Protocol of the Session on May 3, 2000

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf die 16. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am heutigen 3. Mai im Jahr 2000 eröffnen. Ich begrüße sehr herzlich die Damen und Herren Abgeordneten, die Regierungsvertreter und die Gäste. Insbesondere begrüße ich zu dieser Sitzung zahlreiche Vertreter des öffentlichen Lebens unseres Landes zur heutigen Sondersitzung, in der der Thüringer Landtag sich mit dem Brandanschlag auf die Synagoge in Erfurt befassen wird. Besonders begrüße ich den Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde, Herrn Nossen.

(Beifall im Hause)

Ich begrüße aber auch die Vertreter der Kirchen, der Gewerkschaften, der Thüringer Wirtschaft, der politischen Stiftungen, der Vereine und Verbände und die Vertreter der Medien.

(Beifall im Hause)

Wir alle sind uns der Bedeutung der heutigen Sitzung bewusst und ich danke Ihnen allen schon jetzt für Ihre Teilnahme.

Ich darf zu Beginn noch einige Hinweise geben: Zunächst, die Sitzung wurde gemäß Artikel 57 Abs. 2 Satz 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen i.V.m. § 19 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags einberufen; die dazugehörige Unterrichtung liegt Ihnen in der Drucksache 3/605 vor.

Als Schriftführer haben neben mir Platz genommen der Herr Abgeordnete Braasch und die Frau Abgeordnete Bechthum. Frau Abgeordnete Bechthum wird die Rednerliste führen. Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt die Abgeordnete Doht, die Abgeordnete Tasch, die Abgeordnete Dr. Klaus, der Abgeordnete Dr. Koch und der Abgeordnete Pöhler sowie die Mitglieder des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten, die sich gegenwärtig in Brüssel befinden.

Ich darf noch einen Hinweis zur Tagesordnung geben: Zu dem Antrag der Fraktion der SPD "Brandanschlag auf die Synagoge in Erfurt" in Drucksache 3/604 wird ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU, der SPD und der PDS in Drucksache 3/627 verteilt werden.

Damit komme ich jetzt zum Aufruf des Tagesordnungspunkts

Brandanschlag auf die Synagoge in Erfurt Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 3/604 dazu: Entschließungsantrag der Fraktionen CDU, SPD und PDS - Drucksache 3/627

Ich darf zunächst die antragstellende Fraktion bitten, den Antrag zu begründen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die SPDFraktion hat den Antrag auf Sondersitzung hinsichtlich des Brandanschlags auf die Synagoge in Erfurt eingebracht, weil in einer Folge rechtsradikaler Kundgebungen in Thüringen dieser Brandanschlag auf die jüdische Synagoge in Erfurt ein trauriger Höhepunkt war, den wir alle als verabscheuungswürdig verurteilen. Wir wollten weiterhin eine gemeinsame Erklärung aller Demokraten hier in diesem Hause, die ein Zeichen setzen soll gegen rechte Gewalt, die deutlich machen soll, dass wir gemeinsam dafür stehen, dass Thüringen ein offenes Land ist, wo sich jeder wohl fühlt, wo jeder gerne herkommt und wo keiner Angst haben muss um Leib und Leben, weil er anderer Gesinnung ist, anderer Hautfarbe, und wo wir nicht mehr fürchten müssen um weitere Anschläge auf jüdische Synagogen. Aber wir wollten mit diesem Antrag auch einen Bericht über das, was geschehen ist und wie wir weiterhin damit umzugehen gedenken, weil nicht allein nur Zeichen notwendig sind, sondern auch künftiges Handeln in Deutlichkeit angesagt ist. Ich freue mich sehr, dass es im Vorfeld gelungen ist, dass alle Fraktionen an diesem Punkt sehr intensiv zusammengearbeitet haben und demzufolge auch ein Zeichen setzen, das in diesem Haus eine ganz besondere Größenordnung darstellt. Wir wünschen uns eine sachgerechte Diskussion sowohl des Berichts als auch des Antrags und ich möchte bei dieser Gelegenheit noch mal für meine Fraktion, aber ich denke, sicher für alle, herzlichen Dank sagen an diejenigen, die sich nach dem Anschlag auf die Synagoge an Kundgebungen, an Menschenketten beteiligt haben, um zu sagen, wir wollen uns gegen rechte Gewalt in Thüringen wenden und ich sage ausdrücklich herzlichen Dank auch an die Vertreter aller drei Fraktionen in diesem Hause, die an diesen Veranstaltungen teilgenommen haben. Insofern wünsche ich mir eine sachgerechte Diskussion. Danke schön.

