Protocol of the Session on March 14, 2002

(Zwischenruf Dr. Birkmann, Justizminister: Gut!)

Das kann ich mir vorstellen, Herr Minister, dass Sie sich sehr gut fühlen. Die Besucherin meinte, die Thüringer CDU hätte sich doch ein Beispiel an der CDU in NordrheinWestfalen nehmen können. Dort wird das Unterstützungsquorum für Volksbegehren von bisher 20 auf 8 Prozent gesenkt. Die Sammlungsfrist wird auf das Dreifache der bisherigen verlängert, wenn auch von einem schlechteren Niveau aus. Und auch auf Bundesebene denkt man über mehr direkte Demokratie nach.

(Zwischenruf Dr. Birkmann, Justizminister: Und weiter? Beim Volksentscheid?)

Ich bin jetzt bei diesem Feld erst einmal geblieben. Und auch auf Bundesebene denkt man über mehr Demokratie nach. Die Abstinenz des Grundgesetzes in Sachen direkter Bürgerbeteiligung an Sachentscheidungen scheint nach mehr als 50 Jahren nun wohl doch nicht länger zu halten zu sein. Man kann nur hoffen, dass die jüngsten Vorschläge bestimmter politischer Kräfte bei den Grünen und der SPD nicht nur Wahlkampfgetöse sind.

Der Verein "Mehr Demokratie" setzt sich schon lange für Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene ein. Zurzeit ist die Initiative im Rahmen einer Kampagne gerade wieder in Thüringen unterwegs und sie wird im Laufe des heutigen Nachmittags vor dem Landtag sein und Willen von Bevölkerung kundtun, Willen von Bevölkerung, der Ihnen offensichtlich ein Dorn im Auge ist.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Das ist eine Behauptung.)

Für mich, meine Damen und Herren, sind diese Menschen aber ein willkommener Stachel im Fleische Ihrer politischen und wenig demokratischen Selbstgerechtigkeit, auf deren Grundlage Sie, Herr Minister, sich ganz offensichtlich dann auch sehr wohl fühlen.

Meine Damen und Herren, die Vorschläge würden Regelungen bedeuten, die direkte Demokratie erschweren würden, statt sie zu erleichtern oder zu beleben. Und Sie müssen sich fragen und fragen lassen: Wollen Sie das tatsächlich? Wenn Sie das wollen, dann sollten Sie das den Bürgerinnen und Bürgern aber auch ehrlich sagen, insbesondere den mehr als 380.000 Unterstützern des Volksbegehrens für mehr Demokratie in Thüringen. Sie sollten nicht länger mit Proklamationen an der Nase herumgeführt werden, die mit der Wirklichkeit ihrer Vorschläge nichts zu tun haben.

Was nun den Fortgang der Dinge, was die parlamentarische Beratung der Gesetzentwürfe der Oppositionsfraktionen und des Bündnisses und der Gesetzentwürfe der Landesregierung angeht, liegen alle Vorschläge auf dem Tisch. Die Beratungen können beginnen, am besten mit einer Anhörung. Und, meine Damen und Herren, am Ende steht hoffentlich ein Ergebnis, das die Interessen der Bür

gerschaft im Auge hat und nicht das Eigeninteresse einer parteiegoistisch orientierten Politikerkaste. Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Schemmel zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Dr. Hahnemann, wenn Sie dann gleich wieder unterstellen, dass die Bestrebungen auf Bundesebene vielleicht Wahlkampfgetöse sind, dann muss ich Sie zum wiederholten Male daran erinnern, dass in dem Erfurter Programm der Sozialdemokratie schon vor über 100 Jahren die direkte Demokratie eingefordert wurde.

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Herr Schemmel, da stand aber auch noch mehr drin.)

(Beifall bei der SPD)

Dann muss ich Sie des Weiteren erinnern, dass plebiszitäre Elemente in Deutschland erstmalig eingeführt wurden, als Sozialdemokraten an der Regierung waren.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind eine Partei, die eine gewisse Tradition hat und in dieser Tadition steht. Deswegen weise ich das zurück, dass Sie diese Bemühungen als Wahlkampfgetöse bezeichnen.

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Das hat er zwar nicht gemacht, aber es wird wohl so sein.)

