Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wer mich über meine Biographie überprüft hat, konnte feststellen, dass ich meine Jugendjahre in Rheinhessen erlebt habe, ich habe in einem ausgesprochenen Bauarbeiterdorf meine Jugend erlebt.
(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Das hoffen Sie, dass Sie so interessant sind. Das machen wir nicht.)
Sie ärgern sich, wenn ich zu viel prüfe. Seien Sie doch einfach still. Ich kann also aus eigenem Erleben erzählen und einschätzen, was es für diese Berufsgruppe der Bauarbeiter heißt und an sozialer Sicherheit bedeutet, ganzjährige Beschäftigung bzw. Entlohnung zu haben. Als Gewerkschafter kann ich den Bruch einschätzen, der mit der Abschaffung dieser Regelung durch die Kohl-Regierung zum 1. Januar 1996 erfolgte. Die Arbeitgeber haben die tarifliche Ersatzlösung missbraucht, Massenentlassungen im Winter mit immer weniger Übernahmen im Frühjahr wurden die Regel. Verluste im Einkommen und in der späteren Rente bei den Bauarbeitern interessierte nicht. Ich kann auch einschätzen, dass die am 6. Juni 1999 im so genannten Bündnis für Arbeit des Bundeskanzlers Schröder abgestimmte Lösung eher ein fauler Kompromiss war. Hier wurde kein CDU-F.D.P.-Fehler zurückgenommen, sondern ein Kompromiss verhandelt, der schlechter als die ursprüngliche, die erste Schlechtwettergeldregelung war. Dieser Kompromiss, den der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der IG Bau mit den Worten kennzeichnete "so ist das Leben", beschreibt die Situation vollends. Das Leben auf den Baustellen bedeutet allzu oft Überstunden und Unterbezahlung, das Leben auf den Arbeitsämtern bedeutet allzu oft Hoffnungslosigkeit. Und dass sich das Leben auf den Arbeitsämtern trotz des so genannten Schlechtwettergeldes für immer mehr Bauarbeiter im Zeitraum November bis März auf den Arbeitsämtern abspielt, ist nachweisbar. Nach der Statistik der Bundesanstalt für Arbeit, Referat III A 4, ist die Arbeitslosigkeit in Thüringen in den Bauberufen im Vergleichszeitraum 2000 zu 1999 sowohl um fast 1.000 Berufstätige gestiegen und auch der Anteil der Arbeitslosigkeit bauberufsspezifischer Beschäftigter an der Gesamtarbeitslosigkeit hat sich von 27,4 auf 30,3 Prozent erhöht. Und wenn man die Voran
meldungen für zu erwartende Entlassungen beim Ausschuss für anzeigepflichtige Entlassungen bei den Arbeitsämtern prüft, die zwar alle mit fehlenden Aufträgen begründet werden und nur zu einem Viertel auch vollzogen wurden, exakt aber den Zeitraum November bis Januar betreffen, dann wird schnell klar: Hier handelt es sich um vorbeugende Anmeldungen für zu erwartende Witterungsunbilden. Neben der Kompromisslösung krankt die Schlechtwettergeldregelung auch daran, dass zwar im Juni eine Einigung erzielt wurde, die gesetzlichen Regelungen aber erst im Oktober beschlossen wurden. Kaum ein Unternehmen hat mit den Betriebsräten vollständige Winterbauvereinbarungen abgeschlossen, kaum ein Betriebsrat hat die Insolvenzsicherung, wenn hier von den Konten der Arbeitszeit so geredet wird, abgeschlossen und, meine Damen und Herren, kaum ein Arbeitsamt hat den so genannten Winterbauausschuss installiert, der letztlich die missbräuchliche Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld verhindern sollte. Ein Fakt begünstigt die fehlenden Aufträge auch noch. Die öffentliche Hand rechnet immer mehr bereits im Dezember ab und verlangt dazu Abschluss der Maßnahme und Schlussrechnung. Dazu werden Überstunden und konzentrierter Einsatz notwendig zulasten einer kontinuierlichen Arbeitsdurchführung über den Jahreswechsel hinaus.