(Beifall im Hause)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Pelke. Die Landesregierung hat angekündigt, dass sie von der Möglichkeit des Sofortberichts Gebrauch macht. Ich bitte Herrn Innenminister Köckert.

Frau Landtagspräsidentin, Herr Ministerpräsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte eingangs der Jüdischen Landesgemeinde noch einmal sagen, dass ich erschüttert bin über diesen verabscheuungswürdigen Anschlag. Es ist nur schwer fassbar, dass es zu Beginn des 21. Jahrhunderts - mehr als 60 Jahre nach dem Novemberpogrom des Jahres 1938 - in Deutschland Menschen gibt, die eine solche Tat begehen.

Es ist eine schreckliche Vorstellung, dass wir nahe daran waren, dass in Thüringen wieder eine Synagoge brennt.

Meine Damen und Herren, wir wissen, dass die übergroße Mehrheit der Bevölkerung diese Tat scharf verurteilt, wie sie auch die Aktivitäten einer kleinen extremistischen Minderheit verurteilt, die aus der Geschichte nichts lernen will oder gar unsere Geschichte als Deutsche überhaupt nicht kennt. Wir wissen heute, dass der Anschlag auf die Erfurter Synagoge die Tat einzelner fehlgeleiteter Jugendlicher war, doch relativiert diese Feststellung diese Tat keineswegs und sie verringert auch nicht die Besorgnis unserer jüdischen Mitbürger. Ich möchte Ihnen versichern, ich habe auch darüber schon mit Herrn Nossen, dem Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde, gesprochen: Wir werden seitens der Landesregierung das in unseren Möglichkeiten Stehende tun, damit sich eine solche Tat nicht wieder ereignet. Dazu gehört auch, dass wir uns heute hier im Thüringer Landtag damit auseinander setzen.

Der Anschlag auf die Erfurter Synagoge wird aber auch zu einem Gradmesser für die Demokratie, meine Damen und Herren. Beziehen wir klar Position, machen wir deutlich, dass wir extremistisches, fremdenfeindliches und undemokratisches Verhalten keinesfalls hinnehmen oder gar dulden: Denn ich glaube, hier geht es um einen entscheidenden, wenn nicht um den entscheidenden Grundkonsens unserer Demokratie und unserer Gesellschaft. Hier müssen wir einig sein, meine Damen und Herren. Wer diesen Grundkonsens unserer Gesellschaft angreift, der muss die Härte des Gesetzes zu spüren bekommen.

Ich bin froh darüber, meine Damen und Herren, dass durch die rasche Festnahme der mutmaßlichen Täter ein Teil der Unsicherheit von der Jüdischen Landesgemeinde genommen worden ist. Es wurde mit Hochdruck ermittelt, binnen drei Tagen, am 23. April 2000, erfolgte die Festnahme des ersten Tatverdächtigen, in der Folge am 26. April 2000 die Festnahme der restlichen beiden Tatverdächtigen, durch deren Geständnisse und Aussa

gen der Brandanschlag als aufgeklärt gelten kann.

