Protocol of the Session on April 6, 2001

Die Verfassung hat als grundlegendes Normensystem den höchsten Stellenwert innerhalb unserer Rechtsordnung und deshalb ist sie auch nur unter erschwerten Voraussetzungen änderbar. Ihnen ist bekannt, dass Verfassungsänderungen durch den Landtag die Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten voraussetzen, die auch zwei Drittel der Wähler repräsentieren, während bei einem Volksentscheid über die Änderung der Verfassung des Freistaats eine Minderheit von einem Viertel der Stimmberechtigten ausreichen würde. Dies ist ein gravierender, nicht nachvollziehbarer Unterschied. Ein Quorum von lediglich 25 Prozent ist mit der Thüringer Verfassung nicht vereinbar. Dies gilt insbesondere, wenn das Unterstützungsquorum für das Volksbegehren so exorbitant abgesenkt werden soll. Auch die Regelungen über finanzwirksame Plebiszite stimmen nicht mit der Verfassung überein, meine Damen und Herren. Sie stellen einen Eingriff in den Kernbereich der parlamentarischen Demokratie dar und gefährden deren Funktionsfähigkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind haushaltsrelevante Plebiszite unzulässig, und zwar dann, wenn sie geeignet sind, den Gesamthaushalt wesentlich zu beeinflussen. Unzulässig ist eine finanzwirksame plebiszitäre Gesetzgebung bereits dann, wenn sich ihre Auswirkungen im Promillebereich des Haushalts bewegen, da dann das Budgetrecht als unverzichtbare Grundvoraussetzung für die Handlungs- und Funktionsfähigkeit des Parlaments verletzt wird. Der Landtag müsste für den Fall, dass die Vorstellung der Initiatoren zum Tragen käme, jederzeit den geltenden Haushaltsplan revidieren. Damit würde eine mehrjährige Finanzplanung unmöglich gemacht. Ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, meine Damen und Herren, dass es kleinen Minderheiten, die 5 Prozent der stimmberechtigten Bevölkerung darstellen, ermöglicht werden soll, Vorhaben mit großen finanziellen Folgelasten für die Allgemeinheit durchzusetzen. Gerade bei Interessengruppen, die ihren eigenen finanziellen Vorteil durchsetzen wollen und ohne Bindung an die Gesamtverantwortung handeln, läge damit die Gefahr eines Missbrauchs nicht fern.

(Beifall bei der CDU)

Letzlich, meine Damen und Herren, verstößt die Möglichkeit der Zusammenlegung von Volksentscheiden mit Wahlen gegen das Prinzip der Wahlfreiheit. Denn dadurch könnte auf den Wähler noch in der Wahlkabine Einfluss genommen werden, was mit dem Grundsatz der Freiheit der Wahl, der Wahlpropaganda vor und in Wahllokalen

nicht zulässt, unvereinbar ist. Verschärft wird dies jetzt noch dadurch, dass es die Initiatoren des Volksbegehrens in der Hand haben, nach eigenem Gutdünken darüber zu entscheiden, ob der Volksentscheid mit einer Wahl zusammen stattfindet oder nicht.

Meine Damen und Herren, die Ihnen hier dargelegten rechtlichen Einschätzungen haben ihre Grundlagen auch in der aktuellen Rechtsprechung zu durchgeführten Volksbegehren. Die verschiedenen einschlägigen Urteile des Staatsgerichtshofs Bremen und des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs sind hier heranzuziehen. Sie beschäftigen sich mit der Thematik der Zulässigkeit von abgesenkten Quoren und der Finanzwirksamkeit von Plebisziten. Danach lässt sich sagen, ähnliche Regelungen wie wir sie im Volksbegehren der Initiative "Mehr Demokratie e.V." wiederfinden, wurden von den Gerichten als nicht mit der Verfassung übereinstimmend bisher immer verworfen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung ist aus den genannten Gründen davon überzeugt, dass der dem Volksbegehren zugrunde liegende Gesetzentwurf die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen überschreitet, und sie ist daher verpflichtet, den Verfassungsgerichtshof anzurufen. Um es ganz deutlich auszusprechen: Es geht nicht um die Frage, ob ein Gesetzentwurf aus politischen Gründen die Zustimmung der Landesregierung findet oder nicht, sondern es geht darum, dass angesichts der Ihnen hier dargelegten Zweifel an der Verfassungskonformität des vorliegenden Gesetzentwurfs die Landesregierung nach Artikel 82 Abs. 5 der Thüringer Verfassung verpflichtet ist, den Gesetzentwurf einer verfassungsrechtlichen Überprüfung unterziehen zu lassen. Die Landesregierung, meine Damen und Herren, wird sich aber nicht auf eine Klage vor dem Verfassungsgerichtshof beschränken, sondern sie wird sich auch mit eigenen Vorschlägen konstruktiv an der Diskussion um mehr demokratisches Engagement in Thüringen beteiligen. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Damit kommen wir jetzt zur gemeinsamen Aussprache über 1 a, b und c. Als Erster hat das Wort Herr Abgeordneter Buse, PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht,

(Zwischenruf Abg. Grob, CDU: Gut, gut!)

die Abgeordneten der PDS-Fraktion und ich persönlich empfinden, dass wir heute nicht nur einen besonderen Tag für den Thüringer Landtag haben, sondern vor allem einen besonderen Tag für die Demokratie im Freistaat Thü

ringen erleben.

