Protocol of the Session on October 13, 2000

Zweiter Punkt: Herr Dr. Schuchardt, ich freue mich auch über Ihr Lob zum Wahlkampf. Ich wollte keinen Wahlkampf machen, aber wenn es schon strafbar ist, in diesem Hause zu sagen, dass Thüringen top ist, das wäre schlimm.

(Zwischenruf Abg. Dr. Schuchardt, SPD: Sie wissen schon genau, was gemeint ist. Tun Sie nicht so.)

Nun liegen keine weiteren Redemeldungen mehr vor und ich kann feststellen, dass das Berichtsersuchen erfüllt ist, falls es keinen Widerspruch gibt. Es gibt keinen Widerspruch und damit ist das Berichtsersuchen erfüllt und der Tagesordnungspunkt 8 kann geschlossen werden.

Ich komme zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 9

Charta der Grundrechte der Europäischen Union Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 3/559 dazu: Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 3/1015

Berichterstatter aus dem Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten ist der Abgeordnete Schröter. Herr Abgeordneter Schröter bitte zur Berichterstattung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, mit der Charta der Grundrechte hat es im Antrag der Fraktion der CDU in der Drucksache 3/559 den Anfang genommen. Wir haben in einer sehr langen und auch einer ausgiebigen Debatte gemäß den Daten, die Sie in der Drucksache 3/1015 vorfinden, über die Problematik im Ausschuss gesprochen. Der Ausschuss sah sich in der Lage, das Parlament noch einmal mit der Problematik zu befassen, denn wir sind der Meinung gewesen, dass es eine große Entscheidung ist mit der Charta, die vor uns steht, und aus diesem Grund wird die Landesregierung noch einmal gebeten zu berichten. Zum Zweiten begrüßt der Landtag, wenn Sie der Beschlussempfehlung folgen wollen, dass fortlaufend über dieses Thema "Konvent" und "Charta" berichtet worden ist und insbesondere der Gedanke des Subsidiaritätsprinzips eingebaut werden konnte. Außerdem, so meint der Ausschuss, solle der Landtag in seine Überlegungen einbeziehen, dass das Modell eines Konvents geeignet ist, europäische Reformprojekte transparent und bürgernah durchzusetzen. Wir bitten um Zustimmung zu unserer Beschlussempfehlung.

(Beifall bei der CDU)

Zu dem von dem Berichterstatter Schröter angesprochenen Punkt 1 des Antrags - der beantragte Sofortbericht ist angekündigt worden, dass dieser sofort gegeben wird. Herr Minister Gnauck, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Charta-Entwurf steht. Nach 18 Sitzungen des Konvents in Brüssel liegt nun der endgültige Entwurf vor. Roman Herzog hat ihn dem Europäischen Rat, der ab heute - wir hörten es bereits - in Biarritz tagt, übergeben. Es ist ein Entwurf, den man alles in allem als "glücklichen Kompromiss", oder wie der Kollege Friedrich aus dem Europäischen Parlament als "respektables Ergebnis" bezeichnen kann. Insbesondere - und das ist mir persönlich wichtig - stehen die wirtschaftlichen und die aus der Menschenwürde abgeleiteten sozialen Rechte in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander.

Wir hörten es, gestern war eine breite Debatte im Deutschen Bundestag zum Thema "Charta" und bei dieser Gelegenheit hatte ich die Ehre, auch noch einmal im Deutschen Bundestag sprechen zu dürfen. Richtig ist, dass es traurig ist, wenn man derartige Debatten entweder zum ersten Mal als letzten Punkt vor einer Sommerpause, die sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestags wohl verdient hatten, führen muss, und traurig ist auch, wenn man nicht eine breite öffentliche Aufmerksamkeit bekommt. Ich habe es aber gestern im Deutschen Bundestag ausdrücklich als wohltuend empfunden, dass alle, ausnahmslos alle Fraktionen des Deutschen Bundestags diese Charta der Grundrechte begrüßt haben.

