Protocol of the Session on December 14, 2022

Die Zahl, die ich Ihnen gerade präsentiert habe, also den prognostizierten Bedarf von 260 000 zugewanderten Menschen zur Aufrechterhaltung unseres Arbeitskräftepotenzials, habe ich mir nicht ausgedacht, sondern die stammt von der Bertelmann-Stiftung. Sie sprechen dann von Ursachenforschung in der Schule. Es gibt sicherlich viele Punkte, die man dazu machen kann. Übrigens ist Herr Tillschneider meist bei den falschen Lösungsansätzen; das aber nur am Rande. Den Bedarf an Menschen, an Arbeitskräften, an Händen und Köpfen können Sie nicht wegreden, egal wie Sie es versuchen.

Danke. Es gibt noch eine Frage von Herrn Köhler. Wenn Sie die beantworten wollen, dann kann er sie stellen. - Herr Köhler, Sie können sie stellen.

Vielen Dank für die Möglichkeit, eine Frage zu stellen. Sehr geehrte Frau Dr. Pähle, Sie sprachen davon, dass der Fachkräftemangel alle Bereiche betrifft, demzufolge auch den Gesundheitssektor. Das hat zur Folge, dass wir zahlreiche Ärzte aus dem inner- und außereuropäischen Ausland abwerben. Vlad Voiculescu, der Gesundheitsminister in Rumänien war, hat einmal anhand von Zahlen verdeutlicht, was das für Rumänien bedeutet. Es haben mehrere Hundert Ärzte die eigene Heimat verlassen, um in Frankreich, in Deutschland und in Großbritannien zu arbeiten. Mittlerweile summiert sich dieses Defizit an Ärzten für Rumänien auf 13 000; Tendenz steigend.

Jetzt ist meine Frage an Sie - gerade die SPD trägt immer diese internationale Solidarität usw. vor sich her -: Wie würden Sie denn den rumänischen Partnern erklären, dass wir ständig Ärzte abwerben und in der Folge ganze rumänische Landstriche unterversorgt sind? Wie erklären Sie denen das?

(Zustimmung bei der AfD)

Sie haben das Wort.

Herr Köhler, ich finde es unglaublich, dass die AfD ein Herz für internationale Solidarität entdeckt. Vielen Dank dafür.

(Lachen und Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Aber ernsthaft: Natürlich ist es ein Problem. Niemand kann sich darauf verlassen, dass wir in den nächsten Jahren aus Osteuropa die Bedarfe, die wir in Deutschland haben, auch decken können. Deshalb ist gerade eine gezielte und eine veränderte Zuwanderungspolitik jenseits der Europäischen Union, jenseits der Staaten, die uns gesellschaftlich so nahe stehen, genauso wichtig. Es wird aber Ihre Partei sein, die es als erste bemängelt, wenn an unseren Krankenhäusern viele, viele Ärztinnen und Ärzte z. B. aus Afrika oder aus Asien arbeiten. Dann wird Ihre Fraktion, ihre Partei die erste sein, die das kritisiert und brandmarkt.

(Zustimmung von Felix Zietmann, AfD - Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)

Entscheidend Sie sich bitte einmal, auf welcher Seite Sie stehen.

(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)

Dann kann man auch diese Problematik, glaube ich, in der internationalen Solidarität gut lösen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD - Ulrich Siegmund, AfD: Eigene Leute!)

- Wir haben keine eigenen Leute, Herr Siegmund.

(Oliver Kirchner, AfD: Weil Sie es nicht ge- macht haben! -Weitere Zurufe)

Noch einmal: Schauen Sie sich die Geburten- zahlen an. Schauen Sie sich an, wie die Geburtendefizite in den letzten 30 Jahren oder 40 Jahren gestiegen sind.

(Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD)

Die Kinder, die Sie ausbilden wollen, werden von den Frauen, die nicht da sind, nicht mehr geboren. Das können Sie nicht umwandeln, es sei denn, Sie sind für eine Gebärprämie und das Mutterkreuz, wie wir es schon einmal hatten. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜ- NEN - Oh! bei der AfD - Zuruf von der AfD: Blödsinn! - Ulrich Siegmund, AfD: Sie haben das zu verantworten! Nur Hass und Hetze! - Weitere Zurufe)

Damit ist der erste Debattenbeitrag zu Ende. Wir kommen nun zum Debattenbeitrag der Landesregierung. Der wird von der Ministerin Grimm-Benne gehalten. - Frau Grimm-Benne, Sie haben das Wort. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Im Oktober dieses Jahres hat die Bundesregierung ihre Fachkräftestrategie veröffentlicht. Diese Fachkräftestrategie soll dem Bedarf des Landes an gut qualifizierten Fachkräften zur Bewältigung der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht werden. Fachkräfte wer-

den benötigt - so die Fachkräftestrategie - für die Erwirtschaftung und Sicherung unseres Wohlstandes, für ein nachhaltiges Funktionieren unseres sozialen Sicherungssystems, für mehr Klimaschutz, für die Gestaltung des digitalen Wandels und für kluge Lösungen in einer immer älter werdenden Gesellschaft.

