Das Szenario, was sich mir und vielen Bürgerinnen und Bürgern aber bietet, erweckt eher den Eindruck, der Landesregierung geht es um die Abwehr eines Anliegens der Bürgerinnen und Bürger. Und jetzt, wo sich die parlamentarische Behandlung nicht mehr verhindern ließ, scheint es auch darum zu gehen, politisches Kapital aus dem Volksbegehren noch zu ziehen, und so verstehe ich auch die Auftaktrede von Herrn Köckert.
Ich fordere Sie deshalb auf, sich nicht hinter einer Klage zu verschanzen, sondern durch Gespräche mit den Bürgerinnen und Bürgern um eine Lösung zu ringen. Das Parlament in der Mitte der Bürgerschaft ist der beste Platz, für den es sich lohnt nun über den eigenen Schatten zu springen. Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Initiative "Mehr Demokratie", heute hier im Thüringer Landtag den Willen von nahezu 400.000 Thüringer Bürgerinnen und Bürger darzustellen und zu vertreten, ist natürlich auch für unsere Fraktion und ist natürlich auch für mich eine schwierige und herausfordernde Aufgabe. Erstmals wird heute die direkte Stimme des Thüringer Volkes in diesem Haus vernehmbar sein und all diejenigen, die an die Verabschiedung der Thüringer Landesverfassung durch Volksentscheid gern und als Triumpf der Demokratie erinnern, sollten sich vergegenwärtigen, dass es das gleiche Volk ist, das sich heute laut vernehmlich zu Wort meldet.
Einmal wird die Willensäußerung des Volkes gefeiert, beim nächsten Mal hält man sich, da anderer Meinung, die Ohren zu, so die CDU in Thüringen.
Die Tatsache, dass der Gesetzentwurf heute nicht durch die Initiatoren selbst eingebracht werden konnte, ist für mich ein Unding. Gemäß Artikel 81 der Landesverfas
sung steht eine Gesetzesinitiative natürlich dem Volk zu. Da sollte keine Geschäftsordnung des Landtags davor stehen, dass sich das Volk dann auch durch seine Vertreter artikuliert.
Letztlich hätte man durch das Ansetzen einer Sondersitzung auch konform mit der Geschäftsordnung den Einreichern Rederecht gewähren können. Diese Konstruktion Sondersitzung sollten wir für die weitere parlamentarische Beratung zu diesem Thema im Auge behalten.
Meine Damen und Herren, ich habe selbst, wie wohl alle Mitglieder unserer Fraktion, zur Stimmabgabe aufgerufen und natürlich auch Stimmen mitgesammelt. Dabei führt man natürlich Gespräche mit denen, die Unterstützungsunterschriften leisten, beantwortet auch manche Frage zum Volksbegehren und zum Volksentscheid. Ich gebe zu, für einige der Gesprächspartner bestanden Unklarheiten über das Spannungsfeld zwischen parlamentarischer und direkter Demokratie. Anderen waren die Wirkungen der Quoren, hier Beteilungsquoren, da Zustimmungsquoren, nicht sofort nachvollziehbar. Wieder anderen ging die Forderung eigentlich gar nicht weit genug, denen mussten notwendige Grenzen in Bezug auf Volksbegehren und Volksentscheid erläutert werden. Aber niemand, mit dem ich sprach, sah im Ziel des Volksbegehrens den Versuch, unsere Demokratie zu gefährden oder die Rechte des Parlaments einzuschränken.
Und, Herr Althaus, wenn Sie das Anliegen des Volksbegehrens immer so interpretiert haben, dann haben Sie entweder mit keinem Unterzeichner gesprochen - dann habe ich aber von Herrn Buse gehört, Sie hätten im Eichsfeld mit diesem oder jenem vielleicht doch mal gesprochen -, aber wenn Sie dann doch gesprochen haben, dann haben Sie zumindest das Anliegen der Initiative nicht verstanden.
Meine Damen und Herren, ich glaube eher, den meisten der Unterzeichner war noch in Erinnerung, dass es 1989 schlicht und einfach das Volk war, das durch Demonstrationen überall im Land mit dieser Abstimmung mit den Füßen den ersten realen Volksentscheid durchführte.
Dieser reale Volksentscheid ohne Formulare und ohne Streit um Quoren stellte die Weichen für die Abschaffung des SED-Regimes, für die Demokratisierung in der DDR
und letztlich auch für die Einheit Deutschlands. Die Volkskammer der DDR - im März 1990 erstmals frei gewählt vollzog dann den Willen des Volkes auf der Ebene der parlamentarischen Demokratie. Und wer, so wie es mir durch glückliche Umstände erlaubt war, sowohl bei den Leipziger Montagsdemonstrationen als auch in der Volkskammer an diesem Weg zur Demokratie beteiligt war, dem ist wie im Zeitraffer klar geworden, dass der Souverän Volk und das Parlament nur im Wechselspiel eine solch gewaltige Aufgabe meistern konnten.