Erfreulicherweise sind in diesem Charta-Entwurf auch wesentliche Forderungen der deutschen Länder eingeflossen. Von den Anliegen, die ich als Vertreter des Bundesrats in den letzten Wochen vorgetragen habe, sind cum grano salis etwa zwei Drittel in den endgültigen Charta-Entwurf eingeflossen und ich denke, das darf man ohne Übertreibung als Erfolg bewerten.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte heute und hier nur einige Beispiele kurz herausgreifen. Wir hörten es eben bereits, im Mittelpunkt der Ländersorgen stand die Gefahr, dass die Charta zu einer Kompetenzausweitung der europäischen Ebene führen könnte. Dieser Gefahr begegnen nun mehrere Schutzklauseln, die sich keineswegs als bloße Feigenblätter bezeichnen lassen. Das Subsidiaritätsprinzip ist sogar zweimal in der Charta ausdrücklich verankert. Wichtiger noch: eine Querschnittsklausel stellt klar, dass die Charta weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union und für die Gemeinschaft begründet und dass die Charta auch nicht die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Auf

gaben ändert. Es finden sich schließlich in mehreren Artikeln ausdrücklich Verweise auf einzelstaatliche Rechtsvorschriften - ein weiterer Schutz.

Es ist, und auch das sage ich mit großer Freude, erfreulich, dass die Charta jetzt mit den Worten unseres Grundgesetzes beginnt "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

(Beifall bei der CDU)

und in Übereinstimmung mit dem aktuellen Menschenrechtsdiskurs fortfährt "sie ist zu achten und zu schützen". Eng mit dieser Menschenwürde hängt das Verbot des Menschenhandels in Artikel 5 Abs. 3 zusammen, das auf meine Anregung hin in den Entwurf der Charta aufgenommen wurde, eine Vorschrift, die im Moment leider aktueller denn je ist.

In den letzten Wochen kamen auch auf unser Petitum hin noch das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen, die Kunstfreiheit und die Freiheit der Wissenschaft in den Entwurf. Der Umweltschutz ist im Sinne der Umweltministerkonferenz auf hohem Niveau verankert. Zahlreiche frauenpolitische Belange, Frau Dr. Bauer, auch dafür bin ich immer wieder eingetreten, finden sich in der Charta ebenfalls wieder.

(Beifall bei der CDU)

Bei alledem handelt es sich um wesentliche Elemente unserer europäischen Identität. Und um deutlich zu machen, wie wir quasi bis auf die letzten Minuten um Formulierungen gerungen haben: Noch in der abschließenden Beratung des Konvents Ende September, quasi über Nacht von Montag auf Dienstag, ist es gelungen, eines unserer wichtigsten Anliegen durchzusetzen. In Artikel 11 Abs. 2 zur Medienfreiheit heißt es nicht mehr "Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden gewährleistet", sondern es heißt nun "Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet". Damit wird der möglichen Fehlinterpretation vorgebeugt, die Gewährleistung der Medienfreiheit sei Sache der Organe der Europäischen Union. Zugleich bleibt das hohe Schutzniveau der Medienfreiheit in Deutschland unangetastet.

Und weiter ist buchstäblich in letzter Minute eine neue, nach meiner Auffassung begrüßenswerte Bestimmung in den Entwurf gelangt, die den Schutz der Senioren ausdrücklich verstärkt. In Artikel 25 heißt es nunmehr: "Die Union anerkennt und achtet das Recht älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben." Aber, und auch das muss man in einer solchen Stunde sagen, wo viel Licht ist, da ist auch Schatten. So ist die wichtige Unterscheidung zwischen individuell einklagbaren Rechten auf der einen und Zielbestimmungen oder Grundsätzen auf der anderen Seite leider nicht durchgängig erkennbar. Auch der im Vordergrund stehende Abwehrcharakter der sozialen Grundrechte dürfte nicht sofort für jeden Leser er

kennbar sein.

