Protocol of the Session on April 1, 2004

Ja, Vorsicht, ruhig Blut, Herr Kollege. Mit Ihnen das ist wieder etwas anderes. Ich will noch einmal den Satz deutlich wiederholen, den ich auch gesagt habe, ob Sie mir da zustimmen können. Wir werden zu Gunsten unserer Bürgerinnen und Bürger die gesetzgeberischen Möglichkeiten der inneren Sicherheit im Rahmen des rechtlich Zulässigen nutzen. Das habe ich klipp und klar gesagt. Da stimmen Sie mir doch zu?

(Zwischenruf Abg. Grüner, CDU)

Das habe ich doch gar nicht gefragt. Willst du soufflieren?

(Heiterkeit im Hause)

Da stimme ich Ihnen erst einmal zu, aber es geht weiter hinaus, was wir in unserem Gesetzesantrag fixiert haben.

Ich habe noch eine zweite Frage, Frau Präsidentin. Gestatten Sie? Herr Kollege Pohl, hat sich denn Ihre Fraktion - natürlich ist das Urteil des BVG da - einmal mit dem Bundesinnenminister ins Benehmen gesetzt, der ja auch ursächlich an vielen Dingen mit beteiligt ist, wie er dazu steht? Nur eine Frage.

Es gibt immer eine Kommunikation zwischen unserer Fraktion und dem Bundesinnenministerium.

(Zwischenruf Abg. Wetzel, CDU: Wäre ja schlimm, wenn es nicht so wäre.)

Ja oder Nein?

(Beifall bei der CDU)

Für die PDS-Fraktion hat sich der Abgeordnete Dr. Hahnemann zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich bin hin und wieder unsicher, ob die Beratungen, die wir uns hier selbst und der Öffentlichkeit zumuten, eigentlich etwas zu tun haben mit den Vorlagen, die diesen Beratungen zu Grunde liegen. Steffen Dittes, ein guter Mensch, der er nun einmal ist, hat zu Ihren Gunsten unterstellt, dass die Landtagsverwaltung vielleicht eine falsche Vorlage verteilt haben könnte, denn ihm ist natürlich aufgefallen, und darauf war auch seine Nachfrage vorhin gerichtet, dass vieles, was über die Vorlagen behauptet wird, offensichtlich mit dem Inhalt der Vorlagen nichts zu tun hat. Dieses Urteil, das Sie z.B., Herr Kollege Fiedler, gefällt haben, indem Sie versucht haben darzustellen, was Sie im Unterschied zu uns machen, nämlich sorgfältig auswerten und prüfen und dann Konsequenzen ziehen, ist genau die Intention unseres Antrags: Sorgfältig überprüfen und dem Landtag Konsequenzen vorschlagen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Sie wollten bis zum 28. Mai die Ergebnisse haben.)

Aber auch der Kollege Pohl scheint unseren Antrag nicht oder nicht sonderlich gründlich gelesen zu haben, denn wenn er glaubt, dass Ihr Gesetzentwurf den Bearbeitungsrahmen, der in unserem Antrag eine Rolle spielt, tatsächlich mit erfasst, dann kann er tatsächlich unseren Antrag nicht gründlich gelesen haben. Dass Sie Ihren Gesetzentwurf nicht gründlich gelesen haben, will ich Ihnen nicht unterstellen.

Aber, meine Damen und Herren, was läuft denn politisch momentan ab? Vor dem Hintergrund dessen müssen wir doch die Diskussionen bewerten, die momentan stattfinden. Die Wange mancher Obrigkeitsfanatiker ist von der letzten Ohrfeige des Bundesverfassungsgerichts immer noch gerötet, da denken diese trotzdem schon wieder darüber nach, welche Grund- und Bürgerrechte als Nächste beschnitten oder abgeschafft werden sollen. Es sind nur die Anlässe, die sich in den letzten 20 Jahren geändert haben, die Methode ist immer dieselbe geblieben. Grund- und Bürgerrechte werden einfach von Sicherheitsgarantien zu Sicherheitsrisiken umdefiniert. Angesichts der unterschiedlichen Szenarien, angefangen von der Mafia über den vermeintlichen Sturm der Flüchtlinge auf Europa bis hin zu Al-Kaida wird darauf vertraut, dass der Protest stimmlos bleibt und die Bevölkerung ihre schutzwürdigen Interessen auf dem Altar

