Protocol of the Session on September 27, 2019

In einer Koalition wie der unseren werde ich doch einen Teufel tun - ich kann es im Übrigen auch gar nicht - und irgendwelche reinen Lehren parteipolitischer Programmatik verbreiten. Deshalb werden wir ganz partnerschaftlich und vernünftig miteinander umgehen. Ich weiß nicht, wie Sie den Brief erhalten haben. Ihnen habe ich ihn ja überhaupt nicht geschrieben. Deshalb wundere ich mich, dass Sie so fachkundig aus meinen Briefen zitieren. Daher sage ich, die Gespräche finden statt, aber sie finden im Interesse der Kinder und der Gemeinschaftsschule nicht auf dem Marktplatz, nicht im Plenarsaal statt, sondern sie finden mit den Betroffenen vor Ort statt, sensibel, vielleicht auch diskret, und vor allem im Sinne der Schulen.

Damit sind wir insoweit durch und können in die Debatte der Fraktionen eintreten. Für die SPDFraktion spricht die Abg. Frau Prof. Dr. KolbJanssen. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich will jetzt nicht die bildungspolitischen Debatten aus der Mottenkiste führen, sondern an das erinnern, was wir uns versprochen haben: Vertrauen.

Die Gemeinschaftsschule ist ein Kompromiss, das wissen wir genauso gut wie unser Koalitionspartner. Wir haben aber vereinbart, dass sich in Sachsen-Anhalt auf freiwilliger Basis Gemeinschaftsschulen bilden können, und, ich finde, wir müssen ihnen zumindest eine Chance geben.

Die meisten der Gemeinschaftsschulen haben Kooperationsmodelle gewählt. Das heißt, an den Sekundarschulen findet keine Oberstufe statt, sondern sie kooperieren mit einem Gymnasium oder mit einer berufsbildenden Schule, damit die Schülerinnen und Schüler dann an dieser Schule ihr Abitur ablegen können.

Nun gibt es zwei Schulen - eine in Wolmirstedt, die im Jahr 2017 als „Schule des Jahres“ ausge

zeichnet worden ist, und eine andere in Aschersleben -, die mit Genehmigung des Kabinetts, weil sie sich für das 13-jährige Modell entschieden haben, 2013 gestartet sind. Sie sind 2013 gestartet und haben jetzt die ersten Schülerinnen und Schüler, die in die 11. Klasse gehen. Ich finde, schon die Tatsache, dass sie es geschafft haben, mit einer eigenen Oberstufe zu starten, mit einem ersten Jahrgang auszuprobieren, wie Gemeinschaftsschule funktionieren kann, ist ein riesiger Erfolg.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Tho- mas Lippmann, DIE LINKE, und von Stefan Gebhardt, DIE LINKE)

Wenn sie es im ersten Jahr nicht geschafft haben, schon 50 Schülerinnen und Schüler zu erreichen, sondern nur 48 haben - wir haben über dieses Thema hier debattiert -, dann sind nicht wir als SPD diejenigen, die die Unsicherheit herbeiführen, sondern, Herr Minister, das hat eine Vorgeschichte, die ich jetzt im Einzelnen nicht darstellen möchte. Die Verunsicherung kommt ganz bestimmt nicht von uns, sondern im Gegenteil: Wir haben sehr viel, ich sage einmal, Zuspruch vor Ort geleistet, um ihnen nicht den Mut zu nehmen, dass die Dinge, auf die sie vertraut haben, so umgesetzt werden, wie sie sind.

Es gab dann einen Termin. Sie haben selbst gesagt, Sie entscheiden am 15. Juli, ob sie starten dürften oder nicht. Am 15. Juli passierte nichts. Deshalb haben sie natürlich gedacht, sie können jetzt starten. Nicht erst der Brief, den Sie meiner Fraktionsvorsitzenden geschickt haben, hat uns irritiert, sondern die Gerüchte waren natürlich vor Ort schon unterwegs. Der Brief war die schriftliche Bestätigung. Die Sorge, dass die Oberstufe nur eine beschränkte Halbwertzeit hat, hat uns natürlich vorher schon erreicht.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darum bitten: Geben Sie den Gemeinschaftsschulen eine Chance. In der SEPl-VO ist von einer dauerhaften Unterschreitung die Rede. Das ist der erste Jahrgang. Geben Sie ihnen doch die Chance, in einem Durchlauf zu zeigen, dass sie es tatsächlich schaffen, dass das in den nächsten Jahren aufwächst.

Wenn Sie sich dann anschauen, dass die Gemeinschaftsschulen die schlechteste Unterrichtsversorgung haben, und wenn Sie sich das Expertengutachten zu den freien Schulen anschauen, dass sie auch noch die billigsten Schulen in Sachsen-Anhalt sind, dann habe ich auch keine Sorgen, was die Qualität des Abiturs betrifft. Ich bin mir sicher, das bekommen diese Schulen hin. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke. - Ich sehe keine Fragen. Ich habe im Interesse derjenigen, die den Livestream verfolgen, einen Hinweis: Wir stecken alle gut in der Materie, aber Abkürzungen wie „SEPl-VO“ hören sich zwar lustig an, erschließen sich aber nicht jedem. Also immer daran denken, wenn man hier vorn steht: Wir haben nicht nur die Leute hier, sondern auch am Livestream. Darum ist es manchmal gut, wenn man es ausspricht. In diesem Fall ist es die Schulentwicklungsplanungsverordnung.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

- Nur deshalb habe ich das jetzt erzählt. Alles klar, okay.

