Protocol of the Session on February 24, 2000

geregelt sein.

(Beifall Abg. Dittes, PDS)

Dabei werden von beiden Seiten Opfer verlangt - von den Kassen und der Kassenärztlichen Vereinigung. Beiden derzeit verhärteten Fronten muss bewusst sein, dass eine gute, ganzheitliche Medizin nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Eine medizinische Betreuung, die die organischen und seelischen Krankheitsaspekte der Patienten im Blick hat, ist nämlich in der Perspektive auch kostensparender. Es ist endlich an der Zeit, dass auch die Kassenärztliche Vereinigung begreift, dass der Berufsstand der Psychotherapeuten kein leidiges Anhängsel, sondern für die Thüringer Patienten ein dem Internisten, Chirurgen oder Hausarzt gleichwertiger und - wie auch die langen Wartezeiten zeigen - notwendiger medizinischer Berufsstand ist.

(Beifall bei der SPD)

Am Dienstag wurde es mehr als deutlich, dass die Psychotherapeuten Thüringens durch ihren Interessenvertreter sehr stiefkindlich behandelt werden. Das heißt, sie haben in der KVT keine Lobby.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Ich erwarte und hoffe, dass Minister Pietzsch erneut den Versuch unternimmt, die Vertragsparteien kurzfristig zu einer einvernehmlichen Lösung zu bringen. Ich erwarte, dass persönliche Befindlichkeiten der Vertragsparteien außen vor bleiben und sich beide Seiten um eine sachgerechte und verträgliche Lösung bemühen.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Jeder sollte sich dabei vorab in die Lage der Psychotherapeuten versetzen und sich gedanklich damit vertraut machen, wie es ihm in dieser ausweglosen Situation ergehen würde. Ich erwarte von dieser Bundesratsinitiative, dass durch eine mögliche Gesetzesänderung den Psychotherapeuten auf Dauer eine gewisse Sicherheit, Ruhe und Gelassenheit zuteil wird, die ihnen ein erfolgreiches Arbeiten mit den Patienten erst mal ermöglicht.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Wenn wir jetzt nicht reagieren, brauchen die Thüringer Psychotherapeuten demnächst ärztliche Hilfe aus anderen Ländern, um sich selbst behandeln zu lassen. Dies sage ich nicht mit Sarkasmus oder Polemik, sondern gebe nur meinen ganz persönliches Erleben aus dem Weimarer Gesprächskreis wieder.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Es hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Arenhövel, CDUFraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Nothnagel, es ist schon ein starkes Stück, wenn Sie als PDS-Fraktion hier mit einer Bundesratsinitiative antreten und dort, wo Sie in der Regierungsverantwortung stehen, nämlich in Mecklenburg-Vorpommern, zwar viel nach außen getragen wird über eine Bundesratsinitiative, die man eventuell geplant habe, oder man sich auch vor die Psychotherapeuten stellt, von dort aus aber gar nichts, aber auch nichts passiert. Ich habe mich mehrfach erkundigt, ich habe bei der Landesregierung nachgefragt - im Bundesrat liegt aus dem Land Mecklenburg-Vorpommern

(Zwischenruf Abg. Dr. Fischer, PDS)

keine Bundesratsinitiative

(Beifall bei der CDU)

vor und deswegen ist das Heuchelei, was Sie hier betreiben.

(Beifall bei der CDU)

Es ist natürlich auch der CDU-Fraktion ein Anliegen, dass die Psychotherapeuten ihre Praxen lebensfähig erhalten können, denn auch wir sehen, dass diese Form der Therapie, die relativ neu ist in Thüringen, am Leben erhalten, fortgeführt und ausgebaut werden muss. Wir sind jedoch nicht der Meinung, dass man in einem Gesetz einen Punktwert von zehn einfach festschreiben kann, weil, wie Sie alle wissen, die Punktwerte floatend sind, je nachdem, wie das Budget sich gestaltet, und dass ein solcher Ansatz zu Lasten der anderen Fachärzte ginge, und dieses werden wir nicht zulassen, meine Damen und Herren. Deswegen werden wir diese Bundesratsinitiative, die Sie hier vorgeschlagen haben, ablehnen. Wie ist es denn zu dieser dramatischen Situation gekommen? Es ist doch so, dass wir hier in Thüringen die Scherben auflesen müssen, die die rotgrüne Gesundheitspolitik angerichtet hat.

