Protocol of the Session on November 23, 2018

Jedes dieser Kreuze steht für einen Toten oder eine Tote, der oder die mit dem Auto verunglückt ist. Jeder dieser Toten ist einer zu viel. Wir haben uns als Landtag im März dieses Jahres dafür ausgesprochen, als Ziel der Verkehrspolitik dieser Koalition die Vision Zero zu verfolgen, also das Nötige dafür zu tun, dass es keine Verkehrstoten gibt. Das Ziel ist die Null. Wir finden, das ist ein ebenso ambitioniertes wie richtiges Ziel.

(Zustimmung von Hardy Peter Güssau, CDU, von Chris Schulenburg, CDU, von Doreen Hildebrandt, DIE LINKE, und von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Ein Baustein dafür, ein Schritt in Richtung Vision Zero ist der heutige Antrag. Wir wollen, dass Sachsen-Anhalt das begleitete Fahren ab 16 Jahren einführt, zunächst als Modellversuch. Was auf den ersten Blick unlogisch klingt, nämlich junge Menschen früher ans Steuer zu lassen, das macht auf den zweiten Blick frappierend viel Sinn; denn jede Minute, die eine Fahranfängerin oder ein Fahranfänger nach der Führerscheinprüfung in Begleitung erfahrener Fahrerinnen und Fahrer verbringt, ist eine gute Minute; denn diese Minute hilft den jungen Menschen, weil sie Sicherheit bekommen, und sie hilft der Allgemeinheit, weil die jungen Menschen eben Sicherheit bekommen. Empirisch erwiesen ist das im Übrigen auch.

Wir haben heute schon - die Vorredner haben es bereits gesagt - das begleitete Fahren ab 17 Jahren. Es hat sich zu einer echten Erfolgsstory entwickelt. Es hat gezeigt, dass das begleitete Fahren gerade für Fahranfänger deutlich zur Verkehrssicherheit beiträgt.

Dabei ist ein Blick auf die Bilanz der vergangenen Jahre durchaus hilfreich; denn diese Bilanz ist eine positive. Lag die Anzahl der Unfälle der 18- bis 25-Jährigen in Sachsen-Anhalt im Jahr 2005 noch bei mehr als 25 000,

(Eva von Angern, DIE LINKE, niest - Zuruf von der AfD: Gesundheit!)

- Gesundheit; Frau von Angern beniest das völlig zu Recht - so lag diese Zahl im Jahr 2016 bei 10 000. Das sind gerade einmal 40 % davon.

Die Anzahl der verkehrstoten Jugendlichen hat sich von 56 auf fünf dezimiert. Das kommt dem Ziel der Vision Zero schon ziemlich nah, aber eben noch nicht nah genug.

Nun gibt es bei der Debatte über das Fahren ab 16 Jahren auch kritische Stimmen. Das ist nichts Neues. Das war auch schon so, als das begleitete Fahren ab 17 Jahren im Jahr 2004 als Modellversuch vom Land Niedersachsen eingeführt wurde. Der ADAC hat damals die Ankündigung des Modellversuchs scharf kritisiert, sogar mit Klagen gedroht und sah die Verkehrssicherheit in Deutschland als ernsthaft gefährdet an.

Der Versuch startete allen Bedenken zum Trotz am 30. April 2004. Er wurde von einer Forschungsgruppe der Justus-Liebig-Universität Gießen überwacht und statistisch ausgewertet. Im Abschlussbericht konnte festgestellt werden, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Modellversuch nach der Begleitphase 25,5 % weniger Unfälle verursacht und 22,7 % weniger Verkehrsverstöße begangen haben.

(Zustimmung von Silke Schindler, SPD)

Vielen Dank.

Was - -

Entschuldigung. Ich dachte, Sie waren fertig.

(Heiterkeit)

Sie haben so eine lange Pause gemacht. Entschuldigung.

Sie sehen, die rhetorische Pause war gut angelegt.

