Ein weiterer Schwerpunkt ist die außerschulische Bildung. Hier werden seit Jahren über 20 Jugendbildungsreferenten bei Verbänden und Einrichtungen sowie Seminaren und Veranstaltungen gefördert. Internationale Jugendarbeit ist ein Bereich, der auch in nächster Zeit immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. Direkte und intensive Kontakte mit Jugendlichen anderer Herkunft, Hautfarbe und Einstellung haben einen nachhaltigen Einfluss auf die persönliche Entwicklung junger Menschen, der insbesondere mit Blick auf die Entwicklung persönlicher Toleranz nicht unterschätzt werden sollte und nicht unterschätzt werden darf. Unter Einbeziehung aller Förderprogramme, die durch mein Haus koordiniert und umgesetzt werden, wurden jährlich um die 100 internationale Jugendbegegnungsmaßnahmen direkt finanziert oder mitfinanziert.
Meine Damen und Herren, umso schockierender müssen deshalb die Gewalttaten politisch verblendeter Jugendlicher in Thüringen berühren. Wir haben gestern davon gehört. Wir fragen uns natürlich: Wie konnte es zu der neuen Welle rechtsextremistischer Gewalttaten in Thüringen kommen? Ich erinnere nur daran, dass wir in der ersten Legislaturperiode ein Programm gegen Gewalt und Aggression, ein vom Bund mit unterstütztes Programm, durchgeführt haben. Ich denke, klar ist, dass das Phänomen der zunehmenden Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen auch zu mehr politisch motivierten Gewalttaten geführt hat. Die Hinwendung ausgerechnet zu rechtsextremem Gedankengut erklärt die allgemeine Gewaltbereitschaftszunahme allerdings nicht. Ein seit Juli dieses Jahres dem TMSFG vorliegendes Gutachten lässt einfache Erklärungen eher als problematisch erscheinen. Wir sind allerdings noch nicht fertig mit der Auswertung dieses Gutachtens. Aber einige Dinge sind schon absehbar. Die Untersuchung, die an 15
Schulen im Kreis Sömmerda und in der Stadt Altenburg mit über 1.000 Schülern durchgeführt wurde, legt den Schluss nahe, dass die soziale Situation keineswegs der einzige oder auch nur der Hauptgrund für eine rechtsradikale Einstellung darstellt. So ist beispielsweise auch eine Arbeitslosigkeit der Eltern keine signifikante Ursache für rechtsextreme Einstellungen. Auch ergab sich aus der Untersuchung kein Zusammenhang zwischen der Situation persönlicher Zufriedenheit der Jugendlichen und ihrer rechtsextremen Orientierung. Allerdings, da sind wir dann schon fast wieder bei der Familie, vermissten befragte Jugendliche die Unterstützung ihrer Eltern hinsichtlich einer positiven Beeinflussung oder Motivierung. So muss man allerdings korrekterweise sagen, dieses Kriterium der Beeinflussung und Motivierung ist ein sehr subjektives Kriterium, ähnlich subjektiv wie der häufig beklagte Mangel an Angeboten der Jugendhilfe. Der Staat kann und muss Familien bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen unterstützen, aber er kann letztlich nicht ihre Funktion übernehmen und will dieses auch nicht. In diesem Sinne kann es eine von der Familie losgelöste Kinderund Jugendpolitik nicht geben. Wir leben eben nicht in einer Erziehungsdiktatur. Das ist mal gewesen.
Allerdings möchte ich an dieser Stelle auch vor falschen vorschnellen Schlüssen warnen, ich habe gesagt, wir müssen dieses etwas differenzierter noch auswerten. Extremistische Einstellungen und Gewaltanwendungen sind keineswegs typische Merkmale Thüringer Jugendlicher. Es ist hier eine kleine Anzahl von Radikalen, die das Bild prägen. Wir sollten sie nicht unter den Tisch kehren, als sei das nicht bedeutungsvoll. Aber wir sollten bei der kleinen Zahl der Radikalen nicht die große Zahl der ordentlichen und guten Jugendlichen vergessen, meine Damen und Herren.
