Protocol of the Session on July 7, 2000

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Woll- ten Sie jetzt anfangen?)

Herr Minister, auch wenn die Chancen zu einem sachgerechten Umgang mit Informationsanforderungen und Anfragen der Opposition in dieser Legislatur offensichtlich proportional mit der Dauer dieser Legislaturperiode abnehmen, so bleibt die PDS bei ihrer Forderung, wenigstens ein Minimum demokratischer Umgangsformen zu wahren.

(Beifall bei der PDS)

Ein zweiter Punkt - das ständige Gerede vom positiven Saldo der Beschäftigungsentwicklung; auch Frau Vopel sprach das an: Herr Schuster, das ist doch nur eine Milchmädchenrechnung, mit der Sie wider besseren Wissens versuchen, die Öffentlichkeit zu täuschen. Ihre Behauptung, der erste Arbeitsmarkt würde schon jetzt die Reduzierungen auf dem zweiten kompensieren, ist schlichtweg falsch.

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt- schaft, Arbeit und Infrastruktur: Das habe ich nicht gesagt.)

Wir hatten im Mai 26 Teilnehmer in geförderten Maßnahmen weniger als vor einem Jahr, aber nur 7.000 Arbeitslose mehr; das sind die statistisch erfassten, Herr Schuster. Merken Sie eigentlich, mit welchem Zynismus Sie über das Problem der Nichtbeschäftigung im Freistaat reden? Wo wir beide wissen, und ich unterstelle Ihnen einfach mal, dass Sie das auch noch wissen, dass wir seit 1991 eine halbe Million nicht in regulärer Beschäftigung befindliche Personen in Thüringen haben, die arbeiten wollen, aber nicht arbeiten können, weil kein Arbeitsplatz da ist und das unverändert.

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Das ist immer so eine Sache.)

(Unruhe bei der CDU)

Vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen, das ist völlig falsch, was hier dargestellt wird. Die angeblichen Erfolge, die Sie sich zuschreiben, werden nämlich auch vom Landesarbeitsamt Sachsen-Anhalt/Thüringen völlig anders interpretiert. Frau Vopel, dort muss man mal richtig zuhören. Es sagt nämlich auch das Arbeitsamt Sachsen-Anhalt/Thüringen, also der Herr Dr. Heß, es ist eine Folge von örtlicher Umorientierung und demographischer Entwicklung. Zum einen haben nämlich mehr Menschen außerhalb Thüringens Arbeit als Pendler aufgenommen - heißt es in der im Juni veröffentlichten Analyse - und zum anderen sind Ältere aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Hören Sie sich genau an, was Ihnen das Landesarbeitsamt zu dieser Frage ins Stammbuch schreibt, Herr Minister. Das ist nämlich eine schallende Ohrfeige für Ihre Arbeitsmarktpolitik. Dort kommt man zu dem Ergebnis, dass viele Ältere in Thüringen "angesichts der anhaltend geringen Chancen, vom ersten Arbeitsmarkt aufgenommen zu werden, die Suche aufgegeben haben und aus dem aktiven Erwerbsleben ausgeschieden sind." Das ist Ihre Entspannung auf dem Arbeitsmarkt, Herr Schuster, das ist Ihr positives Saldo. In Wahrheit ist es ein vernichtendes Urteil - und da stimme ich Frau Heß zu - über die Arbeitsmarktpolitik in Thüringen.

Meine Damen und Herren, solche arbeitsmarktpolitischen Ergebnisse einer Landesregierung machen einen schon manchmal sprachlos.

(Unruhe bei der CDU)

(Beifall bei der PDS, SPD)

Herr Schuster, auf der Arbeitsmarktkonferenz der Landesregierung am 14. Juni kam es nicht nur zu einem massiven Protest von 2.500 Arbeitslosen und SAM-Beschäftigten; dort hat auch der Präsident des Landesarbeitsamtes in aller Deutlichkeit gesagt, er teile den Optimismus

von Minister Schuster, die Wirtschaftsentwicklung Thüringens betreffend nicht. Der Präsident des Landesarbeitsamts hat dort allen gut ausgebildeten Arbeitslosen empfohlen, Thüringen zu verlassen und sich örtlich umzuorientieren.

(Zwischenruf Abg. Kölbel, CDU: Was?)

