Protocol of the Session on October 13, 2000

- ich habe die nicht umsonst gestellt, ich habe Anhaltspunkte dafür -, ob das Amt für Verfassungsschutz dazu übergegangen ist oder dazu beigetragen hat, dass Gewerkschafter oder Gewerkschaften attackiert werden. Ich will Ihnen sagen, wie ich dazu komme. Im Jahre 1998 gab es im Zusammenhang mit der Saalfelder Demo

(Zwischenruf Abg. Stauch, CDU: Erinnern Sie nur noch daran.)

- gern erinnere ich Sie daran

(Unruhe bei der CDU)

eine Gerichtsverhandlung im Oberlandesgericht Weimar.

(Zwischenruf aus der CDU-Fraktion: Verwal- tungsgericht.)

Entschuldigung, Verwaltungsgericht. Damals ging es um die Genehmigung der Demonstration in Saalfeld. In dieser Verhandlung, irgendwann 23.00/23.30 Uhr, hat der damalige Präsident des Verfassungsschutzamts von Thüringen allen Anwesenden gegenüber - ich zitiere recht nah an der Formulierung - geäußert: "Wir wissen genau, wo sich welcher führende Gewerkschaftssekretär in Thüringen wann aufhält." Und da wird doch wohl die Frage im Zusammenhang erlaubt sein, mit dem, was Dienel verkündet hat, ob dort Dinge geschehen sind, die nicht hätten geschehen dürfen. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Das hat eine weitere Redemeldung provoziert. Herr Abgeordneter Schemmel.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal unsere grundsätzliche Meinung hier zu dieser Sache darstellen. Wir halten das Amt für Verfassungsschutz bei der jetzigen Situation in Thüringen und bei den bevorstehenden Aufgaben im Kampf gegen Rechtsextremismus für notwendig.

(Beifall bei der SPD)

Wir sehen aber, dass das Amt nicht so, wie es hier eben dargestellt wird, eine völlige lose Verbindung, ein Geheimbund irgendwo im Staat ist, sondern es untersteht dienstaufsichtlich dem Innenminister Thüringens. Der Innenminister unterliegt der Kontrollpflicht des Parlaments und in diesem speziellen Fall der Parlamentarischen Kontrollkommission. Insoweit tragen wir die ganze Konstruktion und die ganze Einrichtung. Bloß - hier beginnt der Punkt wenn die Parlamentarische Kontrollkommission, wenn ihr die Kontrollpflicht, wie in diesem Fall, genommen wird, Sie haben es gesagt, Herr Innenminister, dann können wir uns mit diesem System nicht mehr einverstanden erklären.

(Beifall bei der SPD)

Noch eine Meldung? Herr Fiedler noch einmal.

Meine Damen und Herren, ich denke...

(Unruhe im Hause)

Ich darf um Ruhe bitten.

Kollege Schemmel, ich bin erst einmal froh, dass die SPD sich klar, wie eigentlich bisher üblich, zum Verfassungsschutz bekannt hat. Da bin ich erst einmal dankbar, dass die zwei großen Volksparteien hier in dem Hause weiterhin dazu stehen. Herr Kollege Dr. Hahnemann, in der Bundesrepublik Deutschland gibt es, ich glaube, fast in jedem Land, einen Verfassungsschutz. Ich weiß nicht, ob ihn Sachsen-Anhalt abgeschafft hat. Das ist mir jetzt nicht ganz gegenwärtig, weil da Ihre Partei mit im Boot sitzt. Dort wird überall diese parlamentarische Kontrolle in sämtlichen Bundesländern und auch im Bund hat sie bisher funktioniert. Ich kann Ihnen nur eines sagen, Sie kennen ja sicher das Verfassungsschutzgesetz, was in Thüringen herrscht. Das geht so weit, dass die Parlamentarier Akteneinsicht nehmen können. Ich muss immer aufpassen, weil man ja aus manchen Dingen dort nicht berichten kann. Ich kann aber nur eines sagen, dass die Parlamentarische Kontrollkommission alle Instrumentarien, die ihr laut Gesetz möglich sind, in Anwendung gebracht hat. Wir werden diese Kontrolle mit aller gebotenen Sorgfalt weiterhin wahrnehmen.

Herr Innenminister Köckert.