Was ist die Schlussfolgerung, meine Damen und Herren? Hilft es den Jugendlichen in einem Flächenland wie Sachsen-Anhalt, wenn sie früher mobiler werden? - Selbstredend. Können 16-Jährige ein Fahrzeug führen? - Ja, selbstverständlich. Das können sie sogar ab 15 Jahren mit dem Moped. Können sie auch selbstständig am Straßenverkehr teilnehmen? - Ja, selbstverständlich. Das können sie sogar ab 15 Jahren mit dem Moped. Ist es sicherer, wenn noch zwei Jahre lang ein Erwachsener daneben sitzt? - Ja, selbstverständlich.

Also, meine Damen und Herren, lassen Sie uns das machen. Lassen Sie uns die Landesregierung dazu auffordern, gemeinsam mit dem Bund die Bestimmung in der EU zu ändern für mehr Sicherheit im Verkehr und mehr Mobilität für die Jugendlichen. Lassen Sie uns das beschließen. Es macht einfach Sinn.

(Zustimmung bei der SPD, von Detlef Gürth, CDU, von Hardy Peter Güssau, CDU, und von Chris Schulenburg, CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Grube. Es gibt auch hierzu keine Fragen. - Wir kommen zur nächsten Debattenrednerin. Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abg. Frau Hildebrandt. Sie haben das Wort, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren, wie Sie wissen, war meine Fraktion damals für das Modell „Begleitetes Fahrens ab 17“, und wir werden auch dem heute vorliegenden Antrag zustimmen.

(Zustimmung von Frank Scheurell, CDU)

Im Hinblick auf die Vision Zero ist es nämlich tatsächlich ein Unterschied, ob ein junger Mensch im Pkw sitzt oder auf einem 125er-Motorrad, bei dem es keine Knautschzone gibt.

Allerdings geht das Problem tiefer, was ich Ihnen an zwei Punkten verdeutlichen möchte. Punkt 1. Wirkliche Verkehrssicherheit entsteht durch gut ausgebauten ÖPNV und separate Radwege.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass die Koalition das selbst weiß, lässt der letzte Satz in der Begründung erkennen. Trotzdem an dieser Stelle ein Zitat aus der Unfallstatistik für das Jahr 2017 vom Statistischen Bundesamt - ich zitiere -:

„Die Dominanz des Pkw im Straßenverkehr belegt der hohe Anteil der Pkw-Benutzer an den Unfallopfern: 45,1 % der Verkehrstoten sowie 56 % der Verletzten kamen in einem Pkw zu Schaden. 18,3 % der Getöteten waren Benutzer von Krafträdern mit amtlichem Kennzeichen, 15,2 % Fußgänger und 12,0 % benutzten ein Fahrrad.“

Nutzerinnen und Nutzer von Bus, Bahn und Straßenbahn leben sicherer. Anstatt nun einen jungen Menschen in einen Pkw zu setzen, sollten wir den ÖPNV ausbauen und für mehr Radwege sorgen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben diesbezüglich schon mehrere Anträge gestellt, werden das auch weiterhin tun und den nächsten ausdrücklich mit der „Vision Zero“ begründen. Vielleicht wird er dann mehrheitsfähig.

(Beifall bei der LINKEN)

Punkt 2. In Sachsen-Anhalt ist Mobilität im ländlichen Raum ohne eigenes Fahrzeug kaum noch möglich. Das ist für Menschen, die aus ökologischen Gründen auf ein Fahrzeug verzichten wol

len, für Menschen, die aus ökonomischen Gründen darauf verzichten müssen, und für Menschen, die noch nicht oder nicht mehr ein eigenes Fahrzeug nutzen können, besonders bitter.

Die nun mit dem vorliegenden Antrag angebotene Lösung betrifft einen winzigen Teil dieser drei Bevölkerungsgruppen, nämlich nur den der 16-Jährigen. Zum Beispiel Eliza, deren Begleiter - Herrn Güssaus Tante Claudia oder vielleicht auch Opa Hardy - sich tagsüber bei der Fahrt zum Sportplatz im Nachbardorf oder zur Musikschule in der nächsten Kreisstadt danebensetzen können. Sie müssen die Zeit dafür haben.

Die 16-Jährigen, deren Begleiter keine Zeit dafür haben, werden weiterhin nach dem Führerschein AM auch den A1 machen, wenn in den Familien das Geld dafür da ist. Wenn das Geld nicht vorhanden ist, werden die 16-Jährigen, wie bisher auch, auf soziale Kontakte außerhalb ihres eigenen Dorfes und der eigenen Schule verzichten müssen.