Des einen Freud, des anderen Leid. Der über Artikel 22 vorgesehene Minderheitenschutz fällt hinter den Erwartungen, insbesondere des brandenburgischen Justizministers Schelter, zurück. Allerdings ist die Kultusministerkonferenz umgekehrt erfreut über die offene Formulierung des Artikels 22, in der es heißt: "Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen." Besorgt bin ich, auch das hatte ich vorhin bereits anklingen lassen, über die meiner Meinung nach bewusst falsche Interpretation des Artikels 36 durch die EU-Kommission; es ist der Artikel zu den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Die Kommission versucht, aus dieser Bestimmung, die wohl nur auf französische Intervention hin aufgenommen worden ist, Honig zu saugen. Ich hatte Sie vorhin bereits informiert über die Kommissionsmitteilung vom 20. September 2000 und erstaunlich ist, die Kommission sieht hierin eine politische Rechtfertigung dafür, die Daseinsvorsorge selbst zu regeln. Derartigen Versuchen, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir entschieden entgegentreten. Aus diesem Grunde habe ich noch einmal die Bundesregierung und den Bundesaußenminister gebeten, die Position der Länder schon in Biarritz dazu deutlich zu machen, um klar zu machen, dass hieraus kein falscher Honig gesogen werden darf. Jeder von uns wird sich an der einen oder anderen Bestimmung stoßen; manche sind vielleicht enttäuscht darüber, dass Ihre Anliegen nicht berücksichtigt werden konnten; anderen wiederum geht die Charta zu weit. Aber denken wir daran, die Charta soll nicht nur den Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger verstärken, sondern unsere gemeinsamen Werte, unser europäisches Gesellschaftsmodell, widerspiegeln, und zwar in Abgrenzung zu anderen Gesellschaftsmodellen. Deshalb steht beispielsweise das Verbot der Todesstrafe in der Charta. Der Konvent hat sich bei seiner Arbeit richtigerweise davon leiten lassen, dass die Charta einmal unmittelbar geltendes Vertragsrecht werden kann. Roman Herzog hat es einmal mit dem Als-obPrinzip formuliert, was da heißt: Alle Fassungen der einzelnen Artikel sind so formuliert worden, als ob sie unmittelbar geltendes Recht wären, damit man juristisch genau weiß, worüber man spricht. Dies bedeutet vorwiegend, dass die unterschiedlichen politischen und verfassungsrechtlichen Strömungen in allen 15 EU-Mitgliedstaaten in einem Kompromiss zusammenfließen mussten. Ich bin davon überzeugt, dass dem Konvent diese schwierige Aufgabe gelungen ist; aber einen muss man besonders herausheben: Prof. Dr. Roman Herzog hat trotz aller persönlichen Schicksalsschläge eine wahre Meisterleistung vollbracht.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte dem ehemaligen Bundespräsidenten nochmals - und ich denke, da darf ich im Namen aller Länder, aber auch des Deutschen Bundestages sprechen - für seine Arbeit herzlich danken. Besonders erfreulich ist es, dass die Bürgerinnen und Bürger erstmals bei einem eu

ropäischen Reformprojekt unmittelbar teilhaben konnten. Ich erinnere daran, dass von Bundestag und Bundesrat gemeinsam im April eine Anhörung durchgeführt wurde, und dieser Anhörung folgte einige Wochen später eine Anhörung der Europäischen Zivilgesellschaft und der Vertreter der Beitrittskandidaten aus Mittel- und Osteuropa. Darüber hinaus erhielten die Konventsmitglieder, das kann ich Ihnen leidvoll bestätigen, zahlreiche Zuschriften und Stellungnahmen von Interessengruppen, von Betroffenenverbänden, von Einzelpersonen, und zwar sowohl per herkömmlicher Post, aber auch, das ist neu, per Internet. Gerade die quasi vollkommene, man kann sagen, virtuelle Transparenz ist ein völliges Novum. Alles in allem kann trotz des enormen Zeitdrucks - ich erinnere daran, das Projekt ist binnen neun Monaten fertig gestellt worden -, der auf dem Konvent lastete, überhaupt nicht die Rede davon sein, dass das Volk, dass die deutsche, die europäische Öffentlichkeit nicht beteiligt worden wäre. Selten wurde in den deutschen und europäischen Medien so sach- und fachkundig, so dicht und kontinuierlich über ein großes europäisches Reformprojekt berichtet.

