Einbringer wird der Abg. Herr Gallert sein. Sie stehen schon bereit, dann können Sie auch gleich loslegen. Sie haben das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als langjähriger Abgeordneter in diesem Landtag weiß ich ja, dass manche Drucksachen nur sehr oberflächlich gelesen werden. Es soll in der Vergangenheit sogar schon einmal ein Antrag, der sich um Baumschulen gekümmert hat, im Bildungsministerium gelandet sein. Deswegen sage ich hier noch einmal: Ja, in der Überschrift dieses Antrages steht etwas über den Bauernkrieg, aber das hat nichts mit den aktuellen Protesten und den immer häufiger vorkommenden Ansammlungen von Traktoren in unseren Innenstädten zu tun; denn es geht hier um den Bauernkrieg, der schon 500 Jahre vorbei ist.
Insofern ist es auch ganz gut, dass zwar nicht die Kollegin Dalbert, aber doch der Kollege Tullner zumindest im Raum sitzt und sich diese Rede anhört.
Aber im Ernst: Das, was wir heute ansprechen, hat sehr viel mit der Historie unseres Landes zu tun, und zwar mit dem Beginn der Neuzeit vor 500 Jahren, und zwar genau so wie mit der bei uns kürzlich durchgeführten Reformationsdekade, mit der wir ja auch sehr, sehr viel Identität dieses Landes Sachsen-Anhalt mit seiner eigenen Geschichte verbunden haben, wo wir extrem viel gemacht haben, wo es einen hohen Einsatz öffentlicher
Mittel gegeben hat und wo man am Ende allerdings auch bei dem einen oder anderen Adressaten gehört hat: Es reicht.
Das ist aber trotzalledem, je nachdem, wie man das bewertet, völlig egal. Wir haben viele Mittel eingesetzt und wir haben versucht, bei diesem Reformationsjubiläum geschichtliche Identität von Sachsen-Anhalt zu definieren.
Es gibt aber - das ist vielleicht doch ein bisschen ernster zu nehmen - schon kritische Stimmen, die da fragen: Wie nachhaltig ist das alles? Wie stark wird diese Debatte heute noch reflektiert?
Wir haben danach, völlig richtig, das BauhausJubiläum in das Zentrum des Landesmarketings, auch des Kulturtourismus, gestellt. Die Frage ist heute schon manchmal so: Ja, was war da vorher, irgendetwas mit Luther?
Ich glaube, nachdem wir schon so viel Energie, Zeit und Geld investiert haben in diese Idee Reformationsjubiläum, Reformationsdekade, sollten wir uns um einen Begriff in diesem Bereich kümmern, der ansonsten vor allen Dingen in der Umwelt- und Wirtschaftspolitik schon bekannt ist, nämlich um den Begriff der Nachhaltigkeit.
Wir sollten versuchen, die vielen Anknüpfungspunkte, die wir damals versucht haben aufzurufen, die wir ja auch finanziert haben, weiterzuführen, damit nicht am Ende des Tages übrig bleibt: Da haben wir mal irgendetwas gemacht, woran können sich die Leute noch erinnern - an LutherBrot und eine Playmobil-Spielfigur. Das wäre ein bisschen wenig für den Einsatz.
Deswegen muss ich ganz klar sagen: Wir sollten versuchen, mit diesem 500. Jahrestag des Bauernkrieges und - der gehört nun ausdrücklich uns und nicht den Thüringern - mit dem Spiritus Rector dieser Bewegung, nämlich mit Thomas Müntzer, hier eine Nachhaltigkeit zu definieren, eine Linearität, eine Kontinuität in dem geschichtlichen Verorten unseres Landes in der Debatte um die Reformation zu Beginn der Neuzeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Jetzt haben wir allerdings einen eigenartigen Unterschied. Während es bei Luther und der geistigen Befreiung des Zuganges zur Religion und zu Gott aus der Monopolstellung der Papstkirche heraus offensichtlich einen ziemlich breiten gesellschaftlichen Konsens gibt, da anzuknüpfen, ist das bei Müntzer eigenartigerweise nicht der Fall.
Nun muss ich einmal klar sagen: Ich glaube, das hat sehr viel etwas mit dem zu tun, worum es auch heute in einer Gesellschaft geht. Ich glaube,
das hat auch sehr viel mit unseren Auseinandersetzungen heute zu tun. Denn - das muss man sagen - es gab bei der Reformation diese Stufe der geistigen - jetzt nehme ich ein neues Wort - Emanzipation des Menschen von der Papstkirche.
Der anschließende Teil, nämlich der Versuch einer sozialökonomischen Emanzipation, der sich mit diesem Bauernkrieg und auch mit Thomas Müntzer verband, der wird, wenn überhaupt, nur noch selektiv wahrgenommen. Der wird bei Weitem gesellschaftlich nicht so stark diskutiert; übrigens weder in der Gesellschaft noch in der Kirche.
Da muss man sich schon einmal die Frage stellen, woran das liegt. - Ich glaube, es ist ein Fehler, wenn wir die Reformation, wenn wir die gesellschaftliche Bewegung vor 500 Jahren, zu Beginn der Neuzeit, allein auf die geistig-religiöse Debatte konzentrieren und die sozialökonomischen Verhältnisse, die in diesem Kontext standen, nicht mit berücksichtigen.
