Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren Abgeordneten, verehrte Vertreter der Regierung und Gäste auf der Besuchertribüne, ich darf Sie herzlich begrüßen zu unserer heutigen 13. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am 16. März 2000. Als Schriftführer haben neben mir Platz genommen Herr Abgeordneter Huster und Herr Abgeordneter Panse. Herr Abgeordneter Panse führt die Rednerliste. Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: Frau Abgeordnete Dr. Klaus, Frau Abgeordnete Thierbach und Herr Abgeordneter Dr. Koch.
Ich habe die angenehme Aufgabe, einem Mitglied unseres hohen Hauses, nämlich dem Abgeordneten Illing, ganz herzlich zum Geburtstag zu gratulieren.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, in Ergänzung der ersten Regierungserklärung zur Arbeitsmarktpolitik wird heute die Regierungserklärung zur Wirtschaftspolitik erfolgen. "Es gibt keinen Osten mehr" - so schrieb kürzlich "Die Welt". Nicht nur die verschiedenen Landstriche hätten ihr Profil zurückgewonnen, sondern auch die Wirtschaftsstruktur entspreche im Wesentlichen wieder den historischen Wurzeln. Der Sonderbeauftragte der Bundesregierung, Herr Schwanitz, hat dagegen dem Osten eine Strukturkrise größten Ausmaßes bescheinigt. Wo steht Thüringen also heute? Eines sollten wir in jedem Fall festhalten: Nur wenige haben seinerzeit, als nach der Wende der tatsächliche Zustand der DDR-Wirtschaft offenbar wurde, zu behaupten gewagt, dass sich innerhalb von nicht einmal einer Dekade in den neuen Ländern eine funktionsfähige Marktwirtschaft entwickeln würde. Die Wirtschafts-, Währungsund Sozialunion, die bald zehn Jahre in Kraft sein wird, hat entscheidend dazu beigetragen, dass sich die neuen Länder wirtschaftlich entwickeln konnten. Sie hat aber auch die dort bestehenden Probleme offen zu Tage treten lassen. Zu den wichtigsten gehörten: ein veralteter Kapitalstock,
fehlende marktgerechte Produkte und eine dramatisch niedrige Produktivität. Die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion hat die Dynamik des Strukturwandels in den neuen Ländern bestimmt und sie nimmt auch heute noch Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung. Der Umstrukturierungsprozess folgt einer inneren Logik und es ist weder sinnvoll noch möglich, sich den ökonomischen Zwängen zu widersetzen. Als Erstes gilt es, die Voraussetzungen für den Aufbau neuer Länder zu schaffen. Zunächst boomte der Bausektor. Die Bauwirtschaft musste mit der Erneuerung und Erweiterung der Infrastruktur die Basis für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung anderer Sektoren schaffen. Diese Aufgabe ist in einigen Bereichen abgeschlossen. Heute ist es unser Ziel, neue Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung zu geben und den Prozess des wirtschaftlichen Aufbaus zu beschleunigen. Nur so kann es uns gelingen, das große Problem der zu hohen Arbeitslosigkeit zu lösen. Thüringen kann mit Recht behaupten, dass es den anderen neuen Ländern zeitlich immer einen Schritt voraus war, so dass der Freistaat heute im Vergleich der neuen Länder vorn liegt. Thüringen weist seit 1991 bis 1998 mit 58,6 Prozent das mit Abstand höchste Wirtschaftswachstum aller neuen Länder auf. Auch im vergangenen Jahr war der Freistaat mit einem Wirtschaftswachstum in Höhe von real 1,7 Prozent Spitzenreiter unter den neuen Ländern. Besonders erfreulich ist, das verarbeitende Gewerbe hat die Bauwirtschaft als Wachstumsmotor abgelöst. Auch im vergangenen Jahr wurde ein sehr hoher Zuwachs der Bruttowertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe erzielt. 