie die Kürzung bei den Strukturhilfen - ich habe sie am Anfang positiv erwähnt -, aber dann die Kürzung bei den Strukturhilfen in Höhe von 11 Mio. "    1 . endgültig den Bereich Wasser/Abwasser dem Spiel der freien Kräfte überlassen?

Meine Damen und Herren, die Gefahr ist groß, dass beim Thema "Müllbehandlung" die Landesregierung die gleichen Fehler macht wie bei Wasser/Abwasser. Da die lenkende Hand der Landesregierung fehlt, macht jede Region ihre eigenen Pläne für ihre eigenen Behandlungsanlagen. Die Planung solcher Anlagen wird allein den Abfallzweckverbänden überlassen. Diese können aufgrund ihrer regionalen Begrenzung aber nur regionale Belange bei ihren Entscheidungen zugrunde legen, jedoch nicht die Belange des ganzen Landes.

(Beifall bei der SPD)

Auch steht nach wie vor die überfällige Novellierung der Förderrichtlinie für Vorhaben und Projekte bei der Siedlungsabfallwirtschaft aus. In welcher Höhe wollen Sie denn zukünftig Behandlungsanlagen fördern - 80, 60, 20 Prozent?

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Land- wirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Null.)

Null, hat der Minister gesagt, falls man es im Protokoll nicht verstanden hat.

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn es keine grundsätzliche Änderung in der Politik des Landwirtschaftsministers gibt, wird es auch bald für den Nationalpark Hainich zu spät sein. Vor mehr als vier Jahren wurde dieser gegründet, aber touristische Attraktionen und Anlaufpunkte, wie wir das aus der Entwicklung anderer Nationalparks kennen, die dringend notwendig sind, sind nicht geschaffen worden. Es gibt nach wie vor nicht einmal ein Nationalparkzentrum. Naturschutz könnte im Hainich die Wirtschaft voranbringen, Arbeitsplätze schaffen,

(Beifall bei der SPD)

aber auch Herr Schuster fühlt sich nicht angesprochen er verspielt eine Chance.

Meine Damen und Herren,

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt- schaft, Arbeit und Infrastruktur: Herr Gentzel, seien Sie nicht so nervös.)

bei den herausragenden - Sie sind noch nach mir dran, seien Sie doch nicht so nervös - Fehlleistungen der letzten Jahre in unserem Freistaat tragen Sie, Herr Justizminister Birkmann, die Verantwortung. Das Wort "Pilz-Prozess" - ich betone - ist eng, ist sehr eng mit dem Begriff "Birkmann-Affäre" verbunden. Der Begriff "BirkmannAffäre" steht für Ihre versuchte Einflussnahme im Juni 2000 auf die unabhängige Arbeit von Thüringer Richtern und Staatsanwälten. Nur kurz zur Erinnerung: Kumpel Birkmann warnt Kumpel Schuster vor einer bevorstehenden staatsanwaltschaftlichen Durchsuchung im Wirtschaftsministerium, obwohl auf ausdrücklichen Wunsch des Landgerichts Mühlhausen von einer Benachrichtigung abgesehen werden sollte. Damit nicht genug - Sie, Herr Birkmann, scheuten auch nicht davor zurück, Herrn Dr. Bauer, Präsident des Oberlandesgerichts, und beim Verfassungsgerichtshof anzurufen, damit dieser dann unverblümt Einfluss auf jenen Richter nehmen sollte, der vergeblich versucht hatte, alle wichtigen Prozessunterlagen in der Thüringer Staatskanzlei zu erhalten. Dem Zitat des Herrn Dr. Bauer zur Birkmann-Affäre "Die Thüringer Justiz hat Schrammen abbekommen" ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt ja noch ein Meisterstück aus Ihrem Haus, die Aktenaffäre im Sommer 2001. Natürlich wusste in Ihrem Haus niemand etwas davon, dass 10.000 Akten von der Staatsanwaltschaft und mehreren Gerichten tagelang unbeaufsichtigt in einer Tiefgarage des neuen Erfurter Justizzentrums lagerten. Obendrein war das Rolltor von der Garage defekt. Aber für all Ihre Fehler fühlten Sie sich nie verantwortlich. Als Bauernopfer wurde der Leiter der Staatsanwaltschaft Erfurt von seinen Aufgaben entbunden, dem Amtsgerichtspräsidenten die Verwaltung des Justizzentrums entzogen. Sie dagegen, Herr Justizminister, saßen alle Affären aus.

(Beifall bei der SPD)

Sie, Herr Birkmann, werden ja noch gebraucht als vermeintlicher Schützer und Bewahrer der Thüringer Verfassung vor den so gefürchteten plebiszitären Elementen.

(Beifall bei der SPD)

Sie werden gebraucht als Totengräber für das Volksbegehren "Mehr Demokratie in Thüringen". Als mehr als 380.000 Bürgerinnen und Bürger verbesserte direkte Mit

sprachemöglichkeiten in der Politik wünschten, zauberten Sie zunächst zwei Gutachten herbei, die die Verfassungswidrigkeit des Volksbegehrens feststellten. Aus den Gutachten machten Sie dann eine Klageschrift und haben diese dann an den Verfassungsgerichtshof geschickt.

(Zwischenruf Abg. Primas, CDU: Und Recht bekommen.)

Warten Sie doch mal ab. Am 19.09. letzten Jahres unter Vorsitz Ihres Telefonpartners Herrn Bauer wurde das Volksbegehren für verfassungswidrig erklärt. Auch in der Zeit danach ließen Sie keine Zweifel aufkommen, dass Ihnen nichts widriger ist als niedrige Hürden bei Bürgerbeteiligungen, bei Volksbegehren und beim Volksentscheid. Ich frage Sie, Herr Dr. Birkmann: An welcher Stelle in Ihren Gesetzentwürfen zur Änderung von Verfassung und Durchführungsgesetz wird Ihr Wille deutlich, Bürgerinnen und Bürgern mehr Mitspracherecht einzuräumen? Herr Ministerpräsident, wir stellen neben Ihren Satz "Mehr Demokratie geht nicht" den Satz von Willy Brandt "Wir wollen mehr Demokratie wagen."

(Beifall bei der PDS, SPD)

Ja, meine Damen und Herren, es gibt Dinge, die können ruhig öfters gesagt werden.