Der rasche Fahndungserfolg, meine Damen und Herren, wird hoffentlich der rechten Szene deutlich machen, dass solche Anschläge in Thüringen nicht ungestraft bleiben. Umso unverständlicher erscheinen mir einzelne Reaktionen und Kommentare in den vergangenen Tagen. Denn wer manche Äußerungen aufmerksam verfolgt hat, der konnte sich gelegentlich des Eindrucks nicht erwehren, dass es nicht allen recht war, dass die Täter so schnell ermittelt und gefasst wurden. Deshalb sage ich sehr klar und deutlich: Es ist unwürdig, wenn aus einer solchen verabscheuungswürdigen Tat versucht wird, politisches Kapital zu schlagen. Der Schaden für Thüringen durch diese Tat selbst ist schon groß genug. Was wir brauchen im Umgang mit dem politischen Extremismus in unserem Land, ist zuallererst ein klares Bekenntnis zur freiheitlichen Demokratie. Aber wir brauchen auch Verantwortungsbewusstsein und Besonnenheit in der Debatte darüber. Zur Haltung der Landesregierung in diesem komplexen Themenfeld insgesamt wird Herr Ministerpräsident im Verlauf der Debatte noch sprechen. Ich beantworte deshalb die konkreten Anfragen gemäß Antrag der SPD-Fraktion.

Zu Frage 1: Welche Vorbereitungen hat die Landesregierung getroffen, um anlässlich des 20. April für Übergriffe der Rechtsextremisten besonders gefährdete Einrichtungen wie die Synagoge in Erfurt besonders zu schützen und welche Vorkehrungen wird sie in Zukunft treffen?

Meine Damen und Herren, das Thüringer Innenministerium hat die Polizeidienststellen des Freistaats Thüringen bereits 1992 angewiesen, Schutzmaßnahmen zur Sicherung von jüdischen Objekten und Einrichtungen durchzuführen. Dies bedeutet, dass derartige Objekte in die Bestreifung einzubeziehen sind, und in der Vergangenheit wurden diese Schutzmaßnahmen permanent der aktuellen Gefährdungslage angepasst. Die Polizeiinspektion Erfurt-Mitte hat darüber hinaus festgelegt, dass für die Erfurter Synagoge bei Veranstaltungen zusätzlich zu den bestehenden Schutzmaßnahmen der ständige Objektschutz durch Posten oder auch Streifen zu gewährleisten ist. Die Polizeidirektion Erfurt hat nun am 12. April dieses Jahres für den nachgeordneten Bereich anlässlich des 20. April einen Rahmeneinsatzbefehl erstellt und angeordnet, dass die verdeckte, unsichtbare Präsenz der Polizei an möglichen gefährdeten Objekten - u.a. an der Synagoge, am jüdischen Friedhof sowie an der jüdischen Gedenktafel - zu verstärken ist. Ab 19. April begann bereits die verstärkte Bestreifung der oben genannten Objekte. Gleichzeitig wurde für alle Dienststellen größtmögliche Dienststärke angeordnet und, meine Damen und Herren, in den vergangenen Jahren waren diese Schutzmaßnahmen aufgrund der bisherigen Gefahrenprognose für diesen Tag ausreichend. Auch in diesem Jahr gab es keine Hinweise, dass darüber hinausgehende Schutzmaßnahmen erforderlich wären.

Nach dem Anschlag auf die Synagoge wurde der ständige Schutz durch Posten oder auch Streifen festgelegt. In Abstimmung mit der Jüdischen Landesgemeinde wurden inzwischen die künftigen Schutzmaßnahmen auf der Basis einer erneuten Lagebeurteilung festgelegt. Gleichzeitig ist aber offensichtlich, dass das Sicherheitskonzept für die Synagoge weiter verbessert werden muss. Aus nahe liegenden Gründen, für die Sie sicher Verständnis haben, werde ich dazu keine weiteren Details öffentlich machen. Ich lasse zudem gegenwärtig prüfen, ob um das Gebäude herum auch eine öffentliche Videoüberwachung möglich ist. Dabei geht es vor allem um eine Prüfung der rechtlichen Belange, die bei einer solchen Maßnahme berührt sind. Das wäre dann das erste Beispiel einer öffentlichen Videoüberwachung eines öffentlichen Bereichs in Thüringen. Die aktuelle Diskussion zu dieser Thematik kennen Sie.

Zu Frage 2: Welche neuen Erkenntnisse hat die Landesregierung zu dem Brandanschlag auf die Synagoge in Erfurt und zur politischen Ausrichtung des Täters?

