Protocol of the Session on October 24, 2019

Ich komme nun zu Punkt 2 unseres Antrages, nämlich zu der Heranziehung von Jugendlichen zu stationären Kosten. Mit diesem Thema hat sich das Hohe Haus bereits beschäftigt. Es liegt - die Insider wissen das - im Sozialausschuss. Kurz gesagt, geht es darum, dass junge Menschen, die im Heim oder bei Pflegeeltern aufwachsen, bis zu 75 % ihres Verdienstes - zumeist ist es die Ausbildungsvergütung - an das Jugendamt abzuführen haben.

Unabhängig davon, dass dieses Verfahren den jungen Menschen schon zu Beginn ihres Berufslebens im großen Maße die Motivation raubt, ist es vor allem auch aus menschlichen Gründen ein katastrophales Signal.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich möchte einen Jugendlichen zitieren, der sich kürzlich gegenüber dem Bayerischen Rundfunk

geäußert hat. Er sagte: Was können wir dafür, dass wir im Heim groß werden?

Meine Damen und Herren! Genau das ist der Punkt. Kinder und Jugendliche wollen zuallererst behütet bei ihren Eltern aufwachsen. Wenn schon dieser ganz natürliche Wunsch nicht erfüllt werden kann, dann sollten wir sie nicht noch zusätzlich staatlicherseits mit dieser Heranziehung belasten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde es gut, dass wir uns auch in diesem Punkt mehrheitlich einig sind.

Am Ende meiner Redezeit lassen Sie mich noch auf einen Beschluss der JFMK von ihrem diesjährigen Treffen in Thüringen - ich habe in Klammern geschrieben „wegweisend“ - hinweisen: Im Jahr des 30. Geburtstages der UN-Kinderrechtskonvention entschied sich die JFMK, die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz zu fordern. Ich halte dies für einen sehr klugen Beschluss.

Ich finde, das ist ein Punkt, an dem wir gemeinsam arbeiten sollten. Wir haben in der letzten Wahlperiode gemeinsam entschieden, Kinderrechte in die Landesverfassung aufzunehmen. Ich denke, in diesem Jahr wäre es ein gutes Signal, mit einer entsprechenden Änderung des Grundgesetzes einen weiteren Schritt zu gehen.

Ich kann für meine Fraktion bereits jetzt ankündigen, dass wir anlässlich des 22. Novembers und des Jubiläums in diesem Jahr parlamentarisch initiativ werden. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe keine Fragen aus dem Plenum gesehen. Deswegen können wir jetzt in die Debatte der Fraktionen einsteigen. Es ist eine Redezeit von drei Minuten je Fraktion vorgesehen. Für die Landesregierung spricht zunächst die Ministerin Frau Grimm-Benne. Frau Grimm-Benne, Sie haben das Wort.

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Vor fast genau einem Jahr hat sich dieses Hohe Haus bereits mit dem Thema der Kostenheranziehung in der Kinder- und Jugendhilfe auseinandergesetzt.

Damals hatte ich mich dafür ausgesprochen, die Jugendämter dieses Landes zu befragen, wie sie die gesetzlichen Vorschriften anwenden; denn das SGB VIII lässt unter bestimmten Voraussetzungen zu, von der Heranziehung im Umfang von

75 % des Einkommens des Kindes oder des Jugendlichen abzusehen.

Die Ergebnisse der von meinem Haus durchgeführten Umfrage haben wir kürzlich im Sozialausschuss diskutiert. Zudem haben die kommunalen Spitzenverbände und die Liga der Freien Wohlfahrtspflege ihre Positionen dargestellt. Es hat sich gezeigt, dass sich lediglich drei von den neun Landkreisen bzw. kreisfreien Städten, die uns auf unsere Umfrage geantwortet haben, für eine vollständige Abschaffung der Heranziehung ausgesprochen haben. Vier Landkreise haben eine Absenkung auf 50 % statt bisher 75 % des Einkommens befürwortet.

Dieses Umfrageergebnis spiegelt aus meiner Sicht wider, dass es wenige Gründe für, aber viele gegen eine Heranziehung zu den Kosten gibt. Diese Gründe liegen in den Anreizen, die mit der einen, aber auch mit der anderen Regelung zur Heranziehung verbunden sind.

Kinder und Jugendliche sollen erfahren, dass sich Anstrengungen, auch hier in Form von Ferienjobs und Ausbildung, für sie lohnen. Aber sie sollen auch erkennen, dass das Leben etwas kostet, auch wenn zunächst die Träger der öffentlichen Jugendhilfe für diese Kosten einstehen, wenngleich sie selbst an ihrer Lebenssituation keinerlei Schuld tragen.