Falls es dem Herrn Kollegen Schemmel entgangen sein sollte, ich habe deutlich gesagt, dass dem zuständigen Gremium des Thüringer Landtags von mir in Sachen der Ergebnisse des Berichts Unterrichtung zuteil wurde, das zuständige Gremium des Landtags wurde über die Ergebnisse des Berichts unterrichtet, erstens.

Zweitens, und da denke ich, ist die grundlegende Diskrepanz zwischen uns: Es ist eben nicht so, wie Sie in Ihrer Rede bemerkt haben, Pflicht und Ihre Pflicht oder Pflicht des Parlaments, im Namen des Parlaments im Landesamt für Verfassungsschutz für Ordnung zu sorgen, die notwendigen Entscheidungen zu treffen - überhaupt nicht. Die notwendigen Entscheidungen trifft das Ministerium, der Innenminister, die Exekutive, die Landesregierung wir müssen in diesem Amt für Ordnung sorgen. Und da sage ich nur einmal eines, es gab einen Minister, der hat in diesem Amt nicht für Ordnung gesorgt, meine Damen und Herren. Ich mache es.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Kon- trolle heißt es.)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich komme damit zum Abschluss und zur Feststellung, dass das Berichtsersuchen zu Nr. 1 des Antrags gemäß § 106 Abs. 2 der Geschäftsordnung erfüllt ist, es sei denn, es wird widersprochen.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Es wird widersprochen.)

Es wird widersprochen von Seiten der SPD-Fraktion und auch der PDS-Fraktion. Dann ist über diesen Widerspruch abzustimmen. Wer sich diesem Widerspruch anschließt, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Gegenstimmen? Danke. Stimmenthaltungen? Das ist mit Mehrheit abgelehnt. Dann ist damit das Berichtsersuchen als erfüllt anzusehen. Ich stelle also die Erfüllung fest.

Wir kommen zum Punkt 2 des Antrags in Drucksache 3/959. Ausschussüberweisung war nicht beantragt. So stimmen wir unmittelbar über Nummer 2 des Antrags ab. Ich bitte auch hier um das Handzeichen. Wer Nummer 2 des Antrags zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Gegenstimmen? Danke. Stimmenthaltungen? Bei einer Mehrheit von Gegenstimmen und 1 Enthaltung und einer Minderheit von Jastimmen abgelehnt.

Damit schließe ich diesen Tagesordnungspunkt und komme zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 8

Institutionelle Reformen in der Europäischen Union und Kompetenzverteilung zwischen Europa, Bund, Ländern und Kommunen Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 3/966

Es wird eine Begründung durch den Einreicher gewünscht, und zwar durch den Abgeordneten Jaschke, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, im Zusammenhang mit der anstehenden EU-Osterweiterung müssen die Entscheidungsstrukturen innerhalb der Europäischen Union reformiert werden. Dabei geht es auch darum, Vertragsmaterien aus der einstimmigen Beschlussfassung in Abstimmung mit Mehrheit zu überführen. In diesem Prozess muss darauf geachtet werden, dass die Zuständigkeiten der Länder sichergestellt werden. Der Europäische Rat, der heute und morgen in Biarritz zusammenkommt, wird sich mit dem Stand der Regierungskonferenz zur Reform der Institution der EU auseinander setzen und das weitere Vorgehen festlegen. Die Ministerpräsidenten der Länder haben gefordert, die Abgrenzung der Kompetenzen auf die Tagesordnung der laufenden Regierungskonferenz zu setzen. Eine klare Abgrenzung, meine Damen und Herren, der Kompetenzen zwischen Europa, Bund, Ländern und Kommunen ist zwingend notwendig. Aus diesem Grunde hält die CDU-Fraktion es für notwendig, dass sich der Landtag zeitnah mit diesen institutionellen Reformen in der EU befasst. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Die Landesregierung hat den Sofortbericht angekündigt. Herr Minister Gnauck.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, "der europäische Integrationsprozess verändert seinen Charakter", hat Prof. Werner Weidenfeld von der Maximilians-Universität München kürzlich geschrieben. Nach der Überwindung der Spaltung Europas sieht sich die Europäische Union vor die doppelte Aufgabe gestellt, einerseits die Staaten Mittel- und Osteuropas in die Europäische Union aufzunehmen - mit allen Vor- und mit allen Nachteilen - sowie andererseits der Idee des europäischen Integrationsprozesses ein neues, ein eigenständiges Ziel und auch eine neue Begründung vorzugeben.