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Das war nur eine Frage.)

Etwas anderes noch zu Ihren Ausführungen: Wir stehen hier zwar auf dem Boden eines gemeinsamen Gesetzentwurfs SPD und PDS und ich kann mich zu diesem Gesetzentwurf vollinhaltlich bekennen, aber ich kann mich nicht identifizieren mit verschiedenen Äußerungen, die Sie hier zu dieser Sachlage ausgeführt haben.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Aber jetzt zum Thema: Mit der nunmehrigen Vorlage der Gesetzentwürfe der Landesregierung ist die Voraussetzung für den Beginn der Verhandlungen zwischen den Fraktionen des Thüringer Landtags zu einem, wie ich meine, unserer wichtigsten Vorhaben in dieser Legislaturperiode gegeben. Die Vorlage erreicht nicht mehr und nicht weni

ger. Ziel unserer Fraktion ist es - ich möchte es noch mal genau formulieren -, das weitestgehende deutsche Gesetz zur Ermöglichung von direkter Demokratie zu schaffen. Dieses Ziel ist realistisch. Dazu gibt es zwischen den verfassungsrechtlichen Grenzen und den bisherigen bestehenden Gesetzen in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland den erforderlichen Verhandlungsspielraum; der ist vorhanden. Keines dieser bisherigen Gesetze in Deutschland lotet den verfassungsrechtlichen Spielraum voll aus; und genau das ist diese Stelle, in die wir mit unserem Gesetz am Schluss hineinwollen. Das weiß auch jeder, der in diesem Haus in der Lage ist, die bisherigen Gesetze der Länder mit der Verfassungsrechtsprechung abzugleichen.

Die vorliegenden Entwürfe der Landesregierung erfüllen diese Forderung naturgemäß nicht. Insgesamt bleiben sie ja weit hinter bisherig bestehenden Landesgesetzen zurück, z.B. Bayern. Es liegt also auf der Hand, ersparen Sie mir deshalb den Einzelnachweis zu den einzelnen Positionen. Den hat auch im Abgleich - das war ja richtig - Herr Dr. Hahnemann so weit geliefert. Im Abgleich der Zahlen, nicht immer in der Bewertung, bin ich seiner Meinung. Im Übrigen ist es ja auch klar, dass die nunmehr vorliegenden Regierungsentwürfe - das ist ja auch ein Novum eigentlich, die Regierung legt einen Gesetzentwurf vor und es ist von vornherein klar, dass sie keine Mehrheit in diesem Haus erreichen werden.

(Zwischenruf Dr. Birkmann, Justizminister: Eine gute Mehrheit haben wir doch.)

Ja, aber Sie wissen, welche Mehrheit erforderlich ist, und Sie wissen, dass sie mit Ihrem Gesetzentwurf nicht erreicht wird. Das liegt aber mehr an Ihrer Fraktion, die Ihnen eine solche unlösbare Aufgabe gegeben hat, ein Gesetz hier vorzulegen, was auch die entsprechende Mehrheit finden soll in dieser Frage.

Wir gehen übrigens - das kann man sagen - mit einer außerordentlich starken Position in die Verhandlungen. Hinter uns steht das Begehren von über 360.000 Bürgerinnen und Bürgern Thüringens. Dies ist gewichtig und es sei an dieser Stelle allen im Land nochmals danke gesagt, die uns nunmehr ein solch gewichtiges Mandat gegeben haben für die bevorstehenden Verhandlungen.

(Beifall bei der SPD)

Wir waren uns von vornherein klar, dass das Volksbegehren, der Volksentscheid an irgendeiner Stelle scheitern könnte trotz der überwältigenden Anteilnahme. Wir waren uns von vornherein einig, dass wir dann auf parlamentarischem Weg das betreiben. Deshalb waren die ganzen Sammlungen auch bei weitem nicht umsonst, sondern sie stärken uns jetzt den Rücken für diese zweite Phase, für diese parlamentarische Phase. Die Position der CDU hingegen ist bislang getragen von Vorbehalten und Zögerlichkeit. Ich sehe landauf, landab niemanden, der diese Position der CDU außerhalb dieser Partei vielleicht trägt - stehen hier

360.000 in unserem Rücken, Sie können die Verbündeten an zwei, drei Fingern abzählen. Das ist natürlich auch eine Frage der Verhandlungsposition, wie man in solche Verhandlungen hineingehen kann. Kernpunkt Ihrer Befürchtungen ist, denke ich, dass die parlamentarische Demokratie durch plebiszitäre Demokratie ausgehebelt werden könnte. Meine Damen und Herren von der Union, ich möchte Ihnen an dieser Stelle deutlich machen, dies ist nicht unser Zielkorridor, ich hatte einen Zielkorridor beschrieben. Die Sozialdemokratie steht uneingeschränkt zur parlamentarischen Demokratie.