Zu dieser Frage lässt sich Folgendes sagen: Am 20. April um 22.11 Uhr teilte eine namentlich bekannte Zeugin der Einsatzzentrale der Polizeidirektion Erfurt mit, dass um 22.10 Uhr ein Brandanschlag auf die jüdische Synagoge in der Karthäuser Straße verübt wurde. Von der Einsatzzentrale wurden unverzüglich Polizeikräfte der Polizeiinspektion Zentrale Dienste und der Polizeiinspektion Erfurt Mitte zum Einsatz gebracht. Diese erreichten um 22.14 Uhr bzw. 22.15 Uhr den Tatort, damit also nur drei bzw. vier Minuten nach der Alarmierung. Polizeibeamte der Kriminalpolizeiinspektion Erfurt wurden hinzugezogen und trafen um 22.25 Uhr am Tatort ein. Nach Mitteilung der Zeugin wurde gegen die Synagoge ein so genannter Molotowcocktail geworfen. Der Molotowcocktail zerschellte an der Hauswand oberhalb der Videoüberwachungskamera. Die Leute, die die Örtlichkeiten dort kennen, wissen, das ist das Bürohaus und Wohngebäude der Landesgemeinde, nicht die Synagoge direkt. Zu einem Brand des Gebäudes kam es glücklicherweise nicht. Lediglich der als Lunte benutzte Stoffstreifen brannte, nachdem er auf den Boden gefallen war, weiter. Der Brand dieser Lunte wurde von der Zeugin weitestgehend, auch unter Einsatz von Wasser, gelöscht. Von den am Tatort eintreffenden Beamten wurden die noch glimmenden Reste der vorgefundenen Lunte vollständig gelöscht.

Die Tatortuntersuchung wurde aufgrund der Bedeutung des Delikts der eigens im Landeskriminalamt eingerichteten Tatortgruppe übertragen. Diese nahm am 20.04. ab 23.55 Uhr ihre Arbeit auf. Nach veranlasster Absperrung wurde die Beleuchtungsanlage aufgebaut und mit der systematischen Spurensicherung begonnen. Als Erstes wurde etwa 20 m neben dem Eingangstor ein Schriftstück, das so genannte Bekennerschreiben, aufgefunden, welches von den mutmaßlichen Tätern hinterlassen wurde. Dieses wurde im Original gesichert und kriminal

technisch untersucht. In der weiteren Folge wurde der Tatort nach üblichen und bewährten kriminaltaktischen Grundsätzen untersucht und hierbei wurde festgestellt, dass ein Stofffetzen ca. 6 m neben dem Eingang auf der Straße lag. Innerhalb des umzäunten Objektes, unmittelbar an der Hauswand wurden weitere Glasscherben festgestellt, die offensichtlich zu einer zerbrochenen Flasche gehörten. Im Einzelnen konnten ein Flaschenboden, eine Scherbe mit Etikett, ein Flaschenhals, in dem sich Reste eines verbrannten Stofffetzens befanden, sowie eine Vielzahl kleiner Glassplitter aufgefunden werden. Aus der Gesamtspurenlage und der fotografischen Dokumentation am folgenden Tag wurde geschlussfolgert, dass die Tat nur mit einer Flasche begangen wurde. Im Rahmen der erweiterten Tatortarbeit in den nächsten Tagen sowie in Auswertung der Erkenntnisse aus dem Geständnis eines Tatverdächtigen konnten die Hinweise auf einen zweiten Molotowcocktail verdichtet werden. Die Glasscherben des zweiten Molotowcocktails wurden daraufhin im Ergebnis der zielgerichteten Suche in der Dachrinne des Gebäudes aufgefunden. Eine Brandgefahr für die Synagoge bzw. für dieses Wohn- und Bürogebäude bestand zu keinem Zeitpunkt, da die Lunte nach Spurenlage schon während des Wurfes aus dem Flaschenhals gefallen war. Es könnte sich nach dem Stand der derzeitigen Ermittlungen um den Stofffetzen handeln, der etwa 6 Meter neben dem Eingangstor aufgefunden und ursprünglich als Teil der ersten Lunte angesehen wurde.