Das scheint der antragstellenden Fraktion aber ziemlich egal zu sein - Hauptsache die Fahrschulen haben keine Einbußen. Dafür ist mit Nr. 2 Ihres Antrags gut gesorgt. Es ändert sich also aus sozialer, ökologischer und ökonomischer Sicht nicht viel. Gleichwohl gönnen wir dem kleinen Personenkreis, der dann in den Genuss des begleiteten Fahrens mit 16 kommt, die Chance, sein eigenes Unfallrisiko zu verringern.

Und ich wiederhole - vielleicht tritt dadurch bei dem einen oder anderen Abgeordneten ein Lerneffekt ein -: Um die Mobilität für alle zu erhöhen, brauchen wir im Land einen gut ausgebauten, jugendgerechten ÖPNV, und den am liebsten fahrscheinlos und umlagefinanziert. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. Ich sehe keine Fragen. - Wir kommen zur nächsten Debattenrednerin. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abg. Frau Lüddemann.

Bevor ich aber Frau Lüddemann das Wort erteile, habe ich die ehrenvolle Aufgabe, Damen und Herren aus dem Altkreis Köthen recht herzlich zu begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Des Weiteren darf ich Schülerinnen und Schüler der Berufsbildenden Schulen Magdeburg recht herzlich bei uns im Hohen Hause begrüßen. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, Sie haben jetzt das Wort. Bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ziel unserer Verkehrspolitik ist die „Vision Zero“, null Verkehrstote. Dafür sind Anstrengungen aller Beteiligten nötig.

Fahranfängerinnen und Fahranfänger bis 24 Jahre verursachen ca. 30 % aller Unfälle mit Todesfolge. Ein Ansatz, um dem entgegenzuwirken, ist das begleitete Fahren. Wir wollen daher einen Modellversuch für begleitetes Fahren ab 16 Jahren.

Im Jahr 2004 startete Niedersachsen als erstes Bundesland einen Projektversuch: das begleitete Fahren ab 17 - kurz: BF17. Bis 2008 zogen alle anderen Bundesländer nach. Im Jahr 2013 wurde statistisch ermittelt, dass beim begleiteten Fahren 28,5 % weniger Verkehrsunfälle passieren als bei den unbegleiteten Fahranfängern und Fahranfängerinnen. Ein zusätzliches Jahr wird diesen Effekt verstärken. Erfreulicherweise ist dies auch schon bei den Versicherern angekommen, wodurch Verkehrssicherheit auch finanziell attraktiv wird.

Dieses erfolgversprechende Projekt bedeutet aber nicht, dass wir nicht noch einiges andere umsetzen müssen, um die „Vision Zero“ zu erreichen. Erwähnen möchte ich die Tempo-30-Zonen. Die Anzahl von Tempo-30-Zonen wird erfreulicherweise größer, aber leider zu langsam. Es müssen deutlich mehr werden; denn Verkehrsberuhigung senkt das Unfallrisiko. Ich verweise auf die Auswertung meiner Kleinen Anfrage. Sie zeigt deutlich, dass es Landkreise gibt, in denen bisher sehr wenige Anträge auf Tempo-30-Zonen, die jetzt erleichtert gestellt werden können, auch tatsächlich genehmigt wurden. Es könnte vor der einen Schule oder vor dem anderen Kindergarten durchaus noch sicherer werden.

Weiterhin brauchen wir eine Erhöhung der Anteile des Fußgänger- und Radverkehrs sowie des ÖPNV am Modal Split. Denn der internationale Vergleich zeigt seit Jahrzehnten: Je mehr diese Mobilitätsmittel genutzt werden, desto weniger Unfälle passieren pro gefahrenen Kilometer.

Ein weiterer Ansatz zur „Vision Zero“ ist der Abbiege-Assistent bei Lkw, für den wir Regierungsfraktionen uns auch gemeinsam einsetzen. Vom Bund wird die Straßenverkehrsordnung bald überarbeitet. Dabei müsste festgeschrieben werden, dass Lkw mindestens in Städten nur mit AbbiegeAssistent fahren dürfen.