Protocol of the Session on April 6, 2001

(Beifall bei der PDS, SPD)

Die Bürgerinnen und Bürger wollen politische Entscheidungen direkt beeinflussen können - ein Verfassungsrecht auch in Thüringen. Sie wollen nicht mehr nur alle vier oder fünf Jahre an die Urnen gerufen werden, um ihre Repräsentanten zu wählen. Sie wollen nicht zu bloßen Zuschauern am parlamentarischen Zaun degradiert werden.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Das lesen wir in den 363.000 anerkannten Unterschriften für das Volksbegehren. Wer hätte angesichts der rückläufigen Wahlbeteiligung in Thüringen, insbesondere auf Landes- und Kommunalebene, an ein solch klares Votum im Rahmen des Volksbegehrens gedacht? Auch unter diesem Aspekt erhöht sich meines Erachtens das Gewicht der 363.000 Unterschriften.

(Beifall bei der PDS)

Während der Diskussion und Sammelphase des Volksbegehrens wurde in vielen sehr gut besuchten Veranstaltungen sehr engagiert und auch kontrovers diskutiert. Viele Bürgerinnen und Bürger, die dem Volksbegehren kritisch gegenüberstanden, nahmen nicht nur an der Diskussion teil, sondern artikulierten ihre kritischen Bedenken in vielfacher Hinsicht. Es wurde deutlich, dass sich sehr wohl viele Thüringerinnen und Thüringer Bürger sehr eingehend mit dem von mehr Demokratie zur Diskussion und Abstimmung gestellten Gesetzentwurf auseinander gesetzt haben. Erwähnenswert ist, dass darunter auch sehr viele Frauen

sind. Grundhaft ehrlich wäre auch festzustellen, dass sich Wählerinnen und Wähler, ja sogar CDU-Mitglieder daran beteiligt haben.

(Beifall bei der PDS)

Es ist nicht übertrieben, wenn man feststellt, 500.000, wenn nicht sogar sehr viel mehr, Bürgerinnen und Bürger wurden durch die Initiative für mehr Demokratie gesprächsweise erreicht und in den politische Meinungsbildungsprozess einbezogen. Gibt es eine lebendigere Form von Demokratie, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der PDS)

Wirkliche Demokratie heißt ja gerade nicht, die Stimmberechtigten nur alle vier oder auch fünf Jahre aus der Zuschauerloge zu holen und sie dann wieder zu mehr oder weniger politischer Einflusslosigkeit zu verdammen. Demokratie ist ein ständiger, lebendiger Diskussions- und Beeinflussungsprozess zwischen Regierten und Regierenden. Wenn Demokratie heißt, dass alle Macht vom Volk ausgeht, wie es ja im Grundgesetz und der Landesverfassung steht,

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Sie müs- sen weiterlesen.)

dann ist das Volk selbst gegenüber dem Parlament für politische Beschlüsse und Gesetzgebung zumindest eine gleichrangige Entscheidungsinstanz.

(Beifall bei der PDS)

Wenn das Volk der eigentliche Ursprung und Träger der Staatsgewalt ist, hat auch das Volk darüber das Entscheidungsrecht, inwieweit es zulassen will, dass das Parlament als sein Repräsentationsorgan die Staatsgewalt für das Volk ausüben darf.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Lesen Sie wirklich einmal Artikel 26 Grundgesetz; da steht drin, wie das aussieht.)

(Zwischenruf Dr. Birkmann, Justizminister: Das sagt jedoch etwas anderes.)

Die Thüringer Verfassung wurde durch einen Volksentscheid legitimiert und in Kraft gesetzt. Wenn sich das Volk in der Verfassung die Möglichkeit einräumt, auch selbst politisch und gesetzgeberisch tätig zu werden und zu entscheiden, liegt es auch in seiner Macht, die dazu notwendigen Verfahrensbedingungen verfassungsrechtlich zu ändern.

(Beifall bei der PDS)

Eine Verbesserung der Korrelation und die bessere Austarierung des Gleichgewichts zwischen direkter und re

präsentativer Demokratie zugunsten der direkten Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger kann daher keine Verletzung des Demokratieprinzips darstellen.

