Protocol of the Session on March 1, 2019

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie recht herzlich zur 67. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der siebenten Wahlperiode. Ich hoffe, dass auch die letzten Plätze am Vormittag noch gefüllt werden.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir setzen nunmehr die 31. Sitzungsperiode fort und beginnen die heutige Beratung mit dem

Tagesordnungspunkt 6

Aktuelle Debatte

a) Grundrente einführen - Respekt für Le

bensleistung

Antrag Fraktion SPD - Drs. 7/3987

b) Erste Beratung

Armutsfeste Renten sichern - Altersarmut bekämpfen!

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/3969

Hierzu liegen ein Thema einer Aktuellen Debatte und ein Antrag vor, die in einer verbundenen Debatte behandelt werden. Die Redezeit je Fraktion beträgt zehn Minuten. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von nur zehn Minuten. Es wurde folgende Reihenfolge vereinbart: SPD, DIE LINKE, AfD, GRÜNE und CDU.

Zunächst hat die Antragstellerin, die SPD, das Wort. Für die SPD-Fraktion wird Frau Dr. Pähle sprechen. - Frau Dr. Pähle, Sie haben das Wort, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD-Fraktion möchte mit Ihnen über das Thema Grundrente diskutieren; das ist ja klar. Aber: Wir haben diese Aktuelle Debatte noch mit einem weiteren Begriff überschrieben: „Respekt für Lebensleistung“.

Respekt ist ein zwischenmenschlicher, aber ebenso ein gesamtgesellschaftlicher Wert, ohne den das Zusammenleben nicht funktioniert. Respekt ist die Grundvoraussetzung für einen zivilisierten Umgang miteinander. Beim politischen Streit mit Andersdenkenden gehört der Respekt vor dem Gegenüber genauso dazu wie beim lei

denschaftlichen Eintreten für die eigenen Interessen, sollte man meinen.

Ich habe diesen Respekt sehr grundlegend vermisst, als ich gestern in der „Mitteldeutschen Zeitung“ einen Beitrag zu dem Thema Grundrente gelesen habe. In diesem Artikel wurde der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall mit dem Kommentar zur Grundrente zitiert: Die SPD macht Politik für Randgruppen.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Jemand, der selbst zu einer winzigen Schicht von Spitzenverdienern gehört, blickt abfällig auf die Gruppe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer herab, die ein ganzes Arbeitsleben lang zu wenig verdient haben, und erklärt diese zur Randgruppe. Und Herr Dulger setzt diese Randgruppe natürlich - man kennt diese Floskel - in einen Gegensatz zu der stets beschworenen Mitte der Gesellschaft. Es ist - man kann es nicht anders bezeichnen - eine Unverschämtheit gegenüber den Menschen, um die es geht.

(Beifall bei der SPD)

Allein in Sachsen-Anhalt dürfte sich die Zahl der Menschen, die Anspruch auf eine Grundrente haben, auf 99 000 Frauen und 40 000 Männer belaufen, die heute weniger als 896 € Rente erhalten, wohlgemerkt nach 35 Beitragsjahren. Das soll eine Randgruppe sein?

Ich will noch einen zweiten Zeitungsbericht anführen. Auch dieser war kritisch gemeint, aber über diesen war ich sehr erfreut. Denn die Chefkorrespondentin für Wirtschaft überschrieb ihren Beitrag in der „Welt“ mit den empörenden Worten: „Die ‚Respekt-Rente‘ bevorzugt den Osten.“ Dazu kann ich nur sagen: Genau das war der Plan, weil es nun einmal um Lebensschicksale geht, die - das wissen Sie alle - im Osten Deutschlands häufiger anzutreffen sind als im Westen. Es geht deshalb auch ein Stück weit um ausgleichende Gerechtigkeit im Verhältnis zwischen Ost und West. Und das ist weiß Gott nicht ausgeglichen genug.

Wie gesagt, es geht um Gerechtigkeit, nicht um Bedürftigkeit. Es geht um eine Leistung innerhalb des Rentensystems, nicht um Sozialhilfe. Damit geht es um die Anerkennung von Lebensleistungen, um Arbeitszeiten, Ausfallzeiten und Beitragsjahre.