In dem am Tatort aufgefundenen Bekennerschreiben wurde erklärt, der Anschlag basiere auf antisemitischen Motiven. Unterzeichnet war es von einer Gruppe "Die Scheitelträger". Nicht zuletzt diese Bezeichnung, die keine Selbstbezeichnung rechter Gruppierungen, sondern eine Fremdbezeichnung aus dem linken Spektrum für Rechtsextreme ist, ließ die Polizei und die Staatsanwaltschaft nach allen Richtungen hin ermitteln. Dieses Vorgehen zu Beginn der Ermittlungen war sachlich geboten und richtig.

Durch Auswertung einer Fingerspur auf dem Bekennerschreiben wurde ein gewisser Andreas J., geboren 1981 in Gotha, ermittelt. Seine Festnahme erfolgte umgehend am 23. April. In der Erstvernehmung bestritt besagter Andreas J. zunächst jegliche Beteiligung an der Tat. Am 24. April erging durch das Amtsgericht Gotha Haftbefehl. Seit diesem Tag befindet sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft. Am 26. April wurde er erneut von Beamten des Landeskriminalamts und der die Ermittlungen führenden Staatsanwältin vernommen. Nunmehr legte der Beschuldigte ein umfassendes und nach bisherigem Erkenntnisstand glaubwürdiges Geständnis ab. Er erklärte, er habe die Tat gemeinsam mit einem gewissen Carsten H., geboren 1983 in Erfurt, und einem gewissen David K., geboren 1982 in Rodewisch, begangen. David K. sei lediglich der Fahrer gewesen und habe von der Tat selbst nichts gewusst. Andreas J. und Carsten H. hätten die Tat gemeinsam ausgeführt. Beide hätten Molotow

cocktails, die mit Öl und Spiritus gefüllt gewesen seien, geworfen. Beide hätten sich von Neudietendorf, wo sie sich überwiegend aufhalten bzw. wohnen, nach Erfurt begeben und seien nach Neudietendorf zurückgekehrt. Aufgrund der Angaben von Andreas J. wurden Carsten H. und David K. von Beamten des LKA festgenommen. Nachdem zunächst auch Carsten H. jede Auskunft verweigert hatte, legte er ebenfalls ein umfassendes Geständnis ab. Carsten H. gestand, einen Molotowcocktail, den er in ein Fenster habe werfen wollen, auf das Dach geworfen zu haben. Zu einer Explosion sei es nicht gekommen. Aufgrund dieser Einlassungen von Carsten H. wurden die Reste des bis dato nicht bekannt gewesenen zweiten Molotowcocktails aus der Dachrinne des Gebäudes geborgen. Der Dritte, David K., konnte erkennbar zu dem eigentlichen Vorgang keine näheren Angaben machen.

Nach übereinstimmenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden existiert eine rechtsradikale Organisation namens "Die Scheitelträger" nicht. Die Angaben der Beschuldigten bestätigen dies. Sie haben diesen Namen erfunden bzw. bewusst das Bekennerschreiben damit gezeichnet. Alle drei Beschuldigten sind der rechtsextremistischen Szene zuzuordnen. Andreas J. dürfte Mitglied des Bundes Deutscher Patrioten sein. Der Beschuldigte Carsten H. wurde 1999 wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen durch das Amtsgericht Gotha jugendrichterlich verwarnt und mit einer Arbeitsauflage belegt. Weitere Verfahren wegen Verstoßes gegen § 86 a des Strafgesetzbuchs sind gegen Carsten H. bei der Staatsanwaltschaft Erfurt anhängig. Der Beschuldigte David K. ist bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, rechnet sich nach eigenen Angaben aber der rechtsextremistischen Szene zu. Der Beschuldigte Andreas J. wurde im März 1999 ebenfalls wegen Verstoßes gegen § 86 a Strafgesetzbuch jugendrichterlich verwarnt und im September 1999 wegen gefährlicher Körperverletzung mit einer Jugendstrafe von einem Jahr, ausgesetzt zu drei Jahren Bewährung, belegt. Der Beschuldigte Andreas J. insbesondere hat erklärt, man habe diese Tat ausgeführt, um sich im rechtsextremistischen Milieu einen Namen zu machen. Die Beschuldigten Andreas J. und Carsten H. befinden sich derzeit in Untersuchungshaft. Gegen den Beschuldigten David K. liegen derzeit keine Haftgründe vor.