Meine Damen und Herren, wir sollten stolz auf das Erreichte sein. In diesem Zusammenhang möchte ich der von mir eingesetzten Charta-Arbeitsgruppe der deutschen Länder, aber auch den Vertretern der Fachministerkonferenzen in dieser Arbeitsgruppe dafür danken, dass sie meine Arbeit als Vertreter des Bundesrats intensiv und auch auf hohem fachlichen Niveau begleitet haben. Besonders freut es mich, ich habe es bereits angesprochen, dass es gelungen ist, bis zuletzt einen parteiübergreifenden Konsens zu finden, und ich bin persönlich davon überzeugt, die deutsche Stimme wird in Brüssel nur mit Erfolg zu hören sein, wenn man eine Reihe von parteipolitischen Konflikten zu Hause lässt und sich auf eine gemeinsame Linie vorher in Deutschland verständigt.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin davon überzeugt, dass dies alles meine Stellung als Ländervertreter im Konvent und damit unsere wesentlichen Anliegen gestärkt hat. Herr Abgeordneter Bergemann, ich bedanke mich auch für das Lob; ich möchte das aber auch an das hohe Haus in Thüringen zurückgeben. Es ist deutschlandweit wohl einmalig, dass sich ein Landtag, nämlich der Thüringer Landtag, so intensiv mit dem Charta-Projekt beschäftigt hat. Mein besonderer Dank gilt dabei insbesondere dem Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten, der diese Arbeit parteiübergreifend positiv begleitet hat. Ich selbst war zu Beginn skeptisch, ob der Konvent innerhalb der gesetzten Zeit, die ja noch einmal auf neun Monate verkürzt worden ist, tatsächlich seinen Auftrag würde erfüllen können. Ich bin positiv überrascht worden. Ich kann sagen, dass sich auch aus meiner Sicht das Modell Konvent bewährt hat, und teile die Einschätzung des Bundesaußenministers, dass der Konvent die in ihn gesetzten Erwartungen sogar übertroffen hat. Dabei dürfte mit entscheidend gewesen sein, dass sich der Konvent aus einem Vertreter der Kommission, aus

Regierungsvertretern, aus Abgeordneten des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente, aus Politikern und aus Wissenschaftlern zusammensetzt. Meiner Auffassung nach handelt es sich dabei um ein brauchbares Projekt auch für die Vorbereitung künftiger europäischer Reformprojekte, insbesondere was die direkte Beteiligung der Vertreter nationaler Parlamente anbelangt.

Es ist nun Aufgabe - wir hörten es bereits - des Europäischen Rates von Nizza, zusammen mit dem Europäischen Parlament und der Kommission die Charta feierlich zu proklamieren, und danach wird man nach meinem Dafürhalten sehr schnell darüber zu entscheiden haben und dafür zu sorgen haben, dass die Charta auch in geltendes Recht überführt wird. Nichts wäre schlimmer als ein zahnloser Tiger; nichts wäre schlimmer, wenn der europäische Unionsbürger seine Rechte nicht als Abwehrrechte zeitnah auch einklagen könnte.

Zum Abschluss erlaube ich mir folgende Anmerkung: Die Charta beruft sich in ihrer Präambel auf die nationale Identität der Mitgliedstaaten und auf ihre Organisation, ihre staatliche Gewalt auf nationaler, auf regionaler und auf lokaler Ebene. Dies stellt einen wichtigen Hinweis für eine zukünftige europäische Kompetenzordnung dar. Es erscheint wesentlich, die Frage der Kompetenzabgrenzung und die Entscheidung über die Übernahme der Charta in das EUVertragswerk miteinander zu verknüpfen. Beide Elemente, Kompetenzkatalog und Grundrechtekatalog, könnten auch aus meiner Sicht den Kern eines künftigen europäischen Verfassungsvertrags darstellen. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Zu diesem Sofortbericht liegen mir Redemeldungen vor. Kann ich davon ausgehen, dass damit die Aussprache beantragt worden ist?

(Zuruf Abg. Dr. Pidde, SPD: Wir beantra- gen.)