der Sicherheitsverehrung schon opfern wird. An herausgehobener Stelle in der Reihe der Eingriffe in Verfassung und Rechtsstaat stehen die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl aus dem damaligen Artikel 16 und der Griff nach Artikel 13 - der Unverletzlichkeit der Wohnung. Beide Angriffe auf die Verfassung waren von massiven Protesten begleitet. So unterzeichnete eine Mehrheit, meine Damen und Herren, eine Mehrheit der Datenschutzbeauftragten einen Appell gegen den großen Lauschangriff. Trotz dieses Protests, trotz der Warnungen kritischer Juristen, trotz der Warnungen von Bürgerrechtlern und Standesorganisationen und auch anderer, erreichte die Grundgesetzänderung im Bundestag die notwendige Zweidrittelmehrheit. Der große Lauschangriff hielt Einzug in die Strafprozessordnung. Seitdem haben nach Angaben der Behörden 120 große Lauschangriffe stattgefunden und diese meist mit geringem Erfolg und, wie sich am 3. März dieses Jahres herausstellte, auch verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Grundsatzurteil fest, dass die Abhörklauseln gegen eine ganze Reihe von Grundrechten und Rechtsstaatsprinzipien verstoßen. Doch nicht genug, Herr Dittes hat es schon gesagt, zwei Verfassungsrichterinnen halten die Änderung selbst für verfassungsrechtlich bedenklich. Denn, sehr geehrter Herr Kollege Pohl, es ist eben keine Frage, ob die Zahl der großen Lauschangriffe in Thüringen gen null geht oder nicht, sondern es ist...

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Das habe ich nicht gesagt.)

Entschuldigung, Herr Pohl, Herr Fiedler.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das kann ich nur bestätigen.)

Das bedaure ich sehr, aber das ist nichts Neues, dass Sie Herrn Fiedler bestätigen und umgekehrt. Das Ganze ist keine quantitative Frage, meine Herren. Das Ganze ist eine qualitative Frage und als solche muss man sie auch betrachten. Das Karlsruher Gericht stellt fest, die akustische Wohnraumüberwachung verletzt das oberste und tragende Verfassungsprinzip: Artikel 1 des Grundgesetzes - die Menschenwürde - und Artikel 2 - das persönliche Freiheitsrecht. So betont das Gericht in seinem Spruch, Zitat: "Dem Einzelnen soll das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, gerade in seinen privaten Wohnräumen, gesichert sein, und zwar ohne Angst, dass staatliche Stellen die Entfaltung seiner Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung überwachen." Außerdem erkannte das Gericht eine Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz und rechtliches Gehör und auch des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Das Karlsruher Gericht hat dem Bundesgesetzgeber eine Revision der Strafprozessordnung bis Mitte nächsten Jahres auferlegt.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Was ist denn das für eine Mauschelei?)

Auch das Thüringer Polizeiaufgabengesetz und das Verfassungsschutzgesetz erteilen in den §§ 35 bzw. 7 die Lizenz für Richtmikrofone auf oder Wanzen in Wohnungen. Diese Regelungen sind ebenfalls nicht verfassungskonform. Sie gehen sogar über die vom Bundesverfassungsgericht angegriffene Ermächtigung in der Strafprozessordnung noch hinaus. Die beiden Thüringer Gesetze kennen keinerlei Erhebungsverbote, auch nicht bei Gesprächen mit Berufsgeheimnisträgern. Es gibt keine Vorkehrung, dass die Überwachung abgebrochen und die Ergebnisse nicht verwertet werden, wenn eine Situation belauscht wird, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen ist. Das Polizeiaufgabengesetz geht in seiner Ermächtigung sogar noch weit über die entsprechenden Regelungen der Strafprozessordnung hinaus, wo in Thüringen das große Lauschen auch dann erlaubt war und ist, wenn Rechtsgüter von nicht gerade überragender Bedeutung gefährdet sein sollen. Ich erzähle Ihnen allen nichts Neues. Es reicht z.B. die Prognose einer Gefahr - und nun hören Sie zu - für Sachen oder Tiere, deren Erhalt dem öffentlichen Interesse geboten erscheint, die staatlichen Ohren bis ins Schlafzimmer zu strecken. Damit verstoßen das Thüringer Verfassungsschutzgesetz und das Polizeiaufgabengesetz gegen die Landesverfassung und gegen das Grundgesetz. Und es wäre Aufgabe der Landesregierung gewesen, dies nach dem 3. März schleunigst einzuräumen und entsprechende Änderungsgesetze vorzubereiten und einzubringen. Aber wie bei der Videoüberwachung in Weimar und der Kennzeichenerfassung am Rennsteigtunnel klebt die Landesregierung an grundrechtswidrigen Instrumentarien. Sie ist unwillig, den Rechtsbruch einzugestehen und sie behält die Befugnisse selbst dann noch im Rechtskorpus, wenn klar ist, dass diese nicht genutzt werden dürfen. Also, meine Damen und Herren, vertreten wir die Auffassung, der Landtag ist aufgefordert, ein Zeichen zu setzen und festzustellen, dass die Ermächtigung zum großen Lauschangriff im Thüringer Verfassungsschutzgesetz und in dem Polizeiaufgabengesetz verfassungswidrig sind. Wir beantragen zu diesem Punkt namentliche Abstimmung.