(Beifall bei der PDS)

Ein wichtiger Grundsatz der Demokratie ist, dass politische Entscheidungen und dabei gerade die Entscheidung über Gesetze die ausreichende Unterstützung und Zustimmung der Bürger auf direktem oder indirektem Weg brauchen. In Thüringen wird nun behauptet, wir haben es ja gerade vom Innenminister gehört, ein Unterstützungsquorum von 5 Prozent der Stimmberechtigten verletze das Demokratieprinzip wesentlich. Das Erreichen des Unterstützungsquorums führt ja zuerst einmal nur dazu, dass das Parlament sich mit einem Anliegen aus der Mitte der Stimmbürgerschaft in einer Diskussion in den parlamentarischen Gremien auseinander setzen muss. Es geht hier noch nicht um die gesetzliche Entscheidung, sondern um die parlamentarische Debatte. Im Übrigen kann es eine Verletzung des Demokratieprinzips sein, frage ich, wenn nach einem sich über Wochen hinziehenden Diskussionsprozess in der Bevölkerung 5 Prozent der Stimmbürger es erreichen können, dass das Parlament sich mit dem Anliegen befassen muss? Eine weitere wichtige Überlegung in diesem Zusammenhang ist der Vergleich mit der repräsentativ-demokratischen Struktur und den Vorgaben. Unter diesem Blickwinkel fällt die Schieflage der Diskussion in Thüringen und das angeblich zu niedrige Unterstützungsquorum von 5 Prozent ins Auge. Denn die 5-ProzentHürde des Unterstützungsquorums korrespondiert doch mit der 5-Prozent-Hürde bei Wahlen, die darüber entscheidet, ob eine Partei überhaupt ins Parlament einzieht oder nicht. Sitzt eine Partei dann im Parlament, dann bilden ihre Abgeordneten erfahrungsgemäß eine Fraktion. Nach den Geschäftsordnungen der meisten Parlamente - so auch im Thüringer Landtag - haben Fraktionen weitestgehende Antragsrechte. Die Fraktion kann also z.B. ohne Weiteres Gesetzentwürfe zur Diskussion stellen. Sie tut dann eben das, von dem nun behauptet wird, es sei unzulässig, wenn es von den Stimmbürgern selbst und direkt kommt.

(Beifall bei der PDS)

Dabei stimmt der Vergleich nicht einmal genau, denn die 5 Prozent, die der Partei zum Einzug ins Parlament genügen, sind 5 Prozent der abgegebenen Stimmen. Das wissen Sie genauso gut wie ich und nicht 5 Prozent der Stimmberechtigten. Das sind bei einer Wahlbeteiligung von z.B. 70 Prozent erheblich weniger als 5 Prozent der Stimmberechtigten. Warum wird hier so selbstverständlich davon ausgegangen, dass eine politische Initiative nur deshalb größere demokratische Legitimation hat, weil sie von der Parlamentsfraktion einer Partei getragen ist, obwohl dahinter in Wirklichkeit die Unterstützung von weniger Stimmbürgern stehen kann, als wenn das gleiche Anliegen durch die Erfüllung des 5-prozentigen Volksbegehrensquorums ins Parlament kommt? Eine solche verquere Ansicht über demokratische Legitimation kann nur ent

stehen, wenn es schon nicht mehr um das Verhältnis von direkter zu repräsentativer Demokratie geht, sondern um ganz etwas anderes, nämlich um das Verhältnis der direkten Demokratie zur Parteiendemokratie. Es gibt offensichtlich Parteienvertreter, die - wenn sie so verquer argumentieren - eines vergessen haben: In Artikel 21 des Grundgesetzes, Herr Althaus, heißt es: Die Parteien wirken mit an der politischen Willensbildung des Volkes. Das Grundgesetz verpflichtet also die Parteien zur Mitwirkung und schreibt ihnen nicht das Monopol auf politische Willensbildung zu.