Der kleinen Zahl von Radikalen, die das Bild prägen, stehen z.B. allein schon über 400.000 Jugendliche gegenüber, die in Jugendverbänden organisiert sind, die der Landesjugendring vertritt, von weit über 20.000 Mitgliedern der Gewerkschaftsjugend, über knapp 150.000 Jugendliche bei der evangelischen Jugend und über 33.000 Jugendliche in der Jugend- und freiwilligen Feuerwehr bis zu weit über 160.000 Jugendlichen, die sich in Sportvereinen engagieren. Nun heißt das nicht, dass nicht unter denen auch der eine oder andere mit rechtsradikaler Gesinnung sein könnte, und deswegen muss auch die Arbeit in diesen Vereinen und Verbänden auf rechtsradikale Tendenzen oder gegen rechtsradikale Tendenzen besonderer Wert gelegt werden.
Aber ich erlebe es immer wieder bei Terminen in Kindertageseinrichtungen, Schulen, Jugendhäusern, Vereinen oder verschiedenen Diskussionsrunden, unsere Thüringer Jugend ist zum ganz überwiegenden Teil tolerant, aufgeschlossen und hilfsbereit. Mein besonderer Dank gilt denen, die sich auf demokratischer Grundlage gegen Extremismus und Gewalt und für Toleranz in den letzten Wochen, Monaten, eigentlich den letzten Jahren engagiert haben.
Den vordergründigen Eindruck, dass Thüringen sich zum Brennpunkt rechtsextremer Gesinnung in Deutschland entwickelt und hierbei Jugendliche sozusagen eine Vorreiterrolle spielen, möchte ich ganz entschieden zurückweisen.
Meine Damen und Herren, auch dieses darf ich zum wiederholten Male sagen, das habe ich schon in der 1. Legislaturperiode von dem gleichen Pult gesagt: Mich haben die Beifall klatschenden und tatenlos dabeistehenden Erwachsenen in Hoyerswerda und Rostock damals bei den brennenden Asylbewerberheimen mehr gestört als die Steine werfenden Jugendlichen,
denn bei den Erwachsenen erwarte ich nicht, dass es noch eine Änderung ihrer Gesinnung gibt, die Jugendlichen sind noch beeinflussbar.
Meine Damen und Herren, seit 1992 sind landesweit etwa 25 Mio. DM speziell für Programme gegen Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Thüringen eingesetzt worden - Bundes-, Landes- und kommunale Mittel.
Das Jugendkriminalitätspräventionsprogramm läuft als Modellvorhaben noch bis zum Jahresende und wird dann von allen Beteiligten, also Jugendämtern, Polizei und Landesregierung, unter Leitung eines wissenschaftlichen Instituts ausgewertet. Und wir werden danach entscheiden, welche Teile des Programms zielgerichtet und effektiv sind und damit verstärkt fortgeführt werden sollen oder wo neue Maßnahmen notwendig sind. Wenn ich sage, danach, heißt das, aber unmittelbar angrenzend. Wir sind bereits bei der Auswertung, damit wir nicht bis zum 31.12. das Programm laufen lassen, dann werten wir zwei Jahre aus und fangen nach zwei Jahren wieder von vorn an, sondern das muss kontinuierlich fortgeführt werden.
Neben den bereits laufenden Maßnahmen der Jugendhilfe wird die Landesregierung jedoch weitere Initiativen auf den Weg bringen. Das werden insbesondere Bildungsinitiativen sein, und zwar gemeinsam mit dem Kultusministerium. Der maßgebliche Aspekt hierbei ist, über Multiplikatoren der Jugendhilfe, der Schulen und der beruf
lich mit Jugendlichen befassten Mitbürger Kindern und Jugendlichen die Werte mitmenschlichen Respekts, der Toleranz und der Verständigung mit Fremden zu vermitteln und sie für die Mitwirkung in unserer demokratischen Gesellschaft zu begeistern. Ich will nur einige dieser Initiativen kurz nennen. Dabei ist unser Hauptanliegen auch, überhaupt an die potenziellen Multiplikatoren überhaupt heranzukommen bzw. an die Eltern, an die Familien heranzukommen. Jeder von uns weiß, wie schwierig das ist. Wenn wir eine Aktion gegen Gewalt machen, dann haben wir im Auditorium meistens Gewaltlose, nicht diejenigen, die Gewalt ausüben. Wir müssen hier sehr, sehr zeitig ansetzen. Einige Initiativen:
1. Bewährte Maßnahmen werden wir fortsetzen. So werden wir beispielsweise die Fortbildungsreihe gegen Extremismus und Gewalt in Zusammenarbeit mit den örtlichen Jugendämtern in komprimierter Form fortsetzen, das heißt, damit möglichst viele an dieser Fortbildung teilnehmen können.