Er hat sogar gefordert, dass wir diese Tendenz mit zusätzlichen Fördermaßnahmen noch unterstützen sollten, das heißt, Thüringer Arbeitslose, hier gibt es keine Lösung, sucht euch etwas anderes, geht in andere Länder. Das war die Botschaft, die dort zu hören war für alle die, die im Saal saßen und zuhören wollten.

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Das ist eine Lüge.)

Die Kritik der PDS ist bei der CDU in der Landesregierung als den Verantwortlichen also genau an der richtigen Adresse - und Sie werden das akzeptieren müssen, Herr Schuster. Wir werden diese Kritik weiterhin äußern. Wir werden nicht zulassen, dass Sie sich an dieser Stelle aus der Verantwortung stehlen. Wir werden auch nicht zulassen, Herr Schuster, dass Sie mit Rechenspielchen und Rechentricks versuchen, noch das negative Ergebnis schönzureden. Wenn mir mal ein Beispiel aus der Betriebswirtschaft an dieser Stelle gestattet wäre: Herr Minister Schuster, in einer richtigen Firma am Markt würden Sie wahrscheinlich immer noch Gewinne ausrechnen, wenn der Geschäftsführer längst beim Konkursrichter unterwegs wäre, um den Konkurs der Firma anzukündigen.

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt- schaft, Arbeit und Infrastruktur: Das passiert nur im Sozialismus.)

Herr Dr. Sklenar, klären Sie ihn einmal auf.

(Zuruf Dr. Sklenar, Minister für Land- wirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Der weiß schon gut Bescheid.)

Aber sehr lückenhaft. Herr Minister Schuster, keiner kann etwas dagegen haben, dass verstärkt Brücken in den ersten Arbeitsmarkt gebaut werden, da gebe ich Ihnen Recht. Natürlich ist es wichtig, dass mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen, aber die bekommt man nicht durch Erfolgsmeldungen bei halb fertigen Ideen. Über die halb fertigen Brücken mit neu angelegten Zufahrtsstraßen schicken Sie die Arbeitslosen des Freistaats auf den Weg und erklären den Trägern öffentlich geförderter Beschäftigung, wie dieser Weg zu organisieren ist. Ein Großteil der Menschen fällt aber ins Wasser und erreicht nicht das rettende Arbeitsplatzufer, weil dort eben kein Platz ist, weil dort kein Angebot besteht. Herr Schuster, ich kann mir keine halb fertige Autobrücke vorstellen und ich kann

mich an keinen Sachverhalt in dieser Richtung erinnern, bei der Sie das Einweihungsband durchgeschnitten hätten, um die Autofahrer über diese Brücke zu schicken. Was Sie keinem Autofahrer in Thüringen zumuten,

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt- schaft, Arbeit und Infrastruktur: Das mache ich nicht.)

das muten Sie den Arbeitslosen durch Ihre Arbeitsmarktpolitik, so wie Sie sie darstellen, zu.

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt- schaft, Arbeit und Infrastruktur: Ihr Vergleich hinkt.)

Und ein letztes Trauerspiel, Herr Minister Schuster, ein letztes Trauerspiel, der ESF. Ich darf Sie vielleicht noch einmal daran erinnern, der Punkt 1 der Berichterstattung hieß: Die Landesregierung wird aufgefordert, dem Landtag über den erreichten Stand ihrer Zielgrößen in den Arbeitsmarktinstrumenten, Strukturanpassungsmaßnahmen Lohnkostenzuschüssen für Wirtschaftsunternehmen, Programm "50 PLUS", Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) zum 30. Juni zu berichten, jeweils Mittelbindung, Abflusszahl der Teilnehmerinnen nach Maßnahmebereichen und 2. über den Stand der Genehmigungsverfahren für den Europäischen Sozialfonds.