Aber nun zurück zu unserem aktuellen Volksbegehren. Den Initiatoren und den Unterzeichnern war klar, dass in diesem Volksbegehren der entscheidende Schlüssel liegt, ob der Souverän auf ein alle fünf Jahre durchzuführendes Wahlritual zurückgestutzt wird oder ob eine aktive Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an politischen Entscheidungen in Thüringen auch darüber hinaus möglich wird. Die sinkenden Zahlen bei der Wahlbeteiligung - ich will da nicht dramatisieren, wir sollten uns alle bemühen, dass dieser Trend nicht weitergeht -, aus denen auch übrigens wir eine geringere Legitimation zur parlamentarischen Entscheidung erhalten, sowie Politikverdrossenheit und Politikmüdigkeit sollten uns veranlassen, teilhabewillige Bürger nicht jeweils fünf Jahre einrosten zu lassen, sondern ihnen auch in heutiger Zeit wie gerade 1989 und 1990 Chancen für ein Zusammenspiel mit dem Parlament zu eröffnen.
"Demokratie wagen, mehr Demokratie wagen", ist das Zitat eines Politikers, der für mich und meine sozialdemokratischen Fraktionskollegen Vorbildwirkung hat. "Direkte Demokratie wagen", mit dieser Aufforderung wenden wir uns heute an Sie, um diesen Weg fortzusetzen.
Direkte Demokratie aber ist ja nicht erst seit 1989, sondern bereits seit 1.000 Jahren, wenn ich an die erste Volksversammlung zur Gesetzgebung am Platz Thingrellir in Island denke, die natürliche Urform der Demokratie. Die repräsentative Form der Demokratie hat sich aus dieser Urform, Praktikabilitätsgründen folgend, herausgebildet, so zum Beispiel aus Reaktion auf größere Staatsgebilde, wachsende Regelungsdichte, Bevölkerungswachstum und Verschiedenem mehr. Aber heißt denn das, dass Plebiszite eine ungeeignete Form wären zur Herausbildung des Volkswillens, des Willens, von dem alle Staatsgewalt auszugehen hat? Und bekommt das Parlament nicht überhaupt seine Legitimation erst durch einen Geburtsakt des Souveräns Volk durch Wahlen alle fünf Jahre? Und was passiert, wenn das Souverän einfach nicht mehr das Parlament gebiert, um sich nicht wieder für fünf Jahre matt setzen zu lassen? Um es nicht zu solchen provokativen Fragestellungen kommen zu lassen, sollten wir gemein
sam alles tun, um die in der Thüringer Verfassung embryonal angelegten Elemente Volksbegehren und Volksentscheid wirklich anwendbar zu machen.
Sie wissen genau, wie dieser Kompromiss zustande gekommen ist, dass das ein Paket war, das geschnürt werden musste, und dass wir die geringen Quoren gefordert hatten und dort an dieser Stelle einen Kompromiss machen mussten, damit wir eine Zweidrittelmehrheit für die Verfassung gemeinsam zustande gebracht haben.
Wir haben uns nämlich bemüht, um diese Zweidrittelmehrheit mit zu schaffen, und wir haben an dieser Stelle Kompromisse machen müssen. Lesen Sie doch die Protokolle des Verfassungsausschusses nach und fragen Sie, was einfacher ist, mal Herrn Lippmann, dann werden Sie es begreifen.
Es hat jeder die Möglichkeit, sich zu melden, der etwas beizutragen hat. Ich bitte jetzt im Plenum um Ruhe, damit der Abgeordnete Schemmel fortsetzen kann.
Ich hatte uns also, um den Faden wieder aufzunehmen, aufgefordert, gemeinsam alles zu tun, um die lediglich embryonal angelegten Elemente Volksbegehren und Volksentscheid wirklich anwendbar zu machen. Wenn ich in den letzten Tagen alles richtig verstanden habe, ist es durchaus zulässig, Quoren für Volksbegehren und Volksentscheid deutlich zu senken. Hier kann uns nur das Thüringer Verfassungsgericht Schranken setzen, nicht die von der CDU-Regierung eingeholten Gutachten. Diese Gutachten, meine Damen und Herren von der Regierung, sollten, gerade auch weil sie mit dem Geld des Steuerzahlers finanziert sind, umgehend den Landtagsfraktionen und auch der Bürgerinitiative zur Verfügung gestellt werden,
da wir sie hier bei unserer Argumentation natürlich auch bewerten und ggf. auch berücksichtigen wollen. Im Übrigen, da wir gerade über die CDU-Regierung, über die
CDU im Zusammenhang mit dem Gutachten reden und damit über die regierungstragende Fraktion: Ich habe es satt, die gebetsmühlenartig vorgetragenen Althaus-Meinungen über Demokratiegefährdung und -schwächung des Landtags zu hören. Sie, Herr Althaus - der sich leider an dieser Debatte nicht mehr beteiligen will oder vielleicht lernt, wie er eine Entgegnung schreibt,
vielleicht spricht man sich gerade über eine mögliche Entgegnung ab - und Ihre in behäbiger Breite agierende Fraktion sind da nicht besonders glaubhaft.
Die entsprechenden Sündenfälle Ihrer Fraktion sind keine Kavaliersdelikte, sondern Ihnen werfe ich mangelndes Demokratieverständnis und damit eine Infragestellung auch der parlamentarischen Demokratie vor und ich nenne Beweise.
Ich denke nur an die von Ihnen erzwungene Änderung des Systems zur Ausschussbesetzung bereits in der konstituierenden Sitzung des Landtags, um Ihre absolute Mehrheit noch überzogener darzustellen.