Mit der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts findet man die bürgerrechtliche Kritik, meine Damen und Herren, an der Thüringer Sicherheitsgesetzgebung bestätigt. Wir fordern daher den Landtag auf, das Polizeiaufgabengesetz, das Verfassungsschutzgesetz - Herr Pohl, deswegen meine Behauptung, unser Antrag geht in einer niederen Ebene wesentlich weiter als Ihr Gesetzentwurf - und das Sicherheitsüberprüfungsgesetz hinsichtlich ihrer Verfassungskonformität und Rechtsstaatlichkeit gründlich zu überprüfen. Diese Gesetze sind nämlich so etwas wie ein Roll-back zu Lasten der Verfassungsrechte. Wir verlangen aber eine Rückkehr zu den Prinzipien des Rechtsstaats zugunsten der Grund- und Bürgerrechte. Diesem Denken wollen wir parlamentarischen Ausdruck geben. Denn wer meint, Grundrechtsschutz sei inzwischen unpopulär, wer sich der Grundrechte und Rechtsstaatsprinzipien nur dann erinnert, wenn Karlsruhe die Rechtsetzungsampel auf Rot schaltet, wer ansonsten aber munter

weiter aufs Gaspedal des Verfassungsbruchs tritt,

(Unruhe bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Jetzt wird es aber putzig.)

der, meine Damen und Herren, muss sich den Vorwurf der politischen Heuchelei gefallen lassen. Denn der Kahlschlag bei den Bürgerrechten ist nicht nur Sache der Herren Trautvetter, Beckstein, Schönbohm und wie die schwarz colorierten law-and-order-Protagonisten alle heißen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Jetzt reichts aber.)

Auf den Prüfstand gehört auch der rot gefärbte OttoVersand Berlin mit seinen diversen Sicherheitspaketen. Die rotgrüne Bundesregierung hat...

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Eine Un- verschämtheit ist das, Herr Hahnemann.)

Die rotgrüne Bundesregierung, Herr Kollege Pohl, hat Sicherheitsbestimmungen in ca. 100 Gesetzen geändert. Davon hätte ein Innenminister wie Kamerad Kanther nur geträumt, Herr Pohl.

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Die Situation ist aber jetzt eine andere.)

Das geht so munter weiter. Was jetzt im Zuwanderungsgesetz Einzug halten soll, wird ein Abschied vom Rechtsstaat, wenn willkürliche Ausweisungen oder Abschiebungen bei Verdacht und ohne juristische Überprüfung geplant sind. Bevor die Herren Trautvetter und Schily auch nur den Versuch gestartet hätten nachzuweisen, inwieweit die Rasterfahndung in den Bundesländern belastbare Ergebnisse zur Terrorbekämpfung gebracht hat, soll sie bereits europaweit eingeführt werden. Doch gerade Thüringen hat belegt, Herr Pohl, und insofern ist es nicht richtig, Rasterfahndungen produzieren lediglich Berge von Datenmüll über weitestgehend unverdächtige Bürger. Wir haben das Beispiel doch gehabt. Die Trefferquote ging, ich zitiere Herrn Kollegen Fiedler "stark gegen null".

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Wie wollen Sie denn den Terrorismus bekämpfen?)