Zusammenfassend: Eine schlechte CDU/F.D.P.-Lösung wurde durch eine weniger schlechte SPD/Grüne-Lösung ersetzt, ohne das Niveau vor 1996 zu sichern. Zur Frage, was könnten wir hier in Thüringen machen: Sofortige Einrichtung der Winterbauausschüsse flächendeckend einfordern und Auftragsverteilung an Baufirmen nur, wenn die betrieblich notwendigen Betriebsvereinbarungen zum Schlechtwettergeld abgeschlossen worden sind. Aktives Handeln in Thüringen und Nachbesserung im Bund sind dringend notwendig.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, das Gesetz zur Neuregelung der Förderung der ganzjährigen Beschäftigung mit der Bauwirtschaft trat am 7. Oktober in Kraft. Man wollte es durchpeitschen, damit es noch im laufenden Winter 1999/2000 wirksam werden konnte. Ob das erhoffte Ziel erreicht wurde, eine Verringerung der Winterarbeitslosigkeit im Baugewerbe zu erzielen, lässt sich derzeit noch nicht einschätzen. Die Zahlen, die wir haben bei der Arbeitslosigkeit, deuten allerdings eher darauf hin, dass es noch keine Wirkungen hat, aber nach so kurzer Zeit, denke ich, kann man über Wirkung ohnehin nicht zutreffend urteilen. Ich denke, es wäre wichtiger abzuwarten, welches die Erfahrungen sind, um dann zu urtei
len und nicht zu urteilen, bevor überhaupt Erfahrungen da sind. Allerdings spricht vieles dafür, dass das Gesetz nicht Bestand haben wird, dass die Diskussion weitergehen wird. Aber Ihre Empfehlungen, Herr Ramelow, nun bei der Auftragsvergabe irgendwelche weiteren vergabefremden Kriterien einzubauen, dies wäre eine Aufforderung, an Thüringer Unternehmen keine Bauaufträge mehr zu erteilen.
Das können Sie doch im Ernst nicht fordern. Es wäre unverantwortlich, unsere Thüringer Unternehmen bei der Auftragserteilung an ein schlampiges Gesetz zu binden.
Meine Damen und Herren, das wäre nun alles andere als kontraproduktiv in der schwierigen Lage, die die Bauwirtschaft heute durchläuft. Vielen Dank.
Es liegen keine weiteren Redemeldungen vor. Damit schließe ich den Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde und ich komme zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 8
b) Gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtsextremismus in Thüringen befördern Antrag der Fraktion der PDS - Drucksache 3/394
Für die einzelnen Anträge kann die Begründung vorgenommen werden, wobei festzustellen ist, dass die Landesregierung, wie in den Drucksachen 3/393 und 3/419 gefordert, sofort Berichterstattung geben wird. Wird durch die antragstellende Fraktion, die PDS-Fraktion, zur Begründung des Antrags in der Drucksache 3/394 das Wort gewünscht? Ja. Dann bitte ich den Abgeordneten Dr. Hahnemann nach vorn.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es ist erfreulich, dass es mittlerweile im Nachgang zur ausländerfeindlichen Demonstration unlängst in Gera und dem revan
chistischen Aufmarsch der Interessengemeinschaft "Wiedervereinigung Gesamtdeutschland" am 26. Februar 2000 in Erfurt eine öffentliche Debatte gibt, die auf ein gewachsenes gesellschaftliches Interesse deutet, sich mit neofaschistischen Tendenzen unserer Tage auseinander zu setzen und zivilcouragiert selbst aktiv zu werden. Wir hätten es eigentlich vorgezogen, wenn diese Diskussion schon nach Bekanntwerden des geplanten Aufmarsches jener so genannten Interessengemeinschaft im Januar begonnen hätte. Dafür wäre aber ein gesellschaftliches Klima notwendig gewesen, indem die Auseinandersetzung mit Neofaschismus nicht an staatliche Institutionen delegiert wird, und es wäre eine Informationskultur und eine Interessenstruktur vonnöten gewesen, die Informationen über Neofaschismus und Rassismus, deren Ursachen, die Konsequenzen wie auch die Methoden der Organisation und den Organisationsgrad der neofaschistischen Gruppen weithin bekannt macht.