Herr Schuster, Sie haben richtig gesagt, es geht um 271 Mio. DM, das ist fast die Hälfte der im Haushalt zur Verfügung stehenden Mittel. Und Sie haben selber gesagt, so lange wie die operationellen Programme nicht genehmigt sind, lässt sich dort nichts machen. Als wir im Januar entsprechende Forderungen aufgemacht haben, dort Lösungsansätze zu suchen, waren Sie nicht bereit, darüber nachzudenken. Sie haben keine Zahl gesagt, was finanzierbar ist und was nicht finanzierbar ist, wie viele Personen über diese Förderung in Beschäftigung gekommen sind, wie viele Personen nicht in Beschäftigung gekommen sind. Sie wissen ganz genau, dass damit die 271 Mio. DM, nämlich durch das fehlende operationelle Programm, im Wesentlichen blockiert sind. Sie wissen auch, dass die Förderkonzepte der Träger auf Eis liegen; das habe ich von Ihnen sogar schriftlich. Sie bestätigen nämlich, dass in Frauenprojekten nicht eine einzige Maßnahme seit dem 01.01.2000 genehmigungsfähig ist, weil man umgestellt hat von Landesförderung aus dem Landesarbeitsmarktprogramm hin zur ESF-Förderung. Diese muss man aber erst im operationellen Programm genehmigt bekommen, um anschließend die 16,7 Mio. DM, die Sie für die Frauenförderung vorgesehen haben, einzusetzen. Das heißt, seit 01.01. dieses Jahres gibt es keine Möglichkeit der Frauenförderung. Das hätte doch der Ehrlichkeit halber hierher gehört. Und da hätte auch hergehört zu sagen, bitte schön, ihr Träger, wir sind zurzeit nicht in der Lage, weil wir es verpasst haben, die entsprechenden Alternativen anzubieten, denn Sie wussten ganz genau, dass mit

Beginn der neuen Förderperiode vor Herbst dieses Jahres nicht damit zu rechnen ist, dass die entsprechenden EU-Mittel bereitstehen. Gleichzeitig haben Sie die Mittel im Landesarbeitsmarktprogramm von reichlich 126 Mio. DM auf 46 Mio. DM, die ohnehin schon gebunden waren, für dieses Jahr heruntergekürzt. Das ist die Konsequenz, die Sie betrieben haben, wohl wissend, dass Sie nicht in der Lage sind, Träger zu unterstützen, Projekte zu unterstützen, weil Sie das Geld nicht haben. Haben Sie den Gestaltungsspielraum, den Sie an Landesmitteln hatten oder gehabt hätten, freiwillig abgegeben, indem Sie die 80 Mio. DM aus dem Haushalt gestrichen haben? Herr Schuster, das hätte ich mir gewünscht als ehrliche und offene Aussage.

Und zum Schluss:

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: Es wird auch Zeit.)

Herr Schuster, wenn es Ihnen nicht gelingt, tatsächlich wahrzunehmen, wo die Probleme liegen, tatsächlich Lösungsansätze zu suchen, die wirksam sind, werden wir im Freistaat, im Land Thüringen keine Ruhe bekommen, werden wir keine Konzepte bekommen, wird es keine Veränderung der Arbeitsmarktzahlen geben. Das kann nicht die Aufgabe eines Wirtschaftsministers und eines Arbeitsmarktministers sein. Hier wird konstruktive Politik erwartet, die wir bisher und mit dieser Erklärung von heute von Ihnen nicht gesehen haben.

(Beifall bei der PDS)

Herr Abgeordneter Kretschmer, CDU-Fraktion, hat sich zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Gerstenberger, Frau Heß, es tut weh, dass wir hier als CDULandesregierung, als CDU-Fraktion Erfolg haben, es tut weh und deshalb kann ich schon sehen, wie Sie als Schulmeister, Herr Gerstenberger, versuchen, all das, was an guten Ergebnissen erreicht worden ist, schlecht zu machen. Nur, Sie müssten natürlich jetzt als Schulmeister auch auf die Redaktionen der Presse zugehen, denn wir haben da keinen Einfluss drauf. Wenn Sie den Pressespiegel von heute sehen, die "Osterländer Volkszeitung" schreibt, Thüringen hat die geringste Arbeitslosigkeit im Osten. Die "Thüringer Allgemeine" schreibt, auch darauf haben wir keinen Einfluss, niedrigste Juniquote der Arbeitslosigkeit seit 1995

(Zwischenruf Abg. Neudert, PDS: Wir ver- stehen das genauso wenig wie Sie!)

und die Bildzeitung - ja, ich sage ja, Sie müssen den Redakteuren Ihre Schulmeisterfähigkeiten andienen, nicht mir, ich kann das hier sehr gut lesen - und sehen Sie, die Bildzeitung sagt, Arbeitslosigkeit nimmt ab. Und die machen das sogar noch als positive Botschaft. Na also, im Freistaat ist die Arbeitslosigkeit weiter auf dem Rückmarsch. Das sind doch die guten Nachrichten, nicht Ihr wehleidiges Geklage hier.