(Beifall bei der PDS; Abg. Bechthum, SPD)

Es kann und muss also auch weitere Formen der politischen Willensbildung geben. Ähnlich sieht es auch bei der Frage nach dem Zustimmungsquorum aus, dessen Erreichen Voraussetzung für die Umsetzung des Begehrens bzw. das In-Kraft-Treten des Gesetzes ist. Auch hier werden von den Gegnern des Volksbegehrens für den Weg der Volksgesetzgebung viel höhere Hürden verlangt als beim parlamentarischen Weg zu nehmen sind. Denn schauen wir uns doch einmal die Realität im Thüringer Landtag an. Einfache Gesetze dieses hohen Hauses werden mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen verabschiedet, ihre Anzahl repräsentiert aber bei Weitem nicht die Mehrheit der Stimmberechtigten in Thüringen.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Sie haben doch alle Bürger zu vertreten.)

Herr Althaus, dann vertreten Sie doch auch 363.000 Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Ja, sicher. Deswegen schützen wir auch die Verfassung.)

Darauf werden wir hier noch warten. Bei der Landtagswahl 1999 lag die Wahlbeteiligung bei 59,9 Prozent.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Das hat doch damit nichts zu tun.)

Von diesen 59,9 Prozent der Stimmberechtigten haben wiederum 51 Prozent die CDU gewählt und sie damit zur Mehrheitsfraktion im Thüringer Parlament gemacht.

(Beifall bei der CDU)

Das heißt aber, da Sie ja auch der hohen Rechenkunst kundig sind, wenn Gesetze in dem hohen Haus mit der einfachen Mehrheit, also sagen wir mit...

(Unruhe im Hause)

Ich bitte doch, den Redner in Ruhe fortsetzen zu lassen. Herr Ramelow, ich bitte auch Sie, den Redner fortsetzen zu lassen. Bitte. Herr Ramelow! Ich bitte sich zu beruhigen, damit Herr Buse in seiner Rede fortsetzen kann.

... der einfachen Mehrheit dieses hohen Hauses, ich unterstelle einmal, 45 CDU-Abgeordnete sind anwesend, also mit der denkbar knappsten Mehrheit, dann entsprechen diese 45 Stimmen in Wirklichkeit ca. 25 Prozent der Stimmberechtigten.

(Beifall bei der PDS; Abg. Bechthum, SPD)

Sollte die Beteiligung bei Wahlen noch weiter zurückgehen, was zu beklagen wäre, würde sich das bestehende Missverhältnis noch vertiefen.

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Eine Min- derheit bestimmt dann.)

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD:... sonst geht das heute doch vor den Baum.)

So weit zu Mehrheitsentscheidungen der repräsentativen Demokratie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der PDS; Abg. Bechthum, SPD)

Es ist festzustellen, die Anforderungen für Gesetzesentscheidungen im Parlament und deren Legitimationsgrundlage auf der einen Seite und die Voraussetzungen der Gesetzgebung durch die Stimmbürger auf der anderen Seite sind sehr unterschiedlich und, wie wir glauben, zu Ungunsten der direkten Beteiligung augestaltet,

(Beifall bei der PDS)

und das, obwohl beide Formen der Demokratie gleichberechtigt nebeneinander stehen. Der Gesetzentwurf von "Mehr Demokratie in Thüringen" tut also genau genommen nichts anderes, als diese Gleichberechtigung beider Formen der Demokratie besser und ausgewogener verwirklichen zu helfen, als dies in den zurzeit geltenden Regelungen zum Ausdruck kommt.

(Beifall bei der PDS)

Verehrte Damen und Herren, die Kritiker direkter Demokratie behaupten immer, der Diskussions- und Entscheidungsprozess im Parlament sei gemeinwohlorientierter als bei der direkten Demokratie. Das ist eine idealistische Fiktion. Ein Blick auf die parlamentarische Wirklichkeit gerade in Thüringen zeigt aber etwas anderes: In der politischen Praxis, nicht nur der derzeitigen Wahlperiode, findet ein wirklicher demokratischer Entscheidungs