Mit unserem Antrag schlagen wir die umgehende Einrichtung einer Stelle zur Information und Dokumentation über Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Neufaschismus in Thüringen vor. Für Berlin und Brandenburg gibt es eine derartige Stelle bereits. Ihre Angebote, die Analyse des Organisationsgrades neofaschistischer Strukturen, ihre Entstehungsgründe und Auswirkungen, die Möglichkeiten der Beratung, Moderation und Bildungsarbeit werden vielfältig genutzt. Die Stelle ist ein Knotenpunkt für die Koordination und Kooperation verschiedenster Einrichtungen und Initiativen, eine Hilfseinrichtung für mit dieser Zielsetzung befasste gesellschaftliche Kräfte und sie schlägt Handlungskonzepte für die Auseinandersetzung mit dem Problem des Neofaschismus vor. Ein mobiles Beratungsteam kann z.B. von Kommunen, aber auch von anderen und das gerade auch für präventive Arbeit abgerufen und genutzt werden. Außerdem fordern wir dazu auf, andere wissenschaftliche Institutionen bereits in der antifaschistischen Arbeit aktiver Einrichtungen oder Initiativen und auch kommunale Verantwortungsträger besser in die Lage zu versetzen, von analytischen Kenntnissen Gebrauch zu machen und mit der Entwicklung von Gegenstrategien auf die verheerenden Tendenzen zu antworten. Die von uns vorgeschlagene Dokumentations- und Informationsstelle kann diese Arbeit keinesfalls überflüssig machen, aber sie kann und sie soll sie unterstützen. Die Ursachen und Konsequenzen rassistischer und neofaschistischer Ideologien sind in den vergangenen Jahren von nicht staatlichen Einrichtungen oder Hochschulen und Initiativen weitaus zuverlässiger analysiert und prognostiziert worden als durch staatliche Organe. Zudem verstehen Forschungsinstitute, Hochschulen oder andere Initiativen ihre Arbeit explizit als einen Teil gesellschaftlicher Aufklärung und Auseinandersetzung. Sie haben im Vergleich zu jenen Staatsschutzinstitutionen kein Geheimhaltungsinteresse. Sie mobilisieren die zivile Gesellschaft, nach alltäglichen und wirklichkeitsnahen eigenen Antworten zu suchen, und sie widmen sich engagiert den Problemen, die mit Ausgrenzung, der Gewaltbereitschaft, der Abkehr von demokratischen Prinzipien verbunden sind. Staatliche Institutionen hingegen
suggerieren zu oft, sie seien nicht nur allein für solcherlei Auseinandersetzungen zuständig; sie glauben vielfach ernsthaft, sie kämen mit den Phänomenen ohne das Engagement der Bürger zu Rande. Dass dies nicht so ist, wussten schon die Verfasserinnen und Verfasser des Grundgesetzes. Vor dem Hintergrund des Versagens der deutschen Demokratie am Vorabend der nationalsozialistischen Diktatur zogen sie verfassungsrechtliche Konsequenzen. Die Erfahrungen dieses historischen Versagens führte zu Artikel 20 Grundgesetz, der in Absatz 4 sagt: "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist." Das kann nach den Erfahrungen des so genannten Dritten Reiches mit allen seinen Toten, den Leiden, den Verwüstungen und allen anderen Folgen aber gerade nicht heißen, dass der Staat erst abgewirtschaftet haben muss, bevor ein Widerstandsrecht sich begründet. Nein, meine Damen und Herren, die Abwehr dieser uns alle beunruhigenden Tendenzen ist eine öffentliche Angelegenheit, ist unser aller Angelegenheit und wir alle brauchen dafür die nötige Ausstattung mit Kenntnissen, mit Methoden und mit Partnern, auch die sich zu oft omnipotent dünkenden Staatsgewalten. Danke schön.