(Beifall bei der CDU)

Aber ich kann mir schon vorstellen, warum Sie das hier transportieren. Wissen Sie, wir haben gesagt, Herr Minister Schuster, die CDU-Landesregierung, die CDUFraktion, wir bringen Ordnung in den Arbeitsmarkt, und zwar dem Gesetzesauftrag entsprechend. Das Arbeitsförderungsgesetz und SGB III zielt auf den Integrationseffekt ab, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Und es ist ein falsch verstandenes Sozialbewusstsein, indem man nur davon ausgeht, die Leute sollen einfach nur untergebracht werden und die Träger müssen insbesondere gefördert und geschützt werden. Dass jetzt ein anderer Wind weht, das macht bei den Trägern Unruhe, das ist mir schon klar und dass die nun versuchen, diese Unruhe politisch weiterzugeben und dass Sie sich als Fürsprecher der Träger, die in ihrer Betulichkeit gestört werden, aufspielen, das ist mir auch schon klar. Da können Sie nicht mit Worten wie "Totengräber" kommen,

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Nein, das ist falsch.)

das ist vollkommen falsch.

(Beifall bei der CDU)

Herr Gerstenberger, ich werde mir das Protokoll Ihrer Rede geben lassen und ich werde dann einen Schriftsatz an Herrn Präsidenten Heß verfassen, denn Sie haben ihn - und ich würde das als Lüge bezeichnen - hier falsch zitiert bei der Darstellung, Sie würden oder haben ihn so verstanden oder er hätte gesagt, dass das Hinausgehen aus dem Freistaat noch gefördert wird. Nein, er hat es genau andersherum gesagt. Wenn es eine Arbeitsmöglichkeit in Stuttgart gibt, dann ist es natürlich die Entscheidung des Arbeitslosen, diesen Arbeitsplatz anzunehmen. Es gibt sicher persönliche Entscheidungsgründe; einer allein stehenden Frau mit zwei Kindern kann ich nicht sagen, fahr du nach Stuttgart an die Arbeit. Das ist, glaube ich, selbstverständlich. Aber er sieht nicht ein, wenn ein Arbeitsloser diese Maßnahme ablehnt, warum er in eine Maßnahme nach Thüringen kommen soll mit öffentlich gefördertem Geld. Das ist, glaube ich, auch Ordnung reinbringen.

(Beifall bei der CDU)

Ich denke, Sie sollten bei der Ehrlichkeit bleiben. Wissen Sie, und wenn wir da ein bisschen Ordnung reintun, dann räumen wir vielleicht auch auf mit vielen Vorurteilen oder auch zu Recht getätigten Beobachtungen. Ich habe nicht die Worte gefunden, ABM - Arbeit bis Mittag. Ich habe nicht die Bürgermeisterklagen erfunden, die da sagen, wie soll ich denn die Leute in den Maßnahmen, wenn sie nicht arbeiten wollen, zur Arbeit anhalten. Das kann ich Ihnen alles belegen. Ich habe nicht die Aussage der Arbeitsamtsdirektorin aus Gotha erfunden, wenn ich da mit Frauen im Raum sitze und biete 40 Arbeitsplätze an, ordentliche Arbeitsplätze, bin ich erschrocken, wie kreativ und erfinderisch Ausreden kommen, warum man diese Arbeit nicht annehmen kann, meine Damen und Herren. Das kann doch nicht das Ziel sein, dass wir das auch noch finanzieren, diese Ausreden, die Arbeit nicht anzunehmen.

(Beifall bei der CDU)

Ich gebe zu, es ist unangenehm, wenn man jetzt sagt, wir wollen Qualität, wir wollen Effekte haben und wir wollen auch vor allen Dingen die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen, die dann erforderlich sind, notwendig einbringen.

Meine Damen und Herren, ich würde sagen, das, was wir als Arbeitsmarktpolitik jetzt machen, ist so ein bisschen plakativ unter den Titel zu bringen "Wie schützen wir die Schwachen vor den Faulen?" und, meine Damen und Herren, das kann ja nur gut sein.

(Beifall bei der CDU)