Gestatten Sie, dass ich auf die Fragen 3 und 4 im Komplex antworte. Hat die Landesregierung ein ressortübergreifendes Konzept zur Bekämpfung von rechtsradikalen Tendenzen in der Bevölkerung in Angriff genommen bzw. will sie dieses in Angriff nehmen und wie sieht es aus? Beabsichtigt die Landesregierung die Auseinandersetzungen mit rechtsradikalen Tendenzen auf eine breite gesellschaftliche Ebene zu stellen?

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Tatsache ist, dass alle jungen Länder - relativ gesehen - statistisch hohe Werte an Gewalttaten mit rechtsextremistischem

Hintergrund haben und dass wir diese Erscheinungen sehr ernst nehmen. Tatsache ist aber auch, und dafür sprechen nicht zuletzt die zahlreichen Solidaritätsbekundungen mit der Jüdischen Landesgemeinde in den letzten Tagen, dass weder die Brandenburger noch die Sachsen und schon gar nicht die Thüringer ein Volk von Neonazis sind. Thüringen ist kein Aufmarschgebiet der Rechtsextremisten, meine Damen und Herren. Dennoch gibt es, und zwar nicht erst seit dem Anschlag auf die Erfurter Synagoge, keinen Anlass zur Entwarnung. Seit Anfang der 90er-Jahre ist in Thüringen ein Anstieg der Straftaten zu verzeichnen, bei denen eine extremistische Motivation zugrunde lag oder bei denen eine solche nicht ausgeschlossen werden konnte. 1999 - das ist hier schon erwähnt worden - wurden 1.118 rechtsextreme Straftaten registriert, die meisten davon so genannte Propagandadelikte. Wie Sie wissen, habe ich aus diesem Grunde bereits am 3. März eine polizeiliche Gesamtkonzeption zur Bekämpfung des Extremismus vorgestellt und in der Landtagssitzung am 16. März weitere Ausführungen zum Vorgehen der Landesregierung in dieser Frage gemacht. Deshalb setze ich dies hier als bekannt voraus und lege das im Einzelnen an dieser Stelle nicht noch einmal dar.

Erfreulicherweise können wir heute, nicht einmal fünf Wochen seit In-Kraft-Treten der Konzeption, schon sichtbare Erfolge vorweisen. In diesem Zeitraum wurden fast 700 verdächtige Personen kontrolliert, mehr als 450 befragt, fast 80 erkennungsdienstlich behandelt. In mehr als 400 Fällen wurden Platzverweise ausgesprochen und in 99 Fällen wurden Personen in Gewahrsam genommen. Seit diesem Inkraftsetzen konnten in Lauscha, in Wiegleben, in Camsdorf verbotene bzw. nicht angemeldete Veranstaltungen verhindert bzw. unterbunden werden. Zuletzt hat der sehr erfolgreiche Polizeieinsatz am 1. Mai deutlich gemacht, dass die Thüringer Polizei mit äußerster Konsequenz und im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel und Möglichkeiten gegen verbotene extremistische Aktivitäten einschreitet. Ich möchte dies auch heute hier zum Anlass nehmen, um der Thüringer Polizei, die am vergangenen Wochenende einmal mehr einen nicht einfachen Dienst zu leisten hatte, für ihren hervorragenden Einsatz ausdrücklich zu danken, meine Damen und Herren,

(Beifall bei der CDU, SPD)

wie mein Dank auch den ermittelnden Behörden gilt, die in zügiger und schneller Weise den Sachverhalt über die Osterfeiertage hinweg aufgeklärt haben und die Dinge zügig zur Entscheidung haben bringen können.

Mein Dank aber, meine Damen und Herren, gilt in diesem Zusammenhang auch den Weimarer Bürgerinnen und Bürgern, die durch eine beeindruckende Zahl von friedlichen und phantasievollen Gegenaktionen am 1. Mai Zeichen für Toleranz und Offenheit gesetzt haben.