Da der Bericht der Landesregierung sofort gegeben wird, ist mir von den beiden anderen antragstellenden Fraktionen signalisiert worden, dass keine Begründung gewünscht wird, somit kommen wir zum Sofortbericht der Landesregierung. Herr Minister Köckert, bitte.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich gebe jetzt den Sofortbericht der Landesregierung zu den beiden Antragstellungen der CDU und SPD und werde erst später noch einiges zu dem PDS-Antrag sagen. Die Interessengemeinschaft für die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands e.V. hat am 10. Januar 2000 bei der Stadtverwaltung Erfurt für den 26. Februar einen Aufzug unter freiem Himmel angemeldet. Aufgrund dieser Anmeldung erteilte die Stadtverwaltung Erfurt mit Bescheid vom 7. Februar Auflagen für die Veranstaltung. Da am Tag der Veranstaltung auch ein Fußballspiel, nämlich Rot-Weiß Erfurt gegen Dynamo Dresden, stattfand, wurde mit Änderungsbescheid des Ordnungsamts Erfurt die Verlegung des Beginns des Aufzugs vom Bahnhofsvorplatz, also dem Willy-Brandt-Platz, auf den Anger verfügt. Man wollte damit vermeiden, dass die per Bahn anreisenden Fußballfans mit den Demonstrationsteilnehmern zusammentreffen. Zu den Auflagen gehörte auch das Verbot, die Reichskriegsflagge in jeglicher Form während der gesamten Veranstaltung zu führen oder zu zeigen. Nach eigenen Angaben rechnete der Anmelder, ein gewisser Herr Paletta, mit einer Teilnehmerzahl von 100 bis 200 Personen. Im Nachgang einer Frage von gestern, Frau Zimmer, der Herr
Paletta ist kein NPD-Mitglied. Im Vorfeld wurde bekannt, dass die Veranstaltung der IWG gestört werden sollte. Die Mobilisierung dazu erfolgte unter anderem über Handzettel, über das Internet und über Plakate. Mit mehr als 100 Störern musste gerechnet werden; eine Anmeldung zu einer Gegendemonstration erfolgte aber nicht. Aus diesem Grund können meines Erachtens die Störer aus dem linken Spektrum auch nicht als Gegendemonstranten bezeichnet werden.
Zum Ablauf: Der angemeldete Aufzug mit abschließender Kundgebung wurde durch einen geschlossenen Polizeieinsatz unter Leitung der Polizeiinspektion Erfurt-Mitte begleitet. Am Einsatz waren ausreichend Polizeibeamte beteiligt, genau 205 Beamte. Eine weitere Hundertschaft der Bereitschaftspolizei hätte kurzfristig herangeführt werden können. Der Demonstrationszug setzte sich am 26. Februar etwa um 13.30 Uhr in Bewegung; zu ersten Zwischenfällen kam es aber schon vorher auf dem Bahnhofsvorplatz. Dort gerieten Anhänger des rechten und des linken Spektrums aneinander und durch schnelles Eingreifen der Polizei und durch das Aussprechen von Platzverweisen wurde wieder für Ordnung gesorgt. Die nächsten Zwischenfälle ereigneten sich im Bereich des Angers, dem Sammelpunkt für die rechtsextremen Demonstranten. Hier wurde von Störern mit handelsüblichen 1-kg-Mehltüten, Senfbechern, Farbbeuteln und Steinen auf die Demonstrationsteilnehmer geworfen. Die Polizei reagierte mit einer räumlichen Trennung der gegnerischen Seiten. Der nächste Zwischenfall ereignete sich während des Aufzugs im Bereich der Schlösserbrücke. Dort hatten sich in entsprechender Anzahl Störer versammelt und blockierten die Straße. Von der Blockade waren leider auch unbeteiligte Bürger betroffen, die zudem teilweise von den Störern in unterschiedlichen Formen angepöbelt wurden. Nachdem die Auflösung der Blockade einen hohen Kräfteeinsatz erfordert hätte und zudem die Gefahr bestand, dass es durch die Räumung zu einer Eskalation oder Gewalt hätte kommen können, wurde vom Polizeiführer eine Änderung der Demonstrationsstrecke verfügt. Über den Fischmarkt erreichte der Aufzug schließlich den Domplatz, auf dem eine Abschlusskundgebung stattfand. Der Veranstalter beendete etwa um 14.30 Uhr die Kundgebung mit der Aufforderung zum Absingen der 1. Strophe des "Deutschlandliedes". Während des Aufzugs wurden Polizeibeamte mehrfach von Störern angegriffen, einem der Polizisten wurde im Bereich der Schlösserbrücke gegen das Schienbein, den Oberschenkel und den Unterleib getreten. Hierauf wurde das in der Fragestunde schon angefragte Reizstoffsprühgerät als Notwehrreaktion eingesetzt. Auf dem Fischmarkt wurden die Polizeikräfte mit Steinen und anderen Wurfgeschossen beworfen. Die Polizisten setzten sich durch den Einsatz des Schlagstocks zur Wehr. Nach dem Ende der Kundgebung war zunächst geplant, die Versammlungsteilnehmer individuell den Rückweg zum Bahnhof antreten zu lassen. Nachdem aber festgestellt werden konnte, dass sich Angehörige der linksextremistischen Szene im Bereich des Fischmarkts, des Angers und in der Bahnhofstraße aufhielten und sich dort zu Aktionen gegen die Versammlungsteilneh
mer formierten, entschied der Polizeiführer, die Teilnehmer geschlossen zum Bahnhof zurückzuführen. Dabei kam es an einzelnen Stellen zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen dem linken und dem rechten Klientel. Noch während der Veranstaltung kam es zudem zu Sachbeschädigungen durch linke Störer, u.a. wurde ein Pkw demoliert. Insgesamt wurden während der Veranstaltung der IWG am 26. Februar gegen 20 Personen freiheitsentziehende Maßnahmen angeordnet. Gegen 16 Personen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet, davon 12 wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, 2 wegen Körperverletzung und jeweils eines wegen Sachbeschädigung und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Von den 20 Festgenommenen kamen 2 aus dem linken und 18 aus dem rechten Spektrum. Mittlerweile sind auch noch gegen den Anmelder der Veranstaltung Ermittlungen wegen des Zeigens einer selbsterstellten Reichskriegsflagge und dem damit verbundenen möglichen Verstoß gegen den Auflagenbescheid der Stadt Erfurt eingeleitet worden.