(Beifall bei der SPD)

Sie hat sie in Deutschland ja schließlich mit erstritten und mit hervorgebracht. Ich hatte schon zu Herrn Hahnemann gesagt, wir sind eine Partei in der Tradition, nun sage ich es zu Ihnen: Wir werden das nicht in Frage stellen, was wir in Deutschland mit erstritten und hervorgebracht haben. Wenn dies die Frage wäre, die parlamentarische Demokratie auszuhebeln, dann wäre bei diesen Bestrebungen natürlich auch das Thüringer Verfassungsgericht vor, wäre ja der verfassungsrechtliche Rahmen verletzt, also kann diese Frage eigentlich überhaupt keine Rolle spielen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einmal die Grenzen aufzeigen, die garantieren, dass eine solche Aushebelung auch theoretisch nicht zustande kommt, auch wenn wir uns auf das beschriebene weitestgehende Gesetz hin geeinigt haben. Da gibt es noch ausführliche Schranken. Ich möchte sie Ihnen jetzt noch einmal erläutern, damit Sie Ihre innerliche Befürchtung, die ich ja vielleicht begreifen kann, in den Verhandlungen zurückstellen können.

Erstens: Auch der Kompromiss, den wir ja anstreben, auch wenn wir ihn erreicht haben, so schreibt er doch noch, und so will es das Verfassungsgericht, mindestens in einer Stufe des Verfahrens - wir bevorzugen die erste, das ist bekannt - noch erhebliche Hürden vor. Dies ist auch in unserem eigenen Interesse, dass in einer Phase noch erhebliche Hürden bestehen.

Zweitens kann ja zu jedem Gesetz, das zum Volksentscheid vorliegt, ein alternativer Entwurf entgegengestellt werden, so dass auch dann in der zweiten Stufe noch eine Mehrheitsbildung zwischen den Bürgerinnen und Bürgern des Landes zu erfolgen hat. Das ist ja auch wieder eine Hürde. Man muss ja auch ein Stück Vertrauen zu den Bürgerinnen und Bürgern haben.

Drittens: Artikel 82 Abs. 2 unserer Thüringer Verfassung erklärt nach wie vor dann noch Volksbegehren zum Landeshaushalt für unzulässig, das heißt, das Königsrecht des Parlaments bleibt unberührt. Die Ewigkeitsgarantie des Artikel 83 Abs. 3 der Thüringer Verfassung garantiert, dass der Freistaat Thüringen für immer ein demokratischer, sozialer, dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen verpflichteter Rechtsstaat ist. Dies kann nie in Frage gestellt werden, auch nicht durch

ein an den Haaren herbeigezogenes Volksbegehren. Jedes Volksbegehren hat sich aber auch nicht nur diesen zwei Verfassungsbestimmungen zu stellen, sondern muss sich an der gesamten Thüringer Verfassung messen lassen und die Entscheidung liegt dann weiterhin, wenn angerufen, beim Thüringer Verfassungsgerichtshof. Letztens ist natürlich auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland weiterhin Maßstab und auch messende Elle für ein jegliches Volksbegehren, einen jeglichen Volksentscheid im Freistaat Thüringen.