(Minister Marco Tullner: Aber er musste wahrscheinlich erst googeln!)

Herr Rausch, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute beraten wir über den Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 7/4935 „Gemeinschaftsschulen mit eigenen gymnasialen Oberstufen ermöglichen“. Vorweg: Ja, ich kann verstehen, dass die Fraktion DIE LINKE diesen Antrag gestellt hat. In Teilen des ländlich geprägten Raumes wird es irgendwann in Zukunft vielleicht auch einmal darauf hinauslaufen, gegenwärtig sehen wir aber das Problem noch nicht.

Herr Lippmann, dass Sie das Problem mit dem konservativen Weltbild haben, ist uns natürlich auch klar. Damit haben die LINKEN generell ihre Probleme. Aber dem Minister zu unterstellen, dass er sein konservatives Weltbild durchdrückt, halte ich auch für etwas an den Haaren herbeigezogen; denn dann hätte er schon viel eher dafür gesorgt, dass das, was heute zur Debatte steht, überhaupt nicht infrage kommt.

In den Bereichen, die Sie aufgezählt haben, Gemeinschaftsschulen und Inklusion, ist es gerade erforderlich, dass wir ein konservatives Weltbild haben.

Ich muss Ihnen auch sagen, Herr Lippmann, auf die Selektion im Bildungsbereich, die Sie angesprochen haben, muss ich Ihnen entgegnen, sie ist zwingend erforderlich; denn jeder soll im Rahmen seiner Möglichkeiten so gut wie möglich lernen können.

Sie sind mit Ihrer Bildungspolitik, die Sie betreiben wollen, dafür verantwortlich, dass es zum Beispiel in meinem Wahlkreis, in Calbe, Schulen gibt mit Klassen, in denen in drei unterschiedlichen Reihen drei unterschiedliche Tests geschrieben wer

den auf dem Stand, auf dem man in der Bildung in der Klasse ist. Dadurch sinkt doch das ganze Niveau im Bildungswesen ab. Sehen Sie sich meine Anfragen dazu an. Das Leistungsniveau ist immer weiter abgeflacht worden. Dem wollen wir entgegentreten.

Darum sagen wir als AfD-Fraktion: Wir wollen das dreigliedrige Schulsystem auf jeden Fall beibehalten und lehnen aus diesen Gründen Ihren Antrag natürlich ab; denn Sie müssen sich bewusst machen: Wir brauchen nicht nur Soziologen und Politologen. Wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass die Menschen im Land ordentlich auf das Leben vorbereitet werden.

Unterhalten Sie sich einmal mit Unternehmern. Sie sagen Ihnen, wenn die Leute aus der 10. Klasse kommen, dann müssen sie in der Berufsschule erst einmal Grundlagen lernen, damit sie überhaupt in ihrer Ausbildung ordentlich vorangetrieben werden können. Daran muss man ansetzen und ein wenig in den Bildungsplan eingreifen.

Ich hätte es ja verstanden, wenn DIE LINKE sagen würde, sie wolle den Bildungsplan ein wenig ändern, damit die Menschen auf das Leben vorbereitet werden. Aber nein, Sie wollen an irgendwelchen Problemen herumdoktern, die es überhaupt nicht gibt.

Das Land hat die Hoheit über die Bildung. Die CDU sollte sich dafür einsetzen, dass wir weiterhin das dreigliedrige System haben und dass das Leistungsniveau wieder angehoben und nicht immer weiter abgeflacht wird.

(Beifall bei der AfD)

Ich sehe keine Fragen. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abg. Herr Aldag.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem Jahr 2013 gibt es in Sachsen-Anhalt Gemeinschaftsschulen. Zum Schuljahr 2019/2020 starten nun zwei der mittlerweile über 40 Gemeinschaftsschulen in die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe. Dazu beglückwünsche ich die beiden Schulen ausdrücklich, handelt es sich doch bei dieser Tatsache um ein wunderbares Zeugnis für die offensichtlich durchweg gelungene pädagogische Arbeit in den vergangenen Jahren.

Meine Damen und Herren! Dies zeigt auch, dass die Vermittlung von Wissen in einer Schulform, in der mehr miteinander gelernt und deutlich weniger selektiert wird, in Sachsen-Anhalt wunderbar gelingen kann.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Darüber freuen wir uns als Bündnisgrünen-Fraktion sehr; denn in den Gemeinschaftsschulen mit gymnasialer Oberstufe als alternatives Angebot zu Gymnasien sehen wir die Zukunft. Sie eröffnen mehr Bildungschancen, sorgen für mehr soziale Gerechtigkeit und erhöhen die Gerechtigkeit im Schulsystem. Wir alle wissen mit einem Blick auf die regelmäßig erscheinenden Bildungsstudien und deren unbefriedigende Ergebnisse beim Bildungsabschluss in Relation zur sozialen Herkunft, dass wir insbesondere hierbei noch einiges an Hausaufgaben zu erledigen haben.