Gegenwärtig werden die Ergebnisse der Befragung der Jugendämter zu Maßnahmen der Gewaltprävention einschließlich der Projekte für politisch extremistische Jugendliche auf kommunaler Ebene zusammengefasst und ausgewertet. Der Erfahrungsaustausch ist, glaube ich, in diesem Bereich sehr wichtig.
3. Es wird Handreichungen zur Umsetzung der Ergebnisse der erwähnten Studie in Altenburg und Sömmerda an alle, die in der Praxis der Jugendarbeit stehen, geben.
4. Mit Kultusminister Prof. Krapp habe ich mich darauf verständigt, bereits beginnend mit den Grundschullehrern und den in der Jugendhilfe tätigen Sozialarbeitern durch gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen die Möglichkeit zu eröffnen, koordinierte Maßnahmen zur Gewaltprävention zu entwickeln, um in einen Erfahrungsaustausch treten zu können.
5. Es werden die im Bereich des TMSFG geförderten Jugend- und Familienbildungsstätten mit ihren personellen und sächlichen Kapazitäten verstärkt eingesetzt werden, gleichzeitig auch schulische Bildungsstätten.
6. Es sind bereits jetzt alle Einrichtungen der Jugend- und Familienbildung gehalten, sich intensiver mit Themenveranstaltungen in die breite Aktionspalette gegen Demokratiefeindlichkeit und Intoleranz einzubringen. Diese sollen jeweils auch in Kooperation mit dem Thüringer Innenministerium für den Bereich der Polizei und mit dem Justizministerium für die Jugendstrafrichter gestaltet werden.
8. Diese ressortübergreifende Kooperation im Fortbildungsbereich soll aber nicht nur das bessere Kennenlernen der jeweils anderen Professionsbereiche bezwecken, um neue Kenntnisse über Lösungen zu finden, es soll auch ein übergreifendes Fortbildungskonzept erarbeitet werden.
9. Die Jugendbildungsstätte Ohrdruf soll sich mit dem Schwerpunkt gegen Extremismus und für Demokratie befassen. Entsprechende Konzepte werden derzeit vom Träger abgefordert.
10. Daneben finden außerdem Gespräche zwischen dem Thüringer Sozialministerium und den kommunalen Spitzenverbänden mit dem Ziel statt, in der Fortbildung der Mitarbeiter der Jugendhilfe, die auf kommunaler Ebene aktiv sind, besonders die Problematik rechtsextremistisch motivierter Gewalt zu behandeln.
11. Ich habe vorhin die Zahl der Jugendlichen, die in Sportvereinen organisiert sind, genannt. Daraus ergeben sich natürlich besondere Verpflichtungen für den Sport. Das Sozialministerium befindet sich in Gesprächen mit dem Landessportbund. Hier geht es darum, bereits tätige und zukünftige Übungsleiter als Multiplikatoren gegen Gewalt und Fremdenhass zu gewinnen und in den Sportvereinen Aktionen anzuregen. Wir kennen verschiedene Fan-Projekte, die bereits sehr gut laufen. Ich bin gestern gerade informiert worden, wie man auch bei Rot-Weiß Erfurt dagegen vorgeht, dass es Gewalttäter bei den Fußballspielern geben soll in Zukunft. Ich möchte diesen Aktivitäten sehr herzlich meinen Dank sagen.
12. Der Thüringer Kultusminister wird gemeinsam mit den Eltern- und Schülervertretungen Veranstaltungen zur Problematik von Gewalt und Rechtsextremismus durchführen. Meine Damen und Herren, gerade deshalb mit Elternvertretungen, weil wir versuchen müssen, an die Eltern überhaupt heranzukommen. Da ist die Schule der gangbarste Weg nach meinem Dafürhalten.
13. Die Idee eines fachressortübergreifenden mobilen Beratungsteams des Landes wird nicht nur geprüft, sondern wird bereits in die Tat umgesetzt; der Innenminister hat gestern darüber berichtet.