Wir befinden uns gegenwärtig mitten in diesem Definitionsprozess der Europäischen Union mit den grundsätzlichen Fragen: Welchen Sinn hat die Europäische Union? Wie soll sie in zehn Jahren aussehen? Für die aktuelle Europapolitik bedeutet diese Erkenntnis, dass wir uns darüber im Klaren sein müssen, wir agieren in einem größeren Zusammenhang. Die ersten wichtigen Schritte auf dem weiteren Weg des europäischen Integrationsprozesses werden bereits ab heute im Verlauf des Europäischen Rates in Biarritz beraten. Dort wird den Staats- und Regierungschefs erstmals die Charta der Grundrechte der Europäischen Union vorgelegt. Darüber werden wir in einem nachfolgenden Tagesordnungspunkt beraten und dort wird der Europäische Rat mit dem Stand der Regierungskonferenz zur Reform der Institutionen der Europäischen Union beraten. Bei ihrem Gipfeltreffen in Biarritz werden die europäischen Staats- und Regierungschefs das weitere Vorgehen in der Regierungskonferenz festlegen. Biarritz ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Europäischen Rat von Nizza vom 7. bis 9. Dezember. In Nizza soll die laufende Regierungskonferenz erfolgreich abgeschlossen werden und darüber hinaus sollen bereits die Themen und der Zeitrahmen einer weiteren Regierungskonferenz festgelegt werden. Die Grundrechtecharta, ich sprach sie bereits an, soll feierlich proklamiert werden und die Staats- und Regierungschefs werden sich mit dem Stand der Erweiterungsverhandlungen mit den mittel- und osteuropäischen Staaten befassen. Insbesondere wird man darüber beraten, ob ein Zeitrahmen für den Abschluss der Beitrittsverhandlungen festgelegt werden soll.

Noch in diesem Jahr in Nizza werden also die entscheidenden Weichen für die Weiterentwicklung der Europäischen Union gestellt. Und deshalb müssen wir bereits heute unsere Position bestimmen für den Fortgang der Europapolitik bis zum Europäischen Rat von Nizza und darüber hinaus. Und deshalb, meine Damen und Herren, hat die CDU-Fraktion ihren Antrag zum richtigen Zeitpunkt gestellt, topaktuell, Top Thüringen.

(Beifall bei der CDU)

Die CDU-Fraktion wirft die richtigen Fragen auf. Er der Antrag - lenkt den Blick über die aktuellen europapolitischen Reformansätze hinaus und spricht den weiter gehenden Reformbedarf angesichts der von uns allen unterstützten Erweiterung an.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wollen die zügige Erweiterung, das heißt die Aufnahme der Nachbarn aus Mittel- und Osteuropa in die Europäische Union. Die Erweiterung darf aber nicht zu einer "Verwässerung" des erreichten Integrationsstandes führen, das heißt, die EU muss ausreichend auf die Aufnahme vorbereitet werden. Konkret bedeutet dies ein zweistufiges Verfahren. Erstens: Die laufende Regierungskonferenz zu den institutionellen Reformen der Europäischen Union muss erfolgreich abgeschlossen werden, um auch gegenüber den Beitrittskandidaten den Willen zur Reform und die eigene

Reformfähigkeit im Grundsatz zu bestätigen. Und auch dies soll und muss man im Jahr 10 der deutschen Einheit sagen, das gilt insbesondere gegenüber Polen und Ungarn. Dies heißt aber keineswegs, dass die Europäische Union dann bereits ausreichend auf die Erweiterung vorbereitet wäre, im Gegenteil, weitere Reformen sind notwendig. Und deshalb ist zweitens eine Folgekonferenz erforderlich, die sich mit einer umfassenden Reform des Europäischen Vertragswerkes befassen muss.