Eine Prüfung der Bedürftigkeit ist deshalb genauso wenig angezeigt wie bei der Mütterrente. Bei der Mütterrente wird die für die Familie und die Gesellschaft erbrachte Leistung im Alter vergolten, unabhängig davon, ob der Vater des Kindes Postbote, Zahnarzt oder Arbeitgeberfunktionär ist.

Ich will eines ganz deutlich sagen, auch mit Bezug auf den Antrag der LINKEN zur Mindestrente: Uns geht es gerade nicht darum, dass Menschen

unterhalb eines bestimmten Sockels alle gleich viel erhalten sollen, unabhängig davon, ob sie gearbeitet haben oder nicht. Nein, die Grundrente ist ausdrücklich auch Anerkennung und Ansporn zur Erwerbsarbeit. Es geht immerhin um bis zu 447 € monatlich mehr, je nach Ausgangslage.

Meine Damen und Herren! Ich will noch einmal auf das Thema Randgruppe zu sprechen kommen. Warum reden wir in den letzten Jahren eigentlich so viel über Mindestleistungen, Mindestlohn, Mindestauszubildendenvergütung, Grundrente? - Wir reden darüber, weil ein Leben am ökonomischen Rand der Gesellschaft eben keine Randgruppenproblematik ist, sondern weil es in der Mitte der Gesellschaft, von der immer so plastisch gesprochen wird, die früh aufsteht und hart arbeitet, eben nicht ein kleiner Teil ist, der genau das tut, der aber abends nach Hause kommt und trotzdem nicht genug verdient hat, um über die Runden zu kommen, und der am Ende des Arbeitslebens nicht genug Rentenanspruch für einen unbeschwerten Lebensabend hat.

Es geht um Friseurinnen, Paketboten, Scheinselbstständige im Transportgewerbe und um viele andere Berufe, also um Menschen, die in unserer Gesellschaft dazu beitragen, dass der Laden läuft, die aber zu wenig am gesellschaftlichen Reichtum teilhaben.

Diese ungleiche Chancenverteilung ist nicht vom Himmel gefallen. Sie ist das Ergebnis von erheblichen Veränderungen in Arbeit und Produktion, von der Auslagerung von Dienstleistungen aus den Kernbetrieben, von Verschiebungen in der globalen Arbeitsteilung und natürlich auch von gesetzgeberischen Veränderungen, von einem Prozess der Deregulierung, der lange vor Hartz IV begonnen hat.

Diese Veränderungen haben eben nicht nur ein Jobwunder bewirkt, sondern auch zu der sozialen Schieflage geführt, die ich hier nur anreißen kann. Wir alle müssen ein Interesse daran haben, dass diese Schieflage nicht zum sozialen Sprengstoff wird.

Meine Damen und Herren! Das gilt erst recht, weil mit der zunehmenden Digitalisierung weitere tief greifende Veränderungen auf Arbeit und Wirtschaft auf uns zukommen werden. Ein moderner Sozialstaat ist die Antwort auf diese Herausforderung. Mindestlohn und Grundrente sind dabei nur die Auffangnetze für die, die noch nicht aus eigener Kraft teilhaben.

Die eigentliche Aufgabe ist es, die Chancen in unserer Gesellschaft wieder besser zu verteilen. Deshalb steht für uns beim Umbau des Sozialstaates der Zugang zu Qualifizierung und damit auch zu Aufstiegsmöglichkeiten und beruflicher Weiterentwicklung im Mittelpunkt.

Wir haben vom lebenslangen Lernen jahrelang nur gesprochen. In Zeiten eines wachsenden Fachkräftemangels muss sich erweisen, ob wir es schaffen, die Potenziale mitten in unserer Gesellschaft zu entdecken, zu nutzen und zu qualifizieren: ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Menschen ohne Schulabschluss, Menschen mit einer Ausbildung, die vielleicht nicht mehr gebraucht wird, Geflüchtete und viele andere mehr.