Für diese Bewegung der sozialökonomischen Verhältnisse stand Thomas Müntzer. Deswegen ist es wichtig, dass wir dieses Jubiläum für dieses Land Sachsen-Anhalt nutzen.
Nun weiß ich auch, ähnlich wie die Luther-Rezeption hat auch die Thomas-Müntzer-Rezeption schon eine interessante Geschichte hinter sich. Natürlich ist es so, dass Thomas Müntzer in der DDR im Grunde genommen so eine Art Vordenker der DDR gewesen ist.
Der selbst definierte Arbeiter-und-Bauern-Staat hat gesagt: Die Arbeiter gab es noch nicht, aber die Bauern schon, und deswegen war der Thomas Müntzer, sozusagen in einer Reihe mit Marx und Lenin, letztlich der Vordenker der Deutschen Demokratischen Republik.
Da sage ich jetzt mal: erstens falsch und zweitens sehr holzschnittartig. Aber das ist, Herr Tullner, wiederum kein Grund - das ist nicht sehr viel besser -, diesen sozialökonomischen Aspekt der Reformation so zu verdrängen, wie er zurzeit in der gesellschaftlichen Debatte verdrängt ist.
Das sage ich auch noch einmal ganz klar. In welchem Geschichtsunterricht wird denn neben Luther heute Thomas Müntzer behandelt? - So gut wie nirgends. Da, sage ich jetzt mal, haben wir Ossis einen deutlichen Vorteil.
Wir haben auch einige Kolleginnen und Kollegen, auch Mitarbeiter bei uns, die sich darum kümmern sollten, etwas mit diesem Antrag zu machen. Da kam dann ein hochintelligenter, wirklich gut ausgebildeter, guter Mann, der sagte: Ich habe ja versucht - - Wie heißt der, über den ihr da reden wollt? - Ja, klar, im Westen kennt den keiner.
- Ich sage jetzt noch einmal ganz deutlich: Gut, mit Ausnahme von den Leuten, die Herr Striegel kennt, kennt ihn im Westen keiner. So. Gut. In Ordnung.
Aber die Situation ist bei uns im Osten inzwischen so, dass Thomas Müntzer zumindest seit Anfang der 90er-Jahre weitgehend aus dem Geschichtsunterricht herausgestrichen oder zumindest kaum noch behandelt worden ist. Dazu kenne ich genug Aussagen. Ich halte das für ein genauso ideologisch geleitetes selektives Geschichtsbild, wie es das zu DDR-Zeiten gab. Ich sage noch einmal ausdrücklich: Ich finde das falsch.
Das gehört zusammen: die geistige Auseinandersetzung mit der Reform und die sozialökonomische Auseinandersetzung mit der Reform.
Ich will ganz deutlich sagen: Es gibt natürlich auch einen kulturtouristischen Aspekt. Wir haben es hierbei mit folgender Situation zu tun: Wir haben bei uns zwei originale Orte - zum einen Stolberg, den Geburtsort von Thomas Müntzer, und - das ist das Wichtigste - Schloß Allstedt, den originären historischen Ort der Fürstenpredigt.
Die Fürstenpredigt wurde übrigens von einer ganzen Reihe von Historikern als einer der Schlüsselmomente des Übergangs vom Mittelalter in die Neuzeit bezeichnet, weil darin ein Widerstandsrecht der Untertanen gegenüber den Fürsten formuliert wurde. Das ist etwas anderes gewesen als die mittelalterliche gottgewollte Ordnung mit ihrem hierarchischen System. Ich glaube, das ist eine sehr moderne Debatte.
Was passiert aber wieder? - Genau dasselbe wie beim Bauhaus. Wo wurde das erste Bauhausmuseum neu eröffnet? - Nein, es war nicht in Dessau, sondern in Weimar.
Was passiert bei Müntzer? Wer beschließt, dass es im Jahr 2025 eine Landesausstellung geben soll? - Natürlich die Thüringer, und das schon vor mehr als einem Jahr. Bei uns passiert noch nichts.
Jetzt passiert Folgendes: Die Thüringer fragen bei uns in Allstedt, in Stolberg und in einigen anderen Orten an, ob sie uns ein bisschen mit vermarkten sollen. - Ja, nette Idee. Dazu sage ich: Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, Landesidentität bedeutet auf Augenhöhe. Das bedeutet: nicht mit vermarkten, nicht mitmachen, sondern eine gemeinsame Landesausstellung mit Thüringen. Das ist das, was wir heute beantragen.
Ich will noch zwei Aspekte anfügen. Die eine oder andere Klausurtagung dieser Landesregierung und, wie ich glaube, auch der CDU-Fraktion fand im Südharzer Bereich statt. Vielleicht hatte in den Situationen - ich hörte zumindest solche Dinge - der eine oder andere von Ihnen einmal die Gelegenheit, sich dort mit jemandem zu unterhalten, der gute konzeptionelle Vorstellungen zur Entwicklung des Südharzer Tourismusraumes - übrigens zusammen mit den Thüringern auf der anderen Seite, mit dem Kyffhäuser - hat. Beide Regionen sagen - ich glaube, nicht ganz zu Unrecht -: Wir haben ein erheblich stärkeres Potenzial für den kulturtouristischen Bereich, zu dem Müntzer zweifelsfrei zählt; es ist aber zu wenig entwickelt worden.