Auch der Landesregierung ist sehr bewusst, dass die Unternehmen im Lande auf engagierte Arbeitskräfte angewiesen sind, um die Veränderungsprozesse wie Digitalisierung, Strukturwandel, Klimawende und ganz aktuell die Energiekrise zu bewältigen.

Angesichts der Tatsache, dass dem Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt bis zum Jahr 2030 gut 300 000 Arbeitskräfte weniger zur Verfügung stehen werden, haben wir zahlreiche Förderprogramme und Unterstützungsmaßnahmen erarbeitet. Mit diesen wollen wir die Folgen der demografischen Entwicklung mildern und die Unternehmen und Beschäftigten bei der aktiven Gestaltung des Wandels bestmöglich unterstützen.

Den Rahmen für unsere Aktivitäten hier im Land zur Fachkräftesicherung bildet unser Koalitionsvertrag. Ziel ist es insbesondere, durch die attraktive Ausbildungsarbeit und Lebensbedingungen mehr junge Menschen für eine Ausbildung zu interessieren, Fachkräfte zu entwickeln und weiterzubilden, Fachkräfte an das Land zu binden und für eine Zuwanderung nach Sachsen-Anhalt zu werben. Dies tun wir mit all jenen, die für gute Arbeits-, Bildungs- und Lebensbedingungen eintreten. Das zentrale Abstimmungsgremium auf der Landesebene ist dafür der Fachkräftesicherungspakt. In diesem Gremium arbeiten unter anderem Agenturen für Arbeit, die Kammern, die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände, aber auch unsere Hochschulen zusammen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Folgende fünf Schwerpunktbereiche der Fachkräftepolitik und der Förderung hat der Fachkräftesicherungspakt in seiner Konferenz erst im letzten Monat beschlossen. Diese sind besonders hervorzuheben. Es geht natürlich um die Berufsausbildung. Es geht um die Fachkräfteentwicklung und -weiterbildung. Es geht um die Unterstützung von arbeitsmarktfernen Personengruppen. Es geht um die Unterstützung der Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland. Und es geht nach wie vor um faire Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen.

(Zustimmung bei der SPD)

Zur Umsetzung dieser Schwerpunkte werden wir nicht nur Landesmittel einsetzen, sondern auch möglichst viele Mittel des Bundes und des Europäischen Sozialfonds. Allein für Vorhaben und Projekte im Bereich Arbeitsmarkt haben wir mit dem sogenannten ESF-Plus-Programm für die Jahre 2021 bis 2027 rund 360 Millionen € eingeplant.

Nachstehend möchte ich in gebotener Kürze auf die Schwerpunkte eingehen, mit denen wir in enger Abstimmung mit den Kammern, den Unternehmen, den Gewerkschaften und der Arbeitsmarktverwaltung zur Fachkräftesicherung beitragen wollen.

Erster Schwerpunkt: Berufsausbildung. Auszubildende von heute sind die Fachkräfte von morgen. So einfach, wie der Satz ist, so kompliziert ist er auch. Deshalb unterstützen wir die Nachwuchsfachkräftesicherung im Rahmen von Berufsausbildungen, indem wir die über- betriebliche Ausbildung im Handwerk und die Ausbildungsstätten des Handwerks finanziell fördern. Ich will allein diese große Summe nennen, die wir dem Campus in Halle zur

Verfügung gestellt haben, um dort sozusagen im ganzen Süden beste Ausbildungsmöglichkeiten im Handwerk zu gewährleisten.

Unser Ziel ist es, dass junge Menschen auf dem Weg in ihre Wunschausbildung nicht ins Stolpern kommen. Wir haben deshalb unser Berufsorientierungsprogramm „BRAFO“ sowie das Programm RÜMSA für den gelingenden Übergang von der Schule in den Beruf weiter ausgebaut.

Ich möchte an dieser Stelle nochmals an die Unternehmen appellieren, die händeringend Azubis und Beschäftigte suchen: Langfristig lohnt es sich, sich stärker für Zugewanderte, Menschen mit Behinderungen oder Schülerinnen und Schüler mit schwächeren schulischen Leistungen zu öffnen. Da wir um den erhöhten Betreuungsaufwand wissen, unterstützen wir die Unternehmen dabei. So können im Rahmen der assistierten Ausbildung junge Menschen bei der Ausbildungsaufnahme eng begleitet und unterstützt werden. Damit werden gerade, wie es vorhin gesagt worden ist, Ausbildungsabbrüche vermieden.

Zweiter Schwerpunkt: Fachkräfteentwicklung. Wir müssen die Potenziale der Beschäftigten erschließen. Fort- und Weiterbildungen sind unentbehrlich, um auf die gestiegenen Anforderungen zu reagieren. Allein in den vergangenen beiden Jahren wurden im Rahmen der Weiterbildungsprogramme „Sachsen-Anhalt Weiterbildung Betrieb“ und „Sachsen- Anhalt Weiterbildung direkt“ insgesamt 3 210 betriebliche und individuelle Weiterbildungsvorhaben mit einer Gesamtsumme von ca. 12,8 Millionen € gefördert. Mit den beiden Programmen wurden zusammengefasst fast 10 000 Personen bei einer Weiterbildung unterstützt.