Die laufende Regierungskonferenz befasst sich mit der Reform der Entscheidungsprozeduren und der Zusammensetzung der Institutionen, den so genannten Left Overs oder übersetzt "Überbleibseln" der letzten Vertragsrevision in Amsterdam, also mit der Größe und Zusammensetzung der Kommission, der Stimmenwägung im Rat, der Frage der Ausweitung der Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit im Ministerrat sowie mit weiteren notwendigen Vertragsänderungen, wie z.B. die Reform des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Rechnungshofs, und schließlich mit der Erleichterung der Möglichkeiten einer verstärkten Zusammenarbeit einer Gruppe von Mitgliedstaaten, der so genannten Flexibilitätsklausel. Das heißt, eine Gruppe von Mitgliedstaaten soll in einzelnen Bereichen weiter voranschreiten können und muss eben nicht auf die Zustimmung aller Mitgliedstaaten warten. Dabei muss aber diese Gruppe allen Mitgliedstaaten offen stehen.

Die Staaten der Europäischen Union befassen sich nicht zum ersten Mal mit diesen Fragen. In Amsterdam, am 16. Juni 1997, waren diese Fragen nicht zufrieden stellend zu lösen, obwohl bereits damals allseits immer betont wurde, die EU müsse sich fit machen für die Erweiterung.

Die genannten Left Overs von Amsterdam sind keineswegs nur technischer Natur. Es sind im Wesentlichen die entscheidenden Machtfragen. Es geht um das komplizierte Ausbalancieren der nationalen Interessen der 15 Mitgliedstaaten. Alle Fragen sind miteinander verknüpft. Der Übergang zu Mehrheitsvoten wird erleichtert, wenn klar ist, über welches Quorum an gewichteten Stimmen die einzelnen Mitgliedstaaten künftig verfügen werden. Laufen die großen Mitgliedstaaten Gefahr, von den kleineren Staaten überstimmt zu werden? Müssen die Nettozahler befürchten, von einer geschlossenen Front dem Nettoempfänger auf ausgabenwirksame EU-Programme verpflichtet zu werden? Zugleich haben die großen Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich, Italien, Großbri- tannien und Spanien) gesagt, wenn wir schon darauf verzichten sollen, je zwei Kommissare zu benennen, dann muss aber zumindest die Arbeitsweise der Kommission reformiert werden, und erst recht, wenn ihr demnächst bis zu 30 Kommissare angehören könnten. Und: die Stimmengewichtung im Rat muss zufrieden stellend geregelt werden.

Bei einer Regierungskonferenz, meine sehr verehrten Damen und Herren, verhandeln, wie der Name schon sagt, die Vertreter der Regierungen. Das Ergebnis wird eine Veränderung des Europäischen Vertragswerks sein, das von allen nationalen Parlamenten ratifiziert werden muss. In einzelnen Mitgliedstaaten kann sogar ein Referendum notwendig sein. Auch dies zwingt die Regierungen in ein enges Verhandlungskorsett und erhöht den Legitimationszwang. Kurz: alles ist mit allem verknüpft. Und alles zusammen ergibt eine höchstkomplizierte und komplexe Gemengelage nationaler Interessen und auch taktischer Vorbehalte.

Der gegenwärtige Verhandlungsstand der Regierungskonferenz, Sie werden das an diesem Wochenende nachverfolgen können in den Medien, ergibt folgendes Bild:

Erster Punkt - Größe und Zusammensetzung der Kommission: Die Mehrzahl der Delegationen der Mitgliedstaaten votiert für die Option, dass die einzelnen Mitgliedstaaten durch jeweils einen Vertreter in der Kommission repräsentiert sein sollten. Die Länder vertreten dagegen ebenso wie die Bundesregierung die Auffassung, dass eine Obergrenze für die Mitglieder der Europäischen Kommission festgeschrieben werden sollte. Trotz oder wegen aller Probleme, die wir gegenwärtig mit der Europäischen Kommission haben, müssen wir im eigenen Interesse an einer handlungs- und auch entscheidungsfreudigen Kommission interessiert sein. Grundsätzlich sind wir daran interessiert, dass - insbesondere in einer erweiterten Union - eine unabhängige Institution europaweit die Einhaltung von gemeinsamen Standards kontrolliert und sanktioniert. Das betrifft gemeinsame Beihilfe- und Wettbewerbsregelungen ebenso wie die Einhaltung z.B. von Normen des Umweltschutzes oder des Schutzes am Arbeitsplatz und des Verbraucherschutzes. Wir halten deshalb an der Festschreibung der Größe der Kommission auf maximal 20 Kommissare bei einer gleichzeitigen internen Reform der Arbeitsweise der Kommission, das heißt zum Beispiel an einer Stärkung des Kommissionspräsidenten, auch in einer erweiterten Union fest.