Die konsequente Unterstützung und mutige Etablierung von Gemeinschaftsschulen, auch und insbesondere in Kooperation mit Grundschulen und einem damit verbundenen längeren gemeinsamen Lernen mit mehr Durchlässigkeit und Anschlussmöglichkeiten, ist in meinen Augen eine logische Schlussfolgerung und dringende Handlungsempfehlung für uns.

Wie wir alle in den vergangenen Tagen und Wochen der Presse entnehmen konnten, scheint es bezüglich der Etablierung der ersten gymnasialen Oberstufen an Gemeinschaftsschulen noch etwas Gesprächs- und Handlungsbedarf zu geben. Die Linksfraktion hat dies zum Anlass genommen, einen Antrag zu schreiben. Wir sollten diesen als Impuls wahrnehmen und uns in den nächsten Wochen sowohl innerhalb unserer Koalition als auch im Fachausschuss nochmals über angemessene Unterstützungsmechanismen und notwendige Regelungen für die gymnasiale Oberstufe an Gemeinschaftsschulen austauschen. Ich bitte daher um Überweisung des Antrages an den Ausschuss für Bildung und Kultur. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Danke. Ich sehe keine Fragen. - Für die Fraktion der CDU spricht die Abg. Frau Gorr. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In der vergangenen Legislaturperiode, der sechsten seit der Gründung des Landtages von Sachsen-Anhalt, haben CDU und SPD in koalitionärer Eintracht die damals neue Schulform Gemeinschaftsschule in das Schulgesetz aufgenommen.

Es ist bekannt, dass diese Schulform eher auf Betreiben unseres Koalitionspartners als durch unser Bestreben entstanden ist. Doch Politik ist bekanntlich, das Machbare möglich zu machen.

Machbar war für die CDU eine Schulform, die additiv zu den bestehenden Schulformen entstehen sollte, ohne bestehende andere Schulstandorte oder Schulformen infrage zu stellen. Der Gemeinschaftsschule sollten ausdrücklich keine

Steine in den Weg gelegt werden; sie sollte aber auch keine Besserstellung erfahren.

Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Die Formulierung „Selektion“ ist in diesem Zusammenhang zurückzuweisen.

Die Feststellung, die ich eben getroffen habe, dass der Gemeinschaftsschule keine Steine in den Weg gelegt werden sollten, gilt noch heute. Darum will ich meine Rede auch nicht unnötig ausweiten. Ich stelle fest, dass die in Rede stehenden Gemeinschaftsschulen in Aschersleben und Wolmirstedt die durch die Verordnung zur Schulentwicklungsplanung vorgegebenen Parameter hinsichtlich ihrer Mindestschülerzahlen bei der Bildung einer eigenen Oberstufe zurzeit nicht erfüllen.

Eine erforderliche Mindestschülerzahl hat ihren Grund auch in der Abdeckung des in der Kultusministerkonferenz vereinbarten Fächerangebotes im Abitur, das zu gewährleisten ist. Unterschreitet eine Oberstufe diese Mindestschülerzahl, steht ihre Existenz infrage. Diese Voraussetzung gilt nicht nur für Gemeinschaftsschulen, sondern gleichermaßen für alle Gymnasien und Gesamtschulen im Land.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der Tatsache, dass es sich um genau zwei Schulen im Land handelt, enthalte ich mich - heute, wohlgemerkt - einer Replik auf die polemischen Einlassungen des Abg. Lippmann. Ich verweise dagegen formal auf § 5b Abs. 2 des Schulgesetzes zu Gemeinschaftsschulen: „Für den Erwerb der Abschlüsse der Sekundarstufe II gelten die Bestimmungen des Gymnasiums“, und auf § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe f der aktuellen Verordnung zur Schulentwicklungsplanung - diese wurde schon erwähnt.

Als Koalitionäre haben wir uns darauf verständigt, den Antrag der Fraktion DIE LINKE an den Ausschuss für Bildung und Kultur zu überweisen. Dort ist der Ort, um sich über das weitere Verfahren zu verständigen.

Im Übrigen finde ich diese Diskussion heute wichtig, damit die Bürgerinnen und Bürger des Landes sehen, dass politische Parteien durchaus auch unterschiedliche Akzente im Bildungsbereich setzen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und von Minister Marco Tullner)

Ich sehe keine Wortmeldungen. Zum Abschluss der Debatte spricht Herr Lippmann.

Nur ganz kurz: Mit der Überweisung in den Bildungsausschuss bin ich natürlich einverstanden, allerdings darf der Antrag dort nicht lange liegen bleiben, denn die Entscheidungen drängen.