Ja, die SPD-Fraktion beantragt die Aussprache. Ich rufe als ersten Redner in dieser Aussprache auf den Abgeordneten Dr. Hahnemann, PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, von mir nur ganz kurz einige Bemerkungen zum Antrag. Ich will die Kritiken und Bedenken zur Charta selbst hier heute nicht noch einmal wiederholen, weil sie sich natürlich auch relativiert haben. Ich bin auch sehr dankbar für den Bericht, denn mir war nicht vergönnt, an der letzten Ausschuss-Sitzung teilzunehmen. Da habe ich mich natürlich doppelt gewundert über den Antrag, der jetzt hier vorliegt, und zwar deswegen, weil ich glaube, dass wir uns an die Methode solcher akklamativen Anträge nicht weiter

gewöhnen sollten. Ich bin zwar sehr dafür, dass wir uns vieler Mittel bedienen, die europäische Idee auch hier ins Haus zu tragen und damit auch in die Öffentlichkeit, aber ich denke, dass wir langsam, aber sicher Gefahr laufen, dieses "wir begrüßen" und "wir danken" zu übertreiben.

Lassen Sie mich zu den drei Punkten eines sagen. Zum Punkt 1 habe ich mich schon geäußert. Es ist eine Tatsache, dass der zuständige Minister uns immer regelmäßig über die Arbeiten im Konvent informiert hat, und es ist auch im Landtag geschehen. Das ist für mich eigentlich auch nicht das Problem. Denn drittens, die Frage, ob das Modell eines Konvents geeignet ist, europäische Reformprojekte transparent und bürgernah zu erarbeiten, möchte ich jetzt in dieser Absolutheit, wie sie hier beantwortet wird, nicht beantworten. Natürlich ist es wesentlich mehr Transparenz; es hat neben den Anhörungen auch noch wissenschaftliche Konferenzen zu diesem Thema gegeben. Was meines Erachtens aber die Transparenz und die Möglichkeit, sogar über Internet mitzuwirken, nicht geleistet hat, ist, den notwendigen Diskussionsprozess zwischen Politik und Bevölkerung zu befördern, den wir nach meiner Auffassung brauchen. Ein Grund, warum ich diesen Antrag als "akklamativ" bezeichnet habe, ist folgender: Sie haben die Leistungen des Konvents, Herr Minister, und auch die von Roman Herzog gewürdigt - ganz zu Recht. Wir haben es erlebt, wie die Verhandlungen dort geleitet wurden und wie sie gelaufen sind. Sie haben jetzt auch bestätigt, dass die Arbeitsrichtung, das haben Sie auch im Ausschuss erklärt und bestätigt, bei der Erarbeitung der Charta so gewesen ist, dass sie ins Vertragswerk aufgenommen werden könnte. Es ist im Ausschuss erklärt worden, dass das die Voraussetzung dafür wäre. Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, vermisse ich den Punkt 4, wo Sie sich dafür aussprechen, dass die Charta ins europäische Vertragswerk aufgenommen wird. Wenn dieser Punkt auf diesem Antrag stünde, dann hätte ich ihn vermutlich nicht als "akklamativ" bezeichnet. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Als nächster Redner hat sich der Abgeordnete Dr. Schuchardt, SPD-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe eben mit dem Ausschussvorsitzenden, Herrn Schröter, abgesprochen, dass ich noch einen kleinen Nachtrag zum Bericht aus dem Ausschuss hier liefere. Der Nachtrag besteht darin: Es wurde festgehalten, dass das Thema "Charta" im Ausschuss nicht als beendet betrachtet wird, sondern dass wir dieses Thema auf der Tagesordnung des Ausschusses behalten, wenn entsprechende Gegenstände das dort erfordern.

An dieser Stelle kann ich anknüpfen an das Letzte, was Kollege Dr. Hahnemann eben gesagt hat. Wir haben ja von Minister Gnauck gehört, diese Charta ist ein Kompromiss. Da waren viele Interessen unter einen Hut zu bringen, da musste aus dem Wünschbaren das Mögliche herausgefiltert werden. Natürlich kann man das gesamte Ergebnis begrüßen. Aber es ist ja nicht so gut, als dass es nicht noch besser werden könnte und vielleicht auch besser werden sollte. Zu den wünschbaren Dingen gehört aus meiner Sicht und aus der Sicht der SPD-Fraktion dieses Thüringer Landtags, dass die Charta nicht nur als feierliche Proklamation, sondern als völkerrechtlich verbindlicher Vertrag verabschiedet wird. Das wäre ein solcher vierter Punkt in unserer Entschließung, der wünschenswert gewesen wäre.