1998 fiel schon mehr als ein Viertel der gesamten realen Bruttowertschöpfung auf das verarbeitende Gewerbe. Damit hat es die großen Sektoren deutlich überholt; den Dienstleistungssektor, auf den 23,1 Prozent entfallen; den Handel und Verkehr mit 15,2 Prozent und das Baugewerbe mit 13,1 Prozent. Maßgeblich ist aber, dass in der Thüringer Industrie derzeit neue wettbewerbsfähige Beschäftigungsverhältnisse entstehen. In den vergangenen beiden Jahren fanden hier jeweils 7.000 Personen einen neuen Arbeitsplatz. Ende vergangenen Jahres waren schon knapp 127.000 Personen in den von der Monatsstatistik erfassten Industriebetrieben beschäftigt. Zuwächse bei der Beschäftigung hat es 1999 in nahezu allen Branchen des verarbeitenden Gewerbes gegeben. Am dynamischsten hat sich im vergangenen Jahr allerdings der Sektor "Herstellung von Büromaschinen und Datenverarbeitungsgeräten" entwickelt. Hier wurde ein Umsatzzuwachs von 32,6 Prozent und zweistellige Zuwachsraten bei der Beschäftigung erzielt. Die Landesregierung wird den bestehenden und zukünftigen Unternehmen in diesem Bereich, unter anderem mit dem Anwendungszentrum Mikrosystemtechnik Erfurt Süd-Ost, ein weiteres Element der Infrastruktur zur Verfügung stellen. Sie leistet damit einen wirksamen Beitrag zur Wiederbelebung des traditionellen Standorts für Mikroelektronik in der Mitte Thüringens.
Sehr positiv hat sich die Thüringer Automobil- und Automobilzulieferindustrie entwickelt. Vor allem im Umfeld des Opelwerkes in Eisenach sind mittelständische Zulieferer entstanden, die wettbewerbsfähig sind und auf überregiona
len Märkten Erfolge erzielen. Hier ist ein Industriestandort aufgebaut worden, der sich selbst trägt. Die Branche "Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen" gehört mit 3,7 Mrd. DM Umsatz zu den umsatzstärksten Industriesektoren. Die Anzahl der Beschäftigten ist im vergangenen Jahr um 19,5 Prozent auf 7.800 Mitarbeiter gestiegen. Umsatzstärkste Industriebranche ist mit 3,8 Mrd. DM das Ernährungsgewerbe, das mit 15.000 Arbeitsplätzen auch größter Industriearbeitgeber ist. Große Industriearbeitgeber sind des Weiteren mit jeweils knapp 14.000 Beschäftigten die Hersteller von Metallerzeugnissen und der Maschinenbau. Kleiner, aber in der Entwicklung dynamischer ist die chemische Industrie, deren Umsatz im vergangenen Jahr von 16,9 auf gut 1,1 Mrd. DM angewachsen ist und deren Beschäftigtenanzahl um 8,4 Prozent auf 4.000 Mitarbeiter gestiegen ist.
Hohe zweistellige Umsatzzuwächse und zusätzliche Arbeitsplätze verzeichnen auch die Sektoren Rundfunk, Fernsehen und Nachrichtentechnik sowie Medizin, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik und Optik. Dieser Wirtschaftszweig sowie das Glasgewerbe bilden die wirtschaftliche Basis für den Stadtort Jena. Jena hat sich als eine Technologieregion entwickelt, die sich durch enge Verflechtungen zwischen den großen Unternehmen der Universität, Forschungseinrichtungen sowie kleineren dynamisch wachsenden, innovativen Firmen auszeichnet. Jena ist ein gutes Beispiel dafür, wie Technologietransfer organisiert werden kann und effiziente Unternehmensnetzwerke entstehen. Entwicklungszentren, die das Industriewachstum beschleunigen, müssen aber nicht immer im Hochtechnologiebereich angesiedelt sein. So zeigt die Entwicklung der Holzverarbeitung im Saale-Orla-Kreis, dass auch die traditionelle Industrie Dynamik hat. In der Holzverarbeitung sind die Umsätze in 1999 um 27,4 Prozent und die Anzahl der Beschäftigten um 9 Prozent gestiegen. Nach anfänglichen Umstellungsschwierigkeiten haben sich inzwischen auch viele Spielwarenproduzenten und Hersteller von Glas und Porzellan wieder am Markt etabliert und knüpfen an erfolgreiche Thüringer Industrietraditionen an.