Zweiter Punkt - Stimmgewichtung im EU-Ministerrat: In dieser Frage zeichnet sich gegenwärtig eine Mehrheit für eine Neuwägung der Stimmen im Ministerrat ab. Dagegen sprechen sich einzelne Delegationen für die Einführung einer doppelten Mehrheit, das heißt also von Mitgliedstaaten und Bevölkerungszahl, bei Abstimmungen im Ministerrat aus. Diese letztgenannte Position wird auch von der Bundesregierung und von den Ländern unterstützt.

Eine erweiterte Union wird in ihrer Mehrzahl aus kleineren Mitgliedstaaten bestehen. Dies darf aber nicht dazu führen, dass zwar eine Mehrheit von Staaten Entscheidungen mit Mehrheit verabschiedet, die aber vielleicht nur 30 Prozent der Bevölkerung in der EU repräsentieren. Thüringen hält an dem Prinzip der doppelten Mehrheit fest. Dieses Modell vereint am besten die gleichberechtigte Vertretung der Mitgliedstaaten im Rat mit re

lativer Größe und Gewicht. Entscheidungen im Rat sollten nur zustande kommen, wenn sie die Zustimmung der Mehrheit der im Rat vertretenen Mitgliedstaaten finden und diese auch die Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren.

Dritter Punkt - die Ausweitung von Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit: Diese Frage, meine sehr verehrten Damen und Herren, steht zweifellos im Zentrum der Regierungskonferenz. Sie ist auch aus Ländersicht die wichtigste Frage der Regierungskonferenz. Zum Übergang in Mehrheitsentscheidungen stehen insbesondere "sensible" Politikfelder an. Gegenwärtig beinhalten die europäischen Verträge noch rund 70 Artikel, die eine einstimmige Beschlussfassung vorschreiben. Einigkeit besteht in Europa, dass in den Bereichen, die der Ratifizierung durch die nationalen Parlamente vorbehalten sind, also Vertragsänderungen, Erweiterungen, Wahlrecht zum Europäischen Parlament, dass in Bereichen mit quasi konstitutionellem Charakter, also etwa Sprachenregelung oder Eigenmittelbeschluss, sowie bei Artikeln, die einen Integrationsrückschritt bedeuten würden, denken Sie etwa an die Einschränkung des Kapitalverkehrs in Artikel 57 EG-Vertrag, weiterhin nur einstimmige Entscheidungen getroffen werden sollen. Zieht man eben diese Vertragsartikel von den genannten 70 ab, so verbleiben noch rund 35 Artikel, die nun von der französischen Präsidentschaft zur Überführung in Mehrheitsabstimmungen vorgeschlagen wurden. Sowohl die Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder als auch der Bundesrat haben wiederholt gefordert, dass Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit zur Regel werden müssen. Allerdings wird die Einstimmigkeit auch weiterhin im Einzelfall geeignet sein, die Rechte und Zuständigkeiten der Länder in besonderem Maße zu schützen. Wir sind davon überzeugt, dass Mehrheitsentscheidungen die Grundsätze der Achtung der Vielfalt und der nationalen Identität aller Mitgliedstaaten nicht ausreichend sicherstellen können. Bestimmungen der Verträge, auf deren Grundlage Eingriffe in die bundesstaatliche Aufgabenverteilung Deutschlands erfolgen könnten, müssen in der Einstimmigkeit verbleiben. Je klarer die vertraglichen Kompetenzregelungen sind, desto weniger ist der Vorbehalt der Einstimmigkeit erforderlich. Deshalb steht eine klare Kompetenzabgrenzung bei den zur Debatte stehenden Vertragsartikeln auch im engen Zusammenhang mit dem Übergang zum Mehrheitsprinzip. Das Subsidiaritätsprinzip muss dabei beachtet werden. Die Notwendigkeit, an diesen Grundsätzen festzuhalten, wurde etwa bei den Ratsentscheidungen zur Einführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bei Planverfahren oder zum Tabakwerbeverbot deutlich. Gerade in der letzten Woche hat der Europäische Gerichtshof beim Tabakwerbeverbot unsere Kritik an der mangelhaften Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten bestätigt.