Vor dem Hintergrund dieser nicht ganz einfachen Interessenlage begrüße ich es sehr, dass der vorgelegte Antrag nicht mehr eine vollständige Abschaffung der Kostenheranziehung verlangt.

Auf welchen Kompromiss man sich auf der Ebene des Bundes verständigen wird und wie sich die Länder dann im weiteren Verfahren positionieren werden, bleibt abzuwarten. Jedenfalls hat es im Rahmen der Behandlung dieser Frage in der Dialogarbeitsgemeinschaft zum SGB-VIII-Reformprozess eine große Übereinstimmung dahin gehend gegeben, dass eine Absenkung des heranzuziehenden Betrages erfolgen sollte.

Nach Abschluss des oben genannten Arbeitsprozesses plant der Bund, zu Beginn des Jahres auf der Basis eines Abschlussberichts dieser AG einen Referentenentwurf für eine Änderung des SGB VIII vorzulegen, der dann auch diese Änderung in § 94 SGB VIII enthalten dürfte. Diesen würden wir abwarten wollen, nicht zuletzt aufgrund des bisherigen Konsenses unter den Ländern, keine isolierten bzw. Einzelvorstöße zur Änderung des SGB VIII vor Abschluss dieses Dialogprozesses zu unternehmen.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Frage der Anrechnung von Kindergeld und Einkommen auf die Regelsätze nach dem SGB II ist sehr komplex. Das grundsätzliche Anliegen des Antrages, letztlich zu einer Erhöhung der Sätze zu ge

langen, die besonders den armen Familien zur Verfügung stehen, kann ich selbstverständlich teilen. Ich meine jedoch, dass dieses Anliegen nicht auf dem Umweg einer Veränderung der Anrechnungsregelung gelöst werden sollte, sondern in seinem eigentlichen Zusammenhang.

Was Kinder tatsächlich benötigen und wie Familieneinkommen auf die Erwachsenen und Kinder einer Bedarfsgemeinschaft verteilt werden, sollte auch unter dieser Überschrift diskutiert werden und nicht über die Frage der Anrechnung von Kindergeld. Dieses Thema diskutieren wir auch wieder auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz Ende November dieses Jahres unter Beteiligung des Jugendministeriums. Wir haben gesagt, dass wir das unter dem großen Ansatz einer Kindergrundsicherung diskutieren werden.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Zusammenfassend möchte ich sagen: Ich begrüße den vorliegenden Antrag, auch wenn viele Einzelheiten im weiteren Verfahren zu klären sind. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von To- bias Krull, CDU)

Danke, Frau Ministerin. Ich sehe keine Fragen. - Deswegen können wir nun in die Debatte der Fraktionen einsteigen. Für die CDU-Fraktion spricht der Abg. Herr Krull. Herr Krull, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema der Bekämpfung der Kinderarmut in unserem Land hat uns schon mehrfach beschäftigt, und ich muss sagen, leider. Ich werde nicht müde, dieses Thema zu behandeln, weil immer noch die Notwendigkeit besteht, dies zu tun,

(Zustimmung bei der LINKEN)

wobei man natürlich darüber streiten kann, was Armut, also auch Kinderarmut, ist. Wir als CDUFraktion verstehen darunter vor allem die Chancenarmut. Aus unserer Sicht muss jeder Mensch, auch jedes Kind die Chance erhalten, sein Leben selbst zu gestalten, bzw. die Bildungschance bekommen, dies zu tun.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde jetzt nicht der Versuchung erliegen, Sie mit statistischen Zahlen und dem Umfang des Problems hinsichtlich regionaler Verteilung in unserem Bundesland zu versorgen. Dafür ist die Zeit zu kurz. Ich möchte aber deutlich machen, dass Kinderarmut im Regelfall Familienarmut ist und eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik, die die positi

ve Entwicklung der Wirtschaft und damit den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen fördert, wohl eines der besten Mittel gegen Armut ist.

Unterschiedliche Ansätze zur Bekämpfung der Kinderarmut wurden auch im Rahmen eines Fachtages des Netzwerkes gegen Kinderarmut am 18. Juli 2019 im Magdeburger Rathaus erläutert. Unsere Landtagspräsidentin hat die Veranstaltung mit einem persönlichen Grußwort eröffnet und damit auch gewürdigt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Punkt 1 des Antrages wird gefordert, dass Kindergeld nicht länger auf die Regelsätze von Kindern und Jugendlichen angerechnet wird - eine Forderung, die sich auch im Kontext mit der Forderung zur Einführung einer Kindergrundsicherung sehen lässt. Das ist ein Vorschlag, der auf der zuständigen Bundesebene diskutiert werden muss. Dabei ist aber auch Vorsicht angebracht, da die unterschiedlichen Leistungen auf diesen Gebieten mit ihren differenzierten Ansprüchen und Voraussetzungen ein komplexes System ergeben.