Dritter Schwerpunkt: Integration arbeitsmarktferner Personengruppen. Wir wollen für benachteiligte Zielgruppen die Chancen der Integration in den Arbeitsmarkt verbessern. Dafür braucht es passgenaue und ganzheitliche Unterstützung für Beratungsangebote, die wir mit dem Programm „Zukunft mit Arbeit“ bereitstellen. Zugleich werden wir auch gezielt Alleinerziehende und Familien im SGB-II-Bezug unterstützen. Hierzu werden wir mit Familienintegrationscoaches fördern, die durch langfristige und individuelle Betreuung helfen, alleinerziehende und benachteiligte Eltern nachhaltig wieder in Arbeit zu bringen und das Risiko der dauerhaften Abhängigkeit von Sozialleistungen sowie der Kinderarmut zu senken.

Ich glaube, die Mitglieder des Sozialausschusses, denen wir regelmäßig berichten, wissen, dass gerade diese Programme insbesondere für Alleinerziehende einmalig sind und auch bereits ein Vorbild für andere Bundesländer sind. Ein hoher Prozentsatz kommt tatsächlich langfristig wieder in Arbeit.

(Zustimmung bei der SPD, von Olaf Meister, GRÜNE, und von Angela Gorr, CDU)

Der vierte Schwerpunkt ist die Zuwanderung von Fachkräften. Frau Dr. Pähle hat es schon erwähnt und ich will es noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Wir brauchen ausländische Fach- und Arbeitskräfte, um als Gesellschaft weiter bestehen zu können. Sachsen-Anhalt muss im Wettbewerb um Zuwanderung weiter nach vorn kommen. Zugewanderte und Zuwanderungsinteressierte sollen rasch einen Zugang zu Ausbildung und zum Arbeitsmarkt erhalten. Ansonsten gehen sie in ein anderes Land mit besseren Rahmenbedingungen. Das Landesnetzwerk „Integration durch Qualifizierung“ wird deshalb mit seiner Anerkennungsberatung und Qualifizierungsbegleitung weiter darauf

hinwirken, dass die beruflichen Potenziale und Fähigkeiten der ausländischen Fachkräfte auch mithilfe des Welcome-Centers zügig für den Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt erschlossen werden können.

Ich will noch einmal eines deutlich machen: Wir haben etwas gemacht, was viele andere Länder auch schon gemacht haben. Wir packen in das Welcome-Center alle Fragestellungen, die jemand rund um das Thema hat. Wenn jemand in Sachsen-Anhalt einen Arbeitsplatz suchen möchte oder sich um Qualifizierung bemüht, dann soll er alle Fragestellungen aus einer Hand beantwortet bekommen. Denn wir hoffen, dass wir damit schneller sind.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich möchte an dieser Stelle aber auch einen Wermutstropfen erwähnen. Ich habe es auch schon mehrmals im Kabinett angesprochen. Wir sind zu langsam bei der Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen.

(Zustimmung bei der SPD, bei den GRÜNEN und von Konstantin Pott, FDP)

Wir haben zu lange Wartelisten. An das Landesverwaltungsamt muss man noch einmal dringend appellieren: Es dauert einfach viel zu lang. In der Zwischenzeit orientieren sich die Personen um und sind dann für unser Land wirklich weg.

(Oliver Kirchner, AfD: Waren sie vorher schon!)

In dem Bereich müssen wir wirklich schneller werden. Es war auch ein großes Thema in der Arbeits- und Sozialministerkonferenz,

dass wir versuchen, in den Bundesländern in dieses Dickicht eine Einheitlichkeit hinein- zubekommen. Von der Anerkennung der

ausländischen Abschlüsse hängt es ab, wie schnell wir tatsächlich integrieren können. Deswegen ist es so wichtig, dass wir von dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz profitieren. Mit den Gesetzentwürfen auf der Bundesebene, wie dem Chancen-Aufenthaltsrecht, wird der Weg geebnet, um die Potenziale von Geflüchteten zu nutzen und den Fachkräftemangel in unseren Betrieben weiter zu bekämpfen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle Folgendes betonen: Ein funktionierender Arbeits- und Ausbildungsmarkt allein ist noch kein Magnet für Zuwanderung. Es braucht in erster Linie eine Gesellschaft, in der Vielfalt und Weltoffenheit Platz haben und Zugewanderte sich gut aufgenommen fühlen und auch bleiben wollen. Migrantinnen und Migranten sollen sich willkommen fühlen und die Chance erhalten, in Deutschland ihr Zuhause aufzubauen. Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung dafür sorgt, Barrieren auf dem Weg zur Einbürgerung abzubauen und Wartezeiten zu verkürzen. Denn Menschen mit Migrationsbiografie, die seit Jahren in Deutschland leben und arbeiten, werden langfristig als Arbeitskräfte und engagierte Mitglieder unserer Gesellschaft gebraucht.

(Zustimmung bei der SPD)