Herr Pohl, Sie können mir gern am Ende eine Frage stellen. Damit ist diese Maßnahme rechtsstaatlich nicht zu vertreten. Aber den Menschen wird eingeredet, diese und andere Maßnahmen würden die Sicherheit stärken. Das alles hat offensichtlich aber eins zum Ziel,

(Unruhe bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: Hahnemann als Innenminister.)

den Effekt und vermutlich auch die Folge, dass in fünf oder sechs Jahren die rechtsstaatlichen Schranken für diese Art der Sicherheitsgesetzgebung und -handhabung auch in Karlsruhe fallen. Es ist und bleibt aber originäre Verantwortung der Politik und der Bürgerschaft, die Verfassung zu schützen. Wenn Sie, Herr Fiedler, uns vorwerfen, dass wir den Verfassungsschutz abschaffen wollten,

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Schon immer, das wollen wir doch gar nicht be- streiten.)

dann kann ich das nur bestätigen. Aber ich bestätige Ihnen gegen Ihren Willen auch, Sie sind derzeit diejenigen, die die Verfassung attackieren und die Grundrechte in der Verfassung demolieren und am Ende

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das glau- ben Sie doch selber nicht, da lachen ja die Hühner, was Sie hier für Quatsch erzählen.)

die grundgesetzliche Ordnung und den Rechtsstaat abschaffen. Darüber müssen Sie sich im Klaren sein.

(Beifall bei der PDS)

Doch das Bewusstsein, Herr Fiedler, und da sind Sie wirklich lebender Beweis dafür, da sind Sie lebender Beweis dafür, das Bewusstsein für die Geschichte und den Wert des Grundgesetzes, das scheint in der politischen Klasse ganz stark geschwächt zu sein. Es ist doch beschämend, wenn das oberste deutsche Gericht der herrschenden Politik ständig rechtsstaatliche Zügel anlegen muss. Dieser Weg des eingeschlichenen "rückwirkenden Grundrechtsschutzes" darf nicht weiter beschritten werden. Unser Antrag versteht sich als ein Plädoyer für so etwas wie eine Generalrevision der Thüringer Sicherheitsgesetzgebung, auch jenseits des akuten Änderungsbedarfs, den Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der SPD, erfasst haben hinsichtlich der akustischen Wohnraumüberwachung durch Polizei und Verfassungsschutz. So verletzt nämlich nach Auffassung von Verfassungsexperten auch die Regelung zur präventiven Telekommunikationsüberwachung im Polizeiaufgabengesetz das Fernmeldegeheimnis des Artikel 10 Grundgesetz, das Abhören von Kontakt- und Begleitpersonen sowie die fast schon ebenerdige Eingriffsschwelle verletzen zudem die Persönlichkeitsrechte und das Verhältnismäßigkeitsprizinp.

Im Übrigen funktioniert auch die Kontrolle durch die Judikative nicht. Der Richtervorbehalt als besondere Form des Grundrechtsschutzes für die Betroffenen versagt kläglich. Eine Studie der Universität Bielefeld stellt fest, den mit Anträgen auf Telefonüberwachung befassten Richtern fehlt jede Sensibilität dafür, dass es sich um Grundrechtseingriffe handelt. Stattdessen wird den Anträgen der Staatsanwaltschaften generell, ungeprüft und teilweise auch noch rechtsfehlerhaft entsprochen. Eine ausdrückliche Benachrichtigung der Beschuldigten erfolgt nach dieser Unter

suchung in lediglich 3 Prozent der Fälle. All diejenigen, die von überwachten Anschlüssen aus telefonieren oder dort anrufen, werden wohl nie erfahren, dass ihre Gespräche belauscht worden sind. Das betrifft jährlich, und das geht nun spätestens nicht gegen null, Herr Pohl, etwa 1,5 Mio. Bundesbürger. Sie geben ungewollt ihr Privatleben am Hörer preis.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Wir sind hier in Thüringen, in Thüringen sind wir.)

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Kennen Sie die Zahlen von Thüringen auch?)

Wir haben danach gefragt, da ist, glaube ich, ein Fall

(Zwischenruf Trautvetter, Innenminister: Von Wohnraumüberwachung!)

von Wohnraumüberwachung. Selbst da ist nicht ganz klar, ob es der große oder der kleine Lauschangriff ist.