Anpassungsprobleme hat dagegen das Baugewerbe. Der Anteil des Baugewerbes an der Bruttowertschöpfung liegt in Thüringen fast dreimal so hoch wie in den alten Ländern. Inzwischen ist der Nachholbedarf bei Gewerbegebieten und beim Neubau von Mietwohnungen weitgehend gedeckt. Trotzdem wird der Bausektor auch weiterhin eine bedeutende Rolle spielen, weil große Verkehrsprojekte realisiert und die kommunale Infrastruktur verbessert werden müssen, weil Wohnungen und Gebäude saniert und modernisiert werden müssen. Es ist aber unvermeidlich, dass sich die Baukapazitäten heute der veränderten Nachfrage anpassen müssen.
Die Landesregierung tut ihr Möglichstes, um durch das Vorziehen öffentlicher Investitionen den Anpassungsprozess abzufedern und die Entscheidungsspielräume für Un
ternehmen und Arbeitnehmer auszuweiten. Öffentliche Investitionen können die Thüringer Bauwirtschaft für eine gewisse Zeit stabilisieren; den Strukturwandel außer Kraft setzen können sie nicht.
Die Landesregierung fühlt sich auch dem Thüringer Handwerk besonders verpflichtet, weil es von Anfang an Arbeitsplätze in größter Zahl geschaffen hat und für das Gros der Ausbildungsplätze in unserem Lande sorgt.
Wir tragen dem mit besonderen Förderschwerpunkten Rechnung und werden auch in Zukunft mit den Repräsentanten des Handwerks eng zusammenarbeiten. Wegen der Bedeutung des Handwerks, und weil alle drei Handwerkskammern in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feiern, hat unser Ministerpräsident das Jahr 2000 zum Jahr des Handwerks erklärt.
Für Handwerksbetriebe sind öffentliche Aufträge oftmals von essentieller Bedeutung. Bei deren Vergabe haben die öffentlichen Auftraggeber die Verdingungsordnungen anzuwenden. Im Interesse fairen Wettbewerbs wurden zusätzliche Richtlinien erlassen und z.B. die Richtlinie zur Überleitung der Ausnahmeregelungen um ein weiteres Jahr verlängert. Grundsätzlich sind sich die Beteiligten einig, dass gute rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen sind. Es kommt nun darauf an, diese in der Praxis umzusetzen und damit insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen eine reelle Chance für die Auftragserteilung zu gewähren. Ich appelliere daher an alle Vergabestellen, insbesondere an die Kommunen als zentrale öffentliche Investoren, die gegebenen Möglichkeiten auszuschöpfen.
Die Bemühungen zur Vergabe von Fachlosen und zur Bildung von Arbeitsgemeinschaften müssen fortgesetzt werden. Die Thüringer Straßenbauverwaltung hat 1999 etwa 87 Prozent des Auftragsvolumens an Thüringer Unternehmen vergeben. Dabei betrug das Volumen pro Auftrag im Durchschnitt rund 1,3 Mio. DM. Bei dieser Auftragsgröße können sich auch kleine und mittlere Unternehmen an der Ausschreibung beteiligen. Von zahlreichen kleinen und mittleren Unternehmen, insbesondere aus dem Bereich der Handwerkerschaft, wird immer wieder mit Nachdruck auf die Verschlechterung der Zahlungsmoral aufmerksam gemacht. Berechtigte Forderungen werden nicht, nicht vollständig oder erst mit erheblichen Verzögerungen bezahlt. Morgen wird nun das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen im Bundesrat verabschiedet. Damit wird ein Schritt - ein Schritt - in die richtige Richtung getan. Es werden zukünftig Besteller von Werkvertragsleistungen automatisch nach einer Frist von 30 Tagen auf Fälligkeit und Zugang einer Rechnung in Verzug geraten. Auch die Verzugszinsen werden erheblich erhöht. Sie sollen 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz liegen. Weitere wesentliche Verbesserungen sind Regelungen zur Abschlagszahlung.