Ein weiterer Wunsch wäre, die EU-Grundrechte verfassungsrechtlich so abzusichern, dass sie von den einzelnen Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern auch eingeklagt werden können. Es wäre wünschenswert, dass der zu verabschiedende Grundrechtekatalog wirtschaftliche und soziale Grundrechte enthält, insbesondere dass ein Recht auf Bildung und Sicherung des Existenzminimums festgeschrieben wird.

(Beifall bei der PDS)

Darüber hinaus sollen ein Recht auf Wohnung und ein Recht auf Arbeit als Zielbestimmung verankert werden. Wir haben ja so etwas in unserer Thüringer Landesverfassung durchaus auch als Zielbestimmung verankert. Es wäre wünschenswert, dass folgende weitere Grundrechte in die Charta aufgenommen würden: das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Datenschutzfragen, Kinderrechte entsprechend den Forderungen der Kinderschutzkonvention der Vereinten Nationen, der Schutz des menschlichen Genoms, Minderheitenrechte, das Recht auf gesunde Umwelt als Zielbestimmung. Ich nenne hier nur einige besonders wichtige Punkte. Und warum erscheint uns, erscheint mir das besonders wichtig? Es ist ganz einfach die Erkenntnis, dass die Wahrung der Grundrechte eine unerlässliche Voraussetzung für die Legitimität der Europäischen Union ist. Es ist unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit, eine Charta zu erstellen, durch die eine sichere Bindung der sich ständig erweiternden Gemeinschaftsgewalt an Demokratie, Rechtsstand und Grundrechte als gemeinsame Werte der europäischen Integration erfolgt, unter dem Gesichtspunkt, dass die sich ständig erweiternde Gemeinschaftsgewalt zunehmend die Lebenswirklichkeit der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger unmittelbar beeinflusst und dass ausdrücklich verankerte und nachlesbare Grundrechte zu mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit beitragen, die Akzeptanz für den Integrationsprozess damit fördern und letzten Endes identitätsstiftend wirken würden. Und lassen Sie mich auch noch diesen Gesichtspunkt nennen, dass die EU eben nicht nur eine Wirtschafts-, sondern eine Wertegemeinschaft darstellt.

Meine Damen und Herren, unter diesen Gesichtspunkten sollten wir gemeinsam die von mir genannten wünschenswerten Erweiterungen dieser Charta einmal miteinander beraten, einmal prüfen, ob hier Gemeinsamkeiten zu entwickeln sind und dann vielleicht noch einmal hier zu einem Antrag, zu einer Entschließung kommen. Gut, wir werden hier im Thüringer Landtag keine Charta der EU beschließen können, aber wir können zumindest aus der Sicht des Freistaats Thüringen wünschbare Dinge durchaus noch einmal artikulieren, wünschbare Dinge, die deutlich über den Gegenstand des heute hier vorliegenden abzustimmenden und durchaus zu bejahenden Antrags hinausgehen. Ich denke, damit dürfte auch klar sein, warum ich den Ausschuss gebeten hatte, das Thema "Charta" auf seiner Tagesordnung zu behalten. Danke.

(Beifall bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat sich der Abgeordnete Schröter zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zunächst zwei Reflektionen. Herr Dr. Hahnemann, im Antrag und auch in der Drucksache 3/1015 wird nur an einer Stelle davon gesprochen, dass es begrüßt wird also wir begrüßen es und haben es auch im Ausschuss begrüßt. Sie erinnern sich bestimmt daran, dass wir fortlaufend informiert worden sind, nicht immer auf Nachfrage der Parlamentarier, sondern auch aus eigenem Antrieb der Regierung. Daher waren wir der Meinung, wir sollten das durchaus begrüßen. Soweit zu diesem Punkt.