(Beifall bei der PDS)

Das mag jeder hier im Raum anders empfinden; ich habe hier über meine Empfindungen gesprochen. Ich glaube, die heute beginnende parlamentarische Beratung eines Gesetzentwurfs hat einen besonderen Ausgangspunkt. Zum ersten Mal wird ein Gesetzentwurf nicht durch die Landesregierung oder aus der Mitte des hohen Hauses in den Thüringer Landtag zur Behandlung eingebracht. Zum ersten Mal steht ein auf dem Weg der direkten Demokratie eröffnetes Gesetzgebungsverfahren auf der Tagesordnung des Thüringer Landtags und das ist gut so.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Diese Besonderheit sollte nach unserer Auffassung nicht nur den Beginn der parlamentarischen Debatte, sondern auch die Art und Weise ihrer Durchführung prägen. In dem Sinne, Herr Minister Köckert, kann ich ihre Freude namens der Landesregierung über die Initiative bisher noch nicht nachvollziehen, aber vielleicht gelingt mir das in der parlamentarischen Debatte noch. Nicht die Landesregierung und keine Fraktion des Thüringer Landtags sind die Einbringer dieses Gesetzentwurfs, sondern es sind, amtlich geprüft, 363.123 Bürgerinnen und Bürger des Freistaats, also 18,34 Prozent der Thüringer Wahlbevölkerung und damit beachtliche Teile des eigentlichen Souveräns. Ich glaube nicht, dass wir mit ihnen so umgehen sollten, wie wir es mitunter miteinander tun.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Zu Mehrheitsauffassungen werde ich Ihnen vielleicht auch noch etwas sagen können. Nachdrücklich bitte ich oder bitten uns im Namen der das Volksbegehren unterstützenden Bürgerinnen und Bürger die Vertrauenspersonen der Initiative "Mehr Demokratie e.V." jenseits von juristischen Bedenken und Auseinandersetzungen um eine intensive und an dem politischen Willen der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Volksbegehren orientierte Beratung. Für unsere Fraktion kann ich hier öffentlich feststellen: Wir sind dazu bereit, ja mehr noch, wir wollen mit konkreten Vorschlägen für einen entsprechenden Umgang mit diesem Gesetzesantrag sorgen. Diesem Ziel dient unter anderem der gemeinsame Antrag der PDS- und SPD-Fraktion zur Bildung eines zeitweiligen Verfassungsausschusses, zu dem mein Kollege Roland Hahnemann bereits gesprochen hat. Die Reaktion der Initiative auf diesen Antrag sollte das hohe Haus ermutigen, diesem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der PDS)

Zur Art und Weise des Umgangs mit dem Gesetzentwurf, der meines Erachtens dasselbe Gewicht wie eine von der Landesregierung oder einem Teil des Landtags ausgehende Gesetzesinitiative hat, hätte sich nach unse

rem Verständnis ein Rederecht der Vertrauensperson im Thüringer Landtag gehört.

(Beifall bei der PDS)

Die Präsidentin wies eingangs des Tagesordnungspunkts darauf hin, dass ein entsprechender Vorstoß im Ältestenrat nicht mehrheitsfähig war. Deshalb bleibt festzustellen: 363.123 Thüringerinnen und Thüringer unterstützen das Volksbegehren für "Mehr Demokratie in Thüringen" anerkanntermaßen. Sie haben damit eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht, dass die Bürgerinnen und Bürger zukünftig nicht nur bei konkreten Sachfragen mitreden und mit entscheiden wollen, sondern ebenfalls die Bedingungen dafür verbessern wollen. Dies ist umso wichtiger, weil eine Demokratie letztendlich nur durch ein ständiges und intensives Engagement der Bürgerinnen und Bürger lebendig bleibt und ihre Aufgaben erfüllen kann. Wenn ich den Ausführungen von Herrn Köckert hier folge, dann lebt die Demokratie in Thüringen wahrscheinlich nur von diesem Parlament aus und nicht, wie das Parlament im Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes steht.

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Das müssen ausgerechnet Sie sagen.)

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Sie haben nicht richtig zugehört!)