Das vorliegende Gesetz stellt allerdings nur einen ersten Schritt dar. Weitere Maßnahmen zum Schutz der Unternehmen, insbesondere im Bauvertragsrecht, sollen noch folgen. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe setzt in diesem Sinne ihre Beratungen fort. Einen entsprechenden Entschließungsantrag Sachsens wird Thüringen im Bundesrat unterstützen.
Vom privaten Verbrauch sind in den vergangenen Jahren keine starken konjunkturellen Impulse ausgegangen. Daher konnte der Thüringer Handel keine der Thüringer Industrie vergleichbare Entwicklung nehmen. Besondere Probleme bereitet in den innerstädtischen Lagen der Einzelhandel, weil er sich zusätzlich der Konkurrenz der großen Einkaufszentren auf der grünen Wiese erwehren muss. Wir haben in der letzten Legislaturperiode mit der Innenstadtinitiative und verschiedenen Initiativen zum Stadtmarketing gegengesteuert. Ein attraktives und zentral vermarktetes Angebot zieht auch im Bereich des Tourismus weitere Nachfrage an. So ist im vergangenen Jahr die Anzahl der Gästeankünfte in Thüringen um 12,9 Prozent und die Anzahl der Übernachtungen um 11,8 Prozent gestiegen. Eine Potentialstudie hat ergeben, dass insgesamt 10 Prozent der Deutschen eine Reise nach Thüringen in Erwägung ziehen, aber bisher nur 3 Prozent das Vorhaben in die Tat umgesetzt haben. Deshalb unterstützt die Landesregierung nicht nur eine Verbesserung des Angebots an touristischer Infrastruktur, sondern auch die Erschließung bundesweiter und internationaler Vertriebswege.
Bei den haushaltsnahen Dienstleistungen sind derzeit keine größeren Wachstumspotentiale vorhanden. Die Gründe dafür sind bekannt. Dazu zählen beispielsweise das 630-Mark-Gesetz, die noch zu geringen Haushaltseinkommen und fehlende steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten. Im Gegensatz dazu bestehen bei den produktionsnahen Diensten noch große Marktpotentiale. Hier ist mit einer deutlichen Ausweitung in Thüringen zu rechnen, zumal die wachsende Industrie für eine entsprechende Nachfrage sorgen wird. Dies betrifft z.B. den Sektor Information und Telekommunikation. Es gibt in unserem Land erfolgreiche Softwarehäuser und viele viel versprechende Unternehmen in der Medienbranche. Den internationalen Trends entsprechend werden wir zukünftig noch stärker auf die Zukunfstechnologien der Informationsgesellschaft setzen. Beachtliche Wachstums- und Beschäftigungschancen eröffnet hierbei der inhalteorientierte Medienbereich. Damit sich die aufstrebende Medienbranche weiter entwickeln kann, bieten die Thüringer Universitäten und Fachhochschulen heute bereits zahlreiche Medienstudiengänge an. Zu den produktionsnahen Dienstleistungen gehören auch Unternehmen, die technische Dienste oder Softwareleistungen für Produktion und Produktionssteuerung anbieten. Ob die Marktchancen bei modernen Dienstleistungen tatsächlich genutzt werden können, hängt heute maßgeblich davon ab, inwieweit genügend qualifizierte Arbeitskräfte vorhanden sind. Denn wie im
gesamten Bundesgebiet werden auch in Thüringen händeringend EDV-Fachleute und Ingenieure gesucht. Wir haben es hier weniger allerdings mit einem quantitativen als mit einem qualitativen Problem zu tun. Diese Lücke jedoch allein mit Greencards für IT-Fachleute lösen zu wollen, macht wenig Sinn.