(Beifall im Hause)

Ich glaube, hier sind wir nicht nur mehr am Beginn, sondern schon weit drin in diesem Prozess der Herstellung des gesellschaftlichen Konsenses, dass diese Atmosphäre wir nicht nur immer in den Köpfen und im Herzen tragen, sondern sie auch deutlich zum Ausdruck bringen, auch nach draußen, auch sichtbar für die, die das immer wieder stören wollen.

Zum Thema "Ressortübergreifende Zusammenarbeit" möchte ich daran erinnern, dass die Thüringer Landesregierung bereits 1992 in der 1. Legislatur eine interministerielle Kommission zur Bekämpfung fremdenfeindlicher Gewalt unter Vorsitz des Thüringer Innenministeriums eingesetzt hat. Diese Kommission hat unter Einbeziehung aller beteiligten Ressorts in den letzten beiden Legislaturperioden Maßnahmen zur Bekämpfung fremdenfeindlicher Gewalt erarbeitet, um sowohl präventiv als auch repressiv dem Extremismus begegnen zu können. Wir werden auch in dieser Legislatur an das anknüpfen, was in den letzten Jahren auf diesem Gebiet ressortübergreifend geleistet worden ist. Darauf jetzt im Einzelnen einzugehen, würde wohl den Rahmen dieser Debatte sprengen; im Übrigen hat das Thüringer Innenministerium erst im vergangenen Jahr im Rahmen der Beantwortung einer Kleinen Anfrage umfassend zu den Maßnahmen zur Eindämmung fremdenfeindlicher und rechtsextremer Gewalttaten in Thüringen Stellung genommen. Das Thüringer Innenministerium erarbeitet derzeit einen weiteren Teil dieses Maßnahmenpakets, für das auch Repräsentanten der Wirtschaft als Multiplikatoren gewonnen werden sollen. Der Grund dafür ist, dass es sich bei den hier im Lande ansässigen Rechtsextremisten ganz überwiegend um Jugendliche oder junge Männer handelt, die entgegen landläufiger Vorstellungen nicht arbeitslos sind, sondern vielmehr in einem Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis stehen. Häufig schaden diese Personen nachhaltig dem Ansehen des Freistaats, auch ohne dass sie Straftaten begehen oder ihnen diese nicht gerichtsfest nachgewiesen werden können.

Weitere Veranstaltungen, die durchgeführt werden, wenden sich an Multiplikatoren bei Schulen und Sozialeinrichtungen. Zudem gibt es seit März dieses Jahres eine interministerielle Arbeitsgruppe "Gewaltprävention", die unter der Federführung des Abteilungsleiters Polizei im Thüringer Innenministerium über weiterführende ressortübergreifende Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewaltkriminalität berät. Nicht zuletzt möchte ich hier nennen den Modellversuch "Jugendstation", der unter Führung des Thüringer Justizministeriums in Zusammenarbeit mit dem TIM, mit dem Kultusministerium und mit dem Sozialministerium vorbereitet wird und seinen Auftakt in Gera haben soll.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, trotz aller dieser Maßnahmen muss auch deutlich gesagt werden: 100-prozentige Sicherheit vor derartigen Anschlägen und auch das ist eine traurige Tatsache - wird es nie geben. Die Bekämpfung des Extremismus braucht einen

langen Atem. Und wer in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken versucht, als gäbe es Konzepte, Mittel und Möglichkeiten, mit denen dem extremistischen Spuk in allerkürzester Zeit binnen weniger Wochen der Garaus gemacht werden könnte, und nur diese Landesregierung würde nichts tun und sie nicht anwenden, der täuscht bewusst und wissentlich die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Wir werden einen langen Atem zur Extremismusbekämpfung brauchen und kein kurzatmiges politisches Schreien von Leuten ohne Verantwortung, die manchmal ein solches Ereignis, wie den Anschlag auf diese Erfurter Synagoge, zu Trittbrettfahrereien benutzen.