Zur Anzahl der Teilnehmer und der Vorfelderkenntnisse: Die in der zweiten Frage des SPD-Berichtsersuchens enthaltene Behauptung, wonach das Thüringer Innenministerium wie auch das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz nicht über ausreichende Vorfelderkenntnisse verfügten, muss als falsch zurückgewiesen werden. Die IWG war zum Zeitpunkt der Anmeldung der Veranstaltung bislang eher durch Bedeutungslosigkeit aufgefallen. Es war bekannt, dass die IWG beispielsweise in Berlin eine Kundgebung organisiert und mit ca. 20.000 Teilnehmern gerechnet hatte; tatsächlich waren aber nur etwa 40 erschienen. In Magdeburg wurden Ende Januar etwa 150 Teilnehmer für eine Kundgebung von der IWG angegeben; tatsächlich waren es dann ganze 4. Hinweise darauf, dass es dann doch mehr Teilnehmer geben könnte, ergaben sich daraus, dass bei der NPD-Demonstration in Gera am 12. Februar bereits für die IWG-Kundgebung in Erfurt geworben wurde. Geworben wurde dann auch per Internet und durch das so genannte nationale Infotelefon. In der Woche vor der Veranstaltung ging der Thüringer Verfassungsschutz deshalb von etwa 100 bis 200 Teilnehmern aus den Reihen der NPD aus Thüringen, Sachsen und Hessen und des Thüringer Heimatschutzes aus. Die Polizei richtete sich daraufhin auf etwa 250 Teilnehmer ein. Dass es dann am Ende ca. 330 Teilnehmer waren, lag daran, dass zusätzlich eine Gruppe von ca. 75 Skins aus Leipzig an der Veranstaltung teilnahmen, was erst wenige Stunden vorher erfahrbar war. Für den polizeilichen Einsatz war diese zusätzliche Gruppe allerdings ohne Bedeutung, was der tatsächliche Ablauf des Geschehens belegt. Die Zahl an Demonstrationsteilnehmern kann sowieso nur in den seltensten Fällen genau vorher geschätzt werden. Von weitaus größerer Bedeutung ist dagegen die Einschätzung der tatsächlichen Absichten des Veranstalters und der möglichen Gewaltbereitschaft bei den Veranstaltungsteilnehmern. Hier erwiesen sich die vom Verfassungsschutz gelieferten Vorfelderkenntnisse als sehr zutreffend. Insgesamt ist der Polizeieinsatz vom 26. Februar als der Lage angemessen zu bezeichnen.
Die Polizei hatte die Situation jederzeit fest im Griff und mein Dank gilt an dieser Stelle den beteiligten Polizistinnen und Polizisten für ihr besonnenes und beherztes Vorgehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung sieht nicht die Gefahr, dass Thüringen zum Aufmarschgebiet der Rechtsradikalen wird. Ich habe diese unsinnige und für das Ansehen des Landes schädliche Wortwahl bereits nach dem Skinheadkonzert in Schorba zurückgewiesen. Und auch heute sage ich, dass die Übertreibung bei den Teilnehmerzahlen ebenso wie die Übertreibung bei der Anzahl der Veranstaltungen der rechtsradikalen Szene in erster Linie nur den Rechtsradikalen nutzt. Hierdurch werden die Aktivitäten der rechtsextremen Szene ohne Not zu großen Erfolgen hochstilisiert. Auf die konkreten Zahlen zur Entwicklung in den letzten Jahren habe ich schon mehrfach hingewiesen.