(Beifall bei der CDU)

Die enge Budgetierung zwingt die Vertragspartner zäh zu verhandeln und ist einer der Gründe dafür, dass die Selbstverwaltung eben nicht funktioniert. Deswegen muss an den Rahmenbedingungen etwas geändert werden und, Frau Heß, man kann auch nicht immer so tun, als sei die SPD völlig unschuldig daran.

(Zwischenruf Abg. Heß, SPD: Das habe ich auch nicht gesagt.)

Sie haben doch die Mehrheit im Bundestag

(Beifall bei der CDU)

und Sie haben doch die meisten Stimmen in der Koalition. Deswegen bitte ich doch, nehmen Sie doch bitte Einfluss auf Ihre Kollegen, die in Berlin diese Dinge tragen müssen. Herrn Dreßler haben Sie ja nun auch weggelobt. Seine Gesundheitspolitik war zwar nicht gerade zukunftsweisend, aber er hat Frau Fischer doch wenigstens noch am meisten auf die Zehen getreten.

(Beifall bei der CDU)

Ein weiterer wichtiger Punkt war die willkürliche Gesetzesauslegung des Psychotherapeutengesetzes durch die Bundesregierung. In Absatz 2 des geltenden Gesetzes heißt es, dass die Vertragsparteien zuständig sind, wenn der Punktwert fällt, also die Kassen und die Kassenärztliche Vereinigung, da kann man nicht hergehen und sagen, nur die Kassenärztliche Vereinigung sei zuständig. Gegen diese Dinge müssen wir uns wehren, dagegen müssen wir politisch aktiv werden, damit alle Mediziner, die hier in Thüringen praktizieren, auch eine Chance haben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Frau Abgeordnete Arenhövel, ich wollte nur darauf aufmerksam machen, das Wort "Heuchelei" gehört nicht zum Sprachgebrauch hier in diesem Haus. Würden Sie es zurücknehmen?

(Zuruf Abg. Arenhövel, CDU: Ja, o.k.)

Sie nimmt es zurück.

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Wunderbar!)

Als Nächste haben wir die Abgeordnete Frau Dr. Fischer, PDS-Fraktion.

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Herr Gerstenberger darf "Lügner" sagen und wir müssen das Wort "Heuchelei" zurücknehmen, das kann doch wohl nicht sein! Der hat den Minister als "Lügner" beschuldigt. Das ist aber ein Ding!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, Frau Arenhövel, ich hätte an Sie wirklich eine Bitte, bevor ich anfange: Wir übertragen das Finanzgebahren der Hessen-CDU auch nicht auf Thüringen. Ich möchte Sie bitten, diese Polemik einfach zu unterlassen an der Stelle.

(Beifall bei der PDS, SPD)

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Diese Geschichten.)

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich möchte mit einer kurzen Geschichte beginnen: Eine junge Frau, Mitte dreißig, rief mich letzte Woche zu Hause an. Sie war verzweifelt. Seit Wochen ist die allein erziehende Mutter von zwei Kindern krankgeschrieben, eine überwiegend auf das Herz zentrierte Symptomatik und hoher Blutdruck ohne fassbare organische Ursachen für diese Regulationsstörung führten zu unterschiedlichsten Behandlungsversuchen bei unterschiedlichen ärztlichen Kollegen, die alle misslangen. Inzwischen fühlt sie sich bei ihrem Internisten als Simulantin, traut sich kaum noch in die Praxis, denn sie glaubt oder glaubt zu sehen, dass das gesamte Personal inzwischen genervt ist. Sie sieht sich mit Aussagen konfrontiert, wie "die schon wieder, soll sie sich doch zusammenreißen, die hat doch nichts, alle Befunde sind schließlich in Ordnung". Die junge Frau ist unsicher, weint viel. Manchmal, sagt sie, denke ich daran, Schluss zu machen. Zu allem Überfluss, sagt sie, und deshalb rufe ich eigentlich an, wurde ich jetzt zum Medizinischen Dienst meiner Krankenkasse vorgeladen, der mir die Auflage erteilt, mich möglichst rasch in eine psychotherapeutische Behandlung zu begeben, um bald wieder arbeitsfähig zu werden. Nun steht sie vor dem nächsten Problem. Sie bemüht sich einen Therapieplatz zu finden. Die geringste Wartezeit, die ihr angeboten wurde, betrug ein halbes Jahr. Sie traut sich nicht, ihrer Kasse das mitzuteilen, und wisse nicht, was sie jetzt tun soll.