Das repressive und präventive Vorgehen der Polizei, die Umsetzung unseres Konzepts ist in seiner Wirksamkeit mittelfristig sicher erfolgreich und erste Erfolge, das habe ich ja eben noch sagen können, konnten wir schon erzielen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, indem die Polizei ihren Handlungsspielraum voll ausschöpft, soll gleichzeitig für den Bürger dokumentiert werden, dass auch er gefordert ist, in seinem eigenen Umfeld, im privaten Bereich oder am Arbeitsplatz mit den eigenen Möglichkeiten dem Aufkommen von extremistischen Umtrieben entgegenzutreten. Wir müssen auch außerhalb des polizeilichen Wirkungskreises die vom politischen Extremismus gefährdeten Jugendlichen erreichen. Dieser Aufgabe müssen sich alle stellen, die in der Gesellschaft Verantwortung tragen. Dies ist eine Aufgabe auch der Erziehungsarbeit in den Familien, auch in den Schulen, auch in den Ausbildungsbetrieben. Die Erhaltung des demokratischen Rechtsstaats kann nicht allein von staatlichen Behörden geleistet werden. Sie ist vielmehr Aufgabe aller Bürger und deren Bereitschaft, sich mit unserer Verfassungsordnung zu identifizieren, an ihrer Bewahrung aktiv mitzuwirken und den Gegnern der freiheitlichen Demokratie entschlossen entgegenzutreten. Diese Bereitschaft ist der beste und wirksamste Schutz unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Meine Damen und Herren, die Thüringer Landesregierung nimmt den Verfassungsauftrag, die Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen, sehr ernst. Sie wird wie schon in den vergangenen Legislaturperioden auch weiterhin alles ihr Mögliche tun, um den politischen Extremismus in Thüringen konsequent und wirksam zu bekämpfen. Ich bitte Sie alle hierfür um Ihre Unterstützung.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit kommen wir jetzt zur gemeinsamen Aussprache über den Bericht und über die vorliegenden Anträge. Ich bitte zunächst Frau Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende Zimmer, PDSFraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, werter Herr Ministerpräsident, liebe Gemeindemitglieder der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, sehr geehrter Herr Vorsitzender Nossen, auch heute noch, mit Abstand betrachtet, fallen einem die Worte mit Blick auf die jüngste deutsche Geschichte zum schmählichen und verabscheuungswürdigen Brandanschlag auf Ihr Gotteshaus sehr schwer. Aber wie müssen sich erst jene Gemeindemitglieder, die den Holocaust überlebten und hier in Erfurt entweder ihre Heimat behalten haben oder auch wieder gefunden haben, bei dem Gedanken fühlen: "Und wieder versucht man - wie 1938 - Synagogen anzubrennen." Wie müssen sich jene neuen Gemeindemitglieder, die mit Lebensmut, Tatendrang und Vertrauen in diese Gesellschaft nach Deutschland gekommen sind, bei dem Gedanken fühlen: "Sind wir doch nicht so willkommen in diesem Land?" Wie müssen Sie sich, Herr Vorsitzender Nossen, der Sie mit Durchsetzungsvermögen, mit Aufopferung und Engagement nicht nur das religiöse Leben der Jüdischen Landesgemeinde weiter mit aufgebaut haben, bei dem Gedanken fühlen, dass es wieder blindwütige nationalistische Demagogen und bereitwillige Handlanger sind, die Gewalt gegen Andersdenkende, Anderslebende, Andersaussehende anwenden? Was müssen gerade die Menschen in Israel, aber auch alle anderen jüdischen Menschen auf dieser Welt bei diesem Gedanken fühlen, dass es die Bundesrepublik Deutschland als so genannter Eckpfeiler der demokratischen und zivilisatorischen Entwicklung auf der Welt auch im 21. Jahrhundert nicht schafft, jene geistigen Wurzeln, jene damit verbundene Ideologie und Vorstellung aus den Köpfen auch junger Menschen zu verbannen und gleichzeitig mit aller Konsequenz und Kraft in der Gesellschaft ein Klima der Aufklärung, der Toleranz, der Mitmenschlichkeit entstehen zu lassen?