Bezüglich des Beschlusspunktes 2 sei auf die Diskussion im Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration am 21. August 2019 verwiesen. Dort wurde deutlich, dass die bisherigen Regelungen von den meisten Beteiligten zumindest als fragwürdig bzw. überarbeitungswürdig dargestellt wurden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will für meine Fraktion ganz klar sagen, dass wir die Kostenheranziehung von Kindern und Jugendlichen und jungen Heranwachsenden gemäß §§ 91 ff. SGB VIII für Leistungen der stationären, teilstationären und ambulanten Jugendhilfe nicht grundsätzlich infrage stellen. Es entspricht unserem Verständnis der sozialen Marktwirtschaft, dass staatliche Leistungen erst dann gewährt werden, wenn die eigenen Mittel und Ressourcen nicht ausreichen. Wir sehen aber Änderungsbedarf bei den bisherigen Regelungen, zum Beispiel, dass maximal 50 % der Einkünfte, die im Rahmen einer Ausbildung erzielt werden, herangezogen werden. Das könnte die Motivation des betreffenden Personenkreises erhöhen, eine solche aufzunehmen.

Außerdem sind natürlich die örtlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe, also die Landkreise und kreisfreien Städte, gefordert, die Möglichkeiten zur differenzierten Erhebung dieser Kostenbeteiligung zu nutzen, um dem Einzelfall gerecht zu werden.

Daher werden wir dem Antrag der Fraktion DIE LINKE trotz der vier vorgetragenen Bedenken zustimmen. Das wird aber garantiert nicht zum Regelfall werden, meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen der LINKEN-Fraktion.

(Zuruf von der LINKEN: Ach was!)

Ein letzter Hinweis sei mir noch gestattet: Die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz findet sich auch im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung diesen auch umsetzen wird.

(Zustimmung von Dr. Verena Späthe, SPD)

Danke, Herr Krull. Es gibt eine Wortmeldung von Frau Zoschke. Sie hat jetzt die Chance, diese wahrzunehmen.

Sehr geehrter Herr Krull, ich habe vernommen, dass die CDU-Fraktion in Gänze dagegen ist, diese Heranziehung abzuschaffen. Meine Frage - das habe ich, glaube ich, auch schon im Ausschuss gefragt - ist, warum wir junge Menschen am Beginn ihres Starts ins Erwachsenenleben bestrafen und nicht diejenigen bestrafen, die letztendlich den Aufenthalt in einer teilstationären oder stationären Einrichtung zu verantworten haben. Warum richtet sich die Bestrafung nicht an die Eltern, sondern an die jungen Menschen, die in ihr Leben starten?

Ich verstehe nicht, warum Sie das als Bestrafung bezeichnen. Natürlich ist es für einen jungen Menschen, der sein Ausbildungsentgelt erhält, in dem Moment durchaus ein Problem, wenn er davon etwas abgeben soll.

(Dagmar Zoschke, DIE LINKE: Das ist eine Strafe!)

Aber als ich meine Ausbildung als Datenverarbeitungskaufmann, einem Berufsbild, das es inzwischen nicht mehr gibt, begonnen habe, war es ganz normal im Gespräch mit meinen Eltern, dass sie gesagt haben: Du verdienst jetzt ein Stück weit eigenes Geld und gibst davon auch Kostgeld ab.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Ja, mit den Eltern gesprochen! Die Eltern waren da!)

Das ist ein normaler Prozess. Das bedeutet auch, dass man an der Stelle Verantwortung lernt.

Wir als CDU-Fraktion sind für eine Reduzierung des Satzes und für eine Einzelfallentscheidung. Sie können sich sicherlich an die Anhörung im Ausschuss erinnern und wissen, wie differenziert das betrachtet wurde und dass die Landkreise teilweise auf die Heranziehung verzichten, wenn das Einkommen sehr gering ist oder im Einzelfall eine Härte entstehen würde.

Danke. - Frau Späthe, eine Wortmeldung? - Okay. Herr Krull, dann sind Sie durch. Danke. - Dann gehen wir weiter. Für die AfD-Fraktion spricht der Abg. Herr Kirchner. Herr Kirchner, Sie haben das Wort.