Deshalb so viel nur: Die Anzahl der rechtsextremen Demonstrationen von Null im Jahre 1995 auf 15 im letzten Jahr ist ein beredtes Anzeichen des Ansteigens in den letzten Jahren. In diesem Jahr gab es bislang zwei Kundgebungen der rechtsextremistischen Szene, das sind die Ihnen bekannten in Gera und hier in Erfurt. Die IWG hat sich übrigens mit ihren Veranstaltungen nicht etwa auf Thüringen fixiert, sondern sie hat vielmehr für das gesamte Jahr insgesamt 12 Samstagsdemonstrationen bundesweit angekündigt. Eine davon war in Magdeburg, eine weitere hier in Erfurt.
1995 - vielleicht einige Zahlen aus der polizeilichen Kriminalstatistik - wurden in Thüringen 733 rechtsextremistische Straftaten registriert; 1996 waren es schon 200 mehr, nämlich 939; 1997 ein weiterer Anstieg auf 1.206 Straftaten; 1998 war es dann auf konstant hohem Niveau 1.064 und 1999 1.118 Fälle. Bei diesen rechtsextremistischen Straftaten dominieren vor allem die so genannten Propagandadelikte wie Hakenkreuzschmierereien oder das Tragen von verbotenen Symbolen. 1999 waren dies allein 939 Fälle von den aufgezählten 1.118. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass 1999 die Zahl der fremdenfeindlich motivierten Straftaten um fast ein Drittel auf 77 zurückging, im Vergleich zu 1998 111.
Insgesamt zeigen die bislang vorliegenden Zahlen für 1999, dass Thüringen im Vergleich zu den übrigen neuen Bundesländern den niedrigsten Wert an Gewalttaten mit erwiesenem oder vermutetem rechtsextremem Hintergrund aufweist. Das gilt für den absoluten Vergleich ebenso wie in Relation zur Bevölkerungszahl. Was die Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund betrifft, hat Thüringen absolut und relativ den niedrigsten Wert unter allen Bundesländern aufzuweisen. Vor diesem Zahlenhintergrund sollten sich die SPD und ihr neuer Vorsitzender mit ihren reichlich vorlauten Vorhaltungen meines Erachtens etwas zurückhalten.
Ich denke aber auch, zurückhalten sollte sich der Herr Kollege Pohl, der schon nach den Ereignissen von Schorba den Freistaat zum Aufmarschgebiet der Rechtsradikalen proklamierte, was unverantwortlich war, wie ich schon ausgeführt habe.
Der Kollege Pohl war es dann ja auch, der die Frage aufwarf, warum die Demonstration der IWG genehmigt wurde. Dass Sie, Herr Pohl, als Innenpolitiker zehn ganze Jahre nach der deutschen Einheit immer noch nicht mitbekommen haben, dass in der Bundesrepublik Deutschland im Unterschied zur autoritären Deutschen Demokratischen Republik Demonstrationen nicht genehmigt, sondern nur angemeldet werden müssen, das macht, glaube ich, deutlich, dass Sie noch immer mehr vom obrigkeitsstaatlichen Denken als vom Geist des Grundgesetzes erfüllt sind.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen die Entwicklung der rechtsextremen Szene aufmerksam verfolgen. Es handelt sich dabei um ein bundesweites Problem mit einer besonderen Situation in den neuen Bundesländern. Ich verweise hier nur auf die entsprechenden Studien des Bundesamtes für Verfassungsschutz zum Rechtsextremismus in der Bundesrepublik und speziell in den neuen Bundesländern. Ganz sicher, wir müssen die Entwicklung sehr ernst nehmen, aber dennoch ist Thüringen kein Aufmarschgebiet der Rechtsradikalen. Die Zahlen selbst beweisen es. Wer das trotzdem wider besseres Wissen behauptet, betreibt parteipolitische Profilierungen auf Kosten des Ansehens unseres Landes und das ist schändlich.