14. Es wird im Sozialministerium ebenfalls geprüft, ob und in welcher Weise die Erziehungsberatungsstellen bereits beim Übergang von der Kindertageseinrichtung zur Grundschule in die Präventionsarbeit durch Sprechstunden und Einzelberatungen einbezogen werden können. Grundlage dieser Überlegung ist von mir, dass gerade an dieser Übergangsstelle Kindergarten/Schule die Eltern am besten ansprechbar sind, wenn es um Erziehungsprobleme, um Bildungsprobleme im Familienbereich geht.
15. Sämtliche Fortbildungsprogramme im Bereich der Landesregierung werden noch mehr als bisher schon auf die Problematik Gewaltbereitschaft und Rechtsextremismus eingehen. Das betrifft auch die Fortbildungsangebote nachgeordneter Behörden wie beispielsweise des Landesjugendamtes.
Meine Damen und Herren, diese Aufzählung ist sicherlich nicht vollständig, bezeugt aber das Engagement der Thüringer Landesregierung in der Vergangenheit und für die Zukunft.
Meine Damen und Herren, die Familie und damit ihre Erziehungskraft zu stärken und Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen und Rechtsextremismus zu bekämpfen, sind zwei Seiten einer Medaille, denn die Familie ist die erste Instanz, wenn es um das Erlernen sozialer Fähigkeiten, aber auch die Übernahme von Verantwortung geht. Dass Menschen wissen, was Solidarität bedeutet, was Toleranz bedeutet, aber auch, was Verantwortung für das eigene Leben bedeutet, das ist zuvorderst der Familie zu verdanken. Die Werte, auf denen letztlich eine menschenwürdige Gesellschaft, ja jeder Staat in seiner grundlegenden Existenz beruht, lernen wir in der Familie. Wenn wir also heute vom idealen politischen Ziel einer bürgerschaftlichen Gesellschaft sprechen wollen, wenn wir beispielsweise hinsichtlich der zukünftigen Absicherung unseres sozialen Sicherungssystems von mehr Eigenverantwortung bei Aufrechterhaltung der Solidarität sprechen, dann dürfen wir die Familie nicht außen vor lassen.
Familie ist, meine Damen und Herren, nicht irgendein auch politisches Thema, Familie ist das politische Thema von Gegenwart und Zukunft.
Eine Gesellschaftspolitik ohne Beachtung der legitimen Interessen der Familie müsste Schaden nehmen oder scheitern. Wer die Zukunft will, muss die Familie unterstützen. Die Landesregierung ist bereit, sich zur Familie in Wort und Tat zu bekennen - heute und auch in Zukunft. Recht herzlichen Dank.
Vielen Dank für die Regierungserklärung. Damit kommen wir zur Aussprache. Als Erste hat das Wort Frau Abgeordnete Nitzpon, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, vor fast einem Jahr wurde der Name des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Sport umgewandelt in Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit. Es wurde immer wieder betont, dadurch den Stellenwert der Familie anzuheben. Als sportpolitische Sprecherin hat mich natürlich bewegt, dass der Sport im Namen des Ministeriums verschwand, noch dazu, weil wir vier Jahre dafür eingetreten sind.
Dann müssen wir die Protokolle noch mal nachsehen, ich habe nachgesehen in einem Protokoll aus der 2. Wahlperiode. Als familienpolitische Sprecherin fand die Aufnahme des Wortes "Familie", Herr Pietzsch, natürlich meine Zustimmung. Leider muss ich nach einem Jahr feststellen, dass die Aufnahme des Wortes "Familie" in den Namen des Ministeriums kaum oder keine Verbesserungen für die Familien gebracht hat. Herr Pietzsch hat es am Anfang seiner Rede ja selbst gesagt und ich darf ihn zitieren: "Für uns alle ergibt sich daraus, gerade für die Politik, die Konsequenz, die Voraussetzungen für eine familien- und kinderfreundliche Gesellschaft zu schaffen." Er meint also, die Voraussetzungen für eine familien- und kinderfreundliche Gesellschaft fehlen in Thüringen immer noch. Was soll ich dazu sagen? Ich will ihm nicht unbedingt am heutigen Tag widersprechen, ich sehe es allerdings etwas differenzierter.