Das zeigt doch, dass diese Befürchtungen, wenn sie noch vorhanden gewesen wären, dass die parlamentarische Demokratie ausgehebelt werden könnte, unter den bestehenden verfassungsrechtlichen Bedingungen der Bundesrepublik Deutschland und im Freistaat Thüringen nicht im Geringsten gefährdet ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich betone noch einmal, es ist auch nicht im Geringsten der Wille der Sozialdemokratie, den Vorrang der parlamentarischen Demokratie in Abrede zu stellen. Wenn dann aber Ihre Befürchtungen zerstreut sind, dann hoffe ich doch, dass wir uns alle gleichsam als Verteidiger der Demokratie wiederfinden und dass wir dann gleichsam an die Erarbeitung einer Lösung gehen können. Wir wollen natürlich in diese Verteidigung auch alle Bürgerinnen und Bürger einbeziehen, natürlich nicht nur durch Elemente direkter Demokratie, aber eben gerade auch durch sie. Die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger am staatlichen Handeln, die Transparenz des staatlichen Handelns, das sind politische Ziele der Sozialdemokratie. Der Sinn dessen ist nicht etwa eine Beeinträchtigung des staatlichen Handelns, sondern die Identifikation des Bürgers mit seinem Staat, und das ist ja die wichtigste Aufgabe für uns für die Zukunft. In diesem Kontext sehen wir unsere Bemühungen zur Entwicklung direkter Demokratie. Lassen Sie uns in diesem Sinne gemeinsam versuchen, eine für den Freistaat, ich denke, notwendige, nicht nur mögliche, sondern notwendige Lösung zu finden. Lassen Sie mich mit einem Zitat enden, wenn ich darf, vom Landtagsabgeordneten Jostmeier (CDU) aus Nordrhein-Westfalen vom 01.03.2002. Er sagte in der Debatte zu diesem Gesetz: "Wir leisten jetzt das, was nach unserer Auffassung bisher viele Menschen daran gehindert hat, von der Möglichkeit direkter Demokratiebeteiligung Gebrauch zu machen." Etwas später im Text sagte Kollege Jostmeier: "Es hat auch ein bisschen mit Vertrauen und Zutrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Funktionsfähigkeit und Entscheidungskompetenz parlamentarischer Verfahren und parlamentarischer Gremien zu tun." Fürwahr ein wackerer Christdemokrat der Jostmeier. Ich kann mich ihm an dieser Stelle vollinhaltlich anschließen. Ich hoffe, dass Ihnen das auch gelingt und möchte mit dieser Hoffnung meine Ausführungen beenden. Ich möchte natürlich formal noch sagen, dass die Gesetzentwürfe wohl auch für Wert befunden werden, an den Justizausschuss überwiesen zu werden.

(Beifall bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat sich Abgeordneter Wolf zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, ich begrüße auch ausdrücklich die Gäste, die auf der Tribüne Platz genommen haben und begrüße vor allem diejenigen, die dann nachher anschließend sachlich richtig über die heute hier stattgefundene Diskussion berichten werden.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Hahnemann, als Sie Ihre Rede begonnen und Ihre Ausführungen zu Ihrer Äußerung in der letzten Plenarsitzung, diesem Stichwort "Lethargie", gemacht haben, hatte ich gedacht, jetzt kommt es, jetzt entschuldigt er sich, er hat sich versprochen, die Sache ist damit erledigt.

(Zwischenruf Abg. Dr. Hahnemann, PDS: Nein.)

Nein, Sie haben außer dem Verfassungsgericht und der Landesregierung gleich alle anderen Behörden mit einbezogen und ihnen allen eine mögliche Lethargie unterstellt. Das ist eine Unverschämtheit.

(Beifall bei der CDU)

Ihre Rede hat mich so ein bisschen an die alte Zeit erinnert. Die Partei, als die noch anders hieß, Ihre Partei, da gab es einen schönen Satz: Wer nicht für den Sozialismus ist, der ist für den Krieg. Genauso kann man Ihre Rede hier nachvollziehen: Wer nicht für unsere Vorstellungen ist, der ist gegen Demokratie. Das war eine andere Zeit, Herr Hahnemann, das ist schon eine Weile her.

(Beifall bei der CDU)

Noch etwas zu den Fakten, die Sie genannt haben. Ich habe mir auch die Liste angesehen, wie es denn in den anderen Ländern aussieht, wie dort gesammelt wird. Richtig, es sind elf Länder und es gibt auch Länder, die lassen neben der amtlichen auch eine freie Sammlung zu. Das ist aber ein Land. Das heißt also, zehn Länder haben die amtliche Sammlung und das elfte Land lässt neben der amtlichen auch noch eine freie Sammlung zu.