Im Mittelpunkt eines solchen Sozialstaates steht nicht die Warnung: „Wehe, Ihr bescheißt uns!“, sondern die Botschaft: „Ihr werdet gebraucht - jeder und jede Einzelne!“

(Beifall bei der SPD)

Und noch jemand wird gebraucht: Das sind Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die mit fairen Löhnen dazu beitragen, dass Menschen von ihrer Arbeit und von ihrer Rente leben können, und die nicht mit Dumpinglöhnen darauf spekulieren, dass die Gesellschaft den Rest übernimmt und auffängt. Gutes Geld für gute Arbeit - auch das ist Ausdruck von Respekt. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Dr. Pähle. - Für die Landesregierung spricht jetzt die Ministerin Frau GrimmBenne. Sie haben das Wort, bitte.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Worum geht es? - Es geht um Respekt für die Lebensleistung von Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben und trotzdem nur eine ganz kleine Rente beziehen, eine Rente, die eben nicht zum Leben reicht. Es geht darum, ihnen eine Grundrente zu sichern, die den Namen auch verdient und wirklich Altersarmut eindämmt.

Die Lebensleistung von Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet, Kinder erzogen und Angehörige gepflegt haben, soll honoriert werden. Diesen Menschen soll ein regelmäßiges Alterseinkommen zugesichert werden, das 10 % oberhalb des Grundsicherungsbedarfs liegt.

Die Grundrente gilt für bestehende und zukünftige Grundsicherungsbezieher, die 35 Jahre an Beitragszeiten oder Zeiten der Kindererziehung bzw. Pflegezeiten aufweisen - so steht es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Das ist ein Versprechen an die Rentnerinnen und Rentner, das eingelöst werden muss.

Meine Überzeugung kennen Sie: Es muss ohne Bedürftigkeitsprüfung eingelöst werden. Eine er

höhte Grundsicherung als Sozialleistung zu erhalten, ist kein Äquivalent.

(Zustimmung bei der SPD)

Hierbei müssen wir über den Koalitionsvertrag hinausgehen. Ich will Ihnen sagen: Sich dahinter zu verstecken, dass das im Koalitionsvertrag steht - ich finde übrigens, das ist eine Passage, die schlecht verhandelt worden ist -, sehe ich kritisch. Dann muss man sie anders gestalten. Dass die Bundesregierung das an der Stelle schon einmal getan hat, das kann man zum Beispiel an der „Konzertierten Aktion Pflege“ von Bundesgesundheitsminister Spahn sehen. Dafür standen nämlich zunächst nur 8 000 Stellen im Koalitionsvertrag. Als man gemerkt hat, dass das, wenn man das hochrechnet, in der ganzen Bundesrepublik überhaupt nicht zur Wirkung kommt, hat man das auf 15 000 Stellen aufgestockt. Wenn man also wirklich darüber redet, dann geht es darum, wie man das macht.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Das wollten dann beide!)

- Genau, das wollten dann beide. Und ich werde mich bemühen, Sie davon zu überzeugen, dass das auch beide wollen; denn es gibt dazu unterschiedliche Verlautbarungen auch bei der CDU.

Meine Damen und Herren Abgeordnete! Personen, die jahrzehntelang in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben, die gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben, sollen am Ende nicht auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sein. Sie haben Anspruch darauf, einen Rentenbescheid zu bekommen und nicht einen Bescheid vom Sozialamt.

(Beifall bei der SPD)

Und ich will Ihnen sagen: In der Rentenversicherung geht es - das ist ein Kernbestandteil - um Ansprüche, die durch Leistung erworben werden. Die Rentenversicherung selbst kennt keine Bedürftigkeitsprüfung. Frau Dr. Pähle hat es schon gesagt: Es gibt zum Beispiel auch bei der Mütterrente keine Bedürftigkeitsprüfung. Bei der Anhebung geringfügiger Beitragszeiten vor 1992 gab es auch keine Bedürftigkeitsprüfung. Ich will es um andere Bereiche erweitern: Bei Kindergeld, Kinderfreibeträgen, Ehegattensplitting und Familiengeld gibt es auch keine Bedürftigkeitsprüfung.

Meine Damen und Herren! Sie alle wissen so gut wie ich: Die Debatte über gerechte Renten ist eine Debatte, die in den neuen Ländern mit besonderer Eindringlichkeit geführt wird - eben weil es hier so viele Menschen mit sehr geringen Renten gibt und weil die Angst vor Altersarmut allgemein hoch ist.

Eine Untersuchung des Hannoveraner PestelInstituts, das Daten der deutschen Rentenver