Ich komme auf Sie zurück, Herr Köckert. Die PDS hat das Volksbegehren aktiv unterstützt. Wir werden auch weiterhin das Volksbegehren vorbehaltlos unterstützen

(Beifall bei der PDS)

und wollen mit dafür sorgen und mit allen Kräften dafür einstehen, für den Erfolg des Anliegens dieses Gesetzentwurfs zu kämpfen. Die Kritiker des Volksbegehrens führen immer wieder bestimmte rechtliche oder politische Argumente ins Feld, von denen sie behaupten, dass sie gegen die Zulässigkeit des Volksbegehrens und Volksentscheides sprechen würden. Volksbegehren werden sogar von manchen in einer Art Horrorszenario als Weg in den Untergang unseres repräsentativ demokratisch-parlamentarischen Systems gezeichnet - jetzt habe ich Sie in diesem Zusammenhang nicht persönlich genannt, Herr Köckert. Wer aber Menschen ermutigen möchte, sich für die Gesellschaft verantwortlich zu fühlen, meine Damen und Herren, darf sie nicht durch zu hohe Hürden, die zudem auch unverhältnismäßige und bürokratische Anstrengungen verlangen, abschrecken.

(Beifall bei der PDS)

Wer dieses große Potenzial an guten Ideen, an Vorschlägen und auch an kritischer Begleitung von Politik für die Gesellschaft fruchtbar machen möchte, der sollte die Bürgerinnen und Bürger zur Beteiligung einladen. Diese Ein

ladung ist aber nur ehrlich mit Hürden, die überwindbar sind. Sonst wird den Bürgerinnen und Bürgern die Tür zu mehr Beteiligung vor der Nase wieder zugeschlagen. Zu hohe Hürden für die Bürgerbeteiligung tragen nicht zur Erhöhung und Vertiefung des Vertrauens in die Demokratie bei.

(Beifall bei der PDS, SPD)

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Bei Ihnen nicht, Herr Fiedler.)

Im Kern geht es im Gesetzentwurf darum, Bürgerinnen und Bürgern bessere Möglichkeiten zu verschaffen, an der Gestaltung ihres Landes aktiv teilzunehmen. Der Gesetzentwurf, mit dem die Verfassung geändert und die Hürden gesenkt werden sollen, greift weder das Parlament noch die Regierung an.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Er will auch nicht dem Parlament sein Königsrecht, die Verabschiedung des Landeshaushalts, streitig machen. Das Volksbegehren will lediglich klarstellen, unter welchen Bedingungen finanzwirksame Volksbegehren möglich sein sollen, um eine größere Rechtsklarheit zu verschaffen,

(Beifall bei der PDS, SPD)

damit eben nicht, Herr Köckert, jedes Volksbegehren, das in seinen Folgen Kosten verursacht, scheitern oder erst vor dem Verfassungsgericht geklärt werden muss.

Apropos Verfassungsgericht: Die Bedenken der Landesregierung gegenüber der Zulässigkeit des Volksbegehrens führten dazu, dass die Landesregierung beschlossen hat, und dann hat sie es ja auch verkündet, entsprechend der Rechtslage den Verfassungsgerichtshof anzurufen. Die parlamentarische Debatte des Gesetzentwurfs wird also durch die verfassungsgerichtliche Behandlung im Großteil sicherlich begleitet werden. Das ist nicht kritikwürdig, das ist die Rechtslage. Kritikwürdig ist unseres Erachtens nach die Art und Weise des Zustandekommens dieser Klageerhebung. Namens der 363.000 Bürgerinnen und Bürger hat sich die Initiative "Mehr Demokratie" dieser Klageerhebung zu erwehren und eine Waffengleichheit ist nicht zu verzeichnen.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Ganz im Gegenteil, die Initiative hat begonnen Spenden zu sammeln, damit sie ein Bürgeranliegen vor dem Verfassungsgericht verteidigen kann, dem mit Steuergeldern großzügig entgegengetreten wird.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Die Bürgerinnen und Bürger des Landes mussten bisher die Erfahrung machen, dass Anliegen, die für die Regie

rungsmehrheit unliebsam sind, mit zahlreichen Verfahrenstricks behindert werden. Das muss sich ändern. Die verfassungsmäßig verbrieften Elemente der Bürgerbeteiligung dürfen nicht durch Willkür der jeweils Regierenden behindert werden.

(Zwischenrufe aus der CDU-Fraktion)

Warten Sie es doch ab, Frau Arenhövel.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Das sind doch keine Behauptungen, die von mir explizit für Thüringen aufgestellt werden, sondern in diesem Kontext äußerte sich die CDU in Sachsen-Anhalt anlässlich des Scheiterns des ersten Volksbegehrens in der Geschichte Sachsen-Anhalts.

(Beifall bei der PDS)

Diese Aussagen machen aber auch Gefahren deutlich, mit denen die repräsentative Demokratie der Vereinfachung direkter demokratischer Formen entgegenwirken kann. Denn ich hoffe, der CDU gelingt es, diese Fragen unabhängig davon zu bewerten, ob Sie in Regierungsverantwortung oder in Opposition ist.

(Beifall bei der PDS, SPD)