Es muss zugleich an den Ursachen des Problems angesetzt werden. Eine der Ursachen ist die jahrelange Technologiefeindlichkeit in Politik und Gesellschaft, insbesondere in der alten Bundesrepublik, meine Damen und Herren. Große Anstrengungen müssen unternommen werden, um im Aus- und Weiterbildungssystem wie in den Hochschulen Arbeitskräfte im Lande zu qualifizieren. Insoweit unsere Möglichkeiten ausgeschöpft sind, sollte man auf den Weltmarkt zurückgreifen. In Thüringen werden wir die Qualifizierungsoffensive "Topfit für Zukunftsberufe" starten und gemeinsam mit Wirtschaft und Arbeitsverwaltungen durchführen. Dabei wollen wir innovative Maßnahmen und Modellprojekte initiieren, die zum Abbau der Fachkräftelücke in den Wachstumsbranchen beitragen können. Dazu gehören etwa Ausbildungskonzepte für informationstechnische Berufe im Rahmen der Firmenausbildungsverbünde, dazu gehören Modellprojekte zur Erprobung von Ausbildungskonzepten und Modellprojekte zur Gewinnung von Gymnasiasten für technische Studiengänge. Außerdem wollen wir in diesen Zukunftsbranchen Möglichkeiten schaffen, die duale Erstausbildung mit einem Fachhochschulstudium zu verknüpfen.
Der Informations- und Telekommunikationssektor verdeutlicht, vor welchen Herausforderungen wir heute stehen. Die modernen Technologien erlauben es, Dienstleistungen von jedem Ort der Welt aus zu erbringen. Wir befinden uns in diesem Sektor in einem internationalen Wettbewerb von völlig neuer Dimension. Die Standortpolitik der Bundesregierung trägt dieser Tatsache bisher nicht Rechnung. Der Saldo der Existenzgründungen in unserem Lande hat sich nach der beispiellosen Gründungsphase der ersten Jahre auf 2.828 zusätzliche Betriebe im Jahre 1997 normalisiert. 1998 wurde er wieder auf 3.116 Betriebe gesteigert. Wir haben versucht, den Trend aus 1998 mit der Thüringer Existenzgründungsinitiative (TEI) zu verstärken. Dies vor allem mit dem Ziel, durch eine bessere Beratung zu verhindern, dass Existenzgründungen wegen unzureichender Vorbereitungen scheitern. Daneben bieten wir Existenzgründern eine prioritäre Investitionsförderung im Rahmen der GA und des LIP an. Mit der Gründung der Wagniskapitalgesellschaft VCT hat die Landesregierung im vergangenen Jahr ein Instrument geschaffen, mit dem jungen innovativen Unternehmen gezielt notwendiges Eigenkapital zur Verfügung gestellt werden kann. Die Rahmenbedingungen für Existenzgründungen in Thüringen stimmen. Von der Bundespolitik lässt sich das jedoch nicht sagen. Dies zeigen sowohl die neuen Regelungen zu den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, den 630-DM-Jobs, als auch das Gesetz, das viele Existenzgründungen zu Scheinselbständigen
abstempelt. Die vorläufigen Daten für 1999 zeigen, dass es in allen Ländern einen dramatischen Einbruch beim Gründungssaldo gegeben hat. Für die neuen Länder steht sogar zu befürchten, dass die Saldi insgesamt negativ werden, das heißt, der Unternehmensbestand schrumpft statt zu wachsen. So wird der Erfolg sinnvoller landespolitischer Aktivitäten konterkariert.
Das hat nicht zuletzt Auswirkungen auf den Thüringer Arbeitsmarkt. Das 630-DM-Gesetz, meine Damen und Herren, muss deshalb novelliert werden.
Thüringen weist zwar die niedrigste Arbeitslosenquote in den neuen Ländern auf, 17,5 Prozent im Februar 2000, Sie wissen es, beim Durchschnitt der neuen Länder von 19,3 Prozent, dennoch ist die Tatsache, dass 217.000 Menschen arbeitslos sind, Besorgnis erregend. Unsere neue Arbeitsmarktpolitik haben wir vor einigen Wochen in einer eigenen Regierungserklärung dargestellt. Über den aktuellen Stand ihrer Umsetzung werde ich heute Nachmittag berichten. Arbeitsmarktpolitik zur Verbesserung der gegenwärtigen Lage auf dem Arbeitsmarkt reicht nicht aus. Unser Blick muss auf die Zukunft der jüngeren Generation in Thüringen gerichtet sein. Deshalb setzen wir die Thüringer Ausbildungsinitiative fort, deren Programm 2000 wird in Kürze von unserem Ministerpräsidenten vorgestellt werden. Sie hat das Ziel, die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsstellenmarkt zu schließen. Ihre wesentlichen Schwerpunkte sind: die Modernisierung der Berufsausbildung, die stärkere Praxisorientierung berufsvorbereitender Maßnahmen, die Verbesserung der Berufsorientierung und tarifverträgliche Regelungen für mehr Ausbildungsplätze. Wir unterstützen die berufliche Bildung mit gezielten Förderprogrammen. Ich appelliere hier an die Unternehmen: Stellen Sie mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung.
Bedenken Sie im Interesse Ihres eigenen Bedarfs an qualifizierten Kräften, dass die Anzahl der Jugendlichen im Ausbildungsalter in wenigen Jahren erheblich zurückgehen wird. Eine Entspannung am Thüringer Arbeitsmarkt wird sich vor allem über das Wachstum und über neue Arbeitsplätze in der Industrie ergeben. Aber diese Möglichkeiten sind begrenzt. Wir dürfen jedenfalls keine zu hohen Erwartungen wecken, zumal wegen der deutlich höheren Erwerbsneigung in den neuen Ländern hier mehr Arbeitsplätze entstehen müssen als in den alten Ländern. Wenn man von den wirtschaftlichen Perspektiven Thüringens spricht, ist es notwendig, den Wirtschaftsstandort als Ganzes zu sehen. Zentrale Bedeutung für die Entwicklung unserer Wirtschaft hat der Ausbau einer leistungsfähigen Infrastruktur. Verglichen mit den alten Ländern besteht noch ein erheblicher Rückstand, insbesondere in der Verkehrsinfrastruktur.
Handlungsbedarf gibt es bei überregionalen Verkehrswegen im Bereich Schiene und Straße, bei Ortsumgehungen, im Landesstraßennetz und im öffentlichen Personennahverkehr. Die Entwicklung der thüringischen Wirtschaftsstruktur wird zwar zunehmend von der Industrie getragen, aber die industrielle Basis ist insgesamt noch zu schmal. Es gibt bereits zahlreiche Unternehmen, die auf überregionalen Märkten Erfolge erzielen, aber insgesamt ist unsere Wirtschaft noch zu stark auf regionale Märkte orientiert. Wir müssen unsere Unternehmen bei der Eroberung neuer Märkte unterstützen. Außerdem sind die Unternehmen unserer stark mittelständisch geprägten Wirtschaft häufig noch zu klein. Es gibt wettbewerbsfähige Unternehmen, aber vielfach müssen die Unternehmen noch in eine kostenoptimale Betriebsgröße hineinwachsen. Ein zentraler Strukturnachteil wird in Thüringen auf lange Zeit bestehen bleiben, nämlich die zu geringe Anzahl von Großunternehmen und deren Zentralen. Damit fehlen entscheidende Wachstumsimpulse für die mittelständische Wirtschaft in den neuen Ländern insgesamt. Wir brauchen daher andere Impulsgeber für den Mittelstand. Die Unternehmensbasis muss insgesamt erweitert werden. Wir fördern Investitionen, auch damit es unseren Unternehmen gelingt, in eine wettbewerbsfähige Betriebsgröße hineinzuwachsen. Darüber hinaus bemühen wir uns um die Ansiedlung neuer Unternehmen und sorgen dafür, dass Existenzgründer gute Startchancen vorfinden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aus gegebenem Anlass feststellen, die Ansiedlung der neuen Produktionsstätte der Unternehmensgruppe Brandt in Thüringen ist keine mit Steuermitteln finanzierte Verlagerung einer Betriebsstätte. Es handelt sich um einen neuen Betrieb mit neuen Produkten und Produktionsverfahren und mit neuen Absatzmärkten, meine Damen und Herren. Wir haben außerdem zu berücksichtigen, dass in einer sich immer stärker globalisierenden Wirtschaft auch kleine und mittlere Unternehmen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis stellen müssen. Unsere Politik muss daher auch darauf ausgerichtet sein, die Innovationsfähigkeit unserer Unternehmen zu erhalten und zu stärken. Häufig verfügen unsere Unternehmen noch über eine zu geringe Wertschöpfung. Eine hohe Wertschöpfung ist aber notwendig, damit Spielräume für die Finanzierung von Investitionen aus eigener Kraft entstehen. Das wird den Unternehmen nur gelingen, wenn sie auf überregionalen Märkten präsent sind, wenn sie für Vorprodukte keine höheren Preise zu entrichten haben als ihre Konkurrenten, wenn sie ihre Produkte zu vergleichbaren Preisen absetzen können wie etablierte Markenanbieter, wenn sie nicht nur einzelne Komponenten, sondern ganze Systeme liefern können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zur Infrastrukturpolitik kommen. Priorität in unserer Wirtschaftspolitik hat der weitere Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Beim Bau überregionaler Straßenverbindungen werden
wir zurzeit vom Bund gut bedient. Das beschlossene Investitionsprogramm für die Jahre 1999 bis 2002 ermöglicht den zügigen Weiterbau der Thüringer Autobahnprojekte.
Wir haben in Verhandlungen mit dem Bund auch erreicht, dass die A 71 in Richtung Sangerhausen Bestandteil des Bundesprogramms "EFFRE" geworden ist und dadurch ihre Finanzierbarkeit bis 2006 weitestgehend gesichert ist. Voraussichtlich kann noch in diesem Jahr mit ihrem Weiterbau im Abschnitt Erfurt-Bindersleben - Sömmerda begonnen werden, meine Damen und Herren. Dies, so hoffen wir, wird der wirtschaftlichen Entwicklung in der Region Nordthüringen einen starken Impuls geben. Diese Tatsachen können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Haushaltsansätze für den Bundesfernstraßenbau insgesamt unzureichend sind, so dass sich beispielsweise der Bau von Ortsumgehungen in unserem Lande verzögert. Wir werden uns dafür einsetzen, dass alle vordringlich eingeordneten Maßnahmen vordringlich bleiben. Des Weiteren geht es uns darum, dass viele für den Freistaat wichtige Maßnahmen vom Bund in den vordringlichen Bedarf eingeordnet werden. Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Ländern muss vom Bund entscheidend vorangetrieben werden.
Nur so wird es beispielsweise möglich sein, wichtige Projekte, wie den Ausbau der B 93 im Raum Altenburg oder die Verbindung Fulda-Meiningen zu realisieren. Es ist erst recht falsch, große Verkehrsinfrastrukturprojekte bundesseitig zur Disposition zu stellen. Wir werden die Bundesregierung weiter darauf hinweisen, dass Einschnitte bei Infrastrukturinvestitionen nicht nur für das Land, sondern auch für den Bund kontraproduktiv sind. Es käme zur Zementierung von Standortdefiziten. Wenn die geplanten Verkehrsinfrastrukturpojekte nicht zügig realisiert werden, dann hätte dies sicher nachteilige Auswirkungen auf die Verhandlungen über den Solidarpakt nach 2004.
Im Schienenwegebau ist die Finanzierungsvereinbarung für die Mitte-Deutschland-Verbindung ein wichtiger Schritt. Noch wichtiger ist es allerdings, den Ausbau alsbald zu realisieren.
Daher begrüßen wir, dass uns der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG zugesichert hat, den Ausbau der Mitte-Deutschland-Verbindung jetzt zügig weiterzuführen, so dass der Zeitplan für die Fertigstellung noch eingehalten werden könnte. Konkret wurde zugesagt, beim Streckenabschnitt Gera-Gößnitz mit den Bauarbeiten sofort zu beginnen und beim Streckenabschnitt Weimar-Gera mit den Ausschreibungen sofort zu beginnen. Auch die Verhandlungen mit Verkehrsminister Klimmt geben inzwi
schen Anlass zur Hoffnung, dass wir mit unserer Initiative zum ICE Erfolg erzielen werden. In einem Brief vom 22. Februar teilte Herr Klimmt mit, dass die Bauarbeiten im Abschnitt Arnstadt-Süd fortgeführt werden sollen und die zwischenzeitlich angedachte Anbindung an die Saalebahn von Arnstadt nach Saalfeld vom Tisch sei. Der Bundesverkehrsminister hat darüber hinaus bei einem Besuch in Thüringen Anfang März angekündigt, dass die Baumaßnahmen bis in Höhe Ilmenau fortgesetzt werden.