Meine Damen und Herren, in meinem Wahlkreisbüro erzählt sie von ihrer Scheidung vor fünf Jahren. Der Vater der Kinder ist nicht auffindbar und zahlt keinen Unterhalt. Ihre Arbeit findet sie zwar sehr interessant, aber dort sind eigentlich keine Kinder vorgesehen. Sie fühlt sich ständig gehetzt und überfordert. Um ihre Kinder kann sie sich kaum noch kümmern, deren schulische Leistungen werden immer schlechter. Sie sieht keinen Ausweg.

Meine Damen und Herren, diese Geschichte ist nicht konstruiert und ich denke, Sie kennen solche Schicksale aus Ihrer Arbeit auch zur Genüge. Die fatale Situation dieser Frau hat sehr viel mit unserem heutigen Antrag zu tun, und das in mehrfacher Hinsicht. Als Ärztin darf ich sagen, dass zumindest mein Medizinstudium wenig geeignet war, sowohl psychische Ursachen von Krankheiten als auch psychische Krankheiten genügend ins Kalkül zu ziehen. Meine Ausbildung in der DDR, das ist wohl auch heute noch so, war überwiegend auf gut definierte somatische, das heißt organische Erkrankungen, sprich Symptome und vor allem auch auf deren medikamentöse Behandlung ausgerichtet. Es ging weniger um Gesundheit denn um Krankheit. Mir war dieser Mangel durchaus bewusst. Auf einer internistischen Krebsstation in Eisenach zu Beginn meiner Facharztausbildung fühlte ich schmerzlich diese einseitige Ausbildung. Schon zu DDR-Zeiten versuchte ich über die Ge

sellschaft für ärztliche Psychotherapie und mit Hilfe von Psychologen diese Defizite auszugleichen. Das wurde übrigens nicht immer sehr gern von meinen Vorgesetzten gesehen.

Fünf Jahre in einer Poliklinik brachten mir schließlich die Überzeugung, dass mindestens 50 Prozent aller Kinder und Jugendlichen ganz überwiegend psychosomatische Beschwerden aufwiesen. Ich sah verzweifelte Mütter, weniger Väter, und oft genug traute ich mich nicht, die eigentlichen Ursachen wirklich auszusprechen, denn in der Regel hätten die Eltern Hilfe gebraucht. Hilfsmöglichkeiten dieser Art waren zu DDR-Zeiten nicht dicht gesät. Allgemeinmediziner sagen mir heute, dass in ihren Sprechstunden mindestens 60 bis 70 Prozent der Patientinnen und Patienten psychosomatische Störungen aufweisen. Auf meine Frage, wie man mit diesen Patienten umgeht, erhalte ich zum Teil ausweichende, aber auch zum Teil, und das ist für mich völlig verständlich, hilflose Antworten. Wir haben leider oft nicht genug Zeit für unsere Patienten, da spüre ich sehr viel Resignation.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, manchmal denke ich, so viel hat sich in den letzten zehn Jahren gar nicht geändert. Fast ein Vierteljahrhundert lang wurde das Psychotherapeutengesetz an-, weg- und durchdiskutiert - ich habe diese Diskussion erlebt - und dann doch mit großer Eile verabschiedet. Es war eigentlich allen von Anfang an klar, darauf machten auch Psychotherapeuten hier in Thüringen rechtzeitig aufmerksam, dass es vor allem auch finanzielle Probleme geben wird. Man muss sich also fragen, ob dies so gewollt sein konnte. Welche Interessen stehen auch dahinter? Sind es auch Interessen der Pharmaindustrie, die natürlich weiß, dass mit Hilfe der Psychotherapie vor allem auch in Größenordnungen Medikamente eingespart werden könnten? Es gibt dazu ausgezeichnete Kosten-Nutzen-Recherchen in der Medizin,

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU:... nicht von der Hand zu weisen.)

die kann ich Ihnen gern zur Verfügung stellen. Die sind sehr, sehr aufschlussreich, muss ich Ihnen sagen. Ich gehe an dieser Stelle noch etwas weiter, auch aus meinen DDRErfahrungen heraus, Frau Arenhövel; ist es auch im Interesse der Herrschenden in dieser Gesellschaft, dass Menschen die Ursachen ihrer Probleme nicht erkennen und demzufolge eigenverantwortlich handeln? Geht es auch um Machterhalt? Ich frage das wirklich deshalb, weil ich das zu DDR-Zeiten gerade hinsichtlich der Psychotherapie voll miterlebt habe. Oder geht es wie immer um kurzfristige Kostendämpfung und zu wessen Lasten geht das?

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Das Geld ist doch nicht da.)

Meine Damen und Herren Abgeordneten, irritiert bin ich jedenfalls durch eine Studie des Zentralinstituts der Kassenärztlichen Versorgung in der Bundesrepublik zur patienten

orientierten Bedarfsermittlung und -planung in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung. Nach dreijähriger Arbeit wurde der Abschlussbericht im Juni 1999 im Bundesministerium vorgelegt. Es war nicht einfach, den Bericht zu erhalten. In meiner grenzenlosen Naivität dachte ich erbost, trotz der Kenntnis der Situation in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung wurden diese Entscheidungen getroffen. Nachdem mir allerdings dieser Bericht zugänglich gemacht wurde, ergriff mich doch etwas das Entsetzen. Zum Teil wurden Daten Ende der 80er oder Anfang der 90er Jahre, also zum Teil vor der Vereinigung zugrunde gelegt. Das ist unfassbar. Genauso wenig ist für mich erklärbar, dass kein Vertreter der ostdeutschen Psychotherapie an der Entstehung dieses Berichts überhaupt beteiligt war.

Aber, meine Damen und Herren, trotzdem ein Zitat: "In den fünf neuen Bundesländern finden sich dagegen nur 3,7 Prozent der psychotherapieberechtigten zugelassenen Ärzte. Bei den nichtärztlichen Psychotherapeuten sind es 8,2 Prozent." Dabei gibt diese ohnehin ungleiche Verteilung nicht einmal die Situation der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten adäquat wieder. Deren Anteil in den neuen Bundesländern beträgt weniger als 0,1 Prozent. Diese Zahl ist für mich sehr beschämend nach zehn Jahren Vereinigung. Herr Minister Dr. Pietzsch sagte dazu in der Beantwortung einer Mündlichen Anfrage: "Im Bereich der Kinder- und Jugendpsychotherapie haben wir überhaupt nur vier Therapeuten. Das ist zu wenig." Diese Antwort, Herr Minister, muss ich leider etwas traurig sagen, ist wohl auch ein bisschen wenig. Für mich als Kinderärztin ist das eine Zeitbombe. An dieser Stelle werden Kinder und Jugendliche gerade in den neuen Bundesländern regelrecht im Stich gelassen. Sie werden es der Gesellschaft mit Recht zurückzahlen. Darüber täuscht auch eine gering gesunkene Kriminalitätsrate bei Kindern und Jugendlichen in Thüringen nicht hinweg. Die Brutalität nimmt zu, Sie wissen das alle. Im Übrigen ist das Ganze, was hier passiert, eine sehr teure Variante für das Gesundheitswesen der Zukunft in der Bundesrepublik überhaupt. Aktuelle Entwicklungen werden in keiner Weise adäquat zur Kenntnis genommen, eine Veränderung des Krankheitspanoramas - chronische und psychische Erkrankungen nehmen eindeutig zu - setzen eben auch eine Veränderung der Strukturen voraus und dafür müssen Parlamente entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